Die Tore von Rom Conn Iggulden Imperator #01 Von den spektakulären Gladiatorenkämpfen im Circus Maximus und den Intrigen im Senat, von den Eroberungskriegen, die ein Weltreich formten, und dem politischen Konflikt, der es fast auseinander gerissen hätte - die Imperator-Tetralogie erzählt die packende Lebensgeschichte eines außergewöhnlichen Mannes, der zum größten aller Römer wurde. Auf einem Landgut kurz vor den Toren Roms leiden zwei Jungen unter den Härten der traditionellen Ausbildung, die allen Patriziersöhnen zuteil wird: Sie lernen, wie man ein unbesiegbarer Krieger wird und wie man seine Zuhörer mit wohl geschliffenen Reden in den Bann schlägt. Die beiden Jungen sind die besten Freunde und lernen doch, dass man niemandes Freund sein darf. Gaius und Marcus sind beinahe noch Kinder, als ihr Zuhause in einer blutigen Sklavenrevolte dem Erdboden gleichgemacht wird - Garns’ Vater kommt bei den Kämpfen ums Leben. Es bleibt ihnen nichts übrig, als hinter die Stadtmauern von Rom zu fliehen. Und plötzlich finden sie sich in einer fremdartigen und atemberaubenden Welt wieder. Doch es bleibt ihnen keine Zeit, das pulsierende Leben in der aufregendsten Stadt der Welt zu genießen. Denn im Senat tobt ein furchtbarer Machtkampf, und bald schon werden Bürger gegen Bürger das Schwert ziehen. Das ganze Reich droht zu zerreißen. Und die beiden jungen Männer, die als Erwachsene den Lauf der Welt bestimmen werden, geraten in den unwiderstehlichen Strudel der Ereignisse: Marcus Brutus und Gaius Julius Caesar stehen am Beginn ihres ersten großen Abenteuers ... Autor Conn Iggulden unterrichtete Englisch an der Universität von London und arbeitete sieben Jahre als Lehrer, bevor er schließlich mit dem Schreiben historischer Abenteuerromane begann. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn im englischen Hertfordshire. Die Tore von Rom, der erste Band seiner Imperator-Tetralogie, stand in England wochenlang auf den vordersten Plätzen der Bestsellerlisten. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Emperor: The Gates of Rome« bei HarperCollins Publishers, London. Für meinen Sohn Cameron und meinen Bruder Hal, dem anderen Mitglied des Black Cat Club. 1 Für die beiden Jungen war der Pfad, auf dem sie durch den Wald schlenderten, ein breiter Damm. Beide waren so mit dickem schwarzem Schlamm verklebt, dass man sie kaum als menschliche Wesen erkennen konnte. Der größere der beiden hatte blaue Augen, die unnatürlich hell aus der antrocknenden, juckenden Panade hervorstachen. »Dafür bringen sie uns um, Marcus«, sagte er grinsend und schwang lässig seine Schleuder, die von dem Gewicht eines glatten Flusskiesels straff gehalten wurde. »Und du bist schuld daran, Gaius, weil du mich reingestoßen hast. Ich hab dir ja gesagt, dass das Flussbett nicht überall trocken ist.« Noch während er sprach, schubste der kleinere Junge seinen Freund lachend in die Büsche, die den Wegrand säumten. Unter lautem Gejohle rannte er davon, als Gaius sich wieder herauswand und mit wirbelnder Schleuder die Verfolgung aufnahm. »Auf in die Schlacht!«, erklang sein Schrei. Die Abreibung, die ihnen zu Hause drohte, weil sie ihre Tuniken verdreckt hatten, war noch weit weg, außerdem kannten die beiden Jungen ohnehin sämtliche Tricks und Ausflüchte, um sich aus der Affäre zu ziehen. Für die beiden zählte jetzt nichts anderes, als mit voller Geschwindigkeit über die Waldwege zu jagen und Vögel aufzuscheuchen. Beide Jungen waren barfuß, und obwohl sie erst acht Sommer erlebt hatten, zeigten sich an ihren Füßen bereits Schwielen. »Dieses Mal kriege ich ihn«, murmelte Gaius keuchend vor sich hin. Es war ihm ein Rätsel, wieso Marcus, obwohl ihm genau die gleiche Anzahl Beine und Arme zur Verfügung stand wie ihm selbst, diese irgendwie dazu bringen konnte, sich schneller zu bewegen. Eigentlich müssten seine Schritte doch kürzer sein, weil er kleiner war, oder? Die Blätter peitschten an ihm vorbei und brannten auf seinen nackten Armen. Er hörte, wie sich Marcus, der nicht weit vor ihm war, über ihn lustig machte. Allmählich tat Gaius die Lunge weh, und er bleckte die Zähne. Ohne Vorwarnung kam er aus vollem Lauf auf eine Lichtung geschossen, wo er abrupt zum Stehen kam. Marcus lag auf dem Boden, versuchte sich aufzusetzen und hielt sich mit der rechten Hand den Kopf. Drei Männer - nein, es waren ältere Jungen - mit Wanderstäben in den Händen standen um ihn herum. Gaius erfasste die Situation und stöhnte auf. Die wilde Jagd hatte die beiden Jungen von dem kleinen Anwesen seines Vaters weg und in das Waldstück des Nachbarn hineingeführt. Eigentlich hätte er den Pfad, der die Grenzen markierte, gleich erkennen müssen. »Was haben wir denn da? Ein paar kleine Schlammfische, frisch aus dem Fluss gekrochen!« Der so sprach war Suetonius, der älteste Spross des Nachbarn. Er war vierzehn und hatte nichts anderes zu tun als die Zeit totzuschlagen, bevor er zur Armee ging. Seine Muskeln waren gut trainiert, wohingegen die der beiden jüngeren Knaben noch nicht voll entwickelt waren. Ein blonder Schopf thronte über Suetonius’ mit Pickeln gesprenkeltem Gesicht. Nicht nur Wangen und Stirn waren mit Pusteln bedeckt, noch mehr tiefrote Entzündungen lugten unter seiner Praetexta hervor. Außerdem hatte er einen langen, geraden Stock, ein paar Freunde, die es zu beeindrucken galt, und einen Nachmittag, mit dem er sonst nichts Besseres anzufangen wusste. Gaius hatte Angst. Er wusste, dass er eigentlich nicht hier sein durfte. Er und Marcus hatten die Grenze überschritten. Das Mindeste, was ihnen jetzt widerfahren würde, waren ein paar Stockhiebe, schlimmstenfalls aber wurden sie derartig verprügelt, dass sie sich ein paar gebrochene Knochen einhandelten. Er blickte zu Marcus hinüber und sah, wie sein Freund versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Offensichtlich war er mit irgendwas zu Boden geschlagen worden, nachdem er unversehens in die älteren Jungen hineingerannt war. »Lass uns gehen, Tonius. Wir werden zu Hause erwartet.« »Sprechende Schlammfische! Damit machen wir ein Vermögen, Jungs! Schnappt sie euch. Ich habe zufällig ein Seil zum Schweinefesseln dabei, das kann man bestimmt auch für Schlammfische benutzen.« Da Marcus nicht entkommen konnte, zog Gaius Flucht gar nicht erst in Betracht. Das hier war kein Spiel mehr. Die Grausamkeit der Jungen ließ sich womöglich besänftigen, wenn man ihnen mit Vorsicht begegnete und besonnen auf sie einredete wie auf Skorpione, die bereit waren, ohne Vorwarnung anzugreifen. Suetonius’ Gefährten näherten sich mit schlagbereiten Stäben. Gaius kannte die beiden nicht. Einer riss Marcus hoch, der andere, ein stämmiger, beschränkt aussehender Junge, rammte Gaius seinen Stab in den Bauch. Unfähig einen Laut von sich zu geben, krümmte dieser sich vor Schmerzen. Als er zusammenklappte, hörte er den Jungen lachen. Er stöhnte leise und versuchte, sich um den Schmerz herumzukrümmen. »Da drüben ist ein Ast, der müsste reichen. Bindet ihre Füße zusammen und verschnürt sie so, dass wir sie baumeln lassen können. Dann können wir ausprobieren, wer der beste Speerund Steinwerfer ist.« »Dein Vater kennt meinen Vater«, stieß Gaius hervor, als der Schmerz in seinem Bauch etwas nachließ. »Das stimmt. Aber er kann ihn nicht leiden. Mein Vater ist ein richtiger Patrizier, nicht wie deiner. Wenn er wollte, könnte er deine ganze Familie zu seinen Bediensteten machen. Dann lass ich deine verrückte Mutter die Fliesen schrubben.« Immerhin redete Suetonius noch. Der Schläger war gerade dabei, Gaius’ Füße mit dem Seil aus Pferdehaar zusammenzubinden, um ihn daran hochzuziehen. Womit konnte Gaius weiter verhandeln? Sein Vater hatte nicht viel Einfluss in der Stadt, nur die Familie seiner Mutter hatte ein paar Konsuln hervorgebracht, das war alles. Aber Onkel Marius war ein mächtiger Mann, zumindest behauptete das seine Mutter. »Wir sind Nobilitas! Mit meinem Onkel Marius sollte man sich besser nicht anlegen .« Plötzlich ertönte ein schriller Schrei. Das Seil über dem Ast spannte sich, und Marcus wurde kopfüber in die Luft geschleudert. »Bindet das Seilende an diesem Baumstumpf fest! Dann kommt dieser Fisch hier an die Reihe«, lachte Tonius schadenfroh. Gaius sah, dass Tonius’ Freunde seinen Befehlen ohne Zögern Folge leisteten, also war es völlig sinnlos, einen der beiden anzuflehen. »Lass uns runter, du pickliger Eiterbeutel!«, schrie Marcus, dessen Gesicht durch den Blutandrang rot anlief. Gaius stöhnte. Jetzt würden sie sie umbringen, so viel war sicher. »Marcus, du Idiot. Sag nichts über seine Pickel. Man sieht doch, dass er deswegen bestimmt empfindlich ist.« Suetonius zog eine Augenbraue hoch und klappte überrascht den Mund auf. Der untersetzte Junge, der gerade das Seil über den gleichen Ast werfen wollte, an dem bereits Marcus schaukelte, hielt inne. »Oh, jetzt hast du aber einen Fehler gemacht, kleiner Fisch. Zieh den da auch noch hoch, Decius. Den lass ich ein bisschen bluten.« Plötzlich kippte die Welt vor Gaius’ Augen auf Übelkeit erregende Weise auf den Kopf; er hörte den Ast ächzen, und ein leises Pfeifen summte in seinen Ohren, als ihm das Blut in den Kopf stieg. Er drehte sich langsam im Kreis, bis er Marcus in der gleichen prekären Stellung neben sich hängen sah. Seine Nase blutete ein wenig von dem Schlag, der ihn anfangs zu Boden gestreckt hatte. »Ich glaube, du hast mein Nasenbluten gestillt, Tonius. Danke schön.« Marcus’ Stimme zitterte leicht, und Gaius musste über die Tapferkeit seines Freundes lächeln. Als er zu ihnen auf das Gut kam, war der kleine Junge von Natur aus sehr nervös und ein bisschen zu klein für sein Alter gewesen. Gaius hatte ihm das Anwesen gezeigt, und schließlich waren sie in der Heuscheune gelandet, hoch über den aufgestapelten Garben. Sie hatten auf den losen Haufen tief unter ihnen hinuntergeschaut, und Marcus’ Hände hatten gezittert. »Ich springe zuerst und zeige dir, wie’s geht«, hatte Gaius fröhlich gesagt und war jauchzend mit den Füßen voran in die Tiefe gehüpft. Von unten hatte er ein paar Sekunden lang zur Kante hinaufgeblickt und darauf gewartet, dass Marcus ihm folgte. Gerade als er schon glaubte, dass nichts mehr geschehen würde, schoss eine kleine Gestalt in hohem Bogen durch die Luft. Gaius konnte sich gerade noch zur Seite werfen, bevor Marcus atemlos nach Luft japsend ins Heu plumpste. »Ich dachte schon, du hast zu viel Angst«, hatte Gaius zu dem neben ihm ausgestreckten Jungen gesagt, der ihn durch die Staubwolke anblinzelte. »Hatte ich auch«, hatte Marcus leise geantwortet, »aber Angst lasse ich einfach nicht gelten. Ich lasse sie einfach nicht zu.« Suetonius’ harsche Stimme unterbrach Gaius’ kreisende Gedanken: »Meine Herren, Fleisch muss zuerst ordentlich weich geklopft werden. Nehmt eure Positionen ein und beginnt mit der Prozedur, und zwar so.« Mit diesen Worten holte er mit seinem Stock über Gaius’ Kopf aus und traf ihn dicht über dem Ohr. Die Welt um Gaius herum wurde zuerst weiß, dann schwarz. Als er die Augen schließlich wieder öffnete, drehte sich alles um ihn herum, weil das Seil im Kreis herum trudelte. Eine Zeit lang spürte er die Schläge noch, während Suetonius laut mitzählte. »Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei .« Er bildete sich ein, Marcus weinen zu hören, dann schwanden ihm inmitten des höhnischen Gejohles und Gelächters die Sinne. Noch bei Tageslicht kam er ein paarmal zu sich, wurde jedoch immer wieder ohnmächtig. Erst in der Abenddämmerung gelang es ihm endlich, bei Bewusstsein zu bleiben. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen, sein Gesicht geschwollen und verklebt. Noch immer hingen sie kopfüber an dem Ast und pendelten sanft im Abendwind, der von den Hügeln herunterstrich. »Marcus, wach auf! Marcus!« Sein Freund rührte sich nicht. Er sah furchtbar aus, wie eine Art Dämon. Die Kruste aus angetrocknetem Flussschlamm war abgeplatzt, nur grauer, von roten und purpurnen Streifen durchzogener Staub haftete noch an ihm. Sein Kiefer war geschwollen, und an der Schläfe stand eine Beule ab; seine linke Hand war dick und hatte im schwindenden Licht eine bläuliche Tönung. Gaius versuchte, die eigenen Hände zu bewegen, die noch immer mit dem Seil gefesselt waren. Obwohl sie ganz steif waren und schmerzten, konnte er beide bewegen und versuchte, sie frei zu bekommen. Sein junger Körper war geschmeidig, und die Sorge um seinen Freund ließ ihn die Schmerzwelle ignorieren, die von neuem über ihm zusammenschlug. Er musste sich um Marcus kümmern, ihm durfte nichts passiert sein. Doch dazu musste Gaius zuerst selbst wieder auf die Erde kommen. Eine Hand kam frei. Er streckte sie nach unten und streifte mit den Fingerspitzen Staub und trockene Blätter. Nichts. Auch die andere Hand kam frei und er weitete seine Suche aus, indem er seinen Körper langsam im Kreis schaukeln ließ. Ja, da lag ein kleiner Stein mit einer scharfen Kante. Und jetzt zum schwierigen Teil. »Marcus! Kannst du mich hören? Ich hole uns hier runter. Mach dir keine Sorgen! Und dann bringe ich Suetonius und seine fetten Freunde um.« Marcus schaukelte sanft und lautlos hin und her; sein schlaffer Mund stand offen. Gaius holte tief Luft und wappnete sich gegen den Schmerz. Schon unter normalen Umständen wäre es äußerst schwierig gewesen, nach oben zu greifen und, nur mit einem scharfen Stein ausgerüstet, ein dickes Seil zu durchtrennen. Da sein ganzer Unterleib mit Blutergüssen übersät war, schien die Aufgabe nahezu unmöglich. Also los! Er hievte sich hoch, und der Schmerz, der seinen Bauch blitzartig durchzuckte, ließ ihn aufschreien, doch es gelang ihm, den Oberkörper trotzdem nach oben zu recken und mit beiden Händen zuzufassen. Seine Lunge pumpte vor Anstrengung wie rasend. Er fühlte, wie er wieder schwächer wurde und vor seinen Augen alles verschwamm. Zuerst glaubte er, sich übergeben und nach ein paar Sekunden wieder loslassen zu müssen. Aber dann gelang es ihm doch, die Hand, die den Stein hielt, Zentimeter für Zentimeter zu lösen und sich nach hinten zu lehnen. Damit hatte er genug Platz, nach der Leine zu fassen und daran zu sägen, wobei er versuchte, seine Haut nicht zu verletzen, wo die Fesseln zu tief eingeschnitten hatten. Der Stein war entmutigend stumpf, und Gaius konnte sich nicht lange oben halten. Um den Fall besser kontrollieren zu können, versuchte er loszulassen, bevor seine Hände abrutschten, doch das war unmöglich. »Du hast immer noch den Stein«, murmelte er vor sich hin. »Du musst weitermachen, bevor Suetonius zurückkommt.« Ein anderer Gedanke durchzuckte ihn. Vielleicht war sein Vater aus Rom heimgekehrt, denn er wurde jeden Tag zurückerwartet. Jetzt, mit Anbruch der Dunkelheit, würde er sich Sorgen machen. Vielleicht suchte er bereits nach den beiden Jungen, kam dieser Lichtung immer näher und rief ihre Namen. So durfte er sie auf keinen Fall finden. Die Schande wäre zu groß. »Marcus? Wir sagen einfach, wir sind hingefallen. Ich will nicht, dass mein Vater davon erfährt.« Marcus schaukelte besinnungslos an dem knarrenden Seil im Kreis. Noch fünfmal musste sich Gaius nach oben schwingen und an dem dicken Strick sägen, ehe dieser endlich nachgab. Dann landete er fast flach auf dem Boden und schluchzte, als seine geschundenen Muskeln zuckten und zitterten. Er versuchte, Marcus langsam herabzulassen, doch er war zu schwer für ihn, und das plötzliche Gewicht in seinen Armen ließ ihn fast zusammenbrechen. Immerhin erwachte Marcus durch den neuerlichen Schmerz des Aufpralls und öffnete die Augen. »Meine Hand«, flüsterte er mit brüchiger Stimme. »Ich würde sagen, die ist gebrochen. Halte sie ruhig. Wir müssen hier weg, falls Suetonius zurückkommt oder mein Vater uns sucht. Es ist schon fast dunkel. Kannst du aufstehen?« »Ich denke schon ... obwohl meine Beine sich ziemlich schwach anfühlen. Dieser Tonius ist ein Dreckskerl«, murmelte Marcus. Er versuchte, den Unterkiefer nicht zu bewegen und sprach stattdessen zwischen den geschwollenen, aufgeplatzten Lippen hindurch. Gaius nickte grimmig. »Wohl wahr! Ich denke, mit dem haben wir noch eine Rechnung zu begleichen.« Marcus grinste und zuckte sofort schmerzvoll zusammen, weil dabei die Risse in seinen Lippen wieder aufplatzten. »Aber erst müssen wir uns ein wenig erholen, meinst du nicht? Im Augenblick bin ich nicht besonders scharf darauf, es mit ihm aufzunehmen.« Sich gegenseitig stützend wankten die beiden Jungen in der Dunkelheit nach Hause. Sie gingen etwa eine Meile über die Kornfelder, an den Sklavenquartieren der Feldarbeiter vorbei und auf die Hauptgebäude zu. Wie zu erwarten gewesen war, brannten die Öllampen an den Mauern des Haupthauses noch. »Tubruk wartet bestimmt noch auf uns, der schläft nie«, murmelte Gaius, als sie zwischen den Pfeilern des äußeren Tores hindurchhumpelten. Die Stimme aus dem Schatten erschreckte sie beide. »Das ist auch gut so. Diesen Anblick hätte ich mir nur ungern entgehen lassen. Du kannst froh sein, dass dein Vater nicht hier ist. Wenn der euch dabei erwischt, wie ihr in einem solchen Aufzug nach Hause kommt, zieht er euch die Haut vom Rücken. Was war es denn dieses Mal?« Tubruk trat in das gelbe Licht der Öllampen und beugte sich vor. Er war kräftig gebaut, ein ehemaliger Gladiator, der sich die Position des Aufsehers auf dem kleinen Gut vor den Toren Roms gekauft und nie mehr zurückgeschaut hatte. Gaius’ Vater sagte immer, Tubruk sei ein Organisationstalent, wie man nur eines im Tausend findet. Die Sklaven arbeiteten gut unter ihm, manche aus Angst, andere, weil sie ihn mochten. Er roch an den beiden Jungen. »Seid wohl in den Fluss gefallen, was? Jedenfalls riecht es so.« Froh darüber, dass eine Erklärung bei der Hand war, nickten die beiden. »Aber diese Striemen von Stockhieben habt ihr euch nicht im Flussbett geholt, oder? Das war Suetonius, stimmt’s? Ich hätte ihm schon vor Jahren mal in den Hintern treten sollen, als er noch jung und für gute Erziehung empfänglich war. Also?« »Nein, Tubruk. Wir hatten Streit und haben ein bisschen miteinander gerauft. Außer uns war niemand im Spiel. Und selbst wenn es so wäre, würden wir das lieber alleine regeln, verstehst du?« Tubruk musste grinsen, als er solche Worte von einem kleinen Jungen vernahm. Er war fünfundvierzig Jahre alt, doch sein Haar war bereits in den Dreißigern ergraut. Er war Legionär in der Dritten Kyrenaika in Afrika gewesen und hatte als Gladiator fast hundert Kämpfe ausgefochten, wovon eine Unmenge Narben auf seinem Körper zeugten. Er streckte seine riesige Schaufelhand aus und strich Gaius mit kantigen Fingern durchs Haar. »Ja, das verstehe ich gut, kleiner Wolf. Du bist ganz der Sohn deines Vaters. Aber noch kannst du nicht alles alleine regeln. Du bist immer noch ein Knabe, und Suetonius oder wer auch immer entwickelt sich, wie ich höre, zu einem ausgezeichneten jungen Krieger. Seht euch vor. Sein Vater ist viel zu mächtig, als dass man ihn im Senat zum Feind haben sollte.« Gaius richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sprach so förmlich, wie er nur konnte, um seine Position klarzustellen. »Dann trifft es sich ja gut, dass dieser Suetonius überhaupt nichts mit uns zu tun hatte«, erwiderte er. Tubruk unterdrückte ein Grinsen und nickte, als akzeptiere er den Einwand. Etwas selbstsicherer fuhr Gaius fort: »Schick Lucius zu uns, damit er nach unseren Wunden sieht. Meine Nase ist gebrochen und Marcus’ Hand höchstwahrscheinlich auch.« Tubruk sah ihnen nach, wie sie zum Haupthaus wankten und kehrte dann zu seinem Posten in der Dunkelheit zurück. Wie jede Nacht hielt er die erste Wache am Tor. Bald war Hochsommer und die Tage würden wieder unerträglich heiß sein. Das Leben war herrlich, mit einem so klaren Himmel über sich und ehrlicher Arbeit vor sich. Am nächsten Morgen meldeten sich Muskeln, Gelenke und Wunden mit schmerzhaftem Protest, und die beiden darauf folgenden Tage waren sogar noch schlimmer. Marcus hatte Fieber bekommen. Von der gebrochenen Hand, die, geschient und verbunden, zu unglaublichen Dimensionen angeschwollen war, sei es zum Kopf gewandert, sagte der Medicus. Tagelang war er glühend heiß und musste im Dunkeln liegen, während Gaius auf den Stufen draußen vor sich hin grübelte. Fast genau eine Woche nach dem Angriff im Wald war Marcus zwar immer noch schwach und schlief viel, befand sich jedoch auf dem Weg der Besserung. Auch Gaius’ Muskeln taten noch weh, wenn er sie streckte, und sein Gesicht war ein hübsches Sammelsurium aus gelben und blauen Flecken, die, an manchen Stellen glänzend und geschwollen, nach und nach verheilten. Es wurde langsam Zeit, Suetonius zu finden. Höchste Zeit sogar. Während er durch den Wald des Familienguts streifte, schwirrten ihm Gedanken an Angst und Schmerz durch den Kopf. Was, wenn Suetonius nicht mehr auftauchte? Es bestand kein Grund, anzunehmen, dass er regelmäßige Ausflüge in den Wald unternahm. Was, wenn der ältere Junge wieder mit seinen Freunden unterwegs war? Sie würden ihn umbringen, daran bestand kein Zweifel. Dieses Mal hatte Gaius einen Bogen mitgebracht und übte im Gehen, die Sehne zu spannen. Es war ein Bogen für einen erwachsenen Mann und viel zu groß für ihn. Doch er hoffte, dass er das Bogenende auf den Boden stützen und die Sehne mit eingelegtem Pfeil weit genug spannen konnte, um Suetonius damit einzuschüchtern, falls der sich weigern sollte, den Rückmarsch anzutreten. »Suetonius, du bist ein Drecksack voller Eiter. Wenn ich dich auf dem Land meines Vaters erwische, jage ich dir einen Pfeil durch den Kopf.« So sprach er beim Gehen laut vor sich hin. Es war ein wunderschöner Tag, um im Wald spazieren zu gehen, und er hätte es vielleicht sogar genossen, wäre der Grund für sein Hiersein nicht so ernst gewesen. Dieses Mal hatte er sein braunes Haar mit Öl eng an den Kopf gekämmt und trug einfache, saubere Kleidung, die ihm Bewegungsfreiheit und ungehindertes Hantieren mit dem Bogen erlaubte. Gaius befand sich immer noch auf seiner Seite der Grenze und war deshalb überrascht, als er Schritte hörte und plötzlich Suetonius und ein kicherndes Mädchen auf dem breiten Weg vor sich auftauchen sah. Der ältere Junge bemerkte ihn nicht gleich, war er doch ganz auf das Mädchen in seiner Begleitung konzentriert. »Du überschreitest unsere Grenze«, fuhr Gaius ihn an. Er war froh, dass seine Stimme, wenn auch hell, so doch klar und fest klang. »Du befindest dich auf dem Grund und Boden meines Vaters.« Suetonius erschrak und stieß vor Überraschung einen Fluch aus. Als er sah, wie Gaius das eine Ende des Bogens in den Waldboden bohrte, begriff er, dass man ihm drohte und fing an zu lachen. »Oha, jetzt ist er ein kleiner Wolf! Es scheint ganz so, als könntest du viele Formen annehmen. Hast du das letzte Mal nicht schon genug Schläge eingesteckt, kleiner Wolf?« Gaius fand das Mädchen sehr hübsch, aber er wünschte trotzdem, sie würde weggehen und irgendwo im Wald verschwinden. In seiner Fantasie war bei diesem Aufeinandertreffen kein Platz für ein weibliches Wesen, und er fühlte eine neue Art Gefahr von Suetonius ausgehen. Dieser legte melodramatisch einen Arm um das Mädchen. »Vorsicht, meine Liebe. Das ist ein gefährlicher Kämpfer. Und kopfüber ist er besonders gefährlich, dann ist er überhaupt nicht mehr aufzuhalten!« Er lachte über seinen eigenen Witz und das Mädchen stimmte ein. »Ist das der, von dem du mir erzählt hast, Tonius? Schau dir nur sein kleines, wütendes Gesicht an!« »Wenn ich dich hier noch einmal erwische, durchbohre ich dich mit einem Pfeil«, sagte Gaius schnell. Seine Worte überschlugen sich. Er zog den Pfeilschaft ein paar Zentimeter zurück. »Verschwinde jetzt, oder ich schieße dich nieder.« Suetonius hatte zu lächeln aufgehört und wog seine Chancen ab. »Nun gut, lupusparvus, ich gebe dir, was du anscheinend haben willst.« Ohne Vorwarnung rannte er auf Gaius los, der den Pfeil viel zu schnell losließ. Der Pfeil streifte die Tunika des älteren Jungen und fiel wirkungslos auf den Boden. Suetonius stieß einen gellenden Triumphschrei aus und kam mit vorgestreckten Armen und grausamen Augen auf Gaius zu. Von Panik ergriffen schlug Gaius mit dem Bogen um sich und traf den älteren Jungen auf die Nase. Blut schoss hervor und Suetonius brüllte vor Schmerz und Wut auf. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Als Gaius erneut den Bogen hob, war Tonius bei ihm und packte die Waffe mit einer Hand. Mit der anderen griff er nach Gaius’ Kehle und stieß ihn allein durch die Wucht seines Angriffs sechs oder sieben Schritte zurück. »Hast du noch mehr Drohungen auf Lager?«, knurrte er und drückte fester zu. Aus seiner Nase lief Blut und befleckte seine Tunika. Er entrang den Bogen Gaius’ Griff und fing an, damit auf ihn einzudreschen, ließ Schläge auf Gaius niederhageln, gab jedoch dessen Kehle nicht einen Moment frei. »Er wird mich umbringen und dann behaupten, es sei ein Unfall gewesen«, dachte Gaius verzweifelt. »Ich sehe es in seinen Augen. Ich kriege keine Luft mehr.« Er schlug mit den Fäusten auf den größeren Jungen ein, aber seine Arme waren zu kurz, als dass er wirklich einen Treffer hätte landen können. Die Farben schwanden vor seinen Augen, alles kam ihm vor wie im Traum, und seine Ohren nahmen keine Töne mehr wahr. Als Tonius ihn ins nasse Laub schleuderte, verlor er das Bewusstsein. Etwa eine Stunde später fand Tubruk Gaius auf dem Weg und weckte ihn, indem er ihm Wasser über den geschundenen und zerschlagenen Schädel goss. Auch dieses Mal sah Gaius’ blutverkrustetes Gesicht wieder schlimm aus. Sein beinahe verheiltes Auge hatte sich jetzt mit Blut gefüllt, sodass er auf dieser Seite nurmehr Schatten wahrnahm. Seine Nase war erneut gebrochen und der Rest des Körpers ein einziger blauer Fleck. »Tubruk?«, murmelte er benommen. »Ich bin vom Baum gefallen.« Das Lachen des großen Mannes hallte durch den dichten Wald. »Weißt du, mein Junge, niemand zweifelt an deinem Mut. Was aber deine Fähigkeiten als Kämpfer angeht, bin ich mir da nicht so sicher. Es wird höchste Zeit, dass du kämpfen lernst, bevor dich noch jemand umbringt. Sobald dein Vater aus der Stadt zurück ist, muss ich mit ihm darüber reden.« »Du sagst ihm aber nichts davon ... dass ich vom Baum gefallen bin? Ich habe beim Sturz viele Äste gestreift.« Gaius schmeckte das Blut, das ihm von der gebrochenen Nase im Hals hinunterlief. »Hast du den Baum wenigstens auch getroffen? Nur ein einziges Mal?«, fragte Tubruk, musterte das aufgewühlte Laub und las darin die Antwort. »Ich schätze, der Baum hat genauso eine Nase wie ich.« Gaius versuchte zu lächeln, übergab sich jedoch stattdessen ins Unterholz. »Hmmm. Glaubst du, die Geschichte ist damit beendet? Ich kann dich nicht so weitermachen lassen und zusehen, wie man dich verkrüppelt oder gar tötet. Wenn dein Vater in der Stadt ist, erwartet er, dass du allmählich deine Pflichten als sein Erbe und als Patrizier erlernst. Ganz bestimmt ist ihm nicht daran gelegen, einen nutzlosen Bengel großzuziehen, der ständig in sinnlose Keilereien verwickelt ist.« Tubruk bückte sich, um den zerbrochenen Bogen aus dem Unterholz zu ziehen. Die Sehne war gerissen, und er schüttelte missbilligend den Kopf. »Dafür, dass du auch noch den Bogen geklaut hast, sollte ich dir den Hintern versohlen.« Gaius nickte unglücklich. »Keine Schlägereien mehr, verstanden?« Tubruk stellte ihn auf die Füße und klopfte ihm ein wenig nasse Erde ab. »Keine Schlägereien mehr. Versprochen! Danke, dass du gekommen bist, um mich zu holen«, erwiderte Gaius. Der Junge taumelte und fiel beinahe um, während er sprach. Der alte Gladiator seufzte. Mit einem raschen Griff hievte er sich den Knaben auf die Schultern, trug ihn zurück zur Villa und rief bei jedem tief herabhängenden Ast laut: »Duck dich!« In der folgenden Woche war Marcus, bis auf seine geschiente Hand, schon wieder ganz der Alte. Er war etwa fünf Zentimeter kleiner als Gaius, hatte braunes Haar und kräftige Gliedmaßen. Seine Arme waren im Vergleich zum Rest seines Körpers etwas zu lang, doch er behauptete immer, dass ihn das wegen der zusätzlichen Reichweite später zu einem großen Schwertkämpfer machen würde. Er konnte mit vier Äpfeln jonglieren und hätte es auch mit Messern versucht, wenn die Küchensklaven nicht Gaius’ Mutter Aurelia davon erzählt hätten. Sie hatte ihn angeschrieen, bis er versprochen hatte, es nie wieder zu probieren. Die Erinnerung daran ließ ihn jedes Mal kurz stocken, wenn er ein Messer zum Essen in die Hand nahm. Als Tubruk den fast bewusstlosen Gaius zur Villa zurückbrachte, war Marcus bereits aufgestanden und hatte sich in den riesigen Küchenkomplex hinuntergeschlichen. Gerade als er seine Finger in die fettverschmierten Eisenpfannen stippen wollte, hörte er Stimmen. Marcus trottete an den gewaltigen Ziegelöfen vorbei zu Lucius’ Behandlungsraum. Immer wenn sie sich verletzt hatten, versorgte Lucius, der Physikos unter den Sklaven, ihre Wunden. Er behandelte die Familie und alle Sklaven des Gutes, verband Schwellungen, versorgte Entzündungen mit Schröpfumschlägen, zog mit seiner Zange Zähne und vernähte Schnittwunden. Lucius war ein ruhiger, geduldiger Mann, der immer, wenn er sich konzentrierte, geräuschvoll durch die Nase atmete. Dieses sanfte Schnauben aus der Lunge des alten Arztes war für die Jungen zu einem Zeichen für Frieden und Geborgenheit geworden. Gaius wusste, dass, wenn sein Vater einmal starb, Lucius als Belohnung für seine treu sorgende Pflege Aurelias ein freier Mann sein würde. Marcus saß da und kaute auf einem Stück Brot mit schwarzem Fett herum, während Lucius Gaius’ gebrochene Nase wieder richtete. »Dann hat dich Suetonius also wieder verprügelt?«, fragte er. Gaius konnte nichts sagen und nickte nur. Seine Augen tränten so stark, dass er auch nichts sehen konnte. »Du hättest auf mich warten sollen. Dann hätten wir ihn gemeinsam fertig gemacht.« Gaius konnte nicht einmal nicken. Lucius tastete gerade nach einem Stück Nasenknorpel, fand es und zog kräftig an der Nase, um das lose Stück wieder an die richtige Stelle zu schieben. Neues Blut rann über die noch frischen Blutkrusten des heutigen Kampfes. »Bei allen verdammten Tempeln, Lucius, pass doch auf! Du reißt mir ja die Nase ab!« Lucius lächelte und begann, Leinen in Streifen zu schneiden, um Gaius den Kopf zu verbinden. In der Zwischenzeit drehte dieser sich zu seinem Freund um. »Du hast eine gebrochene und geschiente Hand, außerdem geprellte oder gebrochene Rippen. Du kannst nicht kämpfen.« Marcus sah ihn nachdenklich an. »Schon möglich. Willst du es noch mal versuchen? Wenn du das tust, bringt er dich nämlich um, das weißt du.« Über seine Bandagen blickte ihn Gaius ruhig an, während Lucius seine Utensilien einpackte und aufstand, um zu gehen. »Danke, Lucius. Er wird mich nicht umbringen, weil ich ihn nämlich besiegen werde. Ich muss nur meine Strategie anpassen, das ist alles.« »Er bringt dich um«, wiederholte Marcus und biss in einen getrockneten Apfel, den er aus den Wintervorräten stibitzt hatte. Auf den Tag genau eine Woche später stand Marcus im Morgengrauen auf und begann mit den Übungen, die seiner Meinung nach die Reflexe stimulierten, die man als hervorragender Schwertkämpfer brauchte. In seinem Zimmer, einer einfachen, weißen Steinzelle, stand nur sein Bett und eine Truhe mit seinem persönlichen Hab und Gut. Gaius bewohnte den angrenzenden Raum, und auf dem Weg zum Abtritt trat Marcus gegen dessen Tür, um ihn zu wecken. Dann betrat er die kleine Kammer und wählte eines der mit Stein eingefassten Löcher, das in einen Abwasserkanal mit ständig fließendem Wasser mündete. Dieses Wunder der Ingenieurskunst sorgte dafür, dass so gut wie kein Gestank entstand, weil der Unrat der Nacht sofort in den Fluss hinausgespült wurde, der durch das Tal floss. Er nahm den Deckelstein weg und zog sein Nachtgewand hoch. Als er zurückkam, war von Gaius immer noch nichts zu sehen. Also öffnete er dessen Tür, um ihn für seine Faulheit zusammenzustauchen. Das Zimmer war leer. Marcus spürte, wie Enttäuschung in ihm aufstieg. »Du hättest mich mitnehmen sollen, mein Freund. Du hättest es nicht so offensichtlich zu zeigen brauchen, dass du mich nicht brauchst.« Rasch zog er sich an und machte sich auf den Weg, um Gaius zu suchen. Draußen stieg gerade die Sonne über das Tal und ergoss ihr Licht gleichmäßig auf alle Gutshöfe, während sich die Feldsklaven bereits über ihre Morgenarbeit beugten. Selbst im kühleren Wald war das bisschen Nebel rasch verdunstet. Marcus fand Gaius schließlich an der Grenze zwischen den beiden Gütern. Unbewaffnet stand er da. Marcus näherte sich ihm von hinten und Gaius drehte sich erschrocken um. Doch als er seinen Freund erkannte, entspannte er sich wieder und lächelte. »Ich bin froh, dass du da bist, Marcus. Ich wusste nicht, wann er kommt, deswegen bin ich schon eine Weile hier. Als ich dich eben gehört habe, dachte ich schon, er sei es.« »Weißt du, ich hätte auch mit dir zusammen gewartet. Ich bin dein Freund. Schon vergessen? Außerdem schulde ich ihm genauso eine Abreibung.« »Deine Hand ist gebrochen, Marcus. Und abgesehen davon schulde ich ihm sogar zwei Abreibungen.« »Das stimmt, aber ich hätte von einem Baum aus auf ihn draufspringen oder ihm ein Bein stellen können, wenn er angerannt kommt.« »Mit Tricks gewinnt man keine Schlachten. Ich werde ihn mit meiner Stärke schlagen.« Für einen Moment verstummte Marcus. Der Junge, dem er hier gegenüberstand und der sonst immer so unbeschwert wirkte, hatte jetzt etwas Kaltes und Erbarmungsloses an sich. Die Sonne stieg langsam höher und die Schatten wanderten. Marcus setzte sich auf den Boden. Zuerst saß er mit angewinkelten Knien, dann streckte er die Beine vor sich aus. Er wollte nicht als Erster sprechen, denn Gaius hatte aus dieser Angelegenheit einen Wettstreit in Ernsthaftigkeit gemacht, außerdem konnte er nicht stundenlang stehen, so wie es sich Gaius anscheinend vorgenommen hatte. Die Schatten bewegten sich weiter und Marcus markierte ihre Positionen mit Stöcken. Er schätzte, dass sie bereits drei Stunden gewartet hatten, als Suetonius schließlich seelenruhig den Pfad entlanggeschlendert kam. Als er sie erblickte, verzog er das Gesicht zu einem abfälligen Grinsen und blieb stehen. »So langsam mag ich dich richtig, kleiner Wolf. Ich denke, heute bringe ich dich um, oder ich breche dir ein Bein. Was meinst du wäre angebracht?« Gaius lächelte und stand so aufrecht und gerade da, wie er nur konnte. »Ich würde mich töten. Denn wenn du das nicht tust, werde ich weiter gegen dich kämpfen, bis ich groß und stark genug bin, um dich zu töten. Und dann nehme ich deine Frau, nachdem ich sie meinem Freund überlassen habe.« Marcus blickte entsetzt auf, als er hörte, was Gaius soeben gesagt hatte. Vielleicht sollten sie doch lieber wegrennen. Suetonius blinzelte die beiden an und zog ein kurzes, fies aussehendes Messer aus dem Gürtel. »Kleiner Wolf, Schlammfisch - ihr seid viel zu dumm, als dass man sich über euch ärgern sollte, aber ihr kläfft wie kleine Hunde. Ich werde euch wieder zum Schweigen bringen.« Mit diesen Worten rannte er auf sie los, doch kurz bevor er sie erreichte, gab mit einem lauten Krachen der Boden unter ihm nach, und Suetonius verschwand in einer Wolke aus hochgewirbeltem Staub und Blättern. »Ich hab dir eine Wolfsfalle gebaut, Suetonius!«, schrie Gaius übermütig. Der Vierzehnjährige versuchte, an den Wänden der Grube hochzuspringen, und Gaius und Marcus verbrachten ausgelassen einige Zeit damit, ihm auf die Finger zu treten, wenn er in der trockenen Erde Halt suchte. Er beschimpfte sie wütend, aber die beiden schlugen sich gegenseitig auf den Rücken und verspotteten ihn. »Ich habe zuerst überlegt, ob ich noch einen großen Stein auf dich werfen soll, so wie sie es oben im Norden mit den Wölfen machen«, sagte Gaius ruhig, als Suetonius schließlich aufgab und nur noch wütend schmollte. »Aber du hast mich nicht getötet, also werde ich dich auch nicht töten. Vielleicht werde ich nicht einmal irgendjemand davon erzählen, wie wir Suetonius in einer Wolfsfalle gefangen haben. Viel Glück beim Herauskommen.« Dann stieß er plötzlich einen Kriegsschrei aus, in den Marcus rasch einstimmte. Ihr Geschrei und ihre begeisterten Rufe verklangen langsam im Wald, als sie siegestrunken davonstürmten. »Ich dachte, du wolltest ihn mit deiner Stärke schlagen«, schrie Marcus seinem Freund über die Schulter zu, während sie den Pfad entlangrannten. »Hab ich doch. Ich habe die ganze Nacht an diesem Loch gegraben.« Die Sonne schien durch die Bäume und sie fühlten sich so stark, als könnten sie den ganzen Tag so rennen. Sobald Suetonius alleine war, hangelte er sich an den Seiten der Grube hinauf, bekam den Rand zu fassen und zog sich hoch. Eine Zeit lang saß er da und betrachtete nachdenklich seine schmutzige Praetexta und seine Beinlinge. Fast den ganzen Weg nach Hause legte er mit finsterer Miene zurück, doch als er aus dem Wald ins Sonnenlicht hinaustrat, fing er an zu lachen. 2 Tubruk schritt ein neues Feld ab, das gepflügt werden sollte, und Gaius und Marcus marschierten hinter ihm her. Alle fünf Schritte streckte er die Hand aus und Gaius reichte ihm einen Pflock aus einem schweren Korb. Tubruk selbst trug die Schnur, die als großes Knäuel auf einer Spindel saß. Geduldig wickelte er dann die Schnur um den Pflock und reichte ihn Marcus zum Halten, damit er ihn mit dem Hammer in den trockenen Boden einschlagen konnte. Ab und zu betrachtete er die immer länger werdende Reihe von Markierungspfosten, die er gesetzt hatte, brummte zufrieden und fuhr dann mit seiner Arbeit fort. Es war eine langweilige Aufgabe, der die beiden Jungen am liebsten auf den Campus Martius entflohen wären. Das riesige Gelände, auf dem man reiten und bei verschiedenen Sportarten mitmachen konnte, lag direkt vor der Stadt. »Halt ihn ruhig«, fuhr Tubruk Marcus an, als die Aufmerksamkeit des Jungen abschweifte. »Wie lange noch, Tubruk?«, fragte Gaius. »So lange, wie es eben dauert, das hier ordentlich zu Ende zu bringen. Die Felder müssen für den Pflüger abgesteckt werden, und dann müssen noch die Pfosten eingeschlagen werden, um die Grenze zu markieren. Dein Vater will die Erträge des Gutes steigern, und diese Felder hier sind guter Boden für Feigen, die wir in der Stadt auf dem Markt verkaufen können.« Gaius schaute sich um. Er blickte über die grünen und goldenen Hügel, die das Land seines Vaters ausmachten. »Dann ist es also ein reiches Gut?« Tubruk lachte in sich hinein. »Es reicht, um dich zu ernähren und zu kleiden. Aber wir haben nicht genug Land, um viel Gerste oder Weizen zum Brotbacken anzubauen. Dazu wäre die Ernte zu gering, also müssen wir uns auf das konzentrieren, was man in der Stadt kaufen will. In den Blumengärten ernten wir Samen, die zerquetscht werden, um daraus Gesichtsöl für die edlen Damen der Stadt zu machen. Dein Vater hat ein Dutzend Stöcke für neue Bienenschwärme gekauft. In ein paar Monaten könnt ihr Jungs zu jeder Mahlzeit Honig essen, und außerdem bringt auch Honig gutes Geld.« »Können wir bei den Bienenstöcken helfen, wenn die Bienen kommen?«, fragte Marcus plötzlich interessiert. »Vielleicht. Obwohl man sehr vorsichtig damit umgehen muss. Der alte Tadius hat früher Bienen gehalten, bevor er Sklave wurde. Ich zähle darauf, dass er weiß, wie man den Honig einsammelt. Die Bienen mögen es nicht, wenn man ihnen ihre Wintervorräte stiehlt, darum braucht man eine geübte Hand dafür. Jetzt halt diesen Pflock endlich gerade! So, damit haben wir ein Stadium, 625 Fuß. Hier geht’s jetzt um die Ecke.« »Brauchst du uns noch sehr lange, Tubruk? Wir wollten eigentlich mit den Ponys in die Stadt und sehen, ob wir bei der Senatsdebatte zuhören können.« Tubruk schnaubte verächtlich. »Du meinst wohl, ihr wollt mit den Ponys auf den Campus und dort mit den anderen Jungs um die Wette reiten, hm? Wir müssen heute nur noch diese letzte Seite hier abstecken, dann kann ich die Männer morgen die Grenzpfosten setzen lassen. In ein oder zwei Stunden dürften wir fertig sein.« Die beiden Jungen sahen sich niedergeschlagen an. Tubruk legte Spindel und Hammer nieder und streckte mit einem Seufzer den Rücken. Dann klopfte er Gaius auf die Schulter. »Das Land, auf dem wir hier arbeiten, ist dein Land. Vergiss das nicht. Es hat schon dem Vater deines Vaters gehört, und eines Tages, wenn du Kinder hast, wird es ihnen gehören. Sieh her!« Tubruk setzte ein Knie auf den harten Boden. Mit einem Pflock und dem Hammer brach er ihn auf, bis die schwarze Erde darunter zum Vorschein kam. Er grub die Hand hinein, griff eine Hand voll des dunklen Mutterbodens und hielt sie hoch, sodass die Jungen sie genau betrachten konnten. Gaius und Marcus schauten verwundert zu, wie er den Schmutz zwischen den Fingern zerkrümelte. »Seit Hunderten von Jahren haben Römer hier gestanden, wo wir jetzt stehen. Dieser Dreck ist mehr als nur Erde. Das sind wir, denn diese Erde ist der Staub von Männern und Frauen, die uns vorausgegangen sind. Ihr seid daraus hervorgegangen, und ihr werdet dorthin zurückkehren. Andere werden über euch hinweggehen und nicht einmal wissen, dass es euch gab, dass ihr einmal ebenso lebendig wart wie sie selbst.« »Das Familiengrab liegt doch an der Straße zur Stadt«, murmelte Gaius. Tubruks plötzliche Ernsthaftigkeit machte ihn nervös. Der alte Gladiator zuckte mit den Schultern. »Erst seit kurzem. Aber unsere Vorfahren sind schon viel länger hier gewesen, lange, bevor hier eine Stadt stand. Wir haben in längst vergessenen Kriegen für dieses Land geblutet und sind dafür gestorben. Und vielleicht werden wir das wieder tun, in Kriegen, die jetzt noch in der Zukunft liegen. Steck deine Hand in die Erde.« Er nahm die Hand des zögernden Jungen und drückte sie in den aufgebrochenen Boden und krümmte ihre Finger, bevor er sie wieder zurückzog. »Du hältst Geschichte in der Hand, mein Junge. Die Erde hat Dinge gesehen, die wir nicht sehen können. Du hältst deine Familie und Rom in deiner Hand. Dieser Boden lässt die Ernte für uns wachsen, er ernährt uns und wir verdienen Geld mit ihm, sodass wir uns an Luxusdingen erfreuen können. Ohne ihn sind wir nichts. Land ist alles, und ganz egal, in welche Winkel der Welt du dereinst einmal ziehen wirst, nur dieser Boden hier gehört wirklich dir. Nur dieser einfache, schwarze Dreck, den du in der Hand hältst, wird für dich die Heimat sein.« Marcus beobachtete das alles mit ernstem Gesichtsausdruck. »Wird es auch meine Heimat sein?« Tubruk schwieg einen Moment und hielt Gaius’ Blick gefangen, der die Erde noch immer fest in seiner Hand hielt. Dann drehte er sich zu Marcus um und lächelte. »Natürlich, mein Junge. Du bist doch auch ein Römer, oder? Dann gehört dir diese Stadt genauso wie jedem anderen.« Das Lächeln erlosch, und er wandte den Blick wieder zu Gaius. »Aber dieses Anwesen hier gehört Gaius ganz allein, und eines Tages wird er der Herr darüber sein. Dann wird er auf schattige Feigenbaumreihen und schwirrende Bienenstöcke blicken und sich daran erinnern, dass er als kleiner Junge nichts anderes im Sinn hatte, als den anderen Knaben auf dem Campus Martius vorzuführen, was sein Pony alles kann.« Die Traurigkeit, die einen Augenblick lang in Marcus’ Gesicht aufblitzte, bemerkte er nicht. Gaius öffnete die Hand und ließ die Erde wieder in das Loch zurückfallen, das Tubruk aufgebrochen hatte. Nachdenklich drückte er sie fest. »Sehen wir zu, dass wir mit dem Abstecken fertig werden«, sagte er, und Tubruk nickte zustimmend, als er sich wieder aufrichtete. Die Sonne ging schon unter, als die beiden Jungen die Tiberbrücke überquerten, die zum Marsfeld führte. Tubruk hatte darauf bestanden, dass sie sich wuschen und saubere Tuniken anzogen, bevor sie loszogen. Selbst zu so später Stunde tummelte sich die Jugend Roms auf dem riesigen Gelände. Man stand in Gruppen zusammen, schleuderte Diskusse und Speere, spielte Ball oder ritt unter anfeuernden Rufen auf Ponys und Pferden um die Wette. Es war ein lauter Ort, und die Jungen sahen mit Begeisterung den Ringkampf-Turnieren und den Übungsrennen der Streitwagen zu. Jung wie sie waren, fühlten sie sich beide in den hohen Sätteln sicher, die Lenden und Gesäß fest umschlossen und bei allen Manövern festen Halt boten. Ihre Beine hingen lang über die Rippen der Pferde herab und pressten sich in den Kurven des zusätzlichen Haltes wegen fest an die Pferdebäuche. Gaius sah sich nach Suetonius um und war froh, dass er ihn nirgendwo in der Menge entdeckten konnte. Seitdem sie ihn in der Wolfsgrube gefangen hatten, waren sie sich nicht mehr begegnet, und dabei wollte Gaius es auch belassen, bei einem Kampf, den er gewonnen hatte und der beendet war. Weitere Auseinandersetzungen mit dem Älteren verhießen nur neuerlichen Ärger. Er und Marcus ritten auf eine Gruppe Kinder ihres Alters zu, begrüßten sie, schwangen die Beine über die Hälse ihrer Reittiere und stiegen ab. Sie sahen niemanden, den sie kannten, doch als sie näher kamen, teilte sich die Gruppe und die Stimmung war freundlich. Die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Mann, der einen Diskus in seiner Hand hielt. »Das ist Tani. Er ist der Beste in seiner Legion«, raunte ein Junge Gaius laut zu. Sie schauten zu, wie Tani sich in Wurfposition stellte. Dann drehte er sich ein paarmal um die eigene Achse und schleuderte den Diskus in die untergehende Sonne. Der lange Flug der Scheibe erntete bewundernde Pfiffe, und ein paar Jungen klatschten Beifall. Tani drehte sich zu ihnen um. »Passt auf. Gleich kommt er aus dieser Richtung wieder zurückgeflogen.« Gaius sah einen anderen Mann, der zu der auf dem Boden liegenden Scheibe rannte und sie aufhob, um sie zurückfliegen zu lassen. Dieses Mal kam der Diskus in einem weiten Bogen angeflogen und die Gruppe stob auseinander, als er auf sie zuraste. Ein Junge war langsamer als die anderen. Als der Diskus aufschlug und noch einmal hochsprang, traf er ihn mit einem dumpfen Schlag in die Seite, obwohl er noch im letzten Moment versucht hatte, ihm auszuweichen. Er wurde zu Boden gerissen und stöhnte, als Tani zu ihm rannte. »Gut abgestoppt, Junge. Alles in Ordnung mit dir?« Der Knabe nickte und rappelte sich hoch, hielt sich aber vor Schmerzen die Seite. Tani klopfte ihm auf die Schulter, bückte sich geschmeidig, um die Scheibe aufzuheben und kehrte auf seinen Platz zurück, um erneut zu werfen. »Hat heute jemand Lust auf ein Pferderennen?«, fragte Marcus in die Runde. Ein paar Köpfe drehten sich um und maßen ihn und das stämmige kleine Pony, das Tubruk für ihn ausgesucht hatte, mit abschätzenden Blicken. »Bis jetzt noch nicht. Wir sind hergekommen, um beim Ringen da drüben zuzuschauen, aber das ist schon seit einer Stunde vorbei.« Der Sprecher deutete auf einen nahe gelegenen, zertrampelten Platz, auf dessen Grasfläche ein Viereck abgesteckt worden war. Daneben standen noch ein paar Männer und Frauen beieinander, die aßen und sich unterhielten. »Ich kann ringen«, warf Gaius rasch ein. Sein Gesicht erhellte sich. »Wir könnten unseren eigenen Wettkampf veranstalten.« Die Gruppe murmelte interessiert. »Paarweise?« »Alle auf einmal. Und der Letzte, der noch steht, ist der Sieger?«, schlug Gaius vor. »Aber wir brauchen auch einen Preis. Wie wär’s, wenn wir alle unser Geld zusammenlegen, und der Letzte kriegt alles?« Die Jungen in der Menge diskutierten den Vorschlag, und viele suchten bereits in ihren Tuniken nach Münzen. Sie gaben sie dem größten Jungen, der im Bewusstsein seiner Wichtigkeit mit dem wachsenden Münzenhaufen in Händen einherschritt. »Ich bin Petronius. Hier sind etwa zwanzig Quadrantes. Wie viel habt ihr?« »Hast du Geld dabei, Marcus? Ich hab nur ein paar Bronzestücke.« Gaius legte sie auf den Haufen in den Händen des Jungen, und Marcus steuerte drei weitere bei. Petronius lächelte, als er noch einmal nachzählte. »Eine ganz hübsche Summe. Aber nachdem ich selbst auch teilnehme, brauche ich jemanden, der so lange darauf aufpasst, bis ich sie gewonnen habe.« Er grinste die beiden Neuankömmlinge an. »Ich halte sie für dich«, sagte eins der Mädchen und ließ sich die Münzen in ihre kleineren Hände schütten. »Das ist meine Schwester Lavia«, erklärte Petronius. Sie zwinkerte Gaius und Marcus zu. Lavia sah aus wie eine kleinere, aber ebenso stämmige Version ihres Bruders. Fröhlich schwatzend zog die Gruppe hinüber zu dem abgesteckten Ringplatz, und nur wenige blieben außerhalb des Vierecks stehen, um zuzusehen. Gaius zählte sieben Jungen außer Petronius, der bereits zuversichtlich seine Muskeln aufwärmte. »Welche Regeln?«, fragte Gaius, während er selbst Beine und Rücken dehnte. Mit einer Handbewegung versammelte Petronius die Gruppe um sich. »Es wird nicht geschlagen. Wer auf dem Rücken landet, scheidet aus. In Ordnung?« Die Jungen stimmten grimmig zu, und die Atmosphäre wurde feindselig, als sie einander abschätzend musterten. »Ich gebe das Zeichen. Sind alle bereit?«, rief Lavia von der Seite her. Die Teilnehmer nickten. Gaius bemerkte, dass sich noch weitere Leute zu den Umstehenden gesellten, stets bereit zuzuschauen oder auf den einen oder anderen Teilnehmer zu wetten. Die Luft roch sauber und nach Gras, und Gaius fühlte sich unglaublich lebendig. Er scharrte mit den Füßen und erinnerte sich daran, was Tubruk über die Erde gesagt hatte. Römische Erde, gesättigt mit dem Blut und den Knochen seiner Vorfahren. Sie fühlte sich unter seinen Füßen stark an, und er machte sich bereit. Einen Augenblick lang schien die Zeit still zu stehen. Er sah, wie Tani, der Diskuschampion, sich drehte und losließ, sah, wie der Diskus hoch und gerade über den Campus Martius flog. Die sinkende Sonne war noch röter geworden und sandte eine warme Brise über die angespannten Jungen auf dem Ringplatz. »Los!«, schrie Lavia. Gaius ließ sich auf ein Knie fallen und wich so einem Angriff aus, der über seinem Kopf verpuffte. Mit aller Kraft seiner Oberschenkel stieß er nach oben und riss seinen Gegner von den Füßen. Der Junge blieb lang ausgestreckt im staubigen Gras liegen. Gerade als Gaius wieder aufstand, wurde er von der Seite gerammt. Noch im Stürzen drehte er sich um die eigene Achse, sodass sein unbekannter Gegner unter ihm zu Fall kam. Gaius’ Gewicht nahm ihm die Luft. Marcus und Petronius hielten einander fest an Armbeuge und Schulter umklammert. Plötzlich wurde ein anderer Ringer blindlings in Petronius hineingestoßen, woraufhin die beiden zu Boden gingen. Gaius’ kurze Unaufmerksamkeit wurde sofort bestraft. Ein Arm schlang sich von hinten um seinen Hals und drückte auf seine Luftröhre. Er trat nach hinten aus und schrammte mit seiner Sandale das Schienbein des Gegners hinunter. Zugleich hieb er mit dem Ellenbogen nach hinten. Er fühlte, wie sich der Griff lockerte, doch dann wurden sie beide von einem Knäuel kämpfender Jungen zu Boden gestoßen. Gaius schlug hart auf und versuchte, an den Rand des Rings zu kriechen, obwohl fast im gleichen Moment ein Fußtritt seine Wange traf und sie aufriss. Zuerst spürte er, wie die Wut in ihm hochstieg, aber dann sah er, dass der Angreifer ihn nicht einmal gesehen hatte. Vom Rand des Ringes aus feuerte er Marcus an, der soeben wieder auf die Füße gekommen war. Petronius lag geschlagen und offensichtlich bewusstlos auf dem Rücken. Nur Marcus und zwei weitere Jungen kämpften noch um den Sieg. Die Menge, die sich versammelt hatte, feuerte sie lauthals an, und schon wurden Nebenwetten abgeschlossen. Marcus packte einen seiner beiden Widersacher im Schritt und am Hals und versuchte, ihn hochzuheben, um einen Wurf anzusetzen. Der Junge strampelte wie wild, und Marcus wankte unter seiner Last, als der andere Gegner ihn um die Brust fasste und nach hinten umriss. Alle drei kamen in einem zuckenden Haufen Gliedmaßen zu Fall. Der Fremde sprang mit einem Jubelschrei wieder auf die Füße und lief mit erhobenen Händen eine Siegerrunde um den Ring. Gaius hörte Marcus lachen und sog die Sommerluft tief ein, während sein Freund aufstand und sich den Staub abklopfte. In einiger Entfernung hinter dem ausgedehnten Campus sah Gaius die Stadt, die vor Jahrhunderten auf den sieben uralten Hügeln erbaut worden war. Überall um sich herum hörte er die Rufe und Schreie seines Volkes, und unter den Füßen spürte er sein Land. Im Licht einer schmalen Mondsichel, die das Ende des Monats ankündigte, gingen die beiden Jungen schweigend durch die warme Dunkelheit über die Felder und Wege des Gutes. Die Luft war vom Duft der Blumen und Früchte erfüllt, die Grillen zirpten in den Büschen. Sie kamen zu der Stelle, an der sie noch vor ein paar Stunden mit Tubruk gestanden hatten, die Ecke der mit Pflöcken markierten Grenze des neuen Feldes. Weil der Mond so wenig Licht gab, musste Gaius sich den Weg mit Hilfe der Schnur ertasten, bis er zu dem Fleck mit der aufgebrochenen Erde kam. Hier blieb er stehen und zog ein schmales Messer aus dem Gürtel, das er aus der Küche mitgenommen hatte. Er sammelte sich und zog die scharfe Klinge über seinen Daumenballen. Sie drang tiefer als beabsichtigt ein, Blut strömte über seine Hand. Dann reichte er Marcus das Messer und hielt, ein wenig besorgt über die Verletzung, seinen Daumen hoch, um die Blutung zu verlangsamen. Auch Marcus zog die Klinge über seinen Daumen, zuerst einmal, dann noch ein zweites Mal. Seine Schnitte waren weniger tief, und er musste sie zusammendrücken, damit ein paar Blutstropfen hervorquollen. »Ich hab mir den Daumen fast abgeschnitten!«, sagte Gaius gereizt. Marcus versuchte, ernst zu bleiben, schaffte es jedoch nicht. Er streckte die Hand aus, und in der Dunkelheit pressten sie ihre Handflächen aneinander, sodass sich ihr Blut vermengte. Dann drückte Gaius seinen pochenden, blutenden Daumen in die aufgebrochene Erde. Marcus sah ihn lange an, bevor er es ihm nachmachte. »Jetzt bist auch du ein Teil dieses Anwesens, und wir sind Brüder«, verkündete Gaius feierlich. Marcus nickte. Schweigend traten sie den Weg zu den weitläufigen weißen Gutsgebäuden an. Marcus’ Augen füllten sich mit Tränen, unsichtbar in der Dunkelheit. Verstohlen wischte er sie weg. Seine Hand hinterließ Blutspuren in seinem Gesicht. Gaius stand oben auf dem Tor des Gutes, schützte die Augen mit der flachen Hand gegen die helle Sonne und sah Richtung Rom. Tubruk hatte gesagt, sein Vater würde aus der Stadt zurückkommen, und er wollte der Erste sein, der ihn auf der Straße entdeckte. Er spuckte sich auf die Finger und zog sie durch sein dunkles Haar, um es glatt zu streichen. Er genoss es, dem täglichen Einerlei zu entkommen. Die Sklaven unter ihm sahen nur hin und wieder zu ihm herauf, wenn sie von einem Gebäude zum anderen gingen. Es war ein seltsames Gefühl, zu beobachten und dabei selbst unbeobachtet zu sein: ein Augenblick der Zurückgezogenheit und Stille. Wahrscheinlich suchte seine Mutter irgendwo nach ihm, damit er ihr beim Obstpflücken den Korb trug, oder Tubruk suchte jemanden, der die Ledergeschirre der Pferde und Ochsen wachste und ölte, das oder tausend andere kleine Aufgaben warteten auf ihn. Irgendwie hoben all diese Dinge, die er gerade nicht tat, seine Stimmung erheblich. Sie konnten ihn nicht finden, und er befand sich hier in seinem Geheimversteck und beobachtete die Straße nach Rom. Er entdeckte eine Staubwolke und stellte sich auf den Torpfosten. Er war sich nicht sicher. Der Reiter war noch weit weg, aber diese Straße führte an nicht allzu vielen Gütern vorbei, und so standen die Chancen gut. Nach ein paar Minuten erkannte er den Mann auf dem Pferd und stieß einen Jubelschrei aus. Mit wirbelnden Armen und Beinen kletterte er eilig nach unten. Das Tor war schwer, doch Gaius warf sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen, bis es knarrend so weit aufschwang, dass er sich hindurchzwängen konnte, um seinem Vater auf der Straße entgegenzurennen. Seine Kindersandalen klapperten auf dem trockenen Boden, und er holte kräftig mit den Armen aus, als er auf die näher kommende Gestalt zurannte. Sein Vater war einen ganzen Monat fort gewesen, und Gaius wollte ihm unbedingt zeigen, wie viel er in der Zwischenzeit gewachsen war. Zumindest behaupteten das alle. »Tata!«, rief er freudig. Sein Vater hörte ihn und zügelte das Pferd, als der Junge auf ihn zugerannt kam. Er war müde und staubig, doch Gaius sah den Ansatz eines Lächelns in den Winkeln seiner blauen Augen auftauchen. »Ist das ein Bettler oder ein kleiner Bandit, den ich da auf der Straße sehe?«, sagte sein Vater und streckte den Arm aus, um seinen Sohn zu sich in den Sattel zu heben. Gaius lachte, als er durch die Luft gewirbelt wurde und klammerte sich am Rücken seines Vaters fest. Das Pferd schlug eine langsamere Gangart an und trottete gemächlich auf die Einfriedung des Gutes zu. »Du bist gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe«, sagte sein Vater heiter. »Ein bisschen. Tubruk sagt, ich wachse wie das Korn.« Sein Vater nickte zur Antwort, und eine friedliche Stille machte sich zwischen ihnen breit, die anhielt, bis sie das Tor zum Gut erreichten. Gaius ließ sich vom Pferderücken gleiten und stieß das Tor weit genug auf, sodass sein Vater hindurchreiten konnte. »Bleibst du dieses Mal länger zu Hause?« Sein Vater stieg ab, zauste Gaius’ Haar und zerstörte so den glatten Sitz, an dem Gaius so sorgfältig mit Spucke gearbeitet hatte. »Ein paar Tage, vielleicht sogar eine Woche. Ich wünschte, es wäre länger, aber es gibt etwas für die Republik zu tun.« Er hielt seinem Sohn die Zügel hin. »Bring den alten Merkur in den Stall und reibe ihn gründlich ab. Wir sehen uns, sobald ich das Gesinde inspiziert und mit deiner Mutter gesprochen habe.« Gaius’ fröhlicher Gesichtsausdruck verdüsterte sich bei Aurelias Namen. Seinem Vater entging das nicht. Er seufzte, legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und zwang ihn, ihn anzusehen. »Ich würde ja gerne mehr Zeit außerhalb der Stadt verbringen, mein Junge, aber was ich tue, ist mir sehr wichtig. Verstehst du das Wort >Republik< überhaupt?« Gaius nickte und sein Vater sah ihn skeptisch an. »Das bezweifle ich. Nicht einmal alle meine Mitsenatoren verstehen es richtig. Wir leben eine Idee, eine Regierungsform, die jedermann eine Stimme gibt, selbst dem einfachen Mann. Ist dir klar, wie ungewöhnlich das ist? Jedes andere kleine Land, das ich kenne, wird von einem König oder einem anderen Oberhaupt regiert. Der König gibt seinen Freunden Land und nimmt Geld von denen, die es sich mit ihm verscherzt haben. Das ist so, als ließe man ein kleines Kind mit einem Schwert herumspielen. In Rom wird alles durch Gesetze geregelt. Die Gesetze sind noch nicht vollkommen oder so gerecht, wie ich sie mir wünschte, aber zumindest versuchen sie es. Und diesem Versuch widme ich mein Leben, denn er ist es wert - auch deines, wenn die Zeit gekommen ist.« »Aber ich vermisse dich«, erwiderte Gaius, obwohl er wusste, dass das selbstsüchtig war. Der Blick seines Vaters wurde hart, dann jedoch streckte er die Hand aus und raufte noch einmal Gaius’ Haar. »Ich vermisse dich auch. Deine Knie sind schmutzig, und diese Tunika würde besser zu einem Straßenjungen passen, aber ich vermisse dich. Geh und wasch dich, aber erst nachdem du Merkur abgerieben hast.« Er lächelte wehmütig und sah zu wie, sein Sohn mit dem Pferd davontrottete. Tubruk hatte Recht. Gaius war wirklich gewachsen. Im Stall rieb Gaius die Flanken des Pferdes seines Vaters ab. Er wischte Staub und Schweiß fort und dachte dabei über die Worte seines Vaters nach. Diese Idee von einer Republik hörte sich gut an, aber es war bestimmt viel aufregender, ein König zu sein. Jedes Mal, wenn Gaius’ Vater Julius längere Zeit weg gewesen war, bestand Aurelia auf einem formellen Mahl im lang gezogenen Triclinium. Die beiden Jungen saßen dann auf Kinderstühlen neben den Liegen, auf denen Aurelia und ihr Mann barfuß und lang ausgestreckt ruhten. Das Essen wurde von den Haushaltssklaven auf niedrigen Tischen serviert. Gaius und Marcus hassten diese Mahlzeiten. Es war ihnen verboten, miteinander zu schwatzen, und so mussten sie bei jedem einzelnen Gang in quälender Stille verharren. Bevor sie nach etwas griffen, mussten sie den Tischdienern die Hände zum Abwischen hinhalten. Obwohl sie beide über einen gesunden Appetit verfügten, hatten sie gelernt, Aurelia nicht durch zu hastiges Essen zu kränken, also kauten und schluckten sie ebenso langsam wie die Erwachsenen, während die Abendschatten immer länger wurden. Gebadet und in saubere Kleider gehüllt, fühlte sich Gaius in Gegenwart seiner Eltern unwohl. Ihm war heiß. Sein Vater hatte die Vertrautheit, mit der er ihm bei ihrem ersten Treffen auf der Straße begegnet war, abgelegt und sprach mit seiner Frau, als existierten die beiden Jungen überhaupt nicht. Immer, wenn er Gelegenheit dazu hatte, beobachtete Gaius seine Mutter genau, suchte nach Anzeichen des Zitterns, das einen ihrer Anfälle ankündigte. Am Anfang hatten sie ihm Angst eingejagt und ihn zum Weinen gebracht. Aber nach einigen Jahren hatte sich eine emotionale Hornhaut gebildet, und jetzt hoffte er manchmal sogar auf das Zittern, damit er und Marcus vom Tisch weggeschickt wurden. Er versuchte zuzuhören und Interesse für die Unterhaltung zu zeigen, aber es ging ausschließlich um Gesetze und Stadtverordnungen. Sein Vater kam nie mit aufregenden Geschichten über Hinrichtungen oder berühmte Straßenräuber nach Hause. »Du setzt zu viel Glauben in die Menschen, Julius«, sagte Aurelia soeben. »Man muss sich um sie kümmern, wie sich ein Vater um sein Kind kümmern muss. Manche mögen Geist und Intelligenz besitzen, das gebe ich zu. Aber die meisten müssen beschützt werden ...« Ihre Stimme erstarb plötzlich, und es herrschte Stille. Julius hob den Blick und Gaius sah, wie Traurigkeit das Gesicht seines Vaters überzog. Beschämt sah er weg, als sei er Zeuge einer intimen Handlung zwischen den beiden geworden. »Relia?« Gaius hörte die Stimme seines Vaters und sah wieder seine Mutter an, die regungslos wie eine Statue dalag, den Blick auf ein Geschehen in weiter Ferne gerichtet. Ihre Hand zitterte, und plötzlich verzog sich ihr Gesicht wie das eines Kindes. Das Zittern, das in der Hand angefangen hatte, breitete sich über ihren ganzen Körper aus, und sie verdrehte sich krampfartig, wobei einer ihrer Arme die Schüsseln von dem niedrigen Tisch fegte. Ihre Stimme brach in kreischenden Lauten aus ihrer Kehle hervor, sodass die beiden Jungen unwillkürlich zusammenzuckten. Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sich Julius von der Liege und nahm seine Frau in die Arme. »Lasst uns allein«, befahl er. Gaius und Marcus verließen gemeinsam mit den Sklaven den Raum, und der Mann blieb allein mit der sich windenden Gestalt in den Armen zurück. Am nächsten Morgen wurde Gaius von Tubruk geweckt, der ihn an der Schulter rüttelte. »Steh auf, Junge. Deine Mutter will dich sehen.« Gaius stöhnte leise, aber Tubruk hatte ihn gehört. »Sie ist immer sehr ruhig nach einer ... schlechten Nacht.« Gaius hielt beim Anziehen inne und schaute zu dem alten Gladiator auf. »Manchmal hasse ich sie.« Tubruk seufzte leise. »Ich wünschte, du hättest sie noch gekannt, wie sie damals war, bevor die Krankheit begonnen hat. Früher hat sie vor sich hin gesungen, und im Haus herrschte immer Fröhlichkeit. Denk immer daran, dass sie noch da ist, aber eben nicht zu dir herauskommen kann. Sie liebt dich wirklich, weißt du das?« Gaius nickte und strich sich achtlos über die Haare. »Ist mein Vater schon wieder in die Stadt zurückgeritten?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Sein Vater hasste es, hilflos zu sein. »Er ist bei Tagesanbruch aufgebrochen«, antwortete Tubruk. Ohne ein weiteres Wort folgte Gaius ihm durch den kühlen Gang zu den Gemächern seiner Mutter. Sie saß aufrecht im Bett. Ihr Gesicht war frisch gewaschen, ihr langes Haar hing ihr in einem Zopf über den Rücken. Sie war blass, doch sie lächelte, als Gaius eintrat und er schaffte es, zurückzulächeln. »Komm näher, Gaius. Es tut mir Leid, wenn ich dir gestern Abend Angst gemacht habe.« Er ging auf sie zu und ließ sich von ihr umarmen, aber er fühlte nichts dabei. Wie sollte er ihr erklären, dass er keine Angst mehr hatte? Er hatte es zu oft miterlebt, und jedes Mal war es schlimmer gewesen. Ein Teil von ihm wusste, dass sie immer kränker wurde, und eigentlich war sie schon dabei, ihn zu verlassen. Aber daran durfte er im Augenblick nicht denken; es war besser, diese Gedanken für sich zu behalten, zu lächeln, sie zu umarmen und ungerührt wieder hinauszugehen. »Was hast du heute vor?«, fragte sie, als sie ihn losließ. »Meine Arbeit mit Marcus erledigen«, antwortete er. Sie nickte und schien ihn zu vergessen. Er wartete noch eine Weile, und als sie nichts mehr sagte, drehte er sich um und verließ das Zimmer. Als die kleine leere Stelle in ihren Gedanken verblasste und sie sich wieder im Raum umsah, war sie allein. Marcus wartete bereits mit einem Vogelnetz am Tor auf ihn. Er sah seinem Freund in die Augen und schlug einen fröhlichen Ton an. »Ich glaube, heute haben wir Glück. Wir fangen bestimmt einen Falken oder sogar zwei. Dann richten wir sie ab und sie sitzen uns auf der Schulter und greifen auf Befehl an. Suetonius rennt dann weg, wenn er uns sieht.« Gaius kicherte und vertrieb die Gedanken an seine Mutter aus dem Kopf. Er vermisste seinen Vater schon jetzt, aber vor ihnen lag ein langer Tag, und im Wald gab es immer etwas zu erleben. Er zweifelte an Marcus’ Idee, Falken fangen zu gehen, doch er würde mitmachen, bis der Tag zu Ende und jeder Pfad abgelaufen war. In dem grünen Zwielicht übersahen sie fast den Raben, der auf einem niedrigen Ast saß, nicht weit von den sonnenüberfluteten Feldern. Marcus entdeckte ihn zuerst, erstarrte augenblicklich und hielt Gaius mit einer Hand vor der Brust zurück. »Sieh mal, wie groß der ist!«, flüsterte er und wickelte sein Vogelnetz auf. Sie duckten sich, krochen vorwärts, und der Vogel beobachtete sie interessiert. Selbst für einen Raben war er sehr groß, und als sie ihm zu nahe kamen, breitete er seine großen, schwarzen Schwingen aus und hüpfte fast träge mit einem einzigen Flügelschlag auf den nächsten Baum. »Du schleichst dich von hinten an«, flüsterte Marcus aufgeregt und untermalte seine Worte mit einer Kreisbewegung der Hand. Gaius grinste ihn an und verdrückte sich seitlich ins Unterholz. Er vollzog kriechend einen großen Kreis und versuchte dabei, den Baum im Auge zu behalten und gleichzeitig auf dürre Äste und raschelndes Laub zu achten. Als Gaius auf der anderen Seite wieder auftauchte, sah er, dass der Rabe erneut den Baum gewechselt hatte. Dieses Mal saß er auf einem langen Baumstamm, der schon vor Jahren halb umgestürzt war. Die sanfte Neigung des Baumes war leicht zu erklettern, und Marcus hatte bereits begonnen, Zentimeter für Zentimeter auf den darauf sitzenden Vogel zuzukriechen. Die ganze Zeit versuchte er, sein Netz für einen Wurf freizuhalten. Gaius tastete sich vorsichtig näher an das untere Ende des Stammes heran. »Warum fliegt er nicht weg?«, fragte er sich, als er zu dem Raben hochsah, und genau in diesem Moment legte das Tier seinen großen Kopf von einer auf die andere Seite und breitete die Flügel aus. Beide Jungen erstarrten, bis der Vogel sich wieder beruhigt zu haben schien. Dann rutschte Marcus mit links und rechts von dem dicken Baumstamm herabbaumelnden Beinen noch ein Stück weiter. Als Marcus nur noch wenige Meter entfernt war, glaubte er, der Vogel würde jetzt doch wieder davonfliegen. Der Rabe hüpfte auf dem Stamm und den Ästen herum und zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht. Marcus wickelte sein Netz auf. Es war nur ein Geflecht aus rauem Garn, in dem normalerweise in der Gutsküche Zwiebeln aufbewahrt wurden, in Marcus’ Händen jedoch wurde es augenblicklich zum Furcht erregenden Werkzeug eines Vogelfängers. Vorsichtig holte er aus, hielt den Atem an und warf. Der Rabe krächzte empört und flatterte auf, holte noch ein weiteres Mal mit seinen Schwingen aus und landete schließlich auf einem zarten, jungen Baum direkt vor Gaius, der ohne zu überlegen einfach auf ihn zurannte. Während Marcus den Stamm wieder hinunterrutschte, versetzte Gaius dem jungen Baum einen solchen Stoß, dass er mit einem plötzlichen Krachen nachgab und der Vogel zwischen Ästen und Blättern am Boden gefangen war. Gaius hielt den Baum zu Boden gedrückt, sodass Marcus hineingreifen konnte und den schweren Vogel zu fassen bekam. Er hielt ihn mit beiden Händen umklammert und hob ihn triumphierend hoch. Als der Vogel sich verzweifelt wehrte, um doch noch zu entkommen, musste der Junge fester zupacken. »Hilf mir doch! Er ist unheimlich stark«, schrie Marcus, und Gaius legte seine Hände ebenfalls um das zappelnde Bündel. Plötzlich durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Der Schnabel war lang und gebogen wie ein Speer aus schwarzem Holz, und damit hackte der Rabe auf seine Hand ein. Er schnappte nach dem Stück weicher Haut zwischen Daumen und Zeigefinger und bekam es auch zu fassen. Gaius schrie auf. »Zieh ihn weg. Er hat meine Hand, Marcus.« Der Schmerz war unerträglich, und beide gerieten in Panik. Marcus bemühte sich weiter, den Vogel zu bändigen, während Gaius versuchte, den Schnabel von seiner Hand zu lösen. »Ich krieg ihn nicht los, Marcus!« »Dann musst du die Hand eben rausziehen«, erwiderte Marcus aufgebracht. Sein Gesicht war vor Anstrengung ganz rot. »Das geht nicht. Der Schnabel ist wie ein Messer. Lass ihn los!« »Ich lasse ihn nicht los. Dieser Rabe gehört uns, und wir haben ihn wie richtige Jäger in der Wildnis gefangen.« Gaius stöhnte vor Schmerzen. »Sag lieber, er hat uns gefangen.« Er zappelte vor Schmerz mit den Fingern, und der Vogel ließ überraschend die Hand los und versuchte, nach einem der Finger zu schnappen. Gaius stöhnte erleichtert auf, brachte sich rasch aus der Gefahrenzone, presste die Hand an den Bauch und krümmte sich. »Jedenfalls ist er ein echter Kämpfer«, meinte Marcus grinsend und wechselte den Griff, damit ihn der suchende Vogelkopf nicht doch noch zu fassen bekam. »Wir bringen ihn nach Hause und richten ihn ab. Raben sind sehr klug, hab ich gehört. Er kann Kunststücke lernen, und dann nehmen wir ihn mit aufs Marsfeld.« »Er braucht einen Namen. Irgendwas Kriegerisches«, nuschelte Gaius, der an seiner verletzten Hand lutschte. »Wie heißt noch mal dieser Gott, der aussieht wie ein Rabe, oder der immer einen bei sich trägt?« »Keine Ahnung. Ein griechischer wahrscheinlich. Zeus?« »Der hat eine Eule, glaube ich. Irgendeiner hat jedenfalls eine Eule.« »Ich erinnere mich zwar an keinen mit einem Raben, aber Zeus ist ein guter Name für ihn.« Sie lächelten einander an. Der Rabe wurde ruhig und sah sich mit scheinbarer Gelassenheit um. »Dann also Zeus.« Sie liefen quer über die Felder zum Gut zurück. Marcus hielt den Vogel die ganze Zeit über gut fest. »Wir müssen ein Versteck für ihn finden«, sagte er. »Deine Mutter kann es nicht leiden, wenn wir Tiere fangen. Weißt du noch, als sie die Sache mit dem Fuchs herausgefunden hat?« Gaius zuckte zusammen und blickte verschämt auf den Boden. »Neben den Stallungen gibt es noch einen leeren Hühnerstall. Dort könnten wir ihn unterbringen. Was fressen Raben eigentlich?« »Fleisch, glaube ich. Jedenfalls kommen sie immer auf die Schlachtfelder. Oder waren das Krähen? Wir holen einfach ein paar Reste aus der Küche, dann sehen wir schon, was er frisst. Das wird kein Problem.« »Wenn wir ihn abrichten, müssen wir ihm eine Leine ans Bein binden, sonst fliegt er weg«, murmelte Gaius nachdenklich. Tubruk sprach gerade mit den drei Zimmermännern, die einen Teil des Hausdaches reparieren sollten. Als die Jungen in den Hof einbogen, erspähte er sie sofort und winkte sie zu sich. Sie wechselten einen fragenden Blick. Noch war Zeit zum Wegrennen. Aber Tubruk, der sich wieder zu den Arbeitern umgedreht hatte, würde sie trotz seiner scheinbaren Unaufmerksamkeit nur ein paar Schritte weit kommen lassen. »Jedenfalls gebe ich Zeus nicht wieder her«, flüsterte Marcus entschlossen. Gaius konnte nur nicken, weil sie sich bereits in Hörweite der Männer befanden. »Ich komme in ein paar Minuten nach«, wies Tubruk die Männer an, die sich auf den Weg zur Arbeit machten. »Nehmt schon mal die Ziegel von diesem Abschnitt herunter, bis ich da bin.« Er drehte sich zu den Jungen um. »Was ist das? Ein Rabe. Der muss krank sein, wenn er sich von euch hat erwischen lassen.« »Wir haben ihm im Wald eine Falle gestellt. Wir sind ihm gefolgt, haben ihn vom Baum heruntergeholt und gefangen«, antwortete Marcus trotzig. Tubruk lächelte, als habe er verstanden, und streckte die Hand aus, um über den langen Vogelschnabel zu streichen. Der Kampfgeist des Raben schien verflogen. Der Vogel hechelte fast wie ein Hund. In dem scharfen Schnabel konnte man die schmale Zunge sehen. »Armes Tier«, murmelte Tubruk. »Sieht aus, als hätte er große Angst. Was wollt ihr mit ihm anfangen?« »Sein Name ist Zeus. Wir richten ihn als Haustier ab, wie einen Falken.« Tubruk schüttelte langsam den Kopf. »Man kann ein wildes Tier nicht mehr abrichten. Ein Falke wird von einem Fachmann schon vom Küken an aufgezogen, und selbst der bleibt wild. Sogar der beste Falkner verliert hin und wieder einen, weil er zu weit wegfliegt. Zeus ist schon ausgewachsen. Wenn ihr ihn behaltet, geht er ein.« »Wir könnten ihn doch in einen der alten Hühnerverschläge setzen«, entgegnete Gaius beharrlich. »Die stehen doch sowieso leer. Wir können ihn füttern und an einer Leine fliegen lassen.« Tubruk schnaubte ein wenig verächtlich. »Weißt du, was ein wilder Vogel tut, wenn man ihn eingesperrt hält? Er hasst Mauern um sich herum, und ganz besonders die engen Wände eines Hühnerverschlags. Damit zerstört ihr seine Seele, und es dauert nicht lange, bis er sich aus lauter Verzweiflung selbst die Federn ausreißt. Er frisst nicht mehr und verletzt sich selbst so lange, bis er stirbt. Euer Zeus hier zieht den Tod der Gefangenschaft vor. Das Beste, was ihr für ihn tun könnt, ist, ihn wieder freizulassen. Ich glaube nicht, dass ihr ihn überhaupt hättet fangen können, wenn er nicht krank wäre, also stirbt er vielleicht ohnehin. Aber lasst ihn doch wenigstens seine letzten Tage in Freiheit genießen, draußen im Wald und in der Luft, dort, wo er hingehört.« »Aber .« Marcus verstummte und schaute auf den Raben hinunter. »Kommt schon«, drang Tubruk in sie. »Gehen wir hinaus aufs Feld und sehen zu, wie er davonfliegt.« Mit schweren Herzen schauten sich die beiden Jungen an und folgten Tubruk zum Tor hinaus. Dort blieben sie stehen und schauten zusammen den Hügel hinunter. »Lass ihn frei, Junge«, sagte Tubruk. Etwas in seiner Stimme veranlasste sie, ihn verwundert anzuschauen. Marcus hob die Arme, öffnete die Hände, und Zeus erhob sich in die Luft. Er breitete seine großen schwarzen Schwingen aus und versuchte, an Höhe zu gewinnen. Dann krächzte er von oben empört auf sie herab und stieg noch höher, bis er nur noch als Punkt am Himmel über dem Wald zu sehen war. Schließlich entschwand er im Sinkflug in Richtung Wald ihren Blicken. Tubruk legte jedem der Jungen eine raue Hand auf den Nacken. »Das war eine edle Tat. Aber es warten noch etliche andere Aufgaben auf euch. Die ganze Zeit konnte ich euch nicht finden, und jetzt hat sich so einiges angesammelt. Also marsch hinein mit euch.« Er schickte die Jungen durch das Tor zurück in den Hof und ließ noch einen letzten Blick über die Felder und hinüber zum Wald schweifen, bevor er ihnen folgte. 3 In diesem Sommer begann die eigentliche Ausbildung der Jungen. Sie waren von Anfang an gleich behandelt worden, und so war auch Marcus in der Führung eines komplexen, wenn auch vergleichsweise kleinen Landgutes unterrichtet worden. Das offizielle Latein, das ihnen schon von Geburt an eingetrichtert worden war, wurde weitergelehrt, und zusätzlich umfasste ihr Unterricht berühmte Schlachten und Kriegstaktiken. Sie lernten ebenso, Menschen zu führen, wie mit Geld und Schulden umzugehen. Als Suetonius im darauf folgenden Jahr wegging, um Offizier in einer afrikanischen Legion zu werden, hatten Gaius und Marcus bereits mit griechischer Rhetorik und der Kunst des Disputs angefangen. Dinge, die sie brauchen würden, falls sie später als junge Senatoren je einen Bürger nach dem Gesetz anklagen oder verteidigen wollten. Obwohl die dreihundert Senatsmitglieder nur zweimal im Mondmonat zusammenkamen, blieb Gaius’ Vater immer länger und länger in Rom, während die Republik sich mit ihren Kolonien und dem stetigen Wachstum von Macht und Wohlstand abmühte. Die einzigen Erwachsenen, die Gaius und Marcus monatelang zu Gesicht bekamen, waren Aurelia und die Lehrer, die das Haupthaus bei Morgengrauen betraten und es abends mit in den Taschen klingenden Denarii in Richtung Sonnenuntergang wieder verließen. Auch Tubruk war immer um sie und wachte mit freundlicher Hand aus dem Hintergrund über die Jungen, auch wenn er ihnen keinen Unfug durchgehen ließ. Vor Suetonius’ Abreise war der alte Gladiator die fünf Meilen zum Nachbarhof gelaufen und hatte elf Stunden, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, auf die Erlaubnis gewartet, den ältesten Sohn des Hauses zu sehen. Er hatte Gaius nicht verraten, was er dabei erfahren hatte, doch war er mit einem Lächeln zurückgekommen und Gaius mit seiner großen Hand durchs Haar gefahren, bevor er zu den Ställen hinunterging, um nach den neuen Stuten zu sehen, die gerade rossig wurden. Von allen Unterrichtsstunden gefielen Gaius und Marcus die bei Vepax am meisten. Vepax war ein junger Grieche, ein hoch aufgeschossener und schmaler junger Mann in seiner Toga. Er kam immer zu Fuß zum Gut, und bevor er wieder in die Stadt zurückging, zählte er sorgfältig die Münzen, die er verdient hatte. Jede Woche kamen sie zwei Stunden in einem kleinen Raum zusammen, den Gaius’ Vater für den Unterricht bereitgestellt hatte. Es war ein karges Zimmer mit Steinplatten auf dem Fußboden und schmucklosen Wänden. Wenn die anderen Tutoren Verse von Homer oder lateinische Grammatik herunterleierten, zappelten die Jungen oft ungeduldig auf ihren Holzbänken herum oder schweiften in Gedanken ab, bis es der Lehrer merkte und sie mit energischen Hieben seines Rohrstocks wieder in die Gegenwart holte. Die meisten waren sehr streng und ließen so gut wie nichts durchgehen, weil sich ihre Aufmerksamkeit nur auf diese beiden Schüler richtete. Eines Tages hatte Marcus seinen Schreibstift dazu benutzt, ein Schwein mit Gesicht und Bart eines Tutors zu malen. Gerade als er es Gaius zeigen wollte, wurde er erwischt und musste die Hand für den Rohrstock ausstrecken. Die drei scharfen Schläge taten entsetzlich weh. Vepax dagegen hatte keinen Rohrstock. Das Einzige, was er immer dabeihatte, war ein schwerer Stoffsack voller Tontafeln und Figuren. Einige davon waren rot, andere blau, um die verschiedenen Parteien zu markieren. Zur verabredeten Stunde hatte er immer schon die Bänke an einer Seite des Zimmers zusammengeschoben und seine Figuren aufgestellt, um eine berühmte Schlacht aus der Vergangenheit nachzustellen. Nachdem sie seinen Unterricht ein Jahr genossen hatten, bestand die wichtigste Aufgabe der Jungen darin, die Struktur der Aufstellung wiederzuerkennen und die beteiligten Generäle zu benennen. Sie wussten, dass Vepax sich nicht auf römische Schlachten beschränkte. Manchmal standen die winzigen Pferde und Legionärsfiguren auch für das Land der Parther, das alte Griechenland oder Karthago. Da sie wussten, dass Vepax selbst Grieche war, drängten die Jungen ihn immer wieder, ihnen auch die Schlachten Alexanders zu zeigen. Die Legenden um ihn und das, was er schon in so jungen Jahren erreicht hatte, begeisterten sie. Anfangs hatte Vepax noch gezögert, denn er wollte nicht in den Verdacht geraten, die Geschichte seines eigenen Volkes zu bevorzugen, doch schließlich ließ er sich doch überreden und stellte jede große Schlacht nach, von der noch Aufzeichnungen und Karten existierten. Für die griechischen Kriege brauchte Vepax nie nachzuschlagen, weil er jede Figur aus dem Gedächtnis führen konnte. Er nannte den Jungen die Namen der Generäle und der Schlüsselfiguren jeder Auseinandersetzung und erklärte ihnen die politischen und geschichtlichen Hintergründe, insofern sie einen direkten Bezug zu diesem Tag hatten. Für Marcus und Gaius erweckte er die kleinen Tonfigürchen zum Leben, und jedes Mal, wenn die zwei Stunden mit ihm um waren, sahen sie sehnsüchtig zu, wie er sie langsam und sorgfältig wieder in seine Taschen packte. Eines Tages, als sie zum Unterricht erschienen, war fast der ganze kleine Raum mit den Tonfiguren voll gestellt. Eine riesige Schlacht war aufgebaut worden, und Gaius zählte schnell die blauen Figuren, dann die roten und multiplizierte sie im Kopf, so wie er es von seinem Mathematiklehrer gelernt hatte. »Sag mir, was du siehst«, forderte Vepax Gaius mit ruhiger Stimme auf. »Zwei Streitkräfte, eine mit mehr als fünfzigtausend Mann, die andere mit fast vierzigtausend. Die rote ist ... die rote ist die römische Seite, wenn man die schwere Infanterie betrachtet, die vorne in Legionsquadraten aufgestellt ist. Sie wird auf dem rechten und linken Flügel von der Kavallerie unterstützt, aber die blaue Kavallerie, die ihnen gegenübersteht, ist genauso stark. Auf der blauen Seite stehen Schleudern und Speerwerfer, aber ich sehe keine Bogenschützen, also sind die Angriffe mit Wurfgeschossen nur über eine sehr kurze Reichweite wirkungsvoll. Die Armeen scheinen fast ebenbürtig zu sein, also dürfte es eine langwierige und schwierige Schlacht werden.« Vepax nickte. »Die rote Seite ist tatsächlich die römische. Ausnahmslos hoch disziplinierte, erfahrene Kriegsveteranen. Was wäre, wenn ich euch sage, dass die blaue Seite eine gemischte Gruppe aus Galliern, Spaniern, Numidern und Karthagern ist? Wäre das bezeichnend für den Ausgang der Schlacht?« Marcus’ Augen leuchteten interessiert auf. »Es würde bedeuten, dass wir hier Hannibals Streitmacht vor uns haben. Aber wo sind seine berühmten Elefanten? Hast du keine Elefanten in deiner Tasche?« Marcus blickte erwartungsvoll zu dem schlaffen Stoffsack hinüber. »Es ist tatsächlich Hannibal, dem die Römer hier gegenüberstehen. Aber bei dieser Schlacht hier waren die Elefanten schon tot. Später hat er neue aufgetrieben und sie als fürchterliche Angriffswaffe eingesetzt, aber hier musste er ohne sie auskommen. Er hat zwei Legionen weniger, und seine Truppen sind bunt zusammengewürfelt, wohingegen die römische Streitmacht einheitlich ist. Welche anderen Faktoren könnten den Ausgang der Schlacht noch beeinflussen?« »Die landschaftlichen Gegebenheiten«, rief Gaius. »Steht er auf einem Hügel? Dann könnte seine Reiterei .« Vepax winkte sanft ab. »Die Schlacht wurde in einer Ebene geschlagen. Es war ein kühler, klarer Tag. Hannibal hätte eigentlich verlieren müssen. Wollt ihr sehen, wie er gewonnen hat?« Gaius starrte auf die vielen Figuren. Alles sprach gegen die blauen Truppen. Verwirrt blickte er auf. »Dürfen wir die Figuren umstellen, während du erklärst?« Vepax lächelte. »Natürlich. Heute brauche ich euch sogar beide, um die Schlachtreihen so zu bewegen, wie sie sich damals bewegt haben. Du führst die römische Seite, Gaius. Marcus und ich, wir übernehmen Hannibals Truppen.« Lächelnd sahen sich die drei über die Reihen der Tonfiguren hinweg an. »Die Schlacht von Cannae, vor einhundertsechsundzwanzig Jahren. Jeder Mann, der in dieser Schlacht gekämpft hat, ist inzwischen zu Staub zerfallen, jedes Schwert ist verrostet, aber die Lektionen sind immer noch da, um gelernt zu werden.« Gaius wurde klar, dass Vepax sämtliche Tonsoldaten und Pferde, die er besaß, mitgebracht haben musste, um diese Schlacht nachzustellen. Obwohl jede einzelne Figur für fünfhundert Männer stand, nahmen sie den Großteil des zur Verfügung stehenden Raumes ein. »Gaius, du bist Aemilius Paulus und Terentius Varro, die beiden erfahrenen römischen Heerführer. Du marschierst Reihe für Reihe direkt auf den Feind zu und erlaubst keine Umwege oder Nachlässigkeit in der Disziplin. Deine Infanterie ist hervorragend geschult und müsste sich gegen die Reihen ausländischer Schwertkämpfer bestens behaupten können.« Nachdenklich rückte Gaius die Infanterie Gruppe um Gruppe nach vorne. »Jetzt unterstütze sie mit deiner Kavallerie, Gaius. Sie darf nicht zurückbleiben, sonst kann deine Flanke angegriffen werden.« Gaius nickte und setzte die kleinen Tonpferde so, dass sie der schweren Kavallerie unter Hannibals Befehl gegenüberstanden. »Marcus, unsere Infanterie muss standhalten. Wir werden vorstoßen und direkt auf den Gegner treffen, und unsere Kavallerie beschäftigt die ihre an den Flügeln und hält sie dort auf.« Wortlos und mit gesenkten Köpfen bewegten alle drei die Figuren, bis die beiden Armeen entsprechend verschoben waren und sie sich direkt gegenüberstanden. Gaius und Marcus stellten sich das Schnauben der Pferde und die durch die Luft gellenden Schlachtrufe vor. »Und jetzt sterben die Männer«, murmelte Vepax. »Unsere Infanterie gibt jetzt in der Mitte nach, weil sie auf den bestausgebildeten Feind trifft, dem sie jemals gegenübergestanden hat.« Seine Hände flogen schnell nach vorne und setzten eine Figur nach der anderen auf eine neue Position, und er befahl den Jungen, seinen Anweisungen eilig zu folgen. Auf dem Boden vor ihnen drängten die römischen Legionen Hannibals Mitte zurück, die vor ihnen zurückwich und kurz davor war, die Flucht zu ergreifen. »Sie können nicht standhalten«, flüsterte Gaius. Die Legionen drängten immer weiter nach vorne, und er sah, wie der große, sichelförmige Bogen sich immer tiefer wölbte. Er hielt inne und überschaute das ganze Feld. Die Kavallerie stand immer noch am gleichen Ort und war in eine blutige Stellungsschlacht mit dem Feind verwickelt. Sein Unterkiefer klappte auf, als er sah, wie Marcus und Vepax weiter die Figuren umstellten, denn plötzlich wurde ihm der Plan klar. »Ich würde nicht weiter vorrücken«, sagte er und Vepax hob mit fragendem Gesichtsausdruck den Kopf. »Jetzt schon, Gaius? Dann hast du eine Gefahr erkannt, die weder Paulus noch Varro gesehen haben, bis es zu spät war. Rücke mit deinen Männern weiter vor, wir müssen die Schlacht zu Ende spielen.« Es bereitete ihm offensichtlich Vergnügen, Gaius jedoch irritierte es maßlos, dass er Spielzüge weiterführen sollte, die zur Vernichtung seiner Armee führen mussten. Die Legionen marschierten durch die Truppen der Karthager hindurch, und der Feind ließ sie ein. Er fiel schnell und ohne Hast zurück und verlor so wenig Männer wie möglich an die vorrückende Linie. Hannibals Truppen bewegten sich vom hinteren Ende des Feldes zu den Seiten und ließen die Falle immer größer werden. Wie Vepax ihnen erklärte, war das gesamte römische Heer nach wenigen Stunden an drei Seiten vom Feind umgeben, der sich auch hinter dem eingedrungenen Keil langsam zusammenschloss, bis es in der von Hannibal erdachten Falle saß. Die römische Kavallerie wurde noch immer von gleichwertigen Kräften zurückgehalten, und die letzte Szene brauchte nur wenig Erklärung, um das grauenhafte Geschehen vollends zu verdeutlichen. »Die meisten Römer konnten nicht kämpfen, weil sie in der Mitte ihrer eigenen, engen Formationen gefangen waren. Hannibals Männer töteten den ganzen Tag lang und schnürten die Falle immer enger zu, bis keiner mehr am Leben war. Die Vernichtung nahm ein Ausmaß an, das es weder vorher noch hinterher je wieder gegeben hat. Bei den meisten Schlachten bleiben viele am Leben, zumindest diejenigen, die am Ende noch fliehen können. Aber diese Römer hier waren von allen Seiten eingeschlossen und konnten nirgendwohin fliehen.« Die beiden Jungen waren eine Weile ganz still und prägten die grausigen Einzelheiten ihrem Verstand und ihrer Fantasie ein. »Für heute ist unsere Zeit um, ihr beiden. Nächste Woche zeige ich euch, was die Römer aus dieser und den anderen Niederlagen, die Hannibal ihnen zugefügt hat, gelernt haben. In Cannae sind sie zwar sehr fantasielos vorgegangen, aber sie haben dann einen neuen Heerführer gefunden, der für seinen Ideenreichtum und seinen Wagemut berühmt war. Vierzehn Jahre später traf er in der Schlacht von Zama auf Hannibal, und diesmal ging die Sache völlig anders aus.« »Wie hieß der Mann?«, fragte Marcus aufgeregt. »Er hatte mehr als nur einen Namen. Sein richtiger Name lautete Publius Scipio, aber wegen der Schlachten, die er gegen Karthago gewann, wurde er als Scipio Africanus bekannt.« Als Gaius auf seinen zehnten Geburtstag zuging, war aus dem Kind ein athletischer, geschickter Knabe geworden. Er konnte mit allen Pferden des Gutes umgehen, selbst mit den schwierigen, die eine starke Hand brauchten. Sie schienen sich unter seiner Berührung zu beruhigen und reagierten willig auf ihn. Nur ein einziges Pferd wollte ihn einfach nicht im Sattel lassen. Gaius wurde elf Mal abgeworfen, bis Tubruk das Tier schließlich verkaufte, bevor dieser Machtkampf eines schönen Tages noch einen der beiden umbrachte. In Abwesenheit von Gaius’ Vater war Tubruk bis zu einem gewissen Umfang für die Geldgeschäfte des Gutes verantwortlich. Er entschied darüber, wo der Reingewinn aus Getreide und Vieh am besten angelegt war. Obwohl dies bereits ein großer und ungewöhnlicher Vertrauensbeweis war, erstreckte sich Tubruks Befugnis nicht darauf, die Kämpfer für die Unterrichtung der Jungen in Kriegskunst einzustellen. Diese Entscheidung musste vom Vater getroffen werden, weil diesem sämtliche Aspekte der Erziehung oblagen. Nach römischem Recht hätte Gaius’ Vater die Jungen sogar erdrosseln oder in die Sklaverei verkaufen dürfen, wenn sie sein Missfallen erregten. Seine Macht über den gesamten Haushalt war absolut, und jeder tat gut daran, sein Wohlwollen nicht aufs Spiel zu setzen. Zur Geburtstagsfeier seines Sohnes kam Julius nach Hause. Tubruk ging ihm zur Hand, als er bei einem Bad im Mineralwasserbecken den Staub der Reise abwusch. Obwohl er zehn Jahre älter war als Tubruk, trug sein sonnengebräunter Körper die Jahre mühelos, während er durchs Wasser glitt. Als sich ein Schwall heißes Wasser aus einer Leitung in das ruhige Wasser des Beckens ergoss, stieg Dampf in kleinen Schwaden auf. Tubruk registrierte im Stillen den guten Gesundheitszustand seines Herrn und freute sich darüber. Geduldig wartete er, bis Julius sein ausgiebiges Bad beendet hatte und auf den Marmorstufen neben der Zuflussleitung ruhte, wo das Wasser seicht und am wärmsten war. Julius lehnte sich gegen den kühlen Beckenrand und hob die Brauen. »Berichte«, forderte er Tubruk auf und schloss die Augen. Tubruk stand steif da, führte die Gewinne und Verluste des letzten Monats auf und hielt dabei den Blick starr auf die hintere Wand gerichtet. Er sprach frei von kleinen Problemen und Erfolgen, ohne auch nur einmal auf seine Notizen zurückgreifen zu müssen. Schließlich kam er zum Ende seines Berichts und wartete schweigend. Nach einer Weile öffneten sich die Augen des einzigen Mannes, der ihm je Arbeit gegeben hatte, ohne ihn zu besitzen. Sie fixierten ihn mit einem Blick, der von der Wärme des Wassers nicht weich geworden war. »Wie geht es meiner Frau?« In Tubruks Gesicht regte sich kein Muskel. War es sinnvoll, diesem Mann zu sagen, dass es seiner Gemahlin noch schlechter ging? Sie war einmal eine sehr schöne Frau gewesen, bevor die Geburt ihres Sohnes sie für Monate an den Rand des Todes gebracht hatte. Seit Gaius zur Welt gekommen war, schien sie nur noch unsicher gehen zu können, und das Haus war nicht mehr von ihrem Lachen erfüllt, auch schmückte sie es nicht mehr mit Blumen, die sie früher selbst draußen in den Feldern gepflückt hatte. »Lucius kümmert sich sehr gut um sie, aber es geht ihr nicht besser . Ich musste die Jungen ein paar Tage von ihr fern halten, als ihr Zustand wieder über sie kam.« Julius’ Gesicht wurde hart und in einer von der Wärme angeschwollenen Ader an seinem Hals begann das Blut zu pulsieren, das ihm vor Zorn in den Kopf stieg. »Können die Ärzte denn gar nichts tun? Sie nehmen meine Aurei ohne Skrupel an, aber jedes Mal, wenn ich meine Frau sehe, geht es ihr schlechter!« Tubruk presste die Lippen bedauernd aufeinander. Er wusste, dass man manche Dinge einfach so hinnehmen musste, wie sie waren. Die Peitsche saust nieder und schmerzt, und man muss geduldig warten, bis sie nicht mehr herniedersaust. Manchmal riss Aurelia ihre Kleider in Fetzen und kauerte dann in einer Ecke, bis sie der Hunger aus ihren Gemächern trieb. An anderen Tagen dagegen war sie fast wieder wie die Frau, die er kennen und schätzen gelernt hatte, als er auf das Gut gekommen war. Auch damals schon hatte sie manchmal über längere Zeit zerstreut und abwesend gewirkt. Manchmal redete sie von der Ernte, und dann ganz plötzlich, als habe noch eine andere Stimme gesprochen, neigte sie lauschend den Kopf. Dann war sie auf einmal ganz woanders und beachtete einen nicht mehr, als hätte man den Raum schon längst verlassen. Ein weiterer Schwall heißes Wasser unterbrach die zähe Stille und Julius seufzte wie entweichender Dampf. »Man sagt, die Griechen seien auf dem Feld der Medizin sehr bewandert. Stell einen von ihnen ein und schick diese Narren weg, die ihr so wenig helfen können. Wenn einer von ihnen behauptet, wir würden es allein seinen Künsten verdanken, dass es ihr nicht schlechter geht, lass ihn auspeitschen und wirf ihn hinaus auf die Straße, die zur Stadt führt. Versuche es mit einer Hebamme. Frauen verstehen einander oft besser, als wir Männer es können. Sie haben so viele Gebrechen, die Männer nicht kennen.« Die blauen Augen schlossen sich wieder, und es war als schlösse sich die Tür eines Ofens. Ohne die ihm innewohnende Persönlichkeit hätte der Körper im Wasser der jedes anderen Römers sein können. Julius hielt sich aufrecht wie ein Soldat; schmale weiße Linien erinnerten an die Wunden vergangener Kämpfe. Er war kein Mann, den man verärgern sollte und Tubruk wusste, dass er im Senat den Ruf hatte, sehr aufbrausend zu sein. Julius hatte nur wenige Eigeninteressen, diese jedoch verteidigte er mit aller Schärfe. Dadurch fühlten sich die Mächtigen nicht durch ihn gestört und waren zugleich zu faul, ihn in den Bereichen herauszufordern, für die er sich stark machte. So gedieh auch das Landgut prächtig, und sie würden die teuersten ausländischen Ärzte anstellen können, die Tubruk auftreiben konnte. Das Geld war vergeudet, dessen war er sicher, doch wozu war Geld denn sonst da, wenn nicht, es für Dinge auszugeben, die man für notwendig erachtete? »Ich möchte einen Weinberg an den Südhängen anlegen. Der Boden dort ist ideal für einen guten Rotwein.« Sie sprachen die Geschäfte des Gutes durch. Tubruk machte sich keine Notizen. Nach Jahren des Berichtens und Diskutierens brauchte er das nicht mehr. Zwei Stunden nachdem Julius nach Hause gekommen war, lächelte er endlich. »Du hast gute Arbeit geleistet. Wir machen gute Geschäfte und bleiben stark.« Tubruk nickte und erwiderte das Lächeln. Während des ganzen Gesprächs hatte sich Julius nicht ein einziges Mal nach seiner Gesundheit und seinem Wohlergehen erkundigt. Sie wussten beide, dass man nur über ernste Probleme redete und kleine Sorgen mit sich selbst ausmachte. Es war eine Vertrauensbeziehung, nicht zwischen Gleichgestellten, sondern zwischen einem Dienstherren und jemandem, dessen Kompetenz er respektierte. Tubruk war zwar kein Sklave mehr, aber er blieb ein Freigelassener. Nie würde er das volle Vertrauen eines Freigeborenen genießen. »Da ist noch etwas anderes, etwas Persönlicheres«, fuhr Julius fort. »Es wird Zeit, meinen Sohn in der Kriegskunst zu unterweisen. Ich bin von meinen Pflichten als Vater etwas abgelenkt worden, aber es gibt keine größere Herausforderung an die Talente eines Mannes als die Erziehung seines Sohnes. Ich will stolz auf ihn sein und fürchte zugleich, dass meine häufige Abwesenheit, die eher noch zunehmen dürfte, den Jungen zerbrechen könnte.« Bei diesen Worten nickte Tubruk erfreut. »In der Stadt gibt es viele Experten, Ausbilder für Knaben und junge Männer aus wohlhabenden Familien.« »Nein. Die kenne ich. Einige davon sind mir empfohlen worden. Ich habe sogar selbst die Ergebnisse einer solchen Ausbildung inspiziert und Stadtvillen besucht, um mir die junge Generation anzusehen. Ich war nicht sehr beeindruckt, Tubruk. Ich habe junge Männer gesehen, die von diesen neuen, philosophischen Lehren infiziert sind, bei denen zu viel Wert auf die Ausbildung des Geistes gelegt wird und zu wenig auf die des Körpers und des Herzens. Was nutzt die Fähigkeit, mit Logik zu spielen, wenn dann die verkümmerte Seele vor Problemen und Entbehrungen zurückschreckt? Meiner Ansicht nach bringt diese Mode in Rom nichts als Schwächlinge hervor, mit ein paar Ausnahmen vielleicht. Ich will, dass Gaius von Leuten unterrichtet wird, auf die ich mich verlassen kann. Von dir, Tubruk. Niemandem sonst würde ich eine so wichtige Aufgabe anvertrauen.« Tubruk rieb sich mit besorgter Miene das Kinn. »Ich kann die Fähigkeiten, die ich als Soldat und Gladiator erlernt habe, nicht unterrichten, Herr. Ich weiß zwar sehr viel, aber ich weiß nicht, wie man dieses Wissen weitergibt.« Julius furchte ärgerlich die Stirn, doch er drang nicht weiter in ihn, denn Tubruk widersprach niemals leichtfertig. »Dann verwende unterdessen Zeit darauf, ihn ausdauernd und hart wie Stein zu machen. Lass ihn jeden Tag stundenlang laufen und reiten, so lange, bis er mich vertreten kann. Wir werden andere finden, die ihm beibringen, wie man tötet und Männer in der Schlacht kommandiert.« »Was ist mit dem anderen Knaben, Herr?« »Marcus? Was soll mit ihm sein?« »Bilden wir ihn auch aus?« Julius zog die Brauen noch ein Stück weiter zusammen und starrte einen Augenblick ganz in der Vergangenheit versunken vor sich hin. »Ja, das habe ich seinem Vater versprochen, als er starb. Seine Mutter war nie in der Lage, sich um das Kind zu kümmern. Als sie davonlief, hat das den alten Mann praktisch umgebracht. Sie war von Anfang an zu jung für ihn. Soweit ich gehört habe, ist aus ihr letztlich nicht mehr geworden als eine gehobene Dirne in einem der inneren Bezirke. Also bleibt der Junge in meinem Haus. Ich nehme an, er und Gaius sind immer noch Freunde?« »Wie Zwillingsähren. Sie sind ständig in Schwierigkeiten.« »Damit ist jetzt Schluss. Von jetzt an werden sie lernen, was Disziplin ist.« »Ich sorge dafür, dass sie es begreifen.« Gaius und Marcus lauschten draußen an der Tür. Vor Begeisterung über das, was er gehört hatte, leuchteten Gaius’ Augen hell. Grinsend drehte er sich zu Marcus um, doch beim Anblick des blassen Gesichts und der zusammengepressten Lippen seines Freundes verschwand sein Lächeln sofort wieder. »Was ist denn los, Marcus?« »Er hat gesagt, meine Mutter sei eine Hure«, stieß dieser hervor. Marcus’ Augen funkelten sehr gefährlich, und Gaius schluckte rasch eine vorschnelle, scherzhaft gemeinte Erwiderung hinunter. »Er hat nur gesagt, dass er das gehört hat. Das ist nur ein Gerücht. Bestimmt ist sie keine.« »Man hat mir gesagt, sie sei tot. So wie mein Vater. Dabei ist sie weggelaufen und hat mich zurückgelassen.« Die Augen des Jungen füllten sich mit Tränen. »Ich hoffe, sie ist wirklich eine Hure. Ich hoffe, sie ist eine Sklavin und krepiert an Lungenfäule.« Dann drehte er sich um und rannte mit verzweifelt und unkontrolliert herumwirbelnden Armen und Beinen davon. Gaius seufzte und verwarf die Idee, ihm nachzulaufen, sofort wieder. Marcus würde wahrscheinlich hinunter in die Stallungen flüchten und sich dort ein paar Stunden im Stroh und in der Dunkelheit verkriechen. Wenn man ihm in solchen Momenten zu nahe kam, gab es nur böse Worte, oder es flogen sogar Fäuste. Ließ man ihn dagegen in Ruhe, beruhigte er sich mit der Zeit von ganz allein. Seine Stimmung schlug dann immer sehr rasch um, weil sein unsteter Geist sich bald wieder mit anderen Dingen beschäftigte. So war Marcus eben. Es hatte keinen Sinn, ihn ändern zu wollen. Gaius presste seinen Kopf wieder an den Spalt zwischen Tür und Rahmen, um zu hören, was die beiden Männer noch so alles über seine Zukunft sagten. ». zum ersten Mal ohne Ketten, so sagt man. Das wird ein großartiges Spektakel werden. Ganz Rom wird da sein. Nicht alle Gladiatoren haben sich als Sklaven auf Zeit verpflichtet. Manche haben sich freigekauft, sind aber so gut, dass man sie mit Goldstücken zurückgelockt hat. Angeblich will sogar Renius kommen.« »Renius? Er muss doch inzwischen schon uralt sein! Der hat schon gekämpft, als ich selbst noch ein junger Mann war«, murmelte Julius ungläubig. »Vielleicht braucht er das Geld. Einige der Männer leben aufwändiger, als es ihr Beutel erlaubt, wenn du mich verstehst. Ruhm erlaubt einem zwar, viele Schulden machen, aber am Ende muss man doch alles zurückzahlen.« »Vielleicht kann man ihn anstellen, damit er Gaius unterrichtet. Ich erinnere mich, dass er zumindest früher Schüler angenommen hat. Aber das ist schon lange her. Ich kann gar nicht glauben, dass er wieder kämpft. Du besorgst also vier Karten. Ich bin jetzt richtig neugierig geworden, und den Jungen wird ein Ausflug in die Stadt mit Sicherheit Spaß machen.« »Gut. Aber lass uns warten, bis die Löwen mit dem alten Renius fertig sind, bevor wir ihm eine Stellung anbieten. Er ist bestimmt billiger, wenn er ein wenig Blut gelassen hat«, sagte Tubruk trocken. »Und noch billiger, wenn er tot ist. Ich würde ihn ungern fallen sehen. In meiner Jugend konnte ihm niemand das Wasser reichen. Ich habe gesehen, wie er bei Schaukämpfen gegen vier oder fünf Männer gleichzeitig angetreten ist. Einmal haben sie ihm sogar die Augen verbunden, bei einem Kampf gegen zwei Männer! Er hat sie mit zwei Hieben niedergestreckt.« »Ich habe gesehen, wie er sich auf diese Kämpfe vorbereitet hat. Das Tuch, das er benutzt hat, hat genug Licht durchgelassen, sodass er die Umrisse seiner Gegner erkennen konnte. Das genügte ihm. Aber immerhin glaubten seine Gegner, er sei blind.« »Nimm eine prall gefüllte Börse mit, um Ausbilder anzuwerben. Der Zirkus ist zwar der richtige Ort, um solchen Leuten zu begegnen, aber ich brauche dein erfahrenes Auge, um ihre Verfassung und ihre Ehrenhaftigkeit einzuschätzen.« »Selbstverständlich, Herr. Noch heute Abend schicke ich einen Boten los, der die Karten auf Kosten des Gutsvermögens abholt. Gibt es sonst noch etwas?« »Nur meinen Dank. Ich weiß, wie umsichtig du dieses Anwesen führst. Während meine Senatskollegen sich Sorgen machen müssen, weil ihr Wohlstand langsam dahinschwindet, kann ich ganz beruhigt sein und über ihre missliche Lage nur lächeln.« Julius stand auf, und die beiden schüttelten sich die Hände mit jenem Griff um das Handgelenk des anderen, den alle Legionäre lernten. Voller Freude spürte Tubruk die Kraft, die noch immer in dieser Hand lag. Der alte Stier hatte noch ein paar gute Jahre vor sich. Gaius entfernte sich eilig von der Tür und rannte in die Stallungen zu Marcus. Auf halbem Wege blieb er stehen und lehnte sich gegen eine kühle, weiße Wand. Und wenn Marcus immer noch wütend war? Nein, bestimmt würde ihn die Aussicht auf einen Zirkusbesuch - noch dazu mit Löwen ohne Ketten! - aus seinem Kummer reißen. Mit frischem Elan und die Sonne im Rücken rannte er den Abhang zu den aus dunklem Holz und Kalkputz erbauten Wirtschaftsgebäuden hinunter, in denen die Zugpferde und Ochsen des Gutes untergebracht waren. Von irgendwoher hörte er seine Mutter seinen Namen rufen, doch das kümmerte ihn ebenso wenig wie ein schriller Vogelschrei. Es war ein Laut, der über ihn hinwegschwemmte, ihn jedoch nicht berührte. Die beiden Jungen fanden den Kadaver des Raben nahe der Stelle, wo sie ihn zuerst gesehen hatten, am Waldrand des Anwesens. Steif und dunkel lag er im feuchten Laub. Marcus sah ihn zuerst. Der Fund ließ ihn seinen Zorn und seine Niedergeschlagenheit schlagartig vergessen. »Zeus«, flüsterte er. »Tubruk hat ja gesagt, dass er krank ist.« Er ging neben dem Weg in die Hocke und streckte die Hand aus, um die immer noch glänzenden Federn zu streicheln. Gaius kniete sich neben ihn. Die Kühle des Waldes schien sie beide zu gleicher Zeit zu durchdringen, und Gaius fröstelte leicht. »Erinnerst du dich? Raben sind ein schlechtes Omen«, murmelte er. »Zeus nicht. Er hat nur nach einem Platz zum Sterben gesucht.« Aus einer plötzlichen Eingebung heraus hob Marcus den toten Vogel auf und hielt ihn so, wie er ihn damals beim Fang gehalten hatte. Der Unterschied stimmte die beiden Jungen traurig. Aller Kampfgeist war verschwunden, und der Kopf hing schlaff herunter, als würde er nur noch von der Haut gehalten. Der Schnabel stand offen und die Augen waren nur noch ausgetrocknete, leere Vertiefungen. Marcus strich mit dem Daumen über die Federn. »Wir sollten ihn verbrennen. Ihm ein ehrenhaftes Begräbnis geben«, schlug Gaius vor. »Soll ich in die Küche zurückrennen und eine Öllampe holen? Dann können wir ihm einen Scheiterhaufen bauen und etwas Öl darüber gießen. Das wäre doch ein guter Abschied für ihn.« Marcus nickte zustimmend und legte Zeus vorsichtig auf den Boden. »Er war ein Kämpfer. Er hat mehr verdient, als einfach so zu verfaulen. Hier gibt es jede Menge trockenes Holz. Ich bleibe hier und baue den Scheiterhaufen.« »Ich beeile mich«, rief Gaius bereits im Wegrennen. »Denk dir ein paar Gebete oder so was aus.« Er rannte zurück zum Haus, und Marcus blieb mit dem Vogel allein. Eine seltsame Feierlichkeit überkam ihn, als führe er einen religiösen Ritus aus. Langsam und sorgfältig sammelte er dürre Äste und schichtete sie zu einem viereckigen Haufen auf. Zuunterst legte er dickere, schon lange abgestorbene Äste und schichtete kleine Zweige und trockenes Laub darüber. Er hielt es für angebracht, nichts zu überstürzen. Als Gaius zurückkam, war im Wald alles still. Auch er ging jetzt langsam und hielt die Hand schützend vor die kleine Flamme, die auf dem öligen Docht der alten Küchenlampe hervorzüngelte. Marcus saß auf dem trockenen Weg, und Zeus’ schwarzer Körper lag bereits auf einem ordentlich aufgeschichteten Haufen aus trockenem Holz. »Ich muss aufpassen, dass die Flamme nicht ausgeht, während ich das Öl über den Scheiterhaufen gieße, deshalb kann sie plötzlich auflodern. Wir sagen die Gebete besser jetzt gleich.« Es wurde langsam dunkel. Der flackernde gelbe Lampenschein schien kräftiger zu werden und erhellte ihre Gesichter. »Jupiter, Herr über alle Götter, lass diesen Vogel wieder in der Unterwelt fliegen. Er war ein Kämpfer, und er ist frei gestorben«, betete Marcus mit leiser, aber fester Stimme vor dem Kadaver des Raben. Gaius schickte sich an, das Öl auszugießen. Er hielt den Docht mit der kleinen Flamme zur Seite, goss das Öl aus und tränkte Vogel und Holz mit der zähen Flüssigkeit. Dann erst hielt er die Flamme an den Scheiterhaufen. Eine Zeit lang geschah nichts, nur ein schwach pfeifendes Geräusch war zu hören. Dann jedoch breitete sich wie als Antwort darauf eine Flamme aus, die mit kränklichem Schein aufflackerte. Die Jungen standen einfach da, bis Gaius die Lampe neben sich auf den Weg stellte. Sie sahen interessiert zu, wie die Federn Feuer fingen und mit furchtbarem Gestank verbrannten. Die Flammen leckten über den Körper, das Körperfett qualmte und verbrannte im Feuer. Sie warteten geduldig. »Wir könnten die Asche am Ende einsammeln und sie beerdigen, oder sie im Wald oder im Fluss verstreuen«, flüsterte Gaius. Marcus nickte wortlos. Um das Feuer anzufachen, goss Gaius das restliche Öl aus der Lampe darüber und löschte so ihr schwaches Licht ganz. Die Flammen des Scheiterhaufens flackerten erneut auf. Die meisten Federn waren schon verbrannt, bis auf die rund um den Kopf und den Schnabel. Sie schienen besonders hartnäckig zu sein. Schließlich war auch der letzte Rest Öl verbrannt und das Feuer sank zu einem Haufen glühender Asche zusammen. »Ich glaube, wir haben ihn gebraten«, flüsterte Gaius. »Das Feuer war nicht heiß genug.« Marcus nahm einen langen Stock und stieß den Kadaver an, der jetzt mit Holzasche bedeckt, aber immer noch als Rabe zu erkennen war. Der Stock schob dieses qualmende Etwas versehentlich ganz aus der Glut heraus, und Marcus versuchte erfolglos, es wieder in den Gluthaufen zurückzurollen. »Das bringt nichts. Wo bleibt denn da die Würde?«, sagte er ärgerlich. »Hör mal, mehr können wir im Moment nicht tun. Wir decken ihn einfach mit Laub zu.« Die beiden Jungen trugen ganze Arme voller Laub zusammen, und bald war der verschmorte Rabe vor Blicken geschützt. Auf dem Weg zurück zum Anwesen wechselten sie kein Wort, aber ihre ehrfürchtige Stimmung war verflogen. 4 Die Spiele wurden von Cornelius Sulla ausgerichtet, einem aufstrebenden jungen Mann der römischen Gesellschaft. Als der junge Senator die Zweite Alaudae-Legion in Afrika befehligt hatte, war er bei König Bocchus von Mauretanien zu Gast gewesen. Um sich gut mit ihm zu stellen, hatte König Bocchus nun einhundert Löwen und zwanzig seiner besten Speerwerfer nach Rom gesandt. Mit diesem Grundstock hatte Sulla ein fünftägiges Programm mit Schaukämpfen, Schicksalsprüfungen und anderen Attraktionen zusammengestellt. Es sollten die größten Spiele werden, die Rom je gesehen hatte, und Cornelius Sulla waren damit Einfluss und Stellung sicher. Im Senat wurden sogar schon Stimmen laut, die die Spiele als eine dauerhaftere Einrichtung forderten. Die für Großveranstaltungen grob zusammengezimmerten Holzbänke waren keine zufrieden stellende Lösung, abgesehen davon, dass es für den großen Andrang ohnehin viel zu wenige waren. Alle wollten die Löwen aus dem dunklen, unbekannten Kontinent sehen. Pläne für ein gewaltiges, kreisförmiges Amphitheater, das sogar geflutet werden konnte, um darin Seeschlachten zu inszenieren, wurden vorgebracht, doch die Kosten dafür waren immens, und so legten die Volkstribunen natürlich ihr Veto ein. Gaius und Marcus trotteten hinter den beiden älteren Männern her. Seit es Gaius’ Mutter schlechter ging, durften die Jungen nur noch selten in die Stadt, denn bei dem Gedanken daran, was ihrem Sohn in den gefährlichen Straßen alles zustoßen konnte, verfiel sie stets in einen nicht nur sorgenvollen, sondern elenden und gequälten Zustand. Die lärmende Menge wirkte auf die beiden Jungen zuerst wie ein Faustschlag, schon bald aber leuchteten ihre Augen vor Interesse. Die meisten Senatsmitglieder kamen mit Wagen oder Sänften zu den Spielen, die entweder von Sklaven oder Pferden gezogen oder getragen wurden. Gaius’ Vater hatte dafür nur Verachtung übrig und zog es vor, zu Fuß durch die Menge zu gehen. Voll bewaffnet wie er war und in Begleitung von Tubruks eindrucksvoller Erscheinung scheuten die Plebejer davor zurück, sie zu heftig zu drängen oder zu schieben. Die gewaltige Menschenmenge hatte den Schmutz in den engen Straßen in stinkenden Schlamm verwandelt. Schon nach kurzer Zeit waren ihre Sandalen völlig damit überzogen und auch ihre Beine bis fast zu den Knien mit Dreck besudelt. Jeder Laden, den sie passierten, glich einem Bienenstock. Wo man ging und stand, ständig hatte man eine Menschenmenge vor sich, und von hinten drängten die Massen pausenlos nach. Gelegentlich, wenn der Weg von den Karren der Händler blockiert war, die ihre Waren durch die Stadt schoben, wich Gaius’ Vater in eine Seitenstraße aus. In diesen Gassen drängten sich dicht an dicht die Armen der Stadt. Bettler saßen in den Hauseingängen, blind und verstümmelt, die Hände flehend ausgestreckt. Die gemauerten Häuser, fünf oder sechs Stockwerke hoch, ragten bedrohlich über ihnen auf, und einmal hielt Tubruk Marcus gerade noch rechtzeitig zurück, als jemand aus einem offenen Fenster über ihnen einen Eimer mit Unrat einfach hinunter in die Straße kippte. Gaius’ Vater hatte ein grimmiges Gesicht aufgesetzt, fand jedoch ohne anzuhalten stets den richtigen Weg. Sein Orientierungssinn führte sie durch das dunkle Labyrinth der Gassen zurück auf die Hauptstraßen und zum Cirkus. Je näher sie kamen, desto lauter wurde der Lärm der Stadt. Die durchdringenden Rufe der Verkäufer, die heiße Speisen anpriesen, wetteiferten mit dem Hämmern der Kupferschmiede und den schreienden oder heulenden Kindern, die rotznasig auf den Hüften ihrer Mütter hingen. An jeder Straßenecke führten Jongleure, Zauberkünstler, Gaukler und Schlangenbeschwörer für hingeworfene Münzen ihre Kunststücke vor. An diesem Tag jedoch waren ihre Einkünfte trotz der großen Menschenmenge gering. Warum sein Geld an etwas verschwenden, das man jeden Tag sehen konnte, wenn das Amphitheater mit offenen Toren lockte? »Bleibt dicht bei uns«, sagte Tubruk und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Jungen auf sich, weg von den Farben, Gerüchen und dem Lärm um sie herum. Er lachte über ihre vor Staunen offen stehenden Münder. »Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal einen Cirkus gesehen habe, den Vespia. Dort sollte ich meinen ersten Kampf bestreiten. Ich war ungeschult und langsam, nur ein Sklave mit einem Schwert.« »Aber du hast gewonnen«, entgegnete Julius lächelnd, während sie weiterliefen. »Mein Magen hat mich die ganze Zeit geärgert, deswegen hatte ich furchtbar schlechte Laune.« Die beiden Männer lachten. »Ich würde nicht gern einem Löwen gegenüberstehen«, fuhr Tubruk fort. »In Afrika habe ich welche in freier Wildbahn gesehen. Sie können sich bewegen wie Pferde bei einem Angriff der Reiterei, wenn sie wollen, aber mit Fängen und Klauen wie Eisennägel.« »Sie haben einhundert von diesen Tieren, und es gibt zwei Darbietungen pro Tag, fünf Tage lang. Also werden wir zehn Löwen gegen eine Auswahl an Kämpfern antreten sehen. Ich freue mich schon darauf, die schwarzen Speerwerfer in Aktion zu sehen. Bin sehr gespannt, ob sie den unseren an Zielsicherheit das Wasser reichen können.« Sie gingen unter dem Eingangstor hindurch und blieben vor einer Reihe mit Wasser gefüllter Holzbottiche stehen. Für ein paar Münzen ließen sie sich Schmutz und Gestank von Füßen und Sandalen schrubben. Es tat gut, wieder sauber zu sein. Mit der Hilfe eines Platzanweisers fanden sie ihre Plätze, die von einem Sklaven vom Gut für sie freigehalten worden waren. Dieser war bereits am Abend zuvor angereist, um ihre Ankunft abzuwarten. Sobald sie sich hingesetzt hatten, stand der Sklave auf, um den Rückweg zum Gut anzutreten. Tubruk drückte ihm eine Münze in die Hand, damit er sich für den Heimweg etwas zu essen kaufen konnte. Der Mann lächelte erfreut, froh, wenigstens einmal der anstrengenden Feldarbeit entronnen zu sein. Rings umher hatten die Mitglieder der Patrizierfamilien mit ihren Sklaven ihre Plätze bereits eingenommen. Obwohl es nur dreihundert Repräsentanten im Senat gab, mussten noch an die tausend weitere Menschen hier sitzen. Roms Gesetzesgeber hatten sich für die ersten Kämpfe des fünftägigen Spektakels den Tag freigenommen. In der riesigen Grube war der Sand säuberlich glatt geharkt, und dreißigtausend Menschen aus allen Schichten bevölkerten die hölzernen Ränge rundherum. Die morgendliche Hitze, die sich langsam aber stetig zu einer unangenehmen Wand aufbaute, wurde weitgehend ignoriert. »Wo sind denn die Kämpfer, Vater?«, fragte Gaius, der sich suchend nach den Löwen oder wenigstens ihren Käfigen umsah. »Sie sind da drüben, in dem Gebäude, das aussieht wie eine Scheune. Siehst du die Tore? Dahinter warten sie.« Er warf einen Blick auf das Programm, das er bei einem Sklaven am Eingang gekauft hatte. »Zunächst wird uns der Organisator der Spiele begrüßen und vermutlich Cornelius Sulla danken. Dann dürfen wir alle Sullas rührigen Geist bejubeln, der ein solches Spektakel erst ermöglicht hat. Danach gibt es vier Gladiatorenkämpfe, die nur bis zur ersten Verwundung gehen. Diesen folgt ein Kampf auf Leben und Tod. Dann führt Renius irgendetwas vor, und dann streifen die Löwen >durch die Landschaft ihres heimatlichen Afrikac, was auch immer das heißen soll. Alles in allem dürfte es eine sehr beeindruckende Darbietung werden.« »Hast du schon mal einen Löwen gesehen?« »Nur einmal, im Tiergehege, aber ich habe nie gegen einen gekämpft. Tubruk sagt, sie sind furchtbare Gegner.« Als sich unten das Tor öffnete und ein Mann heraustrat, wurde es im Amphitheater schlagartig still. Seine Toga war so strahlend weiß, dass sie zu leuchten schien. »Er sieht aus wie ein Gott«, flüsterte Marcus. Tubruk beugte sich zu dem Jungen hinunter. »Vergiss nicht, dass das Tuch mit menschlichem Urin gebleicht wird. Darin liegt irgendwo eine Lektion verborgen.« Marcus sah Tubruk einen Moment überrascht an und fragte sich, ob das so etwas wie ein Witz gewesen war. Dann vergaß er den Gedanken sofort wieder, weil er dem Mann zu lauschen versuchte, der jetzt in die Mitte des Sandplatzes getreten war. Er besaß eine geübte Stimme, und das Rund des Amphitheaters reflektierte sie perfekt, trotzdem ging ein Teil seiner Ankündigung verloren. Die Leute scharrten unruhig mit den Füßen oder flüsterten mit ihren Freunden und raunten sich gegenseitig zu, endlich still zu sein. »... ein wohlverdientes Willkommen ... wilde Tiere aus Afrika ... Cornelius Sulla!« Die letzten Worte wurden in einem Crescendo vorgebracht, woraufhin das Publikum pflichtbewusst jubelte, enthusiastischer als Julius und Tubruk es erwartet hatten. Gaius hörte die Worte des alten Gladiators, der sich zu seinem Vater hinüberlehnte. »Ein Mann, den man auf jeden Fall beachten sollte.« »Oder einer, vor dem man sich in Acht nehmen sollte«, erwiderte sein Vater mit vielsagender Miene. Gaius reckte den Hals, um den Mann zu sehen, der von seinem Platz aufstand und sich verbeugte. Auch er war mit einer einfachen Toga mit goldbesticktem Saum bekleidet und saß nahe genug, dass Gaius ihn genau sehen konnte. Dieser Mann sah wirklich wie ein Gott aus. Er hatte ein ausdrucksstarkes, wohlgeformtes Gesicht und goldbraune Haut. Er winkte und setzte sich wieder. Der Jubel der Menge zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Jeder setzte sich nun für die Hauptattraktion zurecht. Überall wurde wieder laut geredet. Man unterhielt sich über Politik und Finanzen, und die Patrizier diskutierten über einige umstrittene Fälle, die gerade die Rechtsprechung beschäftigten. Noch immer waren sie in Rom die Mächtigen und hatten das Sagen. Zwar hatten die Volkstribunen mit ihrem Recht, ihr Veto gegen Beschlüsse einzulegen, ihre Autorität eingeschränkt, doch die Patrizier verfügten immer noch über Leben und Tod der meisten Bürger Roms. Die ersten beiden Kämpfer, in blaue und rote Tuniken gekleidet, betraten die Arena. Keiner der beiden war schwer bewaffnet, denn hier ging es weniger um Blut und Grausamkeit als viel mehr um die Demonstration von Schnelligkeit und Geschick. Manchmal kam zwar auch einer der Männer dabei ums Leben, doch das kam eher selten vor. Nachdem sie den Organisator und Geldgeber der Spiele gegrüßt hatten, begannen sie den Kampf. Sie hielten die kurzen Schwerter ruhig ausgestreckt, und ihre Schilde bewegten sich langsam in einem hypnotisierenden Rhythmus. »Wer gewinnt, Tubruk?«, fragte Gaius’ Vater plötzlich. »Der Kleinere mit der blauen Tunika. Seine Beinarbeit ist hervorragend.« Julius winkte einen der Läufer für die Zirkuswetten heran. Er gab ihm einen Aureus und bekam dafür ein kleines blaues Täfelchen. Kaum eine Minute später wich der kleinere Mann einem zu weiten Ausfall seines Gegners zur Seite aus und streifte ihn in der Drehung mit der Klinge leicht am Bauch. Blut quoll hervor wie über den Rand einer übervollen Tasse und das Publikum brach in Jubel und laute Flüche aus. Julius hatte für das eine Goldstück, das er gesetzt hatte, zwei Aurei gewonnen und steckte den Gewinn gut gelaunt in die Tasche. Bei jedem Kampf, der nun folgte, fragte er Tubruk, wer gewinnen würde, sobald die Männer ihre ersten Bewegungen und Finten ausführten. Die Gewinnspanne sank natürlich nach Beginn des Kampfes, aber Tubruks Auge war an diesem Tag unfehlbar. Nach dem vierten Kampf reckten alle umsitzenden Zuschauer die Hälse, um mitzubekommen, was Tubruk sagte. Dann schrieen sie sofort nach den Wettsklaven, um ihre Wette zu platzieren. Tubruk war in seinem Element. »Der nächste Kampf geht auf Leben und Tod. Alexandros, der Kämpfer aus Korinth, ist der Favorit. Er ist noch nie besiegt worden. Aber sein Gegner aus dem südlichen Italien ist ebenfalls Furcht einflößend und bei Kämpfen bis zur ersten Verwundung noch nie geschlagen worden. Im Moment kann ich mir noch kein endgültiges Urteil bilden, wer gewinnt.« »Sag’s mir, sobald du es kannst. Ich bin bereit, zehn Aurei zu wetten. Das ist unser ganzer Gewinn plus mein ursprünglicher Einsatz. Dein Auge ist heute unfehlbar.« Julius winkte den Wettsklaven herbei und befahl ihm, neben ihm stehen zu bleiben. Niemand der Umsitzenden wollte jetzt schon wetten, denn sie spürten alle die Gunst dieses Augenblicks und begnügten sich damit, auf Tubruks Zeichen zu warten. Sie beobachteten ihn, manche mit angehaltenem Atem, und lauerten auf erste Anzeichen. Gaius und Marcus betrachteten die Menge. »Diese Römer sind schon ein geldgieriger Haufen«, flüsterte Gaius Marcus zu und sie grinsten einander an. Wieder ging das Tor auf, und Alexandros und Enzo betraten die Arena. Enzo, der Römer, trug den üblichen Kettenschutz, der seinen rechten Arm von der Hand bis zum Hals bedeckte. Über den dunkleren Eisenschuppen trug er einen Helm aus Messing, und in der Linken hielt er einen roten Schild. Bekleidet war er nur mit einem Lendenschurz; Füße und Knöchel waren mit Leinenstreifen umwickelt. Sein Körper war muskelbepackt, und abgesehen von einer gekräuselten Linie, die sich vom Handgelenk bis zum Ellenbogen zog, waren nur wenige Narben zu sehen. Er verbeugte sich vor Cornelius Sulla und grüßte die Menge als Erster, noch vor dem Fremden. Alexandros bewegte sich geschmeidig und ging sehr sicher und selbstbewusst bis zur Mitte der Arena. Er war genauso gekleidet wie sein Gegner, trug jedoch einen blauen Schild. »Sie sind schwer auseinander zu halten«, meinte Gaius. »In den Rüstungen könnten es auch Brüder sein.« Sein Vater schnaubte verächtlich. »Bis auf das Blut, das in ihnen fließt. Der Grieche ist völlig verschieden vom Italiener. Er hat andere und falsche Götter. Er glaubt an Dinge, für die ein anständiger Römer nie einstehen würde.« Er sprach, ohne den Kopf zu wenden, ganz auf die Männer unten im Sand konzentriert. »Würdest du dann auf einen solchen Mann wetten?«, fragte Gaius wissbegierig. »Selbstverständlich. Wenn Tubruk der Meinung ist, dass er gewinnt«, war die von einem Lächeln begleitete Antwort. Der Kampf würde mit dem Signal eines Widderhorns beginnen. Es war in der ersten Sitzreihe zwischen zwei Kupferscheiben aufgebaut. Davor wartete ein kurzbärtiger Mann auf das Signal, um die Lippen anzusetzen. Die Gladiatoren stellten sich einander gegenüber, dann dröhnte der lang gezogene Ton aus dem Horn über den Sandplatz. Bevor Gaius überhaupt hätte sagen können, ob das Signal ganz verklungen war, befand sich die Menge bereits in Aufruhr, und die beiden Männer waren dabei, wütend aufeinander einzudreschen. In den ersten paar Sekunden folgte Schlag auf Schlag. Einige Treffer schnitten tief ins Fleisch, andere glitten am Rüstungsstahl ab, der plötzlich glitschig vom hellen Blut war. »Tubruk?«, hörte Gaius die fragende Stimme seines Vaters. Die Umsitzenden auf ihren Rängen waren hin und her gerissen zwischen dem faszinierenden Gemetzel einerseits und der Aussicht auf eine erfolgreiche Wette andererseits. Tubruk runzelte die Stirn, das Kinn auf die geballte Faust gestützt. »Noch nicht. Ich kann es noch nicht sagen. Sie sind zu ebenbürtig.« Unfähig, das Anfangstempo der ersten Minuten beizubehalten, ließen die beiden Männer kurzzeitig voneinander ab. Beide bluteten und waren mit Staub bedeckt, der an ihren schweißglänzenden Körpern haften blieb. Dann rammte Alexandros seinen blauen Schild unter der Deckung seines Gegners hindurch und brachte ihn so aus Rhythmus und Gleichgewicht. Sein Schwertarm zuckte hoch und versuchte, von oben einen Treffer anzubringen. Doch der Italiener stolperte würdelos zurück, wobei sein Schild in den Sand fiel. Die Menge tobte und schrie empört, weil sie sich für ihren Favoriten schämte. Vielleicht von den Kommentaren seiner Landsmänner in seinem Stolz getroffen, richtete sich Enzo wieder auf und ging zum Angriff über. »Tubruk?« Julius legte die Hand auf Tubruks Arm. Der Kampf konnte jede Sekunde vorbei sein, und wenn einer der Kämpfer offensichtlich im Vorteil war, wurden keine Wetten mehr angenommen. »Noch nicht. Noch ... nicht.« Tubruk war die personifizierte Konzentration. Unten auf dem Sandplatz war der Kreis um die Kämpfer bereits mit dunklen Flecken gesprenkelt. Sie versuchten es mit Ausfallschritten nach links, dann wieder nach rechts, oder sie stürmten mit wütenden Hieben direkt aufeinander los. Dann wieder duckten sie sich, verkeilten sich ineinander und versuchten, den Gegner zu Fall zu bringen. Alexandros fing das Schwert des Italieners mit dem Schild ab. Der wuchtige Schlag spaltete ihn fast bis zur Hälfte, und die Klinge blieb in dem weicheren Metall des blauen Rechteckes stecken. Doch wie schon zuvor kam sie wieder frei, und die beiden Männer standen sich seitlich versetzt gegenüber. Sie bewegten sich jetzt im Krebsgang seitwärts, um sich mit der Armpanzerung besser schützen zu können. Die Schwerter waren schartig und stumpf geworden, und inzwischen konnte man deutlich sehen, dass die gewaltige Anstrengung in der glühenden römischen Hitze an den Kräften der beiden zu zehren begann. »Alles auf den Griechen. Schnell«, sagte Tubruk plötzlich unvermittelt. Der Wettsklave warf seinem Besitzer, der hinter ihm stand, einen fragenden Blick zu. Die Einsätze wurden flüsternd ausgehandelt und das Wettgeschäft lief endlich an, denn nun stiegen auch viele andere in der Menge ein. »Fünf zu eins gegen Alexandros. Wir hätten viel mehr bekommen, wenn wir früher gesetzt hätten«, murmelte Julius, während er die beiden Kämpfer unten betrachtete. Tubruk schwieg. Einer der Gladiatoren machte gerade einen Ausfall, schloss jedoch seine Deckung zu schnell für einen Gegenangriff. Sein Schwert schnellte zurück, schlug erneut zu und erwischte den Gegner an der Seite. Augenblicklich schoss ein Blutstrom daraus hervor. Auch der Gegenstoß kam bösartig schnell und durchtrennte einen größeren Beinmuskel. Das Bein knickte unter dem Mann weg, und noch während er zu Boden ging, hieb der Gegner unablässig auf seinen Nacken ein. Wieder und wieder schlug er zu, bis er schließlich nur noch auf einen Leichnam eindrosch. Der Sieger sank in eine sich vermischende Blutlache, die langsam vom trockenen Sand aufgesogen wurde. Vor Erschöpfung und Schmerzen konnte er nur noch stoßweise atmen. »Wer hat denn jetzt gewonnen?«, fragte Gaius aufgeregt. Ohne die Schilde war das schwer zu sagen, und lautes Gemurmel erhob sich in den Sitzreihen, weil alle sich überall diese Frage stellten. Wer hatte gewonnen? »Ich glaube, der Grieche ist tot«, sagte der Wettsklave. Sein Herr dagegen glaubte, es sei der Römer, doch bevor der Gewinner nicht aufstand und den Helm abnahm, konnte man dessen nicht sicher sein. »Was passiert, wenn sie beide sterben?«, fragte Marcus. »Dann sind alle Wetten ungültig«, gab der Besitzer und Finanzier des Wettsklaven zur Antwort. Auch er hatte wahrscheinlich eine Menge Geld auf den Ausgang des Kampfes gesetzt, zumindest sah er ebenso angespannt aus wie alle anderen. Der überlebende Gladiator blieb ungefähr eine Minute erschöpft am Boden liegen. Er blutete stark, doch die Menge rief nun immer lauter, er solle endlich aufstehen und den Helm abnehmen. Langsam und unter großen Schmerzen ergriff er sein Schwert und stemmte sich damit hoch. Als er endlich, wenn auch sehr unsicher, auf den Beinen stand, hob er eine Hand voll Sand vom Boden auf. Er rieb sich den Sand in die Wunde und sah zu, wie er in kleinen roten Klümpchen wieder herabfiel. Man sah, dass auch seine Hände blutig waren, als er sie hob, um den Helm abzunehmen. Vor ihnen stand Alexandros, der Grieche, und lächelte mit vor Blutverlust kreidebleichem Gesicht. Die Menge schrie der schwankenden Gestalt wüste Beschimpfungen zu. Münzen wurden hinabgeworfen. Sie glitzerten in der Sonne, sollten den Sieger allerdings nicht belohnen, sondern ihn verletzen. Von Flüchen begleitet wechselte im ganzen Amphitheater Geld den Besitzer, und niemand achtete auf den Gladiator, der wieder auf die Knie fiel und auf Sklaven gestützt hinausgeschafft werden musste. Nur Tubruk verfolgte seinen Abgang mit undurchdringlicher Miene. »Ist das einer, den wir als Ausbilder in Betracht ziehen sollten? «, fragte Julius. Hoch erfreut sah er zu, wie sein Gewinn in einen Beutel gezählt wurde. »Nein. Ich denke, er wird diese Woche nicht überleben. Außerdem ist seine Technik nicht besonders geschult. Er war nur schnell und hatte gute Reflexe.« »Für einen Griechen«, mischte sich Marcus ein. »Ja, gute Reflexe für einen Griechen«, stimmte Tubruk geistesabwesend zu. Während der Sand geharkt wurde, beschäftigte sich die Menge wieder mit sich selbst, auch wenn Gaius und Marcus ein paar Zuschauer sahen, die unter Gebrüll und gespielten Schmerzesschreien die Schläge der Gladiatoren nachstellten. Während sie warteten, sahen die Jungen, wie Julius Tubruk antippte, um seine Aufmerksamkeit auf zwei Männer zu lenken, die durch die Reihen auf sie zukamen. In ihren Togen aus grober Wolle und ohne jeden Metallschmuck auf der Haut wirkten die beiden im Zirkus etwas deplatziert. Julius und Tubruk standen auf und die beiden Jungen taten es ihnen nach. Gaius’ Vater streckte die Hand aus und begrüßte den Ersten, der ihn erreichte. Beim Handschlag neigte der Mann zum Gruß leicht den Kopf. »Seid gegrüßt, Freunde. Nehmt Platz. Das hier sind mein Sohn und ein anderer Knabe, der sich in meiner Obhut befindet. Ich denke, die beiden würden sich jetzt bestimmt gerne etwas zu essen holen.« Tubruk gab jedem von ihnen eine Münze. Die Jungen hatten den Wink verstanden. Zögernd entfernten sie sich durch die Reihen und stellten sich an der Schlange einer Essensbude an. Sie sahen, wie die vier Männer die Köpfe zusammensteckten und miteinander redeten. In dem Lärm auf den Rängen gingen ihre Worte natürlich unter. Bald darauf, als Marcus gerade Orangen kaufte, sah Gaius, wie die beiden Neuankömmlinge seinem Vater dankten und ihm noch einmal die Hand schüttelten. Dann wandte sich jeder der beiden Tubruk zu, der ihnen beim Abschied Münzen in die Hand drückte. Marcus hatte für jeden eine Orange gekauft und verteilte sie, als sie ihre Plätze wieder eingenommen hatten. »Wer waren diese Männer, Vater?«, fragte Gaius neugierig. »Klienten von mir. Es gibt einige in der Stadt, die mir verbunden sind«, erwiderte Julius, der seine Orange säuberlich schälte. »Aber was tun sie? Ich habe sie noch nie gesehen.« Julius wandte sich seinem Sohn zu und bemerkte dessen waches Interesse. Er lächelte. »Es sind nützliche Männer. Sie wählen Kandidaten, die ich unterstütze, oder beschützen mich in gefährlichen Stadtvierteln. Sie überbringen Botschaften für mich, oder ... erledigen tausend andere nützliche Dinge. Im Gegenzug bekommt jeder der Männer sechs Denare pro Tag.« Marcus pfiff leise durch die Zähne. »Da kommt ja ein Vermögen zusammen.« Julius richtete den Blick auf Marcus, der beschämt zu Boden schaute und mit den Orangenschalen spielte. »Das ist gut angelegtes Geld. Es ist gut, in dieser Stadt Männer zu haben, auf die ich jederzeit für plötzliche Aufgaben zählen kann. Reiche Senatsmitglieder haben manchmal sogar Hunderte von Klienten. Sie sind Teil unseres Systems.« »Kannst du deinen Klienten denn auch vertrauen?«, unterbrach ihn Gaius. Julius seufzte. »Nicht, wenn es um etwas geht, das mehr wert ist als sechs Denare am Tag.« Renius betrat die Arena ohne Vorankündigung. Eben schwatzte die Menge noch munter, und der schmutzige Sandring war leer, da öffnete sich plötzlich eine kleine Tür und ein Mann trat heraus. Zuerst bemerkten sie ihn gar nicht, dann jedoch zeigten die Leute aufgeregt hinunter und standen auf. »Warum jubeln sie denn so laut?«, fragte Marcus, der mit zusammengekniffenen Augen die einsame Gestalt da unten in der brennenden Sonne betrachtete. »Weil er noch einmal zurückgekommen ist. Wenn du später einmal selbst Kinder hast, kannst du ihnen erzählen, dass du Renius hast kämpfen sehen«, erklärte Tubruk lächelnd. Alle um sie herum schienen von seinem Anblick begeistert. Ein Sprechchor bildete sich und schwoll zu unglaublicher Lautstärke an: »Ren-i-us ... Ren-i-us.« Der Ruf übertönte jegliches Fußgetrampel oder Kleiderrascheln. Das einzige Geräusch auf der ganzen Welt war sein Name. Er hob sein Schwert zum Gruß. Selbst aus dieser Entfernung war deutlich zu sehen, dass ihm das Alter noch nicht viel hatte anhaben können. »Für sechzig Jahre sieht er noch gut aus, aber sein Bauch ist nicht mehr flach. Sieh dir diesen breiten Gürtel an«, murmelte Tubruk zu sich selbst. »Du hast dich gehen lassen, du alter Narr.« Während der alte Mann den Jubel der Menge entgegennahm, betraten mehrere Sklaven einer nach dem anderen den Sandplatz. Jeder hielt einen Gladius, das Kurzschwert der Legionäre, in der Hand und trug, der größeren Bewegungsfreiheit wegen, nur ein Tuch um die Lenden. Schilde oder Rüstung waren nicht zu sehen. Das römische Publikum verstummte, als die Männer sich um Renius herum zu einer Raute formierten. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille, dann öffnete sich die Tür zum Tiergehege. Noch bevor der Käfig von schwitzenden Sklaven in die Arena gezerrt wurde, war kurzes, hustendes Gebrüll zu hören gewesen. Die Leute tuschelten aufgeregt, denn nun sah man drei Löwen in dem Käfig auf und ab gehen. Durch die Gitterstäbe gesehen waren sie von obszöner Gestalt: Rachen, Kopf und die riesigen, gewölbten Schultern, der lang gestreckte Leib, der sich zum hinteren Ende verjüngte, das selbst fast nur wie ein Anhängsel wirkte. Mit ihren gewaltigen Kiefern schienen sie wie geschaffen dazu, Leben zu zermalmen. Als der Käfig endlich zum Stehen kam, hieben sie mit den Pranken zornig durch die Luft. Die Sklaven holten mit Hämmern aus, um die Holzpflöcke herauszuschlagen, die den vorderen Teil des Käfigs hielten. Die Zuschauer leckten sich über die vor Aufregung trockenen Lippen. Schließlich ließen die Sklaven die Hämmer fallen, und das eiserne Gatter fiel mit einem weithin hallenden Geräusch in den Sand. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Furcht erregender Geschmeidigkeit kamen die Großkatzen eine nach der anderen aus dem Käfig. Die größte der Raubkatzen brüllte die Gruppe der ihr gegenüberstehenden Männer herausfordernd an. Doch die Männer rührten sich nicht, und so lief der Löwe vor dem Käfig auf und ab, ohne sie dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Dann hockte er sich auf die Hinterläufe, während seine beiden Gefährten weiter brüllend die Arena umkreisten. Ohne Vorzeichen, ohne jede Warnung preschte er urplötzlich auf die Männer los, die sichtlich zurückzuckten. Hier kam der Tod auf sie zu und wollte sie holen. Man hörte, wie Renius seine Befehle bellte. Die Vorderseite der Rautenformation, drei tapfere Männer, machten sich mit gezogenen Schwertern für den Angriff bereit. Doch kurz vor ihnen setzte der Löwe zum Sprung an, rammte zwei der Männer zu Boden und zerfetzte ihnen mit seinen riesigen Pranken den Brustkorb. Keiner der beiden regte sich mehr, denn ihre Oberkörper bestanden nur noch aus einer Masse blutiger Knochensplitter. Der dritte Mann holte aus und schlug auf die dichte Löwenmähne ein, richtete jedoch kaum Schaden an. Blitzschnell, als hätte eine Schlange zugeschlagen, schloss sich das Maul des Löwen um seinen Arm, und er schrie auf. Er hörte auch nicht auf zu schreien, als er davontorkelte, mit einer Hand den Stumpf des anderen Unterarms umklammernd. Dann strich ein Schwert über die Rippen des Löwen und ein anderes durchtrennte eine Kniesehne, sodass seine Hinterläufe plötzlich lahmten. Die Wunden brachten das Tier noch mehr zur Raserei. Im Blutrausch schnappte es nach sich selbst. Renius knurrte ein Kommando, und die Männer machten ihm den Weg frei, damit er das Tier töten konnte. In dem Augenblick, in dem er den tödlichen Schlag führte, griffen die beiden anderen Löwen an. Einer schnappte nach dem Kopf des verwundeten Mannes, der hatte weglaufen wollen. Ein kurzes Kieferknacken und es war vorbei. Der Löwe ließ sich neben dem Leichnam nieder, ignorierte die anderen Sklaven, biss in den weichen Unterleib des Toten und begann zu fressen. Daraufhin fiel er den Männern schnell zum Opfer, Rachen und Brust von drei Klingen durchbohrt. Renius stellte sich dem Angriff des letzten Löwen, der ihn von links anfallen wollte. Der Sklave, der ihn schützte, wurde von der Attacke umgerissen und das wild zuschnappende Tier fiel über ihn her. Die Pranken mit den großen, schwarzen, wie Speerspitzen hervorstehenden Klauen holten mit unbändiger Wucht aus, um ihn vollends in Stücke zu reißen. Renius verschaffte sich einen sicheren Stand und stieß sein Schwert in die Brust des Löwen. Mit einem Schwall dunklen, klebrigen Blutes riss eine Wunde auf, doch die Klinge rutschte am Brustbein ab und Renius wurde von einer Schulter des Löwen umgestoßen. Doch er hatte Glück, denn das Maul schnappte dahin, wo er eben noch gestanden hatte. Er rollte sich geschickt ab und kam sofort wieder auf die Beine, das Schwert noch immer in der Hand. Als das wilde Tier sich nach ihm umsah und wieder auf ihn losstürmte, war er bereit, seine Klinge durch die Achselhöhle des Löwen bis tief in sein pochendes Herz zu stoßen. Augenblicklich wich alle Kraft aus dem Löwen, als hätte das Schwert eine Eiterbeule aufgestochen. Kraftlos lag der Löwe im Sand und verblutete. Er war noch bei Bewusstsein und schnappte nach Luft, aber er bot einen bejammernswerten Anblick. Ein leises Stöhnen drang tief aus seiner blutenden Brust, als Renius sich ihm mit gezogenem Dolch näherte. Rötlicher Speichel tropfte in den Sand, während die durchbohrte Lunge verzweifelt nach Luft rang. Renius sprach mit leiser Stimme auf das Tier ein, doch seine Worte waren oben in den Zuschauerrängen nicht zu verstehen. Er legte eine Hand auf die Mähne und tätschelte sie geistesabwesend, als läge da sein Lieblingsjagdhund. Dann zog er die Klinge durch die Kehle des Löwen, und es war zu Ende. Die Zuschauer schienen zum ersten Mal seit Stunden Luft zu holen und lachten, von der drückenden Spannung erlöst, erleichtert auf. Vier Männer lagen tot im Sand, aber Renius, der alte Recke, stand noch, obwohl er ziemlich erschöpft aussah. Das Publikum fing an, seinen Namen zu skandieren, doch er verbeugte sich nur kurz, ging mit zielstrebigen Schritten auf die im Schatten liegende Tür zu und verschwand in der Dunkelheit. »Geh ihm schnell nach, Tubruk. Du kennst mein Höchstgebot. Aber denke daran: Ein ganzes Jahr in meinen Diensten.« Tubruk verschwand in der Menge, und die Jungen blieben mit Julius allein zurück. Sie versuchten, sich höflich mit ihm zu unterhalten, aber ohne Tubruk als Vermittler erstarb das Gespräch schnell wieder. Julius liebte seinen Sohn, doch es hatte ihm noch nie Freude bereitet, sich mit Halbwüchsigen zu unterhalten. Sie schwatzten immer nur vor sich hin und wussten nichts von Schicklichkeit und Selbstbeherrschung. »Wenn es stimmt, was man über ihn sagt, dann dürfte er ein sehr strenger Lehrer sein. Früher gab es im ganzen Imperium niemanden seinesgleichen, aber Tubruk kann diese Geschichten viel besser erzählen als ich.« Die Jungen nickten eifrig und nahmen sich vor, Tubruk über sämtliche Einzelheiten auszuquetschen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Es war schon fast Herbst, ehe die Jungen Renius auf dem Gut wiedersahen, als er im gepflasterten Hof vor den Stallungen von seinem Wallach stieg. Es gehörte zu seinen Privilegien, dass er reiten durfte wie ein Offizier oder Senatsmitglied. Die beiden Jungen waren gerade in der angrenzenden Heuscheune und sprangen von den aufgetürmten Garben in das lose Heu hinab. Derart mit Staub und Heu bedeckt, durften sie sich nicht sehen lassen, und so schielten sie hinter einer Stallecke hervor nach dem Besucher. Der sah sich suchend im Hof um, bis Tubruk auf ihn zukam und ihm die Zügel abnahm. »Man wird dich empfangen, sobald du dich nach deiner Reise erfrischt hast.« »Ich bin kaum fünf Meilen geritten. Ich bin weder schmutzig, noch schwitze ich wie ein Tier. Führ mich ins Haus, oder ich suche mir selbst den Weg«, blaffte ihn der alte Soldat mit gerunzelter Stirn an. »Ich sehe, du hast nichts von deinem Charme und deinen gepflegten Umgangsformen verloren, seit du mit mir gearbeitet hast.« Renius lächelte nicht, und einen Moment rechneten die Jungen damit, dass er zum Schlag ausholte oder zumindest zu einer scharfen Erwiderung ansetzte. »Ich sehe, du hast noch immer nicht gelernt, wie man sich Älteren gegenüber benimmt. Ich hätte mehr von dir erwartet.« »Jeder ist jünger als du. Doch, doch, ich verstehe schon, dass du keine Lust mehr hast, dich zu ändern.« Renius erstarrte einen Moment und blinzelte Tubruk gefährlich träge an. »Willst du, dass ich mein Schwert ziehe?« Tubruk blieb ruhig. Erst jetzt fiel Marcus und Gaius auf, dass auch er sich seinen alten Gladius umgegürtet hatte. »Ich möchte nur, dass du nicht vergisst, dass ich für die Verwaltung dieses Anwesens hier verantwortlich bin, und dass ich, genau wie du, ein freier Mann bin. Unsere Übereinkunft dürfte allen zum Vorteil gereichen.« Bei dieser Antwort lächelte Renius. »Ganz recht. Dann führe mich jetzt zum Herrn des Hauses. Ich brenne darauf, den Mann kennen zu lernen, der so interessante Menschen für sich arbeiten lässt.« Als die beiden Männer davongingen, sahen sich Gaius und Marcus mit vor Aufregung leuchtenden Augen an. »Er wird ein sehr harter Lehrmeister sein, aber er dürfte von dem Talent, das er formen soll, schon bald beeindruckt sein«, flüsterte Marcus. »Und dann wird ihm bewusst werden, dass wir seine letzte große Aufgabe sind, bevor er tot umfällt«, fuhr Gaius fort, ganz von dieser Idee eingenommen. »Ich werde der größte Schwertkämpfer im ganzen Land, denn seit ich ein kleines Kind war, habe ich meine Arme jeden Abend gedehnt«, spann Marcus seine Gedanken weiter. »Dann werden sie dich den kämpfenden Affen nennen!«, verkündete Gaius ehrfürchtig. Marcus warf ihm Heu ins Gesicht. In gespielter Wut rangen sie miteinander und kugelten hin und her, bis Gaius schließlich oben war und sich schwer auf die Brust seines Freundes setzte. »Ich werde bestimmt der ein bisschen bessere Schwertkämpfer von uns beiden. Aber ich bin zu bescheiden, als dass ich dich vor den Damen bloßstellen würde.« Er warf sich stolz in die Brust, und Marcus schob ihn von sich herunter ins Stroh. Keuchend und einen Moment lang in ihre Tagträume versunken, saßen sie da. Schließlich brach Marcus das Schweigen: »In Wahrheit wirst du dieses Anwesen führen, genau wie dein Vater. Ich habe nichts, und du weißt, dass meine Mutter eine Hure ist ... Nein, sag jetzt nichts. Wir haben beide gehört, wie dein Vater das gesagt hat. Ich habe kein Erbe außer meinem Namen, und der ist beschmutzt. Die einzige Zukunft für mich liegt in der Armee, wo zumindest meine Geburt nobel genug ist, dass ich einen höheren Rang anstreben darf. Renius als Lehrer zu haben, wird uns beiden nützen, aber mir wesentlich mehr als dir.« »Du wirst immer mein Freund bleiben, das weißt du. Nichts wird je zwischen uns stehen«, sagte Gaius mit klarer Stimme und sah Marcus dabei fest in die Augen. »Wir gehen unseren Weg gemeinsam.« Sie nickten und gaben einander die Hand, um ihren Pakt zu besiegeln. Gerade als sie wieder losließen, steckte Tubruk seinen Kopf in die Scheune. »Geht euch waschen. Sobald Renius mit deinem Vater gesprochen hat, Gaius, will er euch bestimmt sehen.« Langsam standen sie auf, aber ihre Bewegungen verrieten deutlich ihre Nervosität. »Ist er grausam?«, fragte Gaius. Tubruk lächelte nicht. »Ja, er ist grausam. Er ist der brutalste Mann, dem ich je begegnet bin. Er gewinnt seine Schlachten, weil die meisten anderen Männer Schmerzen fühlen und Tod und Verstümmelung fürchten. Er aber ist mehr ein Schwert als ein Mann, und er wird euch beide so hart machen, wie er selbst es ist. Ihr werdet ihm wahrscheinlich nie dafür danken, sondern ihn eher dafür hassen. Aber was er euch beibringt, wird euch mehr als einmal das Leben retten.« Gaius sah ihn fragend an. »Kennst du ihn denn von früher?« Tubruks Lachen war bitter. »Das könnte man so sagen. Er hat mich für die Arena ausgebildet, als ich noch Sklave war.« Seine Augen blitzten kurz in der Sonne auf, als er sich zum Gehen umdrehte und verschwand. Renius stand mit schulterbreit gespreizten Beinen und im Rücken verschränkten Armen vor ihnen. Stirnrunzelnd sah er den sitzenden Julius an. »Nein. Wenn sich irgendjemand einmischt, bin ich noch in der gleichen Stunde weg. Du willst, dass ich aus deinem Sohn und dem Hurenbalg Soldaten mache. Ich weiß genau, wie man das macht, denn das habe ich auf die eine oder andere Weise mein ganzes Leben lang getan. Manchmal lernen sie es erst, wenn der Feind angreift, manchmal lernen sie es nie. Und von Letzteren sind so manche in hastig ausgehobenen Gräbern in der Fremde zurückgeblieben.« »Tubruk wird den Fortschritt der Jungen mit dir besprechen wollen. Sein Urteil ist für gewöhnlich unbestechlich. Immerhin ist er selbst von dir ausgebildet worden«, erwiderte Julius, der versuchte, die verlorene Herrschaft über das Gespräch wiederzuerlangen. Dieser Mann hatte ein wahrhaft überwältigendes Wesen, denn von dem Augenblick an, in dem er den Raum betreten hatte, hatte er die Unterredung beherrscht. Statt seine Wünsche für die Ausbildung seines Sohnes darzulegen, so wie er es sich vorgenommen hatte, war Julius jetzt in der Defensive und beantwortete stattdessen Renius’ Fragen hinsichtlich seines Anwesens und der Ausbildungsmöglichkeiten. Inzwischen wusste er besser Bescheid über das, was er alles nicht hatte, als über das, was er hatte. »Sie sind noch sehr jung und .« »Nur ein wenig älter und es wäre schon zu spät. Ja, man kann einen Mann von zwanzig Jahren auch noch zu einem kompetenten Soldaten machen, ein Kind aber kann man zu einem unzerbrechlichen Stück Metall formen. Manche würden sogar behaupten, du hast bereits zu lange gewartet, weil eine richtige Ausbildung schon mit fünf Jahren beginnen sollte. Aber meiner Meinung nach ist das Alter von zehn Jahren optimal, weil dann Muskeln und Lunge erst richtig entwickelt sind. Beginnt man zu früh, bricht man ihren Geist, beginnt man aber zu spät, hat sich ihr Geist schon in der falschen Richtung gefestigt.« »Da stimme ich zu. Bis zu einem gewissen Ma-« »Bist du der richtige Vater des Hurenbalgs?« Renius sprach schroff aber ruhig, gerade so, als erkundigte er sich nach dem Wetter. »Was? Bei allen Göttern, nein! Ich-« »Gut. Das hätte das Ganze schwieriger gemacht. Dann nehme ich den Vertrag über ein Jahr an. Du hast mein Wort. Die Jungen sollen draußen im Hof vor dem Stall antreten, damit ich sie mir ansehen kann. Sie haben mich ankommen sehen, also müssten sie inzwischen bereit sein. Ich erstatte dir alle drei Monate in diesem Raum hier Bericht. Wenn du den Termin nicht einhalten kannst, lass es mich bitte wissen. Guten Tag.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus. Als er draußen war, stieß Julius mit geblähten Backen einen Stoßseufzer aus, der sowohl seine Verblüffung als auch seine Zufriedenheit ausdrückte. »Könnte genau das sein, was ich gesucht habe«, sagte er leise und lächelte zum ersten Mal an diesem Morgen. 5 Das Erste, was ihnen mitgeteilt wurde, war, dass sie genug Schlaf bekommen würden. Acht Stunden lang, von kurz vor Mitternacht bis zum Morgengrauen, wurden sie in Ruhe gelassen. Ansonsten wurden sie unablässig unterrichtet und abgehärtet, oder sie stopften sich in kurzen Pausen von nur wenigen Minuten hastig Essen in den Mund. Marcus war die Begeisterung gleich am ersten Tag ausgetrieben worden, als Renius ihn mit seiner ledrigen Hand am Kinn packte und eingehend musterte. »Genauso willensschwach wie seine Mutter.« Mehr sagte er zu diesem Zeitpunkt nicht, aber der erniedrigende Gedanke, dass der alte Soldat, dem er so gerne gefallen wollte, seine Mutter in der Stadt gesehen haben könnte, trieb Marcus die Schamesröte ins Gesicht. Vom ersten Moment an war sein Wunsch, es Renius recht zu machen, für ihn zugleich eine Quelle der Scham. Er wusste, dass er sich bei der Ausbildung hervortun musste, aber nicht auf eine Art, die der alte Bastard gutheißen würde. Es war leicht, Renius zu hassen. Von Anfang an rief er Gaius bei seinem Namen, Marcus hingegen bezeichnete er als »den Jungen« oder »das Hurenbalg«. Gaius wusste, dass er das absichtlich tat. Es war ein Versuch, ihren Hass als Werkzeug einzusetzen, um sie härter und besser zu machen. Trotzdem ärgerte er sich jedes Mal, wenn sein Freund wieder und wieder gedemütigt wurde. Durch das Anwesen führte ein Fluss sein kaltes Wasser zum Meer. Einen Monat nach Renius’ Ankunft hatte er sie noch vor der Mittagsstunde hinunter ans Wasser geführt und einfach auf einen dunklen Pfuhl gedeutet. »Rein da«, sagte er. Sie hatten einander angeschaut und mit den Achseln gezuckt. Schon vom ersten Moment an machte die Kälte sie beinahe gefühllos. »Ihr bleibt da drin, bis ich wiederkomme, um euch zu holen«, lautete der Befehl, den Renius ihnen über die Schulter zurief. Er ging zum Haus zurück, wo er ein leichtes Mittagessen verzehrte, ein Bad nahm und schließlich den ganzen heißen Nachmittag verschlief. Marcus spürte die Kälte viel mehr als sein Freund. Schon nach ein paar Stunden war sein Gesicht blau, und er konnte vor Schlottern kaum noch sprechen. Während der Nachmittag immer länger wurde, spürte er seine Beine immer weniger, und die Muskeln in Gesicht und Nacken schmerzten vom ständigen Zittern. Mühsam unterhielten sich die beiden über alles Mögliche, Hauptsache es lenkte sie von der Kälte ab. Die Schatten wurden länger und ihr Gespräch erstarb. Gaius ging es bei weitem nicht so schlecht wie seinem Freund. Auch seine Glieder waren schon seit langer Zeit taub, aber das Atmen fiel ihm noch immer leicht, wohingegen Marcus nur in kurzen Stößen Luft holen konnte. Unbemerkt kühlte der Nachmittag auch außerhalb des von Bäumen überschatteten Flussbeckens mit seinem schnell fließenden Wasser weiter ab. Marcus ruhte sich aus, so gut es eben ging. Er neigte den Kopf erst auf die eine, dann auf die andere Seite, ein Auge war immer halb unter Wasser und blinzelte träge, ohne etwas zu sehen. Manchmal schweiften seine Gedanken so weit ab, dass selbst seine Nase unter Wasser geriet. Dann prustete er plötzlich und richtete sich wieder auf, nur um bald darauf wieder in sich zusammenzusacken. Seit einer Ewigkeit hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Die Sache war zu einer Art Privatkrieg geworden, doch sie kämpften nicht gegeneinander. Sie würden in dem kalten Wasser stehen bleiben, bis man sie rief, bis Renius kam und ihnen befahl, herauszukommen. Der Tag verflog und sie wussten, sie würden nicht mehr aus eigener Kraft herausklettern können. Selbst wenn Renius jetzt auftauchte und sie lobte, würde er sie eigenhändig herausziehen müssen. Falls die Götter überhaupt ein Auge auf sie hatten, würde er dafür wenigstens nass und schmutzig werden. Marcus nickte immer wieder ein, schreckte dann plötzlich hoch und merkte, dass er irgendwie aus der Kälte und der Dunkelheit weggetrieben war. Dann fragte er sich, ob er im Fluss sterben würde. In einem dieser halbwachen Traumzustände spürte er plötzlich Wärme und hörte das einladende Knistern eines ordentlichen Lagerfeuers. Ein alter Mann schob die brennenden Holzscheite mit den Zehen zusammen und lächelte in die aufstiebenden Funken. Er drehte sich um und schien erst jetzt den totenblassen, verirrten Jungen zu bemerken, der ihn beobachtete. »Komm näher ans Feuer, Junge. Ich tu dir nichts.« Das Gesicht des alten Mannes wies die Falten und den Schmutz von Jahrzehnten harter Arbeit und Sorgen auf. Es war vernarbt und von Runzeln durchzogen, sodass es fast wie eine zusammengeflickte Börse aussah. Die Hände waren von dicken Adern überzogen, die unter der Haut hin- und herwanderten, wenn er die geschwollenen Gelenke bewegte. Er war wie ein Reisender gekleidet, seine Kleider waren geflickt, und um seinen Hals war ein dunkelrotes Tuch geschlungen. »Was haben wir denn hier? Einen Schlammfisch! Die sind selten in dieser Gegend, aber es heißt, von einem wird man satt. Du könntest dir ein Bein abschneiden, davon werden wir beide satt. Ich würde die Blutung stillen, mein Junge, doch, doch, ich habe so manche Tricks auf Lager.« Bei dieser Vorstellung zogen sich riesige Augenbrauen interessiert nach oben. Die Augen glitzerten und der Mund öffnete sich und entblößte weiches Zahnfleisch, feucht und faltig. Der Mann klopfte seine Taschen ab, und auf den dunkelgelben Wänden, die nur von dem Feuer beleuchtet wurden, ahmten die Schatten seine Bewegungen zappelnd nach. »Halt still, Junge. Ich habe ein Messer mit einer Sägeklinge für dich .« Eine Hand wie rauer Stein presste sich über sein ganzes Gesicht, sie schien ihm plötzlich größer, als eine Hand eigentlich sein durfte. Der Atem des alten Mannes streifte sein Ohr und roch süßlich nach faulen Zähnen. Marcus erwachte würgend und schnappte verzweifelt nach Luft. Sein Magen war leer. Inzwischen war der Mond aufgegangen. Gaius stand immer noch neben ihm, das Gesicht knapp über dem schwarzen, glasigen Wasser. Sein Kopf tauchte immer wieder mit einem Nicken in die Dunkelheit ein. Es reichte. Wenn er die Wahl zwischen Aufgeben und Tod hatte, dann gab er eben auf und scherte sich nicht um die Folgen. Taktisch gesehen war das bestimmt die bessere Wahl. Manchmal war es besser, sich zurückzuziehen und seine Kräfte neu zu sammeln. Das war es, was der alte Mann ihnen hatte sagen wollen. Er wollte, dass sie aufgaben. Wahrscheinlich wartete er irgendwo ganz in der Nähe. Er wartete darauf, dass sie diese wichtigste aller Lektionen begriffen. Marcus konnte sich nicht mehr an den Traum erinnern, nur eine unbestimmte Angst, erstickt zu werden, war zurückgeblieben. Sein Körper schien seine gewohnte Form verloren zu haben und stand schwer und aufgedunsen unter der Wasseroberfläche. Er war zu einer Art dünnhäutigem, am Flussgrund lebendem Fisch geworden. Marcus konzentrierte sich, und sein Unterkiefer hing schlaff herunter; kaltes Wasser, Wasser, so kalt wie er selbst, rann davon herab. Er schwankte nach vorn und hob den Arm, um sich an einer Wurzel festzuhalten. Zum ersten Mal seit elf Stunden befand sich zumindest ein Teil seines Körpers endlich außerhalb des Wassers. Er fühlte eine Todeskälte in sich und empfand keinerlei Bedauern. Sicher, Gaius stand immer noch da, doch wahrscheinlich hatten sie einfach unterschiedliche Stärken. Marcus jedenfalls würde nicht sterben, nur um einem widerlichen alten Gladiator zu imponieren. Zentimeter für Zentimeter kroch er aus dem Wasser. Mit Schlamm im Gesicht und auf der Brust zog er sich Stück für Stück ans Ufer. Sein aufgeblähter Bauch schien in die Höhe zu treiben, als würde er von innen aufgeblasen. Als endlich sein ganzes Körpergewicht auf der festen Erde wieder zum Tragen kam, überkam ihn eine ekstatische Erleichterung. Er lag einfach nur da und wurde von krampfartigen Würgeanfällen geschüttelt. Gelbe Gallenflüssigkeit tropfte ihm aus dem Mundwinkel und vermischte sich mit dem schwarzen Schlamm. Die Nacht war still, und es kam ihm vor, als sei er soeben aus seinem eigenen Grab gekrochen. Im Morgengrauen lag er immer noch da. Ein Schatten verdeckte die bleiche Sonne über ihm. Renius stand vor ihm und runzelte die Stirn, nicht über Marcus, sondern über die kleine, blasse Gestalt des Jungen, der immer noch mit geschlossenen Augen und blauen Lippen im Wasser stand. Während Marcus ihn betrachtete, zuckte ein kurzer Anflug von Sorge über das eiserne Gesicht. »Junge!«, bellte die Stimme, die sie bereits zu hassen gelernt hatten. »Gaius!« Die Gestalt im Wasser schwankte leicht in der Strömung, doch es kam keine Antwort. Renius’ Kiefermuskeln traten hervor. Der alte Soldat watete bis zu den Oberschenkeln in das Flussbecken, fasste hinein und warf sich den Zehnjährigen wie einen Welpen über die Schulter. Gaius riss zwar kurz die Augen auf, doch er schien nicht zu begreifen, was mit ihm geschah. Marcus rappelte sich auf, als der alte Mann mit seiner Last davonging. Offensichtlich marschierte er zurück zum Haus. Mit protestierenden Muskeln trottete Marcus hinterher. Hinter ihnen, im Schatten auf der anderen Uferseite, stand Tubruk, so wie er es schon die ganze Nacht getan hatte, durch das dichte Laub vor ihren Blicken geschützt. Seine Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen und so kalt wie der Fluss. Renius schien von einer niemals versiegenden Wut angetrieben zu werden. In all den Monaten ihrer Ausbildung hatten die Jungen ihn nicht ein einziges Mal lächeln sehen, es sei denn aus Spott. An schlechten Tagen rieb er sich den Nacken, während er sie anbrüllte und erweckte den Eindruck, dass er jeden Augenblick die Geduld verlieren würde. Noch schlimmer war er in der Mittagssonne, wenn sein Gesicht schon beim kleinsten Fehler vor Wut fleckig wurde. »Haltet den Stein gerade vor euch!«, bellte er, während Marcus und Gaius in der Sonne schwitzten. Ihre Aufgabe an diesem Nachmittag bestand darin, mit einem faustgroßen Stein in der ausgestreckten Hand ruhig dazustehen. Am Anfang war es leicht gewesen. Jetzt hingegen schmerzten Gaius’ Schultern, seine Arme fühlten sich an, als gehörten sie nicht mehr zu seinem Körper. Er versuchte, die Muskeln anzuspannen, doch sie gehorchten seinem Willen nicht mehr. Schweißüberströmt sah er, wie sich der Stein eine Handbreit senkte. Er spürte eine Welle aus Schmerz über seinen Bauch wandern, als Renius mit einer kurzen Peitsche zuschlug. Seine Arme zitterten, und die Muskeln bebten vor Schmerz. Er konzentrierte sich wieder auf den Stein und biss sich auf die Lippen. »Ihr lasst ihn nicht fallen. Ihr nehmt den Schmerz an. Ihr lasst ihn nicht fallen.« Renius’ Stimme verfiel in einen rauen Singsang, während er um die Jungen herumschritt. Sie hatten die Steine jetzt zum vierten Mal angehoben, und jedes Mal wurde es schwerer. Renius ließ ihnen kaum eine Minute Zeit, um die schmerzenden Arme auszuruhen, bevor er schon wieder den Befehl gab, die Steine anzuheben. »Ablegen«, befahl Renius und beobachtete mit bereit gehaltener Peitsche, ob sie die Steine auch langsam und kontrolliert absenkten. Marcus atmete heftig, und Renius verzog verächtlich den Mund. »Es wird eine Zeit kommen, wo ihr glaubt, ihr könnt den Schmerz nicht mehr länger ertragen. Aber dann hängt das Leben anderer Männer von euch ab. Vielleicht haltet ihr ein Seil, an dem andere hochklettern, oder ihr marschiert vierzig Meilen in voller Ausrüstung, um Kameraden zu Hilfe zu kommen. Hört ihr mir zu?« Die Jungen nickten und versuchten, nicht vor Erschöpfung laut zu keuchen. Sie waren nur froh, dass er weiterredete, anstatt sofort wieder den Befehl zu geben, die Steine aufzuheben. »Ich habe Männer gesehen, die sich zu Tode gelaufen haben. Sie sind vor Erschöpfung auf der Straße zusammengebrochen, aber ihre Beine haben immer noch gezuckt, weil sie versucht haben, weiterzulaufen. Sie wurden mit allen Ehren bestattet. Männer meiner Legion, die ihre eigenen Gedärme mit der Hand im Leib gehalten haben, sind trotz allem auf ihrer Position geblieben und in der Formation mitgelaufen. Auch sie wurden ehrenvoll bestattet.« Nachdenklich hielt er inne und rieb sich den Nacken, als sei er gestochen worden. »Es wird Zeiten geben, wo ihr euch einfach nur noch hinsetzen wollt, wo ihr aufgeben wollt. Euer Körper sagt euch, es geht nicht mehr, und euer Geist ist schwach. Das ist falsch. Nur Barbaren und wilde Tiere geben auf, wir aber halten durch. Glaubt ihr etwa, ihr seid schon fertig? Tun euch die Arme weh? Ich sage euch, ihr werdet in dieser Stunde eure Steine noch ein weiteres Dutzend Mal anheben, und ihr werdet sie oben halten. Wenn der Stein auch nur ein einziges Mal mehr als eine Handbreit sinkt, kommt ein weiteres Dutzend Male dazu.« Ein Sklavenmädchen wusch den Staub von einer Wand an der anderen Hofseite. Sie sah die Jungen nie an, obwohl sie bei den gebellten Befehlen des alten Gladiators gelegentlich zusammenzuckte. Gaius bemerkte, dass auch sie erschöpft wirkte, doch mit ihren langen, dunklen Haaren und in dem losen Sklavenkittel sah sie sehr hübsch aus. Sie hatte ein fein gezeichnetes Gesicht mit großen, dunklen Augen, und weil sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrierte, war ihr voller Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er meinte sich zu erinnern, dass ihr Name Alexandria war. Während Renius redete, bückte sie sich tief hinunter, um den Lappen im Eimer auszuwaschen. Als sie das Tuch ins Wasser tunkte, hing ihr loses Kleid weit herab und Gaius konnte die zarte Haut am Hals sehen, bis hinunter zu den sanften Rundungen ihrer Brüste. Er glaubte sogar die Haut am Bauch zu erblicken und stellte sich vor, wie ihre Brustwarzen sanft das raue Tuch streiften, wenn sie sich bewegte. In diesem Moment war Renius trotz der Schmerzen in seinen Armen völlig vergessen. Der alte Mann verstummte abrupt und fuhr auf dem Absatz herum, um zu sehen, was die Jungen von ihrer Lektion ablenkte. Als er die Sklavin sah, knurrte er wütend, überquerte mit drei schnellen Schritten den Hof und packte sie grob am Arm. Das Mädchen schrie auf, und Renius’ Stimme erhob sich zu wütendem Gebrüll. »Ich bringe diesen Kindern hier gerade etwas Wichtiges bei, das ihnen einmal das Leben retten wird, und du stellst vor ihnen wie eine billige Hure deine Titten zur Schau!« Das Mädchen duckte sich ängstlich unter seinem Zorn und versuchte, so weit wie möglich vor ihm zurückzuweichen, obwohl er ihr Handgelenk fest umklammert hielt. »Ich ...«:, stammelte sie wie betäubt, doch Renius fluchte und packte sie an den Haaren. Sie wimmerte vor Schmerz, und er riss sie herum, sodass sie den Jungen direkt gegenüberstand. »Es ist mir völlig gleichgültig, ob Tausend solcher Weibsbilder hier hinter mir stehen. Ich bringe euch bei, wie man sich konzentriert!« Er holte mit dem Fuß aus und fegte dem Mädchen mit einer brutalen Bewegung die Beine unter dem Körper weg. Sie fiel zu Boden, doch Renius hielt sie noch immer am Haar fest. Mit der anderen Hand hob er die Peitsche und ließ sie im Takt zu seinen Worten auf sie niedersausen. »Du lenkst diese Jungen nicht ab, wenn ich sie unterrichte.« Als Renius endlich von ihr abließ, weinte das Mädchen. Sie kroch ein paar Meter über den Boden, kam dann geduckt hoch und rannte schluchzend vom Hof. Marcus und Gaius sahen Renius, der sich wieder zu ihnen umdrehte, fassungslos an. Sein Gesicht war zu einer mörderischen Fratze verzogen. »Klappt die Mäuler wieder zu, Jungs. Das hier war nie als Spiel gedacht. Ich mache euch so hart und so ausdauernd, dass ihr der Republik dienen könnt, wenn ich einmal nicht mehr bin. Ich dulde keine Schwäche, egal welcher Art. Und jetzt hebt die Steine wieder auf und haltet sie, bis ich euch befehle, damit aufzuhören.« Die Jungen, die es nicht wagten, auch nur einen Blick zu wechseln, hoben die Steine ein weiteres Mal an. An diesem Abend, als Stille in das Gut eingekehrt und Renius in die Stadt zurückgeritten war, verschob Gaius seinen üblichen Erschöpfungsschlaf, um die Sklavenquartiere aufzusuchen. Er strich mit schlechtem Gewissen dort herum und hielt immer wieder nach Tubruks Schatten Ausschau, obwohl er eigentlich gar nicht so genau wusste, warum. Die Haussklaven schliefen unter dem selben Dach wie die Familie, jedoch in einem eigenen Flügel mit einfachen Kammern. Diese Welt hier war ihm unbekannt. Nervös schlich er durch die dunkelnden Korridore. Er überlegte, ob er einfach an die Türen klopfen und ihren Namen rufen sollte. Er fand sie auf der niederen Schwelle einer offenen Tür sitzend. Da sie völlig in Gedanken versunken schien, räusperte er sich leise, als er sie erkannte. Erschrocken rappelte sie sich auf, blieb dann regungslos stehen und starrte vor sich auf den Boden. Sie hatte den Staub des Tages von der Haut gewaschen, und ihr Gesicht leuchtete zart und blass im Abendlicht. Ihre Haare waren mit einem Stoffstreifen zurückgebunden, und in der Dunkelheit waren ihre Augen riesengroß. »Heißt du Alexandria?«, fragte er leise. Sie nickte. »Ich komme, um dir zu sagen, dass es mir Leid tut wegen heute Mittag. Ich habe dich bei deiner Arbeit beobachtet, und Renius dachte, du lenkst uns ab.« Sie stand vor ihm und rührte sich nicht, den Blick auf den Boden vor seinen Füssen gerichtet. Eine Weile blieb es still zwischen ihnen, und Gaius errötete, weil er nicht wusste, wie er fortfahren sollte. »Es tut mir Leid, hörst du? Renius war sehr grausam zu dir.« Sie sagte noch immer nichts. Ihre Gedanken überschlugen sich, doch er war schließlich der Sohn des Hauses. Am liebsten hätte sie gesagt: Ich bin eine Sklavin. Für mich bedeutet jeder Tag Schmerz und Erniedrigung. Es gibt nichts, was du mir sagen könntest. Gaius blieb noch einen Moment wartend stehen, dann ging er und wünschte, er wäre nie hierher gekommen. Alexandria sah ihm nach. Sie sah den selbstsicheren Gang und die aufkeimende Stärke, die Renius in ihm hervorbrachte. Wenn er erst älter war, würde er genau so gemein werden wie dieser alte Gladiator. Er war frei und ein Römer, sein Mitleid rührte nur von seiner Jugend her, und die wurde ihm mit der militärischen Ausbildung rasch ausgetrieben. Der Zorn, den sie nicht zu zeigen gewagt hatte, ließ ihr Gesicht brennen. Ihm nicht geantwortet zu haben, war zwar nur ein kleiner Sieg, doch sie genoss ihn. Am Ende jedes Vierteljahres erstattete Renius Julius Bericht über ihre Fortschritte. Am Abend vor dem vereinbarten Termin kam Gaius’ Vater immer von seinem Quartier in der Hauptstadt nach Hause und hörte sich zunächst an, was Tubruk über das Wohlergehen des Gutes zu sagen hatte. Dann ließ er die beiden Jungen zu sich kommen und verbrachte noch ein paar zusätzliche Minuten allein mit seinem Sohn. Am folgenden Tag, bei Morgengrauen, sprach er dann mit Renius. Gaius und Marcus, dankbar für diese Unterbrechung des gewohnten Tagesablaufs, durften etwas länger schlafen. Der erste Bericht war enttäuschend kurz ausgefallen. »Sie haben einen Anfang gemacht. Beide haben etwas vom richtigen Geist in sich«, hatte Renius lapidar gesagt. Nach einer langen Pause wurde Julius klar, dass kein weiterer Kommentar folgen würde. »Gehorchen sie denn?«, fragte er, verwundert über die mangelnden Informationen. Dafür zahlte er so viel Geld? »Natürlich«, erwiderte Renius mit verblüfftem Gesicht. »Sind sie ... äh ... Machen sie sich denn vielversprechend?«, bohrte Julius weiter. Er wollte vermeiden, dass diese Unterredung die gleiche Wendung nahm wie die letzte, aber er hatte schon wieder das Gefühl, als redete er mit einem seiner alten Lehrer und nicht mit einem Mann, der in seinen Diensten stand. »Ein Anfang ist gemacht. Eine solche Aufgabe lässt sich nicht über Nacht vollbringen.« »So ist es immer bei Dingen von Wert«, erwiderte Julius leise. Einen Moment sahen sie einander gelassen an, dann nickten beide, und damit war die Unterredung beendet. Der alte Krieger verabschiedete sich mit einem knappen, festen Händedruck und ging hinaus. Julius blieb stehen und starrte auf die Tür, die sich hinter Renius schloss. Tubruk hielt seine Trainingsmethoden für gefährlich und hatte von einem Vorfall erzählt, bei dem die Jungen ohne Überwachung leicht hätten ertrinken können. Julius verzog das Gesicht. Er wusste, wenn er diese Bedenken Renius vortrug, kam das einer Auflösung ihres Abkommens gleich. Den alten Menschenschinder davon abzuhalten, zu weit zu gehen, musste er wohl oder übel seinem Gutsverwalter überlassen. Seufzend setzte er sich hin und grübelte über die Probleme, die ihn in Rom beschäftigten. Cornelius Sullas Macht war weiter gewachsen, nachdem er einige Städte im Süden der Kontrolle ihrer Kaufleute entrissen und dem Schutze Roms unterstellt hatte. Wie hieß die letzte noch einmal? Pompeji, irgendeine Stadt in den Bergen. Mit solchen kleinen Triumphen sorgte Sulla dafür, dass sein Name der geistlosen Öffentlichkeit in Erinnerung blieb. Durch ein Netz aus Lügen, Bestechung und Gefälligkeiten hatte er eine ganze Gruppe Senatoren in der Hand. Sie waren alle noch jung, und der Gedanke an manche von ihnen ließ den alten Soldaten Julius erschauern. Sollte Rom tatsächlich zu seinen Lebzeiten auf diese Weise enden? Statt die Angelegenheiten des Imperiums ernst zu nehmen, lebten sie nur für ihre schmutzigen, zweifelhaften Vergnügungen. Sie beteten im Tempel der Aphrodite und nannten sich »Neue Römer«. Es gab nicht mehr viel, womit man in den Tempeln des Kapitols noch Aufruhr verursachten konnte, aber diese neue Gruppe schien es als ihre Aufgabe zu betrachten, die Grenzen dafür aufzuspüren und sie eine nach der anderen zu überschreiten. Einer der Volkstribunen, der Sulla bei jeder sich bietenden Gelegenheit widersprochen hatte, war ermordet aufgefunden worden. Die Tatsache an sich war nicht einmal so bemerkenswert. Er lag in einem Wasserbecken, das von einer geschickt geöffneten Ader in seinem Bein blutrot gefärbt war, eine an sich nicht ungewöhnliche Todesart. Das Problem dabei war, dass man auch seine Kinder tot aufgefunden hatte, was wie eine Warnung für die anderen wirkte. Es gab weder Indizien noch Zeugen, und es war sehr unwahrscheinlich, dass man die Mörder jemals finden würde. Doch bevor ein anderer Tribun gewählt werden konnte, hatte Sulla eine Resolution durchgebracht, die den Generälen im Feld größere Entscheidungsfreiheit gewährte. Die Notwendigkeit dafür hatte er selbst mit überzeugender Leidenschaft und Eloquenz dargelegt. Der Senat hatte abgestimmt, und wieder war Sullas Einfluss ein Stückchen gewachsen, während die Macht der Republik langsam aber stetig schwand. Julius hatte es zwar bis jetzt geschafft, neutral zu bleiben, aber durch seine Ehe war er mit einem der an dem Machtspiel Beteiligten verwandt; Marius, der Bruder seiner Frau, und so würde er früher oder später Stellung beziehen müssen. Als kluger Mann sah er die Veränderungen kommen, doch es machte ihn traurig, dass die Gleichheit in der Republik von immer mehr Hitzköpfen im Senat als Fesseln empfunden wurde. Auch Marius vertrat die Ansicht, dass ein mächtiger Mann das Gesetz eher für sich selbst nutzen sollte, als ihm nur zu gehorchen. Diese Haltung hatte er bereits unter Beweis gestellt, als er das System zur Wahl der Konsuln zur Farce gemacht hatte. Das römische Gesetz schrieb vor, dass ein Konsul vom Senat nur einmal gewählt werden durfte und dann von seiner Position zurücktreten musste. Durch Siege gegen die Stämme der Kimbern und Teutonen, die er mit der Primigenia Legion vernichtend geschlagen hatte, hatte Marius vor kurzem seine dritte Wiederwahl gesichert. Noch immer war er ein Löwe des aufsteigenden Roms, und Julius würde in seinem Schatten Schutz suchen müssen, falls Cornelius Sulla noch mächtiger wurde. Er würde Gefälligkeiten erweisen müssen und einen Teil seiner Eigenständigkeit verlieren, wenn er sich dem Lager des Marius anschloss, doch es war vielleicht die einzig vernünftige Entscheidung. Er wünschte, er könnte seine Frau um Rat fragen, ihr so wie früher zuhören, wenn ihr wacher Geist einem Problem auf den Grund ging. Stets hatte sie eine bestimmte Fassette einer Frage erkannt, einen besonderen Blickwinkel, den sonst niemand wahrnahm. Er vermisste ihr feinsinniges Lächeln und die Art, wie sie ihm, wenn er müde war, immer die Handflächen auf die Augen legte, und ihm eine wunderbare, friedvolle Kühle schenkte . Leise ging er über den Gang zu Aurelias Gemächern, blieb vor ihrer Tür stehen und lauschte ihren tiefen, gleichmäßigen Atemzügen, die in der Stille kaum zu hören waren. Vorsichtig betrat er den Raum und näherte sich der schlafenden Gestalt. Er küsste sie sanft auf die Stirn, doch sie bewegte sich nicht, und so setzte er sich neben das Bett und betrachtete sie. Im Schlaf sah sie aus wie die Frau, an die er sich erinnerte. Jeden Augenblick konnte sie aufwachen, und ihre Augen würden sich mit Geist und Verstand füllen, und sie würde über ihn lachen, wie er so in der Dunkelheit dasaß. Dann würde sie für ihn die Bettdecke zurückschlagen, damit er sich neben ihren warmen Körper legte. »An wen soll ich mich nur wenden, Liebste?«, flüsterte er. »Wem soll ich meine Unterstützung geben, wem kann ich vertrauen, dass er sich um das Wohlergehen der Stadt und der Republik kümmert? Ich glaube, dein Bruder Marius hält genauso wenig von der Idee wie Sulla.« Nachdenklich rieb er über die Bartstoppeln an seinem Kinn. »Wo finde ich Sicherheit für meine Frau und meinen Sohn? Werfe ich Haus und Familie dem Wolf oder der Schlange zum Fraß vor?« Nur die Stille antwortete ihm. Langsam schüttelte er den Kopf. Er stand auf und küsste Aurelia abermals. Nur noch einen Augenblick lang stellte er sich vor, dass ihn aus ihren Augen jemand ansehen würde, den er kannte. Dann ging er leise hinaus und schloss behutsam die Tür hinter sich. Als Tubruk an diesem Abend seinen Rundgang machte, waren alle Kerzen heruntergebrannt, die Räume lagen in Dunkelheit. Julius saß noch immer in seinem Stuhl, doch seine Augen waren geschlossen und die Brust hob und senkte sich ruhig und gleichmäßig. Nur ein leises Pfeifen aus seiner Nase war zu hören. Tubruk nickte vor sich hin und war froh, dass Julius sich ein wenig von seinen Sorgen ausruhen konnte. Am nächsten Morgen nahm Julius mit den beiden Jungen zusammen ein kleines Frühstück aus Brot, Früchten und warmem Kräutertee gegen die morgendliche Kälte ein. Er hatte die bedrückenden Gedanken des Vortages niedergerungen und saß jetzt aufrecht und mit klarem Blick da. »Ihr seht gesund und stark aus«, sagte er zu den beiden. »Renius macht junge Männer aus euch.« Die Jungen grinsten sich verstohlen an. »Renius sagt, wir sind bald für das Kampftraining bereit. Wir haben bewiesen, dass wir Hitze und Kälte ertragen können, und wir finden allmählich unsere eigenen Stärken und Schwächen heraus. Das ist zwar alles nur innerlich, aber Renius sagt, es ist die Voraussetzung für die äußeren Fertigkeiten.« Gaius plauderte lebhaft und unterstrich seine Worte mit weit ausholenden Gesten. Beide Jungen gewannen zusehends an Selbstvertrauen, und Julius versetzte es einen kurzen Stich, weil er einen Großteil ihrer Entwicklung verpasste. Er sah seinen Sohn an und fragte sich, ob er nicht eines Tages zu einem Fremden heimkehren würde. »Du bist mein Sohn. Renius hat zwar schon viele ausgebildet, aber meinen Sohn noch nicht. Ich glaube, dass du ihn überraschen wirst.« Julius blickte ernst in Gaius’ ungläubiges Gesicht. Er wusste, dass der Junge Lob und Anerkennung nicht gewohnt war. »Ich versuche es. Aber ich glaube, Marcus wird ihn auch überraschen.« Julius sah den anderen Jungen am Tisch nicht an, obwohl er dessen Augen auf sich ruhen fühlte. Verärgert über Gaius’ Versuch, seinen Freund in das Gespräch mit einzubeziehen, und um die Wichtigkeit seiner Aussage zu unterstreichen, antwortete Julius so, als sei Marcus gar nicht da. »Marcus ist nicht mein Sohn. Du trägst meinen Namen, und meinen Ruf dazu. Du allein.« Beschämt senkte Gaius den Kopf, unfähig, dem eigenartig ernsten Blick seines Vaters standzuhalten. »Ja, Vater«, murmelte er und aß weiter. Manchmal wünschte er sich, es gäbe noch andere Kinder, Brüder und Schwestern, mit denen man spielen konnte und mit denen man die Last teilte, den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden. Natürlich hätte er ihnen das Gut nicht überlassen. Es war schon immer nur für ihn bestimmt gewesen, aber manchmal spürte er den auf ihm allein ruhenden Erwartungsdruck wie eine erdrückende Last. Besonders seine Mutter flüsterte ihm, wenn sie ruhig und friedlich war, immer zu, dass er ja das einzige Kind sei, das ihr die Götter zugestanden hatten, ein einziges, vollkommenes Leben. Sie erzählte ihm oft, dass sie gerne Töchter gehabt hätte, die sie hätte herausputzen und an die sie ihr Wissen hätte weitergeben können. Aber das Fieber, das sie bei seiner Geburt befallen hatte, hatte ihr diese Möglichkeit genommen. Renius kam in die warme Küche. Er trug offene Sandalen und eine rote Soldatentunika. Die kurzen Beinlinge, die an den Waden endeten, spannten sich bis zum Zerreißen über den beinahe anstößig dicken Muskeln, die er seinem Leben als Infanterist in der Legion verdankte. Trotz seines Alters schien er vor Gesundheit und Kraft nur so zu strotzen. Mit geradem Rücken und wachem, aufmerksamem Blick blieb er vor dem Tisch stehen. »Herr, mit Eurer Erlaubnis. Die Sonne geht bereits auf und die Jungen müssen fünf Meilen laufen, ehe sie ganz über die Hügel steigt.« Julius nickte. Die beiden Jungen standen auf und warteten darauf, von ihm entlassen zu werden. »Geht und strengt euch an«, sagte er lächelnd. Sein Sohn war ganz bei der Sache, doch in den dunklen Augen und auf der Stirn des anderen Jungen stand noch etwas anderes geschrieben. Zorn? Aber nein, schon war es wieder verflogen. Die beiden stoben davon, und die zwei Männer waren wieder einmal allein. Julius deutete auf den Tisch. »Ich habe gehört, du willst bald mit dem Kampftraining anfangen.« »Sie sind noch nicht stark genug. Vielleicht werden sie das dieses Jahr auch nicht mehr, aber ich bin schließlich nicht nur angestellt worden, um sie ausdauernder zu machen.« »Hast du darüber nachgedacht, ihre Ausbildung über den Jahresvertrag hinaus fortzusetzen?« Julius hoffte, seine beiläufige Miene würde sein Interesse verbergen. »Ich will mich nächstes Jahr aufs Land zurückziehen. An diesem Entschluss dürfte sich so schnell nichts ändern.« »Dann sind diese beiden deine letzten Schüler, dein letztes Vermächtnis an Rom«, erwiderte Julius. Renius erstarrte einen Moment, und Julius’ Gedanken verrieten sich in keinem seiner Gesichtszüge. »Ich denke darüber nach«, sagte Renius schließlich, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und in das graue Morgenlicht hinaustrat. Julius schaute ihm mit einem wölfischen Grinsen nach. 6 »Als Offiziere werdet ihr in den Kampf reiten, aber vom Pferderücken aus zu kämpfen ist nicht unsere größte Stärke. Obwohl wir die Kavallerie für schnelle Vernichtungsangriffe nutzen, sind es die Fußsoldaten der achtundzwanzig Legionen, die den Feind schlagen. Jeder einzelne unserer hundertfünfzigtausend aktiven Legionäre ist dazu im Stande, zu jeder Tages- oder Nachtzeit in voller Rüstung dreißig Meilen zu marschieren. Er trägt dabei zusätzliches Marschgepäck, dessen Gewicht ein Drittel seines eigenen Körpergewichtes beträgt, und nach einem solchen Marsch stellt er sich noch ohne Müdigkeit und ohne Murren dem Feind.« Renius beäugte die beiden Jungen, die in der heißen Nachmittagssonne vor ihm standen. Sie waren gerade von einem Lauf zurückgekehrt und versuchten, ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mehr als drei Jahre hatte er ihnen gegeben, diesen letzten Schülern, die er je unterrichten sollte. Und sie hatten noch so viel zu lernen! Er schritt um sie herum und schnauzte sie an. »Es ist nicht das Glück der Götter, das die Länder dieser Welt in die Hände Roms gelegt hat. Es ist nicht die Schwäche der fremden Stämme, die sie sich in unsere Schwerter stürzen lässt. Es ist unsere Stärke, die größer und tiefgreifender ist als alles, was sie je ins Feld führen können. Das ist unsere allerwichtigste Taktik. Schon bevor unsere Männer das Schlachtfeld überhaupt erreichen, sind sie in ihrer Stärke und ihrem Kampfgeist unzerstörbar. Mehr noch! Sie legen eine Disziplin an den Tag, gegen die alle Armeen der Welt wirkungslos anrennen können. Jeder unserer Männer weiß, dass seine Brüder neben ihm ihn nur dann verlassen, wenn sie getötet werden. Dieses Wissen macht ihn stärker als es die heldenhaftesten Angriffe oder die törichten Schlachtrufe wilder Stämme je könnten. Wir gehen zu Fuß in die Schlacht. Wir stehen aufrecht, und sie sterben.« Gaius’ Atmung beruhigte sich, seine Lunge rang nicht mehr verzweifelt nach Sauerstoff. In den drei Jahren, die seit Renius’ Ankunft auf dem Landgut seines Vaters vergangen waren, war er größer und stärker geworden. Mit jetzt beinahe vierzehn Jahren zeigte er die ersten Anzeichen des Mannes, der er eines Tages sein würde. Von der römischen Sonne braun gebrannt wie helles Eichenholz, stand er vor Renius. Eine schlanke, athletische Gestalt mit kräftigen Schultern und Beinen. Er konnte stundenlang um die Hügel laufen und hatte immer noch Reserven für einen Sprint übrig, wenn das Anwesen seines Vaters wieder in Sicht kam. Auch Marcus hatte sich verändert, sowohl körperlich als auch geistig. Die unschuldige Fröhlichkeit des Knaben, der er einmal gewesen war, zeigte sich nur noch sporadisch. Ohne auch nur ein einziges freundliches Wort hatte Renius ihn in den drei langen Jahren mit der Peitsche gelehrt, seine Gefühle und Reaktionen zu beherrschen. Auch er hatte gut entwickelte Schultern und Arme, die in blitzschnellen Fäusten endeten, mit denen Gaius nicht mehr mithalten konnte. Der Wunsch, endlich alleine bestehen zu können, ohne die Hilfe seiner Verwandten oder der Gönnerschaft anderer, fraß von innen an ihm wie eine ätzende Säure. Weil Renius sie beobachtete, beruhigten sich die beiden Jungen, nahmen Haltung an und musterten ihn aufmerksam. Es war durchaus nicht ungewöhnlich für ihn, urplötzlich in einen schutzlosen Bauch zu boxen, denn er stellte ihre Schwächen immer wieder auf die Probe. »Gladii, meine Herren. Holt eure Schwerter.« Wortlos drehten sie sich um und nahmen die Kurzschwerter von den Haken an der Mauer des Ausbildungshofes. Sie schnallten sich die schweren Ledergürtel um die Taille, an denen lederne »Frösche« als Halterung für das Schwert befestigt waren. Die Schwertscheide passte genau durch den Frosch und wurde mit Schnüren fixiert, damit sie hielt, wenn das Schwert ruckartig gezogen wurde. Ordnungsgemäß gerüstet kehrten sie auf ihre Plätze zurück, nahmen Haltung an und erwarteten den nächsten Befehl. »Gaius, du siehst zu. Ich zeige dir an dem Jungen etwas Grundsätzliches.« Renius lockerte mit einem Knacken seine Schultern und grinste, als Marcus langsam sein Schwert zog. »Erste Position, Junge. Stell dich hin wie ein Soldat, falls du überhaupt weißt, wie das geht.« Marcus entspannte sich und nahm die erste Position ein: die Beine etwa schulterbreit auseinander, den Körper leicht zur Seite gedreht. Das Schwert hielt er in Hüfthöhe, bereit nach den drei Hauptangriffszielen zu schlagen: Unterleib, Bauch und Hals. Unterleib und Hals waren am wichtigsten, weil ein Treffer dort den Gegner innerhalb von Sekunden verbluten ließ. Renius verlagerte das Gewicht, und Marcus’ Schwertspitze folgte seiner Bewegung. »Säbelst du wieder in der Luft herum? Wenn du das tust, sehe ich es sofort und erkenne dein Muster. Ich brauche nur eine winzige Öffnung, um dir die Kehle herauszuschneiden, nur einen einzigen Schlag. Wenn ich erraten kann, wohin du dein Gewicht als Nächstes verlagerst, schlage ich dich in zwei Hälften.« Er schritt langsam im Kreis um Marcus herum, der mit hochgezogenen Augenbrauen über einem ansonsten ausdruckslosen Gesicht ruhig stehen blieb. Renius redete weiter. »Du willst mich töten. Stimmt’s, Junge? Ich kann deinen Hass fühlen. Ich kann ihn fühlen, wie einen guten Wein in meinem Bauch. Ich genieße ihn richtig, Junge. Kannst du dir das vorstellen?« Ohne jegliche Vorwarnung griff Marcus mit einer plötzlichen Bewegung an. Es hatte ihn Hunderte Stunden harten Drill gekostet, alle seine verräterischen »Anzeichen« auszumerzen, diese winzigen Bewegungen der Muskeln, die seine Absicht preisgaben. Egal, wie schnell er war, ein guter Gegner würde ihn töten, wenn er vor jeder Bewegung seine Gedanken so unbedacht preisgab. Renius stand nicht mehr da, wo Marcus’ Gladius hinstieß. Renius’ Schwertspitze war an Marcus’ Kehle. »Schon wieder. Du warst wie immer ungeschickt und langsam. Wenn du nicht schneller wärst als Gaius, wärst du der schlechteste Kämpfer, den ich je gesehen habe.« Marcus stand noch mit offenem Mund da, als er im Bruchteil einer Sekunde den sonnenwarmen Gladius an der Innenseite seines Oberschenkels spürte, an der Schlagader, durch die sein Leben pulsierte. Renius schüttelte angewidert den Kopf. »Niemals dem Gegner zuhören. Gaius schaut zu, und du kämpfst. Du konzentrierst dich auf meine Bewegungen, nicht auf das, was ich sage. Die Worte dienen nur dazu, dich abzulenken. Noch einmal!« Im Schatten des Hofes umkreisten sie einander erneut. »Deine Mutter war im Bett zuerst ein wenig ungeschickt.« Renius’ Schwert schlängelte bei diesen Worten nach vorn, wurde aber mit einem metallischen Klirren zur Seite geschlagen. Marcus sprang vor und drückte seine Klinge an die alte, ledrige Haut von Renius’ Kehle. Sein Gesicht war kalt und unnachgiebig. »Das war vorhersagbar«, murmelte Marcus, trotz aller Selbstkontrolle gereizt. Er hielt dem Blick der kalten, blauen Augen stand. Doch im selben Moment spürte er eine leichte Berührung und sah an sich herunter. In der linken Hand hielt Renius einen Dolch, den er leicht gegen Marcus’ Bauch drückte. Renius grinste. »Viele Männer werden dich so sehr hassen, dass sie dich mitnehmen wollen. Sie laufen dir direkt in die Klinge und blenden dich mit ihren Daumen. Ich habe eine Frau gesehen, die das mit einem meiner Männer gemacht hat.« »Warum hat sie ihn so sehr gehasst?«, fragte Marcus, als er einen Schritt zurücktrat, das Schwert immer noch verteidigungsbereit. »Die Sieger sind immer verhasst. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Wenn die Besiegten dich lieben, dann tun sie zwar, was du willst, aber nur dann, wenn sie es selbst auch wollen. Wenn sie Angst vor dir haben, gehorchen sie deinem Willen, aber dann, wenn du es willst. Was ist also besser? Gefürchtet oder geliebt zu werden?« »Beides«, antwortete Gaius ernst. Renius lächelte. »Du meinst bewundert und respektiert zu werden. Das ist so gut wie unmöglich, wenn du ein Land besetzt, das dir nur aufgrund des Rechts der Stärke und des Blutes gehört. Das Leben ist niemals ein einfaches Problem von Frage und Antwort. Es gibt immer viele Antworten.« Die beiden Jungen blickten ihn verwundert an, und Renius schnaubte verächtlich durch die Nase. »Ich werde euch zeigen, was Disziplin bedeutet. Ich werde euch zeigen, was ihr bereits gelernt habt. Bringt eure Schwerter weg und nehmt wieder Haltung an.« Der alte Gladiator musterte die beiden von oben bis unten mit einem kritischen Blick, doch urplötzlich schlug die Mittagsglocke. Er runzelte die Stirn und seine Haltung veränderte sich von einer Sekunde auf die andere. Seine Stimme hatte den bellenden Unterton des Ausbilders verloren und er sprach ausnahmsweise ruhig und leise. »Es gibt Hungeraufstände in der Stadt, habt ihr das gewusst? Ganze Banden zerstören anderer Leute Eigentum, aber sie laufen wie die Ratten, wenn jemand tapfer genug ist, ein Schwert gegen sie zu erheben. Ich sollte dort sein, und nicht hier mit Kindern spielen. Ich habe euch zwei Jahre länger unterrichtet, als es ursprünglich abgemacht war. Ihr seid zwar immer noch nicht fertig, aber ich werde nicht noch mehr von meinen letzten Jahren an euch verschwenden. Heute ist euer letzter Unterricht.« Er ging auf Gaius zu, der weiter starr geradeaus sah. »Dein Vater hätte sich hier mit mir treffen sollen, um meinen Bericht zu hören. Was sagt mir die Tatsache, dass er zum ersten Mal in drei Jahren zu spät ist?« Gaius räusperte sich. »Die Aufstände in der Stadt sind schlimmer, als du vermutet hast.« »Richtig. Dein Vater kann also nicht dabei sein, wenn ich euch diese letzte Lektion erteile. Das ist schade. Wenn er tot ist und ich dich jetzt töte, wer erbt dann das Gut?« Gaius blinzelte verwirrt. Die Worte des Mannes standen in krassem Gegensatz zu dem ruhigen Tonfall, denn er hörte sich so beiläufig an, als bestellte er eine neue Tunika. »Mein Onkel Marius, obwohl er bei der Primigenia ist, der Legion der Erstgeborenen. Er ist bestimmt nicht darauf gefasst, dass .« »Eine gute Standarte. Die Primigenia hat sich in Ägypten gut geschlagen. Dann stelle ich also ihm deine Ausbildung in Rechnung. In Abwesenheit deines Vaters nehme ich mit dir als dem gegenwärtigen Herrn des Hauses vorlieb. Wenn du bereit dazu bist, wirst du im Ernst gegen mich antreten. Das ist keine Übung mehr, kein Kampf bis zur ersten Wunde, sondern ein richtiger Angriff, wie dir einer blühen könnte, wenn du heute zwischen den Aufständischen durch die Straßen von Rom gehst. Ich kämpfe fair. Wenn du mich tötest, betrachte deine Ausbildung bei mir als bestanden.« »Warum willst du uns töten, nachdem du uns so lange -«, stieß Marcus aufgeregt hervor. Er verstieß damit gegen die eiserne Regel, nie ohne Aufforderung zu sprechen. »An einem bestimmten Punkt muss man dem Tod ins Auge blicken. Ich kann euch nicht länger unterrichten. Jetzt gilt es nur noch, eine letzte Lektion über Furcht und Zorn zu lernen.« Einen Moment lang schien Renius sich seiner selbst nicht sicher zu sein, doch dann hob er energisch den Kopf. Da war sie wieder, die »Schnappschildkröte«, wie ihn die Sklaven nannten; seine Intensität und seine Energie waren überwältigend. »Ihr seid meine letzten Schüler. Wenn ich mich jetzt zur Ruhe setze, hängt mein Ruf von euch jämmerlichen Gestalten ab. Ich lasse euch nicht halb ausgebildet auf die Welt los, damit mein Name eines Tages von euren Taten besudelt wird. Ich habe mein Leben lang meinen guten Namen in Ehren gehalten. Ich denke gar nicht daran, meinen Ruf jetzt noch zu verlieren.« »Wir würden dir niemals Schande machen«, murmelte Marcus beinahe zu sich selbst. Renius fuhr auf ihn los. »Jeder deiner Hiebe beschämt mich. Du hackst drauflos wie ein Metzger, der in einem Wutanfall auf einen Rinderkadaver eindrischt. Du bist nicht in der Lage, dein Temperament zu zügeln. Du fällst auf den einfachsten Trick herein, weil dir das Blut aus dem Gehirn weicht! Und DU ...« Er drehte sich drohend zu Gaius um, der zu grinsen angefangen hatte. »Du kannst deine Gedanken nicht lange genug von deinem Gemächt abwenden, um ein echter Römer zu sein. Bei dem Gedanken, dass Jungen wie ihr mein Erbe, meine Stadt, mein Volk weiterführen, gerinnt mir das Blut in den Adern.« Bei der Anspielung auf das Sklavenmädchen verging Gaius das Grinsen. Renius hatte es vor den Augen der Jungen ausgepeitscht, weil es sie abgelenkt hatte. Gaius schämte sich noch immer dafür, und langsam stieg Wut in ihm empor, während Renius mit seiner Tirade fortfuhr. »Gaius, du darfst wählen, wer von euch sich zuerst mit mir duelliert. Deine erste taktische Entscheidung!« Renius drehte sich um und marschierte auf den Kampfplatz zu, der durch ein Mosaik auf dem Boden gekennzeichnet war. Dort, hinter ihren Rücken, dehnte er seine Beinmuskeln und schien ihre verblüfften Blicke nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. »Er ist verrückt geworden«, flüsterte Marcus. »Er wird uns beide töten.« »Er spielt immer noch seine Spielchen mit uns«, antwortete Gaius grimmig. »Genauso wie damals am Fluss. Ich werde es mit ihm aufnehmen. Ich denke, ich schaffe ihn. Jedenfalls weiche ich nicht vor seiner Herausforderung. Wenn ich ihm damit beweisen kann, dass er mich gut ausgebildet hat, dann soll es eben so sein. Ich werde es ihm mit seinem eigenen Blut danken.« Marcus blickte seinen Freund an und sah die Entschlossenheit in dessen Gesicht. So sehr er sich auch wünschte, dass keiner von ihnen beiden gegen Renius antreten müsste, so genau wusste er auch, dass er selbst eine größere Chance gegen Renius hatte. Sie konnten ihn beide nicht so einfach besiegen, doch nur Marcus war schnell genug, den alten Mann mit sich in den Tod zu reißen. »Lass mich zuerst, Gaius«, murmelte er. Gaius starrte ihn an, als hoffte er, seine Gedanken zu erraten. »Dieses Mal nicht. Du bist mein Freund. Ich will nicht zusehen, wie er dich tötet.« »Ich will auch nicht zusehen, wie er dich tötet. Aber ich bin der Schnellere von uns beiden, ich habe bessere Chancen.« Gaius lockerte die Schultern und lächelte angespannt. »Er ist doch nur ein alter Mann, Marcus. Ich bin gleich wieder da.« Auf dem Kampfplatz nahm Gaius seine Position ein. Renius betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen, weil er gegen die Sonne blinzelte. »Warum hast du dich entschieden, zuerst zu kämpfen?« Gaius zuckte mit den Schultern. »Jedes Leben endet einmal. Ich habe mich entschieden. Das genügt.« »Du hast Recht, das genügt. Fang an, Junge. Lass sehen, ob du etwas gelernt hast.« Langsam und vorsichtig begannen sie einander mit gezogenen Gladii zu umkreisen. Die Klingen glänzten in der Sonne. Mit einer plötzlichen Schulterdrehung versuchte Renius eine Finte. Doch Gaius erkannte das Täuschungsmanöver und drängte den alten Mann durch einen Ausfall einen Schritt zurück. Die Klingen klirrten aufeinander, der Zweikampf hatte begonnen. Sie schlugen zu, parierten, verkeilten sich in einem Knäuel aus angespannten Muskeln ineinander, doch dann stieß der erfahrene Kämpfer den Jungen plötzlich rückwärts in den Staub. Dieses Mal verhöhnte ihn Renius nicht. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Gaius stand langsam wieder auf und fand sein Gleichgewicht wieder. Mit Körperkraft würde er diesen Kampf nicht gewinnen. Er preschte mit zwei schnellen Schritten vor und durchbrach mit seiner Klinge Renius’ Deckung. Der saubere Hieb schnitt tief in die dunkelbraune Haut von Renius’ Brust. Als der Junge seinen Angriff Schlag um Schlag weitertrieb, grunzte der alte Mann überrascht, parierte jedoch mit kleinen Gewichtsverlagerungen und Bewegungen des Schwertes jeden seiner Hiebe. In der heißen Sonne war es nur eine Frage der Zeit, bis der Junge müde wurde, dann war er bereit für das Schlachtermesser. Gaius lief der Schweiß in die Augen. Er war verzweifelt und nicht mehr in der Lage, neue Angriffe zu ersinnen, die gegen dieses unbarmherzige Stück Holz Wirkung zeitigten, diesen stoischen Gegner, der ihn so leicht durchschaute und jeden seiner Angriffe mühelos abwehrte. Wild schlug er drauflos und verfehlte sein Ziel immer wieder. Als er plötzlich das Gleichgewicht verlor, streckte Renius blitzschnell den rechten Arm vor und versenkte die Klinge in Gaius’ ungedecktem Unterleib. Gaius fühlte seine Kräfte schwinden. Er verlor die Kontrolle über seine Beine, die wie kraftlose Stecken einfach unter ihm wegknickten, doch er fühlte keinen Schmerz. Blut spritzte auf den staubigen Boden, aber alle Farbe war aus dem Hof gewichen, war durch das dumpfe Klopfen seines Herzens und die Blitze vor seinen Augen ersetzt worden. Renius blickte auf ihn herab, und Gaius sah einen feuchten Glanz in seinen Augen. Weinte der alte Mann etwa? »Nicht . gut . genug«, stieß der alte Gladiator keuchend hervor. Mit einem schmerzvollen Ausdruck in den Augen trat Renius näher. Die Helligkeit der Sonne wurde von einem dunklen Schatten zerteilt, als Marcus sein Schwert unter die welke Haut unter Renius’ Kinn gleiten ließ. Er stand jetzt einen Schritt hinter ihm und konnte sehen, wie sich der alte Mann vor Überraschung versteifte. »Hast du mich vergessen?« In diesem Moment wäre es ein Leichtes gewesen, die Klinge einfach durchzuziehen und den niederträchtigen alten Mann zu töten, aber Marcus hatte stattdessen auf den Körper seines Freundes geschaut und erkannt, dass das Leben aus ihm herausströmte. Nur einen Moment lang ließ er die Wut in sich zu, und schon war die Gelegenheit eines raschen Todes vertan. Renius wich seitlich aus und hob sein blutiges Schwert. Sein Gesicht schien versteinert, doch seine Augen glänzten. Marcus griff zuerst an, durchbrach die Deckung und zog sich wieder zurück, bevor der Alte überhaupt darauf hatte reagieren können. Hätte Marcus einen tödlichen Schlag anbringen wollen, dann hätte er getroffen, denn der alte Mann blieb mit konzentriertem Gesicht bewegungslos stehen. Aber Marcus’ Schlag war nur ein Anfang, und plötzlich kam wieder Leben in den alten Gladiator. »Kannst du mich noch nicht einmal töten, wenn ich still halte?«, fuhr Renius ihn an und fing wieder an, ihn zu umkreisen, wobei er ihm seine rechte Körperseite zuwendete. »Du warst schon immer ein Narr, und du hast den Stolz eines Narren.« Marcus hätte ihn beinahe angebrüllt, weil Renius ihn zwang, seine Aufmerksamkeit auf ihn zu richten statt auf den Freund, der da allein in der Hitze starb. Stattdessen griff er wieder an und setzte seine Gedanken in Taten um. Kein Überlegen oder Abwägen, nur unerbittliche Hiebe und Attacken. Auf dem alten Körper rissen rote Wunden auf, aus denen Marcus das Blut wie Frühlingsregen auf den staubigen Boden niederprasseln hörte. Renius hatte keine Zeit, erneut zu sprechen. Er verteidigte sich verzweifelt, auf seinem Gesicht spiegelte sich einen Augenblick lang blankes Entsetzen, ehe er wieder seine undurchdringliche Gladiatorenmaske aufsetzte. Marcus bewegte sich mit außergewöhnlicher Anmut und Gewandtheit. Er war zu schnell, um einen Gegenangriff anzubringen, er war der geborene Kämpfer. Wieder und wieder merkte der alte Mann erst am Klirren des aufeinander prallenden Metalls, dass er einen Schlag überhaupt hatte parieren können. Renius’ Körper reagierte und bewegte sich automatisch, ohne mitzudenken. Sein Geist hatte sich völlig vom Kampf gelöst. Eine trockene innere Stimme sagte ihm: Ich bin ein alter Narr. Dieser Junge hier ist wahrscheinlich der beste Kämpfer, den ich je ausgebildet habe. Aber den anderen habe ich getötet - der Treffer war tödlich. Sein linker Arm hing schlaff herunter. Der Schultermuskel war durchtrennt. Der Schmerz traf ihn wie ein Hammerschlag, und plötzlich, als hätten ihn die Jahre endlich doch noch eingeholt, spürte er, wie ihn Erschöpfung übermannte. Der Junge war noch nie zuvor so schnell gewesen, es war, als hätte der Anblick des sterbenden Freundes eine Schleuse in ihm geöffnet. Renius spürte, wie die Kraft in einem langen, verzweifelten Seufzer von ihm wich. Er hatte schon viele Männer an diesem Punkt gesehen, wenn der Geist den Körper nicht mehr weiter tragen konnte. Kraftlos wehrte er die schartige Klinge des Gladius ab, schlug ihn zur Seite und wusste zugleich, dass dies sein letzter Schlag gewesen war. »Hör auf, oder ich strecke dich auf der Stelle nieder«, ertönte plötzlich eine neue Stimme. Sie war nicht laut, schien aber trotzdem über den Hof und das gesamte Anwesen zu tragen. Marcus hörte nicht auf. Er war dazu ausgebildet worden, nicht auf Ablenkungen zu reagieren. Niemand würde ihm diesen letzten tödlichen Schlag nehmen. Er spannte die Schultermuskeln, um die eiserne Klinge in seinem Gegner zu versenken. »Dieser Bogen wird dich töten, Junge. Weg mit dem Schwert.« Renius blickte in Marcus’ Augen und sah einen Moment lang schieren Wahnsinn darin aufleuchten. Er zweifelte nicht daran, dass der Junge ihn töten würde. Dann war das Aufflackern plötzlich verschwunden, und Marcus hatte sich wieder unter Kontrolle. Obwohl sein eigenes Blut warm an seinen Gliedern herabrann, kam Renius der Hof kalt vor. Er sah, wie Marcus sich langsam rückwärts aus seiner Reichweite entfernte und sich dann dem Neuankömmling zuwandte. Nur selten zuvor war Renius sich so sicher gewesen, dass sein Tod unmittelbar bevorstand. Dort blitzte die Pfeilspitze eines Bogens. Ein alter Mann, älter noch als Renius, hielt den Bogen trotz der offensichtlich starken Spannung ohne jedes Muskelzittern fest in den Händen. Er trug eine einfache braune Robe, und ein Lächeln zog einen fast zahnlosen Mund auseinander. »Hier stirbt heute keiner. Das wüsste ich. Leg die Waffe weg, damit ich nach den Ärzten rufen und kühle Getränke für euch herbeischaffen lassen kann.« Mit einem Schlag hatte die Wirklichkeit Marcus wieder eingeholt. Als er zu einer Antwort ansetzte, fiel ihm der Gladius aus der Hand. »Mein Freund Gaius ist verletzt. Er stirbt vielleicht, er braucht Hilfe.« Renius konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel auf die Knie. Das Schwert entglitt seinen gefühllosen Fingern, und der rote Fleck um ihn herum wurde größer, während ihm der Kopf auf die Brust sank. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, schritt Marcus an ihm vorbei zu Gaius. »Ich sehe, dass sein Blinddarm verletzt worden ist«, sagte der alte Mann über die Schulter hinweg zu ihm. »Dann ist er so gut wie tot. Wenn der Blinddarm anschwillt, ist das immer tödlich. Unsere Ärzte können das geschwollene Ding nicht entfernen.« »Mir ist das schon mehr als einmal geglückt. Hol die Haussklaven, sie sollen den Jungen ins Haus tragen. Und bring mir Verbandszeug und heißes Wasser.« »Bist du ein Heilkundiger?«, fragte Marcus den alten Mann und suchte in seinen Augen nach einem Funken Hoffnung. »Auf meinen Reisen habe ich das eine oder andere aufgeschnappt. Noch ist nicht alles verloren.« Ihre Blicke trafen sich. Marcus schaute zur Seite und nickte gedankenverloren. Er vertraute dem Fremden, auch wenn er nicht hätte sagen können, warum. Renius fiel auf den Rücken, seine Brust hob sich kaum noch. Jetzt sah er aus wie das, was er war: Ein morscher, alter, brauner Baumstamm von einem Mann, der in der römischen Sonne hart, aber auch spröde geworden war. Als Marcus’ Blick auf ihn fiel, versuchte er, vor Schwäche zitternd, noch einmal aufzustehen. Eine Hand legte sich mit sanftem Druck auf Marcus’ Schulter und besänftigte die wieder in ihm aufsteigende Wut. Tubruk stand neben ihm, das Gesicht dunkel vor Zorn. Marcus spürte das leise Zittern in der Hand des ehemaligen Gladiators. »Ruhig, mein Junge. Der Kampf ist vorbei. Ich habe nach Lucius und dem Arzt von Gaius’ Mutter geschickt.« »Hast du alles mit angesehen?«, stammelte Marcus. Tubruk verstärkte den Druck seiner Hand. »Nur das Ende. Ich habe gehofft, dass du ihn tötest«, sagte er grimmig und sah dabei zu Renius hinüber, der blutend am Boden lag. Dann drehte sich Tubruk zu dem Neuankömmling um. »Wer bist du, alter Mann? Ein Wilderer? Das hier ist ein privates Anwesen.« Der alte Mann stand ruhig da und hielt Tubruks Blick stand. »Nur ein Reisender, ein Wanderer«, antwortete er. »Wird er sterben?«, warf Marcus ängstlich ein. »Das schon. Aber heute wohl noch nicht«, erwiderte der alte Mann. »Das wäre nicht recht, jetzt, wo ich da bin. Oder bin ich jetzt kein Gast des Hauses?« Marcus blinzelte verwirrt und versuchte, den vernünftigen Klang dieser Worte gegen den Schmerz und die Wut abzuwägen, die immer noch in seinem Inneren tobten. »Ich weiß noch nicht einmal, wie du heißt«, sagte er schließlich. »Ich bin Cabera«, antwortete der alte Mann leise. »Und jetzt gib Frieden. Ich werde euch helfen.« 7 Aufgebrachte Stimmen holten Gaius wieder ins Bewusstsein zurück. In seinem Kopf hämmerte es, und er fühlte sich vollkommen kraftlos. Immer wieder breiteten sich Schmerzen wellenartig von seinem Unterleib aus, die von allen Pulsen seines Körpers mit wütendem Pochen beantwortet wurden. Sein Mund war trocken, er konnte weder sprechen noch die Augen offen halten. Die Dunkelheit war rot und weich, er wollte wieder in ihr versinken, weil er sich noch nicht für die Kämpfe des Bewusstseins bereit fühlte. »Ich habe den durchstoßenen Blinddarm entfernt und die zerschnittenen Adern abgebunden. Er hat viel Blut verloren, und es wird eine Weile dauern, bis es wieder ersetzt ist, aber er ist jung und stark.« Die Stimme eines Fremden ... einer der Ärzte des Gutes? Gaius wusste es nicht, es war ihm auch egal. Wenn er nicht sterben musste, sollten sie ihn doch einfach in Ruhe lassen, damit er wieder gesund werden konnte. »Der Arzt meiner Frau sagt, du bist ein Scharlatan.« Die unerbittliche Stimme seines Vaters. »Er hätte eine solche Wunde nicht operiert. Also hast du nichts verloren, oder? Ich habe schon einmal einen Blinddarm entfernt; die Operation muss nicht tödlich verlaufen. Das Problem ist das Fieber, das noch kommen wird und gegen das er alleine ankämpfen muss.« »Mir wurde gesagt, dieser Eingriff sei stets tödlich. Der Blinddarm schwillt an und platzt. Man kann ihn nicht einfach so entfernen, wie man einen Finger abschneiden würde.« Sein Vater klang müde, dachte Gaius. »Trotzdem habe ich es getan. Ich habe auch den alten Mann verbunden. Auch er wird sich wieder erholen, auch wenn er wohl nie wieder kämpfen wird, so wie seine linke Schulter zugerichtet ist. Alle werden es überleben. Und du solltest jetzt schlafen.« Gaius hörte Schritte näher kommen, spürte die warme, trockene Handfläche seines Vaters auf seiner feuchten Stirn. »Er ist mein einziges Kind, Cabera; wie soll ich da schlafen? Würdest du schlafen, wenn es dein Kind wäre?« »Ich würde schlafen wie ein Neugeborenes. Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht. Ich werde weiter bei ihm wachen, aber du solltest dich ausruhen.« Die andere Stimme schien freundlich, hatte aber nicht den weichen Tonfall der Ärzte, die sich um seine Mutter kümmerten. Man konnte einen fremden Akzent heraushören, einen wohlklingenden Rhythmus. Gaius sank wieder in tiefen Schlaf, als läge ein dunkles Gewicht auf seiner Brust. Während er in Fieberträume hinüberglitt und sekundenweise wieder daraus hervordämmerte, konnte er die Stimmen immer gerade noch wahrnehmen. »Warum hast du die Wunde nicht mit Stichen geschlossen? Ich habe schon viele Wunden von Kämpfen gesehen, aber wir vernähen und verbinden sie .« »Deshalb gefallen dem Griechen meine Methoden auch nicht. Der Eiter, der sich in der Wunde bildet, wenn das Fieber stärker wird, muss abfließen können. Wenn ich sie fest verschließe, kann der Eiter nirgendwohin und vergiftet sein Fleisch. Dann stirbt er mit Sicherheit, so wie die meisten anderen auch. Meine Methode könnte seine Rettung sein.« »Wenn er stirbt, schneide ich dir deinen Blinddarm höchstpersönlich heraus.« Ein meckerndes Lachen ertönte, dann ein paar Worte in einer fremden Sprache, die durch Gaius’ Träume hallten. »Es würde dir schwer fallen, ihn zu finden. Hier ist die Narbe, die ich habe, seit mein Vater meinen vor vielen Jahren entfernt hat ... mit einem Ablauf für den Eiter.« »Ich werde deinem Urteil vertrauen«, erwiderte Gaius’ Vater entschlossen. »Wenn er überlebt, gebührt dir mein Dank und noch mehr.« Gaius erwachte, als eine kühle Hand seine Stirn berührte. Er sah in blaue Augen, die hell in einem walnussfarbenen Gesicht leuchteten. »Ich heiße Cabera, Gaius. Es freut mich, dich endlich kennen zu lernen, und das in einem solchen Augenblick deines Lebens. Ich bin Tausende von Meilen gereist. Dass ich genau in dem Moment angekommen bin, als ich gebraucht wurde, gibt einem den Glauben an die Götter zurück, nicht wahr?« Gaius konnte nicht antworten. Seine Zunge lag dick und reglos in seinem Mund. Als hätte er seine Gedanken gelesen, beugte sich der alte Mann vor und führte eine flache Schale mit Wasser an seine Lippen. »Trink ein bisschen. Das Fieber brennt dir die Feuchtigkeit aus dem Leib.« Die wenigen Tropfen rannen in seinen Mund und lösten den klebrigen Speichel, der sich dort gesammelt hatte. Gaius hustete und schloss die Augen wieder. Cabera sah auf den Jungen hinab und seufzte kurz. Er vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und legte seine knochigen, alten Hände auf die Wunde, rings um das dünne Holzröhrchen, aus dem immer noch eine zähe Flüssigkeit tropfte. Diesen Händen entströmte eine Wärme, die Gaius bis in seine Träume fühlte. Er spürte, wie sich die Hitze bis in seine Brust ausbreitete und sich auf seine Lunge legte, wo sie die Flüssigkeit auflöste. Die Wärme wurde stärker, bis sie fast wehtat. Dann nahm Cabera die Hände weg und blieb regungslos sitzen, nur sein Atem klang plötzlich heiser und stockend. Wieder schlug Gaius die Augen auf. Er fühlte sich immer noch zu schwach, um sich zu bewegen, aber das Gefühl, dass Flüssigkeit in ihm herumschwappte, war verschwunden. Er konnte wieder atmen. »Was hast du getan?«, murmelte er. »Es hat ein wenig geholfen, ja? Du hast etwas Hilfe gebraucht, trotz all meiner Fähigkeiten als Chirurg.« Das alte Gesicht war von der Anstrengung gezeichnet, aber die Augen leuchteten immer noch lebhaft in den dunklen Falten. Die Hand legte sich wieder auf Gaius’ Stirn. »Wer bist du?«, flüsterte dieser. Der alte Mann zuckte die Achseln. »Die Antwort auf diese Frage muss ich selbst noch herausfinden. Ich bin ein Bettler gewesen, und das Oberhaupt eines Dorfes. Ich betrachtete mich als jemanden, der nach Wahrheiten sucht, einer neuen Wahrheit an jedem Ort, an den ich komme.« »Kannst du meiner Mutter helfen?« Gaius hielt die Augen geschlossen, doch er konnte den leisen Seufzer hören, den der Mann ausstieß. »Nein, Gaius. Ihr Leiden liegt in ihrem Geist, vielleicht auch in ihrer Seele. Bei Verletzungen des Körpers kann ich ein wenig helfen, mehr nicht. Das ist viel einfacher. Es tut mir Leid. Schlaf jetzt, mein Junge. Der Schlaf ist der wahre Heiler, nicht ich.« Die Dunkelheit kam wie auf Befehl. Als er wieder erwachte, saß Renius auf dem Bett. Sein Gesicht war so undurchdringlich wie immer. Als Gaius die Augen öffnete, sah er, wie sehr sich sein Lehrer äußerlich verändert hatte. Seine linke Schulter war mit einem großen Verband bedeckt und der Arm eng am Körper festgebunden, und unter der sonnengegerbten Haut war er blass. »Wie geht es dir, mein Junge? Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, dich auf dem Wege der Besserung zu sehen. Dieser alte Wilde muss Wunder vollbringen können.« Wenigstens seine Stimme klang wie immer, kurz angebunden und schroff. »Ja, das ist gut möglich. Ich bin überrascht, dich noch hier zu sehen, nachdem du mich fast umgebracht hast«, murmelte Gaius. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, als die Erinnerungen zurückkehrten. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. »Ich wollte dich nicht so schlimm erwischen. Es war ein Fehler. Tut mir Leid.« Der alte Mann suchte in seinen Augen nach Vergebung und sah, dass sie dort bereits auf ihn wartete. »Es braucht dir nicht Leid zu tun. Ich lebe noch und du lebst noch. Sogar du machst Fehler.« »Als ich dachte, ich hätte dich getötet .« Schmerz malte sich auf dem alten Gesicht. Gaius setzte sich mühsam auf und merkte zu seiner Überraschung, dass er wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war. »Du hast mich nicht getötet. Ich werde immer mit Stolz sagen können, dass du mich ausgebildet hast. Aber jetzt genug der Worte über diese Angelegenheit. Sie ist erledigt.« Einen Augenblick lang war sich Gaius der Lächerlichkeit der Situation bewusst, in der ein dreizehnjähriger Junge den alten Gladiator tröstete, aber die Worte gingen ihm leichter über die Lippen, als ihm deutlich wurde, dass er echte Zuneigung zu diesem Mann empfand, vor allem jetzt, da er ihn als Menschen ansehen konnte, nicht nur als vollkommenen Kämpfer, der aus irgendeinem unbekannten Stein gehauen zu sein schien. »Ist mein Vater noch hier?«, fragte er hoffnungsvoll. Renius schüttelte den Kopf. »Er musste zurück in die Stadt, aber er ist die ersten Tage kaum von deinem Bett gewichen, bis wir sicher sein konnten, dass du gesund werden würdest. Die Aufstände haben sich ausgeweitet, Sullas Legion wurde zurückgerufen, um die Ordnung wiederherzustellen.« Gaius nickte und streckte die geballte Faust vor sich hin. »Ich wäre gerne dabei und würde zusehen, wie die Legion durch die Tore zieht.« Renius lächelte über die Begeisterung des jungen Mannes. »Dieses Mal nicht, glaube ich, aber du wirst mehr von der Stadt zu sehen bekommen, wenn du wieder gesund bist. Tubruk wartet draußen. Bist du kräftig genug, um ihn zu empfangen?« »Ich fühle mich viel besser, fast wieder normal. Wie lange hat es gedauert?« »Eine Woche. Cabera hat dir Kräuter gegeben, damit du schläfst. Trotzdem bist du unglaublich schnell wieder gesund geworden, und ich habe schon viele Wunden gesehen. Der alte Mann nennt sich selbst einen Seher. Ich glaube, dieser Kerl verfügt über magische Kräfte. Aber jetzt werde ich Tubruk rufen.« Als sich Renius erhob, streckte Gaius die Hand aus. »Bleibst du hier?« Renius lächelte, aber er schüttelte dabei den Kopf. »Die Ausbildung ist abgeschlossen. Ich ziehe mich in meine eigene kleine Villa zurück und möchte in Frieden alt werden.« Gaius zögerte einen Augenblick. »Hast du ... eine Familie?« »Ich hatte einmal eine, früher mal, aber sie sind längst tot. Ich werde meine Abende mit anderen alten Männern verbringen, Lügengeschichten erzählen und guten Rotwein trinken. Dein Leben werde ich aber weiterhin verfolgen. Cabera sagt, du bist etwas Besonderes, und ich glaube, dieser alte Teufel täuscht sich nicht sehr oft.« »Danke«, sagte Gaius. Bessere Worte fand er nicht, um auszudrücken, was ihm der alte Gladiator gegeben hatte. Renius nickte und packte Gaius’ Hand und sein Handgelenk mit festem Griff. Dann war er verschwunden, und das Zimmer war plötzlich sehr leer. Tubruks Gestalt füllte den Türrahmen. Der Verwalter lächelte. »Du siehst schon viel besser aus. Du hast Farbe auf den Wangen.« Gaius grinste ihn an und fühlte sich langsam wieder wie er selbst. »Ich bin schon fast wieder bei Kräften. Ich habe Glück gehabt.« »Nichts da. Das hast du Cabera zu verdanken. Was für ein erstaunlicher Mann. Er muss an die achtzig sein, aber als sich der neue Arzt deiner Mutter über deine Behandlung beschwert hat, ist Cabera mit ihm nach draußen gegangen und hat ihm eine Tracht Prügel verpasst. So habe ich schon lange nicht mehr gelacht. In seinen dünnen Ärmchen steckt eine Menge Kraft, außerdem hat er eine verdammt harte Rechte. Das hättest du sehen sollen!« Bei der Erinnerung lachte er leise in sich hinein, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Deine Mutter wollte dich sehen, aber wir dachten, es würde . ihr zu großen Kummer bereiten, ehe es dir wieder besser geht. Ich bringe sie morgen zu dir.« »Jetzt ginge es auch. Ich bin nicht zu müde.« »Nein. Du bist immer noch schwach, und Cabera sagt, du sollst nicht mit Besuchern überanstrengt werden.« Gaius quittierte die Tatsache, dass Tubruk den Rat eines anderen befolgte, mit gespielter Überraschung. Tubruk lächelte wieder. »Nun, wie gesagt, er ist ein erstaunlicher Mann, und nach dem, was er bei dir vollbracht hat, ist sein Wort Gesetz in allen Belangen, die deine Pflege betreffen. Ich habe Renius nur hereingelassen, weil er heute abreist.« »Ich bin froh, dass du das getan hast. Es hätte mir nicht gefallen, wenn das unerledigt geblieben wäre.« »Dachte ich mir.« »Es wundert mich, dass du ihm nicht den Kopf abgerissen hast«, meinte Gaius fröhlich. »Ich habe daran gedacht, aber bei einer solchen Ausbildung können Unfälle passieren. Wie dem auch sei, er ist stolz auf euch beide. Ich glaube, der alte Bastard mag dich, wahrscheinlich wegen deiner Dickköpfigkeit. Ich glaube, darin stehst du ihm in nichts nach.« »Wie geht es Marcus?«, fragte Gaius. »Er kann es natürlich kaum erwarten, zu dir gelassen zu werden. Du könntest versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass es nicht seine Schuld war. Er sagt, er hätte dich zwingen sollen, ihn zuerst kämpfen zu lassen, aber .« »Es war meine Entscheidung, und ich bereue sie nicht. Schließlich habe ich es überlebt.« Tubruk lachte kurz auf. »Jetzt werde mal nicht übermütig. Miterlebt zu haben, wie du eine solche Wunde überstanden hast, lässt einen an die Kraft von Gebeten glauben. Und ohne Cabera hättest du sie nicht überlebt. Du schuldest ihm dein Leben. Dein Vater hat versucht, ihn dazu zu bringen, eine Belohnung anzunehmen, aber außer Kost und Obdach will er nichts. Ich weiß immer noch nicht, warum er hier ist. Es sieht so aus, als ob er wirklich daran glaubt .. dass wir von den Göttern so bewegt werden, wie wir Würfel werfen, und sie wollten eben, dass er die ruhmreiche Stadt Rom sieht, ehe er zu alt dafür ist.« Der kantige Freigelassene sah verwirrt aus, und Gaius hielt es für besser, ihm nichts von der seltsamen Erinnerung an die Wärme von Caberas Händen zu erzählen. Dafür war später zweifellos immer noch Zeit. »Ich lasse dir etwas Suppe bringen. Möchtest du frisches Brot dazu?« Gaius’ Magen stimmte aus vollem Herzen zu, und Tubruk ging, nun wieder mit einem Lächeln. Nur mit Mühe erklomm Renius den Sattel seines Wallachs. Sein linker Arm fühlte sich nutzlos an, und der Schmerz war stärker als das Ziehen bereits verheilender Verwundungen, das er schon so oft gespürt hatte. Er war froh, dass keine Diener oder Sklaven Zeuge seiner Unbeholfenheit wurden. Das große Landhaus schien verlassen. Endlich gelang es ihm, den Rumpf des Pferdes mit beiden Beinen zu umschlingen; die Muskeln trugen sein Gewicht. Obwohl der Abend bereits hereinbrach, würde er es vor der völligen Dunkelheit bis zur Stadt schaffen. Als er daran dachte, entfuhr ihm ein Seufzer. Was blieb ihm jetzt noch? Er würde sein Stadthaus verkaufen, obwohl die Preise während der Aufstände gefallen waren. Vielleicht sollte er warten, bis auf den Straßen wieder Ruhe eingekehrt war. Sulla führte seine Legion in die Stadt, es würde Hinrichtungen und öffentliche Auspeitschungen geben, aber früher oder später würde die Ordnung wiederhergestellt sein. Die Römer schätzten den Krieg vor der eigenen Haustür nicht. Sie hörten gerne von den vernichteten Armeen der Barbaren, aber niemandem gefielen die brutalen Einschränkungen des Kriegsrechts, mit Ausgangssperren und Lebensmittelverknappung, die unweigerlich . Er hörte ein Geräusch hinter sich, das seine Gedanken unterbrach. Dort stand Marcus und betrachtete ihn gelassen. »Ich bin gekommen, um dir Lebewohl zu sagen.« Fast unbewusst nahm Renius die festen Muskeln des Jungen zur Kenntnis, seine gelöste Haltung. Er würde sich einen Namen machen, in einer Zukunft, die der alte Krieger nicht mehr miterleben würde. Ein Schauer durchfuhr ihn bei dem Gedanken. Niemand lebte ewig, kein Alexander, kein Scipio oder Hannibal, nicht einmal ein Renius. »Ich bin froh, dass es Gaius besser geht«, sagte er mit klarer Stimme. »Ich weiß. Ich bin nicht hier, weil ich wütend auf dich bin, sondern um mich zu entschuldigen«, antwortete Marcus und senkte den Blick auf den Sand vor seinen Füßen. Renius hob die Augenbrauen. Marcus atmete tief durch. »Es tut mir Leid, dass ich dich nicht getötet habe, du krankes, böses Stück Dreck. Wenn wir uns in Zukunft noch einmal über den Weg laufen sollten, reiße ich dir die Kehle heraus.« Renius schwankte im Sattel, als wären die Worte Schläge. Er spürte den Hass, und das heiterte ihn unglaublich auf. Fast hätte er laut aufgelacht, als der kleine Gockel seine Drohungen ausstieß, doch ihm wurde klar, dass er seinem Schüler ein letztes Geschenk machen konnte, wenn er seine Worte mit Bedacht wählte. »Ein solcher Hass wird dich umbringen, Junge. Und dann wirst du Gaius nicht mehr beschützen können.« »Ich werde immer für ihn da sein.« »Nein. Nur wenn es dir gelingt, dein Temperament zu zügeln. Wenn du nicht die Ruhe in dir selbst finden kannst, verreckst du irgendwann bei einer Wirtshausrauferei. Du hättest mich getötet, ja; in meinem Alter schwindet die Ausdauer schneller, als ich zugeben mag. Wären wir uns begegnet, als ich noch jünger war, hätte ich dich schneller erledigt als eine Sichel Getreide mäht. Denk daran, wenn du das nächste Mal einem jungen Mann gegenüberstehst, der sich noch einen Namen machen muss.« Nun grinste Renius, und als die Lippen sich zu einer grausamen Fratze verzogen, sah es aus, als erblickte man die Zähne eines Hais. »Vielleicht kommt diese Gelegenheit früher als du glaubst«, sagte Cabera und trat aus dem Schatten. »Was? Hast du etwa zugehört, du alter Teufel?«, fragte Renius, immer noch lächelnd, obwohl seine Miene beim Anblick des Heilers, den er zu schätzen gelernt hatte, sanfter wurde. »Sieh hinüber zur Stadt. Ich glaube, heute Abend reitest du nirgendwo mehr hin«, fuhr Cabera mit ernstem Gesicht fort. Marcus und Renius drehten sich um und blickten zu den Hügeln hinüber. Obwohl Rom hinter den Erhebungen des Landes verborgen war, sah man ein orangefarbenes Leuchten, das immer heller wurde, während sie entsetzt zusahen. »Bei Jupiters Eiern! Sie haben die Stadt in Brand gesteckt!«, entfuhr es Renius. Seine geliebte Stadt! Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, seinem Pferd die Sporen zu geben und seinen Platz in den Straßen einzunehmen. Die Menschen kannten sein Gesicht, er konnte helfen, die Ordnung wiederherzustellen. Eine kühle Hand berührte sein Fußgelenk, und er blickte in das Gesicht des alten Cabera hinab. »Manchmal kann ich in die Zukunft blicken. Wenn du jetzt in die Stadt reitest, bist du noch vor dem Morgengrauen tot. Das ist die Wahrheit.« Renius verlagerte sein Gewicht, und der Wallach, der seine Stimmung spürte, stampfte mit den Hufen im Sand. »Und wenn ich bleibe?«, erwiderte er kurz. Cabera zuckte die Achseln. »Hier stirbst du vielleicht auch. Die Sklaven werden kommen, um den Hof zu plündern. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Bei diesen Worten stockte Marcus der Atem. Auf dem Gut gab es fast fünfhundert Sklaven. Wenn sie alle rebellierten, war ein Blutbad unvermeidlich. Ohne ein weiteres Wort rannte er zu den Häusern und rief nach Tubruk, damit er Alarm schlug. »Darf ich dir beim Absteigen von diesem prächtigen Wallach behilflich sein?«, fragte Cabera mit offenem und unschuldigem Blick. Renius verzog das Gesicht und konnte nun trotz des fröhlichen alten Mannes wieder wie gewohnt wütend werden. »Die Götter verraten uns nicht, was geschehen wird«, sagte er. Cabera lächelte wehmütig. »Das habe ich früher auch geglaubt. Als ich jung und eingebildet war, dachte ich, ich könne irgendwie in den Menschen lesen, ihr wahres Ich sehen und erraten, was sie tun würden. Es hat Jahre gedauert, bis ich demütig genug war, um zu erkennen, dass ich es doch nicht konnte. Es ist nicht so, als würde ich durch ein durchsichtiges Fenster schauen. Ich sehe nur dich und die Stadt an und spüre den Tod. Warum auch nicht? Viele haben Talente, die denjenigen, die sie nicht besitzen, fast wie Magie vorkommen müssen. Betrachte es einfach so, wenn es dir damit besser geht. Komm mit. Du wirst heute Nacht hier gebraucht.« Renius lachte verächtlich. »Vermutlich hast du mit deinem Talent schon eine Menge Geld verdient?« »Ein- oder zweimal, ja, aber das Geld bleibt nicht bei mir. Es sucht sich seinen Weg in die Hände von Weinhändlern, leichten Mädchen und Spielern. Mir sind nur meine Erfahrungen geblieben, aber die sind mehr wert als alle Münzen.« Nach kurzer Überlegung ergriff Renius die ihm angebotene Hand, und ihre Stärke und Festigkeit überraschte ihn nicht, nachdem er gesehen hatte, wie diese schmalen Schultern den schweren Bogen auf dem Übungsplatz gespannt hatten. »Du wirst meine Scheide für mich halten müssen, alter Mann. Sobald ich mein Schwert gezogen habe, komme ich schon alleine klar.« Dann führte er das Pferd zum Stall zurück, streichelte ihm über die Nüstern und murmelte ihm zu, sie würden später aufbrechen, sobald die ganze Aufregung vorbei sei. Einen Augenblick hielt er inne. »Du kannst in die Zukunft sehen?« Cabera grinste und hüpfte vergnügt von einem Fuß auf den anderen. »Du willst wissen, ob du überleben oder hier sterben wirst, ja?«, schnatterte er. »Das fragen alle.« Renius spürte, wie ihn seine gewohnte schlechte Laune mit aller Macht wieder übermannte. »Nein. Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Behalte es für dich, Zauberer.« Er führte das Pferd davon, ohne sich umzudrehen, aber seinen Schultern konnte man seine Verstimmung ansehen. Als er verschwunden war, wurde Caberas Gesicht traurig. Er mochte den Mann und freute sich darüber, dass trotz Geld und Ruhm, die er in seinem Leben angehäuft hatte, immer noch so etwas wie Anstand in Renius’ Herzen zu wohnen schien. »Vielleicht hätte ich dich einfach losreiten und mit den anderen alten Männern sterben lassen sollen. Aber wenn du gegangen wärst, wären auch die Jungen mit Sicherheit umgekommen, also ist das eine Sünde, mit der ich wohl leben kann.« Seine Augen waren ohne Hoffnung, als er zum großen Tor in der Außenmauer des Gutshofes ging und sich daran machte, es zu schließen. Er fragte sich, ob auch er in diesem fremden Land den Tod finden würde, ohne dass man in seiner Heimat etwas davon erfuhr. Er fragte sich, ob der Geist seines Vaters in seiner Nähe war und ihm zusah; höchstwahrscheinlich jedoch nicht. Sein Vater war wenigstens vernünftig genug gewesen, nicht in der Höhle auf die Rückkehr des Bären zu warten. Aus der Ferne erklangen die Hufschläge eines galoppierenden Pferdes. Cabera hielt das Haupttor offen und wartete. Kam da ein erster Angreifer, oder war es ein Bote aus Rom? Er verfluchte seine hellseherische Gabe, die ihm nur bruchstückhafte Einblicke in die Zukunft gewährte, allerdings nie auf etwas, das mit ihm selbst zusammenhing. Doch hier stand er nun und hielt dem Reiter das Tor auf, also würde er keine Warnung erhalten. Seine klarsten Visionen waren die, in denen er selbst nicht vorkam. Wahrscheinlich wollten ihm die Götter damit etwas sagen, aber das war ihm letztendlich ziemlich egal. Er hatte erkannt, dass er nicht das Leben eines Beobachters führen konnte. Ein Schweif aus dunklem Staub folgte dem Reiter, den man in der hereinbrechenden Dunkelheit kaum ausmachen konnte. »Halt das Tor auf!«, befahl eine Stimme. Cabera zog eine Braue empor. Was glaubte der Mann eigentlich, was er hier die ganze Zeit tat? Gaius’ Vater Julius kam durch den Torbogen geprescht. Sein Gesicht war gerötet, und seine feinen Gewänder waren mit Ruß befleckt. »Rom brennt«, sagte er und sprang auch schon aus dem Sattel. »Aber meinen Besitz bekommen sie nicht.« Erst jetzt erkannte er Cabera und klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter. »Wie geht es meinem Sohn?« »Ihm geht es gut. Ich bin .« Cabera verstummte, als jene energische ältere Version von Gaius davonschritt, um die Verteidigung zu organisieren. Tubruks Name hallte durch die Flure des Gutshauses. Einen Augenblick lang blieb Cabera verwirrt stehen. Die Visionen hatten sich ein wenig verändert. Dieser Mann war eine Naturgewalt und konnte vielleicht den Ausschlag zu ihren Gunsten geben. Seine Gedanken verflüchtigten sich, als er draußen auf den Feldern Rufe laut werden hörte. Er murmelte frustriert vor sich hin und stieg auf die Mauer des Anwesens, um seine Augen zu benutzen, wenn schon seine hellseherische Gabe versagt hatte. In allen Himmelsrichtungen herrschte Dunkelheit, doch er konnte kleine Lichtpunkte sehen, die sich durch die Felder bewegten, sich wie Glühwürmchen trafen und zusammenschlossen. Jeder von ihnen war wahrscheinlich eine Lampe oder Fackel, die von einem der aufgebrachten Sklaven getragen wurde, deren Blut von der Hitze in der Luft über der Hauptstadt in Wallung gebracht worden war. Sie marschierten bereits auf das große Gutshaus zu. 8 Alle Bediensteten und Haussklaven hielten ihrem Herrn die Treue. Lucius, der Arzt des Anwesens, packte seine Verbände und alle anderen Utensilien aus und legte gefährlich aussehende Metallwerkzeuge auf einem der großen Küchentische auf einem Stück Stoff bereit. Er schnappte sich zwei Küchenjungen, die sich gerade mit Hackbeilen ausgerüstet nach draußen begeben und am Kampf teilnehmen wollten. »Ihr bleibt hier. Hier habt ihr bald genug zu schneiden und kriegt auch mehr als genug Blut zu sehen.« Sie zögerten, aber Lucius war mehr wie ein alter Freund der Familie. Sein Wort war für sie schon immer Gesetz gewesen. Die Gesetzlosigkeit, die jetzt in Rom regierte, hatte das Gut noch nicht erreicht. Draußen hatte Renius alle im Hof antreten lassen. Mit grimmiger Miene zählte er sie. Neunundzwanzig Männer und siebzehn Frauen. »Wie viele von euch haben in der Armee gedient?«, stieß er hervor. Sechs oder sieben Hände hoben sich. »Ihr Männer bekommt Schwerter. Der Rest von euch geht und sucht alles zusammen, womit man stechen oder schlagen kann. Lauft!« Beim Klang des letzten Wortes erwachten die verängstigten Männer und Frauen aus ihrer Lethargie und rannten davon. Diejenigen, die bereits Waffen gefunden hatten, blieben mit düsteren und ängstlichen Gesichtern zurück. Renius ging auf einen von ihnen zu, einen kleinen, dicken Koch, auf dessen Schulter ein riesiges Hackbeil ruhte. »Wie heißt du?«, fragte er. »Caecilius«, lautete die Antwort. »Ich werde meinen Kindern erzählen, dass ich mit Euch gekämpft habe, wenn alles vorbei ist.« »Das wirst du. Wir müssen keinen Frontalangriff abwehren. Die Angreifer suchen nach Opfern, die leicht auszurauben und zu schänden sind. Ich habe vor, dieses Gut zu einer sehr harten Nuss für sie zu machen, sodass sie es sich noch einmal überlegen werden. Wie ist es um deine Nerven bestellt?« »Gut, Herr. Ich schlachte regelmäßig Schweine und Kälber, also dürfte ich beim Anblick von ein bisschen Blut nicht ohnmächtig werden.« »Das hier ist ein bisschen anders. Diese Schweine haben Schwerter und Keulen. Zögere nicht. Hals und Unterleib. Such dir etwas, womit du einen Schlag abwehren kannst ... so etwas wie einen Schild.« »Jawohl, Herr, sofort.« Der Mann versuchte zu salutieren und Renius zwang sich zu einem Lächeln und schluckte die aufkommende Wut über die ungehobelten Manieren des anderen wieder herunter. Er blickte dem fetten Mann nach, wie er zu den Wirtschaftsgebäuden rannte, und wischte sich die ersten Schweißperlen von der Stirn. Merkwürdig, warum solche Männer verstanden, was Loyalität war, während so viele andere beim ersten Anzeichen von Freiheit alles vergaßen. Er zuckte die Achseln. Manche Männer blieben eben immer Tiere, und andere waren Männer. Marcus kam mit gezogenem Schwert auf den Hof. Er lächelte. »Soll ich neben dir stehen, Renius? Und deine linke Seite für dich decken?« »Wenn ich Hilfe brauche, Kleiner, frage ich dich. Bis es so weit kommt, kannst du zum Tor gehen und Ausschau halten. Ruf mich, wenn du einen größeren Haufen kommen siehst.« Marcus salutierte, viel zackiger als der Koch, aber ein wenig zu lange. Renius konnte seine Unverschämtheit spüren und überlegte, ob er dem Jungen dafür die Zähne einschlagen sollte. Nein, im Augenblick konnte er diese törichte, jugendliche Selbstsicherheit gut gebrauchen. Er würde schon noch früh genug herausfinden, wie es war, jemanden zu töten. Als die Männer zurückkehrten, stellte er sie als Posten auf die Mauern. Sie waren viel zu wenige, doch er glaubte an das, was er zu Caecilius gesagt hatte. Die Außengebäude würden zweifellos niedergebrannt werden; die Kornspeicher würden geplündert und die Tiere geschlachtet werden, aber die Hauptgebäude waren dem Pöbel wohl kaum die Toten wert, die es kosten würde, sie einzunehmen. Eine Armee könnte das Gut in wenigen Minuten erobern, das wusste er wohl, aber hier handelte es sich um Sklaven, die berauscht waren von gestohlenem Wein und einer Freiheit, die sich in der Morgensonne wieder in Nichts auflösen würde. Ein starker Mann mit einem guten Schwertarm und einem unbarmherzigen Temperament konnte so eine wilde Meute durchaus aufhalten. Von Julius und Cabera war immer noch nichts zu sehen. Ohne Zweifel legte der Erstere gerade seinen Brustpanzer und seine Beinschienen an, die vollständige Uniform. Doch wohin war der alte Heiler verschwunden? Sein Bogen dürfte sich in den ersten Minuten des Blutvergießens als wirkungsvolle Waffe erweisen. Die Männer auf den Mauern schnatterten aufgeregt und nervös durcheinander wie eine Schar Gänse. »Ruhe!«, brüllte Renius. »Der Nächste, der etwas sagt, kommt herunter und hat sich hier vor mir zu verantworten.« Jetzt, wo das Geschnatter plötzlich verstummt war, konnten sie wieder die Schreie und Rufe der Sklaven in den Feldern draußen hören. »Wir müssen hören können, was draußen passiert. Seid still und macht eure Muskeln warm. Haltet Abstand zu eurem Nebenmann, damit ihr ausholen könnt, ohne ihm den Kopf abzuschneiden.« Die kleinen Grüppchen der Männer, die sich gebildet hatten, weil keiner alleine sein wollte, lösten sich auf. In den Augen aller war Furcht zu sehen. Renius fluchte leise vor sich hin. Mit zehn guten Männern aus seiner alten Legion könnte er den Hof bis zum Morgengrauen halten. Das hier waren nur Kinder mit Stöcken und Messern. Er atmete tief durch und suchte nach Worten, mit denen er ihnen Mut machen konnte. Selbst die eisernen Legionen hatten Ansprachen gebraucht, damit sie richtig heiß wurden, obwohl sie auf ihre Fähigkeiten vertrauen konnten. »Ihr könnt nirgendwohin fliehen. Wenn der Pöbel an euch vorbeikommt, müssen alle in diesem Haus sterben. Das ist eure Verantwortung. Ihr dürft euren Posten nicht verlassen, wir sind ohnehin viel zu wenige. Die Mauer ist nur vier Fuß breit, das ist ein langer Schritt. Prägt euch das ein - wenn ihr weiter als einen Schritt zurückweicht, fallt ihr hinunter.« Er sah, wie sich die Männer auf der Mauer hin und her bewegten und sich mit der Breite vertraut machten. Seine Gesichtszüge versteinerten. »Ich lasse ein paar Kämpfer hier unten im Hof, die sich um jeden kümmern, der es über die Mauer schafft. Schaut nicht nach unten, selbst dann nicht, wenn ihr seht, dass eure Freunde vor euren Augen umgebracht werden.« Cabera kam mit dem frisch gespannten Bogen in der Hand aus einem Gebäude. »So machst du ihnen Mut? Gründet sich euer Imperium auf solche Ansprachen?«, sagte er leise. Renius blickte ihn finster an. »Ich habe noch nie eine Schlacht verloren. Weder mit meiner Legion noch in der Arena. Noch nie ist ein Mann, der unter meinem Kommando stand, davongelaufen oder schwach geworden. Wenn du wegrennst, musst du an mir vorbei, und ich renne bestimmt nicht weg.« »Ich werde nicht weglaufen«, sagte Marcus deutlich in die Stille hinein. Renius sah ihm in die Augen und entdeckte dort eine Ahnung von jenem Wahnsinn, der ihm schon früher aufgefallen war. »Ich auch nicht, Renius«, sagte ein anderer. Die anderen nickten alle und murmelten leise, eher wollten sie sterben, doch in ein paar Gesichtern stand immer noch die blanke Angst geschrieben. »Eure Kinder, eure Brüder, eure Väter werden euch fragen, was ihr getan habt. Sorgt dafür, dass ihr ihnen in die Augen blicken könnt.« Köpfe nickten und Schultern strafften sich. »Schon besser«, sagte Cabera leise. Julius trat mit lockerem Schritt durch die offene Tür in den Hof hinaus. Sein Brustpanzer und seine Beinschienen waren geölt und geschmeidig. Die kurze Schwertscheide schwang im Takt seiner Schritte. Sein Gesicht war eine brutale Maske, hinter der unmissverständlich eine innere Wut brannte. Die Männer auf den Mauern wendeten sich von ihm ab und blickten hinaus über die Felder. »Ich will den Kopf jedes Mannes, der sich nicht innerhalb dieser Mauern befindet«, knurrte er. Cabera schüttelte schnell den Kopf. Er wollte dem Mann nicht widersprechen, während alle auf den Mauern zuhörten. »Herr«, flüsterte er. »Sie haben alle Freunde draußen. Gute Männer und Frauen, die in der Falle sitzen oder sich nicht zu Euch durchkämpfen können. Eine solche Drohung schadet ihrer Kampfmoral.« »Es ist mein Wunsch. Jeder Mann außerhalb dieser Mauern wird getötet, und ich werde ihre Köpfe innerhalb der Tore aufstapeln! Dies ist mein Heim, und Rom ist meine Stadt. Wir werden den Abschaum, der die Häuser niederbrennt, wie ein Geschwür herausschneiden und im Wind verstreuen! Hast du mich verstanden, kleiner Mann?« Seine innere Wut steigerte sich zur Weißglut. Renius und Cabera starrten ihm nach, als er die Treppe in einer Ecke des Hofes hinaufstieg und die Mauern entlang ging, Befehle erteilte und Nachlässigkeiten aufzeigte. »Für einen Politiker hat er eine ungewöhnliche Art, an Probleme heranzugehen«, sagte Cabera leise. »In Rom gibt es viele Männer wie ihn. Deshalb, mein Freund, haben wir nicht nur leere Worte, sondern ein Imperium.« Renius lächelte sein Hailächeln und ging hinüber zu den Frauen, die in einer Gruppe warteten und sich leise unterhielten. »Was können wir tun?«, fragte ein Sklavenmädchen. Er erkannte sie. Es war das Mädchen, das er vor so vielen Monaten ausgepeitscht hatte, weil es die Jungen beim Üben abgelenkt hatte. Ihr Name war Alexandria, fiel ihm wieder ein. Während die anderen seinem Blick auswichen, wie es sich für Haussklaven gehörte, schaute sie ihm unverwandt in die Augen und wartete auf eine Antwort. »Holt euch Messer. Falls es jemand über die Mauer schafft, müsst ihr euch auf ihn stürzen und zustechen, bis er tot ist.« Einigen der älteren Frauen verschlug es den Atem, und eine von ihnen sah aus, als sei ihr ein wenig übel. »Willst du geschändet und umgebracht werden? Ihr Götter, Weib, ich verlange ja nicht, dass ihr euch auf die Mauern stellt, sondern nur, dass ihr uns den Rücken freihaltet. Wir haben zu wenig Männer, um auch noch welche hier unten zu eurem Schutz aufzustellen!« Er hatte für ihre Weichheit nichts übrig. Im Bett waren sie gut, aber wenn man sich auf eine verlassen musste ... allmächtige Götter! Alexandria nickte. »Messer. Im Stall liegt noch eine Holzaxt, falls sie sich nicht schon jemand anderes geholt hat. Geh ein paar Messer suchen, Susanna. Und mach schnell.« Eine matronenhafte Frau eilte davon, immer noch etwas blass um die Nase. »Sollen wir Wasser tragen? Pfeile? Feuer? Können wir sonst noch irgendetwas tun?« »Nichts«, antwortete Renius, der die Geduld verlor, knapp. »Bringt nur alle um, die im Hof landen. Stecht ihnen ein Messer in die Kehle, ehe sie wieder auf die Füße kommen. Es geht zehn Fuß hinunter, da brauchen sie einen Augenblick, um wieder zu sich zu kommen, und in diesem Augenblick müsst ihr zuschlagen.« »Wir werden dich nicht enttäuschen, Herr«, antwortete Alexandria. Er blickte ihr noch einen Augenblick länger in die Augen und bemerkte das Aufblitzen des Hasses, das durch ihr ruhiges Äußeres drang. Allem Anschein nach hatte er hier drinnen mehr Feinde als außerhalb der Mauern! »Das will ich auch hoffen«, sagte er schroff und wandte sich ab. Der Koch war mit einer großen Metallplatte zurückgekehrt, die er sich vor die Brust geschnallt hatte. Seine Begeisterung war peinlich, doch Renius klopfte ihm auf die Schulter und ging weiter zu den anderen. Tubruk stand neben Cabera, einen gespannten Bogen in den großen Händen. »Der alte Lucius ist ein guter Bogenschütze, aber er ist in der Küche und bereitet alles für die Versorgung der Verwundeten vor«, sagte er mit finsterem Gesicht. »Hol ihn her. Er kann später wieder runterklettern, wenn er seine Aufgabe erledigt hat«, erwiderte Renius, ohne ihn anzusehen. Er ließ den Blick über die Mauern schweifen, merkte sich die Posten, suchte nach Anzeichen von schwachen Nerven. Einem richtigen Angriff konnten sie nicht standhalten, deshalb betete er zu seinem Hausgott, dass die Sklaven draußen keinen zuwege brachten. »Haben die Sklaven Bögen?«, fragte er Tubruk. »Einen oder zwei kleine für die Hasenjagd vielleicht. Auf dem ganzen Gut gibt es keinen anständigen Bogen außer diesem hier. Und den von Cabera.« »Gut. Sonst könnten sie uns einen nach dem anderen abschießen. Wir werden bald die Fackeln im Hof anzünden müssen, damit die zweite Reihe genug Licht zum Töten hat. Dann heben sich die Männer vor dem Lichtschein ab. Aber sie können nicht im Dunkeln kämpfen. Dieser Haufen hier nicht.« »Vielleicht überraschen sie dich ja, Renius. Dein Name besitzt immer noch viel Macht. Erinnerst du dich an die Menge bei den Spielen? Jeder Mann hier hat den kommenden Generationen seiner Familie eine Geschichte zu erzählen. Wenn er überlebt.« Renius schnaubte. »Du solltest jetzt lieber auf die Mauer steigen. Dort drüben ist noch eine Lücke.« Tubruk schüttelte den Kopf. »Die anderen haben dich als Anführer akzeptiert, das weiß ich. Selbst Julius wird auf dich hören, wenn er sich erst einmal beruhigt hat. Ich bleibe bei Marcus, um ihn zu beschützen. Mit deiner Erlaubnis?« Renius starrte ihn an. Klappte heute denn überhaupt nichts? Fette Köche, Mädchen mit Messern, anmaßende Kinder? Und jetzt wurden kurz vor dem Kampf seine Befehle ignoriert? Seine rechte Faust schnellte zu einem krachenden Haken nach oben, der Tubruk rückwärts durch die Luft zu schleudern schien. Der Verwalter landete regungslos im Staub. Renius achtete nicht weiter auf ihn und wandte sich an Cabera. »Wenn er wieder aufwacht, dann sag ihm, der Junge kann auf sich selbst aufpassen. Sag ihm, er soll seinen Posten einnehmen, sonst bringe ich ihn um.« Cabera lächelte mit großen Augen, doch das Gesicht des alten Manns war wie der Winter. Aus der Ferne hörte man den Lärm von Metall, das gegen Metall geschlagen wurde. Die Geräusche wurden lauter, Gesänge erfüllten die schwarze Nacht. Als die ersten Sklaven die Mauern des Anwesens erreichten, wurden die Fackeln entzündet. Hinter den Landsklaven folgten Hunderte ihrer Genossen aus Rom, die alles niederbrannten, was ihnen in die Hände fiel. 9 Fast wäre alles vorbei gewesen, ehe es richtig begonnen hatte. Wie von Renius vorausgesagt, hatten die Sklaven, die vor den Mauern des Hofes zusammenströmten, keine Ahnung, wie man bewaffnete Verteidiger überwältigte, und liefen stattdessen johlend und schreiend durcheinander. Obwohl das die perfekte Gelegenheit für die Bogenschützen gewesen wäre, hatte Renius mit einem Blick zu Cabera und Lucius den Kopf geschüttelt, woraufhin die beiden mit eingelegten Pfeilen und kaltem Blick zusahen. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass die Sklaven sich ein einfacheres Ziel suchten, und ein paar Pfeile konnten ihren Zorn schnell in blinde Raserei umschlagen lassen. »Öffnet das Tor!«, schrie jemand aus der Menge der Fackelträger. In dem flackernden Licht sah das Ganze beinahe wie ein Festumzug aus, wenn nicht der brutale Ausdruck in den Mienen der Angreifer gewesen wäre. Renius beobachtete sie und wog die Möglichkeiten ab. Immer mehr potenzielle Angreifer stießen von hinten dazu. Es waren offensichtlich schon jetzt mehr, als auf einem kleinen Landgut leben und arbeiten konnten. Ausgebrochene Sklaven aus Rom, die nichts mehr zu verlieren hatten, ließen die Menge anwachsen und trugen Hass und Gewalt dorthin, wo sonst vielleicht die Vernunft obsiegt hätte. Diejenigen in den vorderen Reihen wurden weiter vorwärts gedrängt, und Renius hob den Arm, bereit, seine beiden einsamen Bogenschützen die ersten Pfeile in die Menge schießen zu lassen. Auf diese Entfernung konnten sie kaum danebenschießen. Ein Mann trat vor. Er war muskulös und trug einen dichten, schwarzen Bart, mit dem er wie ein Barbar aussah. Vor ein paar Tagen hatte er wahrscheinlich noch geduldig Steine in einem Steinbruch geschleppt oder Pferde für einen nachsichtigen Herren trainiert. Jetzt war seine Brust vom Blut eines anderen Menschen befleckt und sein Gesicht von einem hasserfüllten Grinsen verzerrt. Seine Augen glänzten im Licht seiner Fackel. »Ihr dort auf den Mauern! Ihr seid Sklaven wie wir. Tötet die, die sich für etwas Besseres halten. Tötet sie alle, und wir heißen euch als Freunde willkommen.« Renius ließ seinen Arm fallen, und Cabera jagte dem Mann einen gefiederten Pfeil durch den Hals. In dem Augenblick der Stille brüllte Renius die Sklavenmenge an: »Das bekommt ihr von mir. Ich bin Renius, und hier kommt ihr nicht herein. Geht nach Hause und wartet auf Gerechtigkeit!« »Gerechtigkeit wie diese?«, schrie jemand wütend. Ein anderer Mann rannte auf die Mauer zu, sprang in die Höhe und versuchte, die Mauerkante zu erreichen. Der Augenblick war gekommen. Die Meute heulte auf und warf sich nach vorne. Nur wenige waren mit Schwertern bewaffnet, die meisten hatten, wie die Verteidiger, nur das, was sie hatten finden können. Manche hatten nichts als ihre rasende Wut, und Renius erledigte den Ersten von ihnen mit einem glatten Hieb in den Hals, ohne auf die zitternden Finger zu achten, die nach seinem Brustpanzer grabschten. Von überall drangen jetzt Schreie durch den Lärm von Metall auf Metall und Metall auf Fleisch. Renius sah, wie Cabera den Bogen fallen ließ und einen gefährlich aussehenden Dolch zog, mit dem er zustieß und sofort wieder zurücksprang, sodass die Toten auf die Nachdrängenden zurückfielen. Der alte Mann trat auf Finger, die sich immer leichter an der Mauer festhalten konnten, weil die Körper der Toten nun als Stufen für neue Angreifer dienten. Renius wurde ein wenig schwindlig. Als er die plötzliche Wärme der Verbände spürte, die von einem stechenden Schmerz begleitet war, wusste er, dass seine Schulterwunde wieder aufgebrochen war. Er biss die Zähne zusammen und rammte einem Mann seinen Gladius in den Bauch; fast verlor er seine Waffe in den schlüpfrigen Eingeweiden, als der Getroffene nach hinten umfiel. Ein weiterer nahm seinen Platz ein, und noch einer. Renius konnte kein Ende erkennen. Er bekam einen Schlag mit einer Holzlatte ab, der ihn einen Augenblick lang betäubte. Taumelnd stolperte er rückwärts und versuchte die Kraft zu finden, sein Schwert zu heben, um sich dem Nächsten zu stellen. Seine Muskeln schmerzten, und die Erschöpfung, die er bei dem Kampf gegen Marcus gespürt hatte, überfiel ihn wieder. »Ich bin zu alt für so was«, murmelte er und spuckte Blut über sein Kinn. Links von sich sah er eine Bewegung, und er schwang sein Schwert, um sie abzuwehren, aber zu langsam. Es war Marcus, der ihn angrinste. Er war blutverschmiert und sah aus wie ein Dämon aus den alten Mythen. »Ich mache mir ein bisschen Sorgen wegen meiner unteren Deckung«, sagte er. »Ob du mal ein Auge darauf haben könntest? Und mir dann sagen, wo das Problem liegt?« Während er sprach, rammte er einen Mann, der sich gerade aufzurichten versuchte, mit der Schulter. Der Mann stolperte rückwärts, fiel und landete mit einem Schrei auf dem Kopf. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst deinen Posten nicht verlassen«, sagte Renius keuchend und versuchte, seine Schwäche zu verbergen. »Du wärst fast getötet worden. Diese Ehre gebührt mir. So etwas darf man nicht mutterlosem Abschaum wie diesem hier überlassen, finde ich!« Er deutete mit einer Kopfbewegung zur anderen Seite des Tores, wo Caecilius, den die meisten nur als »den Koch« kannten, breit grinste und wild um sich hieb. »Nur her mit euch, ihr Schweine! Her mit euch, ihr Ochsen. Ich hack euch in Stücke!« Unter all dem Fett mussten Muskeln lauern, denn er schwang das riesige Beil, als wäre es aus leichtem Holz. »Der Koch hält sie auch ohne mich auf. Er scheint sich in seinem ganzen Leben noch nie so gut amüsiert zu haben«, fuhr Marcus fröhlich fort. Drei Männer setzten gleichzeitig von dem Leichenberg aus, der jetzt schon die halbe Höhe der Mauer erreicht hatte, über die Mauer. Der erste schlug mit seinem Schwert nach Marcus, der ihm sein eigenes von der Seite in die Brust stieß. Vom eigenen Schwung mitgerissen, stürzte der Mann auf die Pflastersteine unten im Hof. Den zweiten erledigte Marcus mit einem Rückhandstreich, der den Mann in Augenhöhe traf und durch Fleisch und Knochen drang. Er war augenblicklich tot. Der dritte Mann griff mit einem Schrei der Begeisterung Renius an. Er hatte den alten Mann erkannt und erzählte in Gedanken offensichtlich schon seinen Freunden von seiner Tat, als Renius ihm das Schwert unter seiner Deckung hindurch in die Brust jagte. Renius ließ den Mann fallen und zog sein Schwert heraus. Sein linker Arm schmerzte jetzt wieder, diesmal jedoch war es ein tiefer Schmerz. Seine Brust pochte vor Schmerzen, und er stöhnte. »Bist du verletzt?«, fragte Marcus, ohne den Blick von der Mauer zu nehmen. »Nein. Zurück auf deinen Posten!«, erwiderte der Ältere barsch, doch mit plötzlich sehr grauem Gesicht. Marcus sah ihn einen langen Augenblick an. »Ich glaube, ich bleibe noch ein bisschen hier«, sagte er leise. Weitere Männer kamen über die Mauer, und sein Schwert tanzte unaufhaltsam von einer Kehle zur anderen. Gaius’ Vater nahm kaum Notiz von denjenigen, die durch sein Schwert fielen. Er kämpfte so, wie man es ihm beigebracht hatte: Stoß, Deckung, Rückhand. Unten vor dem Tor stapelten sich die Leichen am höchsten, und eine innere Stimme sagte ihm, dass sie inzwischen längst aufgegeben haben müssten. Schließlich waren es nur Sklaven. Sie mussten nicht über die Mauer kommen. Warum gaben sie nicht auf? Wenn das alles vorbei war, würde er die Mauer auf drei Mannslängen aufstocken lassen. Es schien gerade so, als stürzten sie sich in sein Schwert, das von ihrem Blut nass wurde, die Mauer und die Tore bespritzte und auch ihn durchnässte. Seine Schulter schmerzte und sein Arm war bleischwer. Nur seine Beine bewegten sich immer noch voller Kraft unter ihm. Der Pöbel musste doch bald aufgeben und sich leichtere Opfer suchen, oder? Er bewegte sich im tödlichen Rhythmus der Legionäre - zustoßen, parieren, Rückhand, aber immer mehr Angreifer erkletterten die Berge menschlichen Fleisches, um in den Gutshof zu gelangen. Sein Schwert war inzwischen an den Knochen und Klingen stumpf geworden, und sein erster Schlag fügte einem Mann, der sich auf ihn stürzte, nur einen Kratzer zu. Ein Dolch durchbohrte die harten Muskeln seines Bauchs, und er stöhnte vor Schmerz auf, während er dem Mann sein Schwert in den Rachen trieb. Alexandria stand an einer dunklen Stelle im Hof. Die anderen Frauen weinten leise vor sich hin. Eine betete. Sie beobachtete, wie Renius immer müder wurde und war enttäuscht, als der junge Marcus herbeieilte, um ihn zu retten. Sie fragte sich, warum er das getan hatte, und staunte mit großen Augen, als sie den Unterschied zwischen ihnen sah. Auf der einen Seite der ergraute Krieger, ein Veteran aus tausend Kämpfen, mühsam und von Schmerzen gezeichnet. Marcus dagegen mordete mit besonnenen Bewegungen und brachte den Sklaven lächelnd mit seinem Schwert den Tod. Es spielte keine Rolle, ob sie Schwerter oder Keulen hatten. Er ließ sie unbeholfen aussehen und raubte ihnen dann mit einem Schnitt oder Schlag die Kraft. Einer von ihnen hatte offensichtlich überhaupt nicht bemerkt, dass er starb. Das Blut strömte aus seiner Brust, doch immer wieder schlug er mit einem zerbrochenen Speer zu, sein Gesicht vom Wahnsinn verzerrt. Neugierig versuchte Alexandria das Gesicht des Mannes zu sehen, und sie erlebte den Augenblick mit, als er den Schmerz spürte und die Dunkelheit nahen sah. Ihr ganzes Leben lang hatte sie Geschichten von der Kraft und dem Ruhm der Männer gehört, und jetzt schienen sie über diesem Gemetzel zu schweben und irgendwie nicht ganz zur Wirklichkeit zu passen. Sie hielt Ausschau nach Augenblicken der Kameradschaft, nach Tapferkeit im Angesicht des Todes, aber hier unten in der Dunkelheit konnte sie nichts davon entdecken. Der Koch genoss den Kampf, das war offensichtlich. Er hatte angefangen, ein vulgäres Lied von einem Markttag und hübschen Mädchen zu singen, und er brüllte den Refrain mit mehr Lautstärke als Melodie in die Nacht, während er sein Beil in Schädel und Schultern hieb. Männer starben unter seiner Klinge, und sein Lied wurde immer heiserer, während sie fielen. Zu ihrer Linken stürzte einer der Verteidiger vom Laufgang in den Hof. Er machte keinerlei Anstalten, sich vor dem Aufprall zu schützen, sein Kopf schlug mit einem nassen Geräusch auf den harten Steinen auf. Alexandria schauderte. In der Dunkelheit tastete sie nach der Schulter einer anderen Frau. Wer immer es auch sein mochte, sie schluchzte leise vor sich hin. Dafür war jetzt keine Zeit. »Schnell! Sie kommen durch die Lücke!«, zischte sie und zog die andere mit sich, weil sie es sich nicht zutraute, diese Aufgabe allein zu übernehmen. Während sie liefen, hörte man von einer anderen Stelle der Mauer einen weiteren knirschenden Aufprall. Triumphgeschrei erschallte. Ein Mann kletterte herunter, hing einen Augenblick lang in der Luft, ehe er losließ und sich die letzten paar Fuß fallen ließ. Er wirbelte herum, wie ein wilder, blutiger Albtraum, und in dem Moment, in dem seine Augen aufleuchteten, weil er keine Verteidiger vor sich sah, rammte ihm Alexandria ihre Klinge ins Herz. Das Leben entwich ihm mit einem Seufzer, und ein weiterer Mann landete ganz in der Nähe auf den Pflastersteinen. Das Brechen seines Knöchels war sogar durch das Geschrei vor den Mauern hindurch zu hören. Die matronenhafte Susanna, die sonst bei Festbanketten den Tisch ihres Herren mit so viel Sorgfalt deckte, schnitt ihm mit einem Abhäutemesser die Kehle durch und ließ ihn einfach liegen, während er hinter ihr im Todeskampf zuckte. Alexandria blickte hinauf zu dem hellen Ring der Fackeln. Die hatten wenigstens Licht! Wie schrecklich es war, im Dunkeln zu sterben. »Mehr Fackeln hierher!«, schrie sie, in der Hoffnung, jemand würde antworten. Hände ergriffen sie von hinten, und ihr Kopf wurde zu einer Seite gerissen. Sie verkrampfte sich in der Erwartung des schrecklichen Schmerzes, der gleich kommen würde, aber plötzlich fiel das Gewicht von ihren Schultern ab, und als sie sich umdrehte, erblickte sie Susanna, deren Messerhand von frischer, roter Nässe bedeckt worden war. »Nicht den Mut verlieren, Liebes. Die Nacht ist noch nicht zu Ende.« Susanna lächelte, und Alexandrias Panik verging. Sie sah sich wie die anderen auf dem Hof um und erschrak kaum noch, als ein weiterer Verteidiger fiel. Dieser schrie auf, als er auf dem Hof aufschlug. Dieses Mal drangen drei Männer durch die Lücke, die er hinterlassen hatte, und man konnte zwei weitere sehen, die sich über die rutschigen Leichen kämpften. Alle Frauen zogen ihre Messer. Selbst hier in der Finsternis des Hofs fiel das Licht der Fackeln auf die Klingen. Ehe sich die Männer an die Dunkelheit gewöhnt hatten, hatten sich die Frauen schon auf sie gestürzt, umklammerten sie und stachen auf sie ein. Gaius schreckte aus dem Schlaf. Seine Mutter Aurelia saß mit einem feuchten Tuch in der Hand an seinem Bett. Die Berührung hatte ihn geweckt, und als er sie anblickte, drückte sie es ihm gegen die Stirn und summte leise vor sich hin. In der Ferne hörte er Schreie und unmissverständlichen Kampflärm. Wie hatte er bei diesem Krach schlafen können? Cabera hatte ihm einen warmen Trunk verabreicht, als der Abend hereinbrach. Da musste wohl etwas drin gewesen sein. »Was ist denn los, Mutter? Ich höre einen Kampf.« Aurelia lächelte ihn traurig an. »Still, mein Liebling. Du darfst dich nicht aufregen. Dein Leben schwindet dahin, und ich bin hier, damit du deine letzten Stunden in Frieden verbringen kannst.« Gaius wurde ein wenig blass. Nein, er fühlte sich schwach, aber gesund. »Ich sterbe nicht. Ich werde wieder gesund. Also, was ist da draußen auf dem Hof los? Ich sollte lieber hinausgehen!« »Psst, psst. Ich weiß, sie haben gesagt, dass es dir besser geht, aber ich weiß auch, dass sie mich anlügen. Jetzt sei still, damit ich dir die Stirn kühlen kann.« Gaius starrte sie ungläubig an. Sein ganzes Leben hatte sich diese geistlos umherirrende Närrin in den Vordergrund geschoben und die lebhafte, intelligente Frau verdrängt, die ihm fehlte. Schon jetzt fürchtete er den Schreikrampf, der auf ein falsches Wort von ihm folgen würde. »Ich möchte die Nachtluft auf meiner Haut spüren, Mutter. Ein letztes Mal. Lass mich bitte allein, damit ich mich ankleiden kann.« »Aber natürlich, mein Liebling. Ich gehe zurück in meine Gemächer, jetzt, wo ich mich von dir verabschiedet habe, mein wundervoller Sohn.« Sie kicherte einen Augenblick und seufzte, als müsse sie eine schwere Last tragen. »Dein Vater ist da draußen und lässt sich umbringen, anstatt sich um mich zu kümmern. Er hat sich nie richtig um mich gekümmert. Wir haben jetzt schon seit Jahren nicht mehr miteinander geschlafen.« Gaius wusste nicht, was er sagen sollte. Er setzte sich auf und schloss die Augen vor Schwäche. Er konnte nicht einmal die Hand zur Faust ballen, doch er musste erfahren, was los war. Oh ihr Götter, warum war denn niemand da? Waren sie alle dort draußen? Tubruk? »Bitte geh, Mutter. Ich muss mich anziehen. Ich möchte meine letzten Augenblicke draußen verbringen.« »Das verstehe ich, mein Lieber. Leb wohl.« Tränen traten ihr in die Augen, als sie seine Stirn küsste, dann war das kleine Zimmer wieder leer. Einen Augenblick war die Versuchung groß, sich einfach wieder auf die Kissen zurückfallen zu lassen. Sein Kopf fühlte sich groß und schwer an. Vermutlich hätte ihn das Mittel, das ihm Cabera verabreicht hatte, bis zum Morgen durchschlafen lassen, wenn seine Mutter nicht einen von ihren wunderlichen Einfällen gehabt hätte. Langsam hob er die Beine aus dem Bett und stellte die Füße auf den Boden. Schwach. Kleidung. Eins nach dem anderen. Tubruk wusste, dass sie sich nicht mehr lange halten konnten. Er rannte sich die Seele aus dem Leib, um die Lücke zu schließen, die die beiden Männer, die neben ihm gestanden hatten, hinterlassen hatten. Immer wieder gelang es ihm, gerade noch rechtzeitig herumzuwirbeln und den Angriff jener abzuwehren, die sich von hinten heranschlichen, während er die vor ihm Stehenden tötete. Sein Atem ging keuchend, und trotz seines Könnens wusste er, dass der Tod nahe war. Warum gaben sie nicht auf? Die verdammten Götter sollten zur Hölle fahren, diese Meute musste doch irgendwann einmal aufgeben! Er verfluchte sich selbst, weil er nicht für eine Rückzugsmöglichkeit gesorgt hatte, andererseits gab es auch keine. Die Mauern waren die einzige Verteidigung des Gutes, und sie standen kurz davor, völlig überrannt zu werden. Er glitt auf dem Blut aus und stürzte hart. Die Luft entwich aus seiner Lunge. Ein Dolch traf ihn in die Seite, und ein dreckiger nackter Fuß versuchte sein Gesicht zu zermalmen, indem er seinen Kopf nach unten presste. Er biss hinein und hörte in der Ferne jemanden schreien. Er kam auf ein Knie hoch, doch zu spät, um zwei krabbelnde Gestalten daran zu hindern, sich in den Hof hinunterfallen zu lassen. Er hoffte darauf, dass die Frauen sie erledigen würden. Vorsichtig betastete er seine Seite und zuckte zusammen, als er Blut spürte. Er untersuchte es auf Luftbläschen. Aber es waren keine zu sehen, und er konnte immer noch atmen, obwohl die Luft nach warmem Zinn und Blut schmeckte. Einen Augenblick lang griff ihn niemand an, sodass er sich kurz umschauen konnte. Von den ursprünglichen neunundzwanzig waren nur noch weniger als fünfzehn übrig. Sie hatten auf der Mauer Wunder vollbracht, doch das würde nicht reichen. Julius kämpfte weiter, verzweifelt, weil seine Kraft aus all seinen Wunden strömte. Mit einem Stöhnen zog er den Dolch aus seinem Fleisch und verlor ihn sofort wieder in der Brust des nächsten Mannes, der sich ihm entgegenstellte. Sein Atem brannte in seiner Kehle, und er blickte in den Hof, wo er seinen Sohn aus dem Haus kommen sah. Er lächelte und hatte das Gefühl, als zerrisse ihm vor Stolz die Brust. Eine weitere Klinge drang durch die Lücke zwischen Brustpanzer und seinem Hals tief in die Lunge ein. Er spuckte Blut und jagte seinen Gladius in den Angreifer, ohne sein Gesicht zu sehen. Seine Arme sanken herab, das Schwert fiel ihm aus der Hand und landete scheppernd unter ihm im Hof. Er konnte nur noch zusehen, wie die Meute auf ihn zukam. Tubruk sah, wie Julius unter einer Masse von Leibern zusammenbrach, die an ihm vorbei über den schmalen Laufgang und hinunter in die Dunkelheit strömten. Er schrie auf vor Wut und Trauer in dem Wissen, ihn nicht mehr rechtzeitig erreichen zu können. Renius war immer noch auf den Beinen, aber nur Marcus’ Fürsorge bewahrte den alten Krieger vor dem Tod, und selbst dieser wilde Klingenwirbel stockte allmählich, weil Marcus aus zahlreichen klaffenden Wunden blutete und sein Leben aus ihm herausrann. Gaius kam neben Tubruk auf die Mauer geklettert, das Gesicht bleich von der Anstrengung, sich die Treppen hinaufzuquälen. Er hatte sein Schwert gezogen und schwang es, als er oben ankam. Er traf einen Mann, der sich gerade über den dunklen Leichen hinaufzog. Tubruk stach ihm seine Klinge zwischen die Rippen, als Gaius taumelte, aber trotzdem starb der Sklave nicht. Er fuchtelte mit einem Dolch umher und verletzte Gaius im Gesicht. Gaius versetzte ihm einen weiteren Schlag gegen den Hals, und dann war das Leben ausgehaucht. Weitere Gesichter erschienen, die schrieen und fluchten, während sie sich auf die rutschigen Steine emporkämpften. »Dein Vater, Gaius.« »Ich weiß.« Gaius’ Schwertarm fuhr ohne zu zittern hoch, um einen Speer abzublocken, ein Relikt aus irgendeinem Kampf. Er machte einen Schritt nach vorne und durchschnitt die Kehle des Manns, aus der sich ein blutiger Sprühregen ergoss. Tubruk warf sich zwei weiteren entgegen und stieß einen über die Mauerkante, rutschte dabei jedoch auf den klebrigen Steinen aus und fiel auf die Knie. Gaius machte den Nächsten nieder, als er gerade mit seinem Messer ausholte, um es in Tubruks Körper zu jagen. Dann stolperte er mit zitternden Knien einen Schritt zurück, das Gesicht bleich unter dem Blut. Gemeinsam warteten sie auf den Nächsten, der über die Kante kommen würde. Die Nacht wurde plötzlich heller, weil die Futterscheunen in Brand gesteckt wurden, aber trotzdem kam kein neuer Angreifer, um ihn zu erledigen. »Noch einen«, fluchte Tubruk durch blutige Lippen. »Noch einen kann ich mitnehmen. Du solltest runtergehen, du bist nicht in der Verfassung um zu kämpfen.« Gaius hörte nicht auf ihn. Sein Mund war ein zorniger Strich. Sie warteten, doch es kam niemand. Tubruk trat an die Außenseite der Mauer heran und spähte hinunter auf die zerstückelten Gliedmaßen und zerfetzten Leichen, die mit glasigen Augen in klebrigem Blut ausgestreckt unter der Mauerkante lagen. Da draußen wartete niemand mehr mit einem Dolch auf ihn, überhaupt niemand. Vor dem Licht der brennenden Scheunen zeichneten sich springende Figuren ab, die in der Dunkelheit herumtollten. Tubruk begann vor sich hinzulachen und zuckte zusammen, als seine Lippen erneut aufplatzten. »Sie haben die Weinvorräte gefunden«, sagte er und konnte trotz der höllischen Schmerzen, die es verursachte, nicht mehr aufhören zu lachen. »Sie ziehen ab!«, knurrte Marcus verblüfft. Er räusperte sich, spuckte Blut auf den Boden und fragte sich flüchtig, ob es sein eigenes war. Dann drehte er sich um und grinste Renius an, der zusammengesackt und gegen zwei Leichen gelehnt dasaß. Der alte Krieger blickte ihn stumm an, und einen Augenblick lang fiel ihm seine brennende Abneigung wieder ein. »Ich ...« Er hielt inne und machte zwei schnelle Schritte auf den alten Mann zu. Er lag im Sterben, das war offensichtlich. Marcus presste eine Hand, die schwarz vor Blut und Dreck war, auf Renius Brust und spürte, wie das Herz flatterte und aussetzte. »Cabera! Hierher, schnell!«, schrie er. Renius schloss die Augen vor dem Lärm und dem Schmerz. Alexandria keuchte, als läge sie in den Wehen. Sie war erschöpft und mit Blut verschmiert. Nie hätte sie gedacht, dass es so klebrig und widerlich sein könnte. Auch das wurde in den Geschichten niemals erwähnt. Das Zeug war ein paar Augenblicke lang glitschig, dann wurde es auf den Händen zäh, sodass man überall kleben blieb. Sie wartete auf den Nächsten, der in den Hof fiel, und lief wie betrunken umher, das Messer mit steifem Arm an den Körper gepresst. Sie stolperte über einen Leichnam und sah, dass es Susanna war. Sie würde nie wieder eine Gans ausnehmen oder frische Binsen in der Küche ausstreuen oder beim Einkaufen in Rom streunende Welpen mit Essensresten füttern. Bei dem letzten Gedanken stiegen ihr Tränen in die Augen, rannen durch den Dreck und den Gestank auf ihren Wangen. Alexandria ging weiter lauernd auf und ab, doch es landeten keine neuen Feinde mehr wie Krähen im Hof. Niemand kam, aber sie stolperte trotzdem weiter, weil sie nicht stehen bleiben konnte. Noch zwei Stunden bis Tagesanbruch, und sie hörte immer noch Geschrei auf den Feldern. »Bleibt auf den Mauern! Niemand verlässt vor Tagesanbruch seinen Posten«, schrie Tubruk über den Hof. »Sie können jederzeit zurückkommen.« Doch er glaubte nicht daran. Im Weinlager befanden sich fast tausend mit Wachs versiegelte Amphoren. Selbst wenn die Sklaven ein paar zerschlugen, müssten immer noch genug übrig bleiben, um sie bis zum Sonnenaufgang bei Laune zu halten. Nachdem er diesen letzten Befehl gegeben hatte, wollte er selbst schnell hinuntersteigen und zu der Stelle hinüberlaufen, wo Julius unter den Toten lag, aber jemand musste die Stellung halten. »Geh zu deinem Vater, Junge.« Gaius nickte kurz und stieg hinunter, wobei er sich an der Mauer abstützte. Der Schmerz war qualvoll. Er spürte, dass der Schnitt von der Operation aufgerissen war, und als er danach tastete, glänzten seine Finger rot. Als er sich die Steinstufen zu der Verteidigungsstellung wieder hinaufschleppte, zerrten seine Wunden an seinem Willen, doch er hielt durch. »Bist du tot, Vater?«, flüsterte er und blickte auf den Leichnam hinab. Er konnte ihm keine Antwort mehr geben. »Bleibt auf euren Posten, Leute. Fürs Erste ist es vorbei«, schallte Tubruks Stimme über den Hof. Alexandria hörte es und ließ ihr Messer auf die Pflastersteine fallen. Ein anderes Sklavenmädchen aus der Küche packte sie an den Handgelenken und sagte etwas zu ihr. Sie konnte die Worte bei dem Geschrei der Verwundeten, das jetzt plötzlich in das eindrang, was sie für Stille gehalten hatte, nicht verstehen. Ich war Ewigkeiten in der Stille und Dunkelheit, dachte sie. Ich habe die Hölle gesehen. Wer war sie doch gleich? Die Grenzen waren irgendwann im Laufe des Abends verwischt worden, als sie Sklaven tötete, die ebenso sehr frei sein wollten wie sie. Die Last all dessen ließ sie zu Boden sinken, und sie begann zu schluchzen. Tubruk hielt es nicht länger aus. Er humpelte von seinem Posten auf der Mauer hinunter und dann wieder hinauf zu der Stelle, wo Julius lag. Er und Gaius betrachteten den Leichnam ohne Worte. Gaius versuchte zu begreifen, dass sein Vater tot war. Doch er konnte es nicht. Vor ihm auf dem Boden lag ein zerstörtes Ding, zerrissen und voller Wunden, in Lachen einer sich ausbreitenden Flüssigkeit, die im Fackellicht mehr wie Öl aussah als wie Blut. Von seinem Vater war nichts geblieben. Plötzlich wirbelte er herum und seine Hand fuhr hoch, um etwas abzuwehren. »Da war jemand neben mir. Ich konnte spüren, wie dort jemand stand und mit mir hinabgeblickt hat«, stotterte er. »Das war bestimmt er. Diese Nacht ist wie für Geister geschaffen.« Aber das Gefühl war verschwunden, und Gaius zitterte. Er presste die Lippen zusammen, um sich gegen den Kummer zu wappnen, der ihn überkommen würde. »Lass mich allein, Tubruk. Und vielen Dank.« Tubruk nickte. Seine Augen waren dunkle Schatten, als er die Stufen in den Hof hinunterhinkte. Müde stieg er wieder zu seinem alten Posten auf der Mauer empor, blickte über die Leichen derer, die er getötet hatte und versuchte, sich an die Einzelheiten jedes Todes zu erinnern. Er erkannte nur wenige und gab schon bald auf, setzte sich hin und lehnte sich an einen Pfosten. Das Schwert zwischen den Beinen haltend, betrachtete er das ersterbende Flackern der Feuer in den Feldern und wartete auf die Morgendämmerung. Cabera legte seine Handflächen über Renius’ Herz. »Seine Zeit ist gekommen, glaube ich. Die Wände in ihm sind dünn und alt. Durch manche dringt Blut an Stellen, wo keines sein sollte.« »Du hast Gaius geheilt. Du kannst auch ihn heilen.« »Er ist ein alter Mann, Junge. Er war schon schwach, und ich ...« Cabera verstummte, als er eine heiße Klinge an seinem Rücken spürte. Langsam und vorsichtig drehte er den Kopf und blickte Marcus an. In dessen grimmigen Gesichtsausdruck lag nichts Beruhigendes. »Er lebt. Mach deine Arbeit, sonst bringe ich heute einfach noch jemanden um.« Bei diesen Worten spürte Cabera, wie sich etwas verschob und andere Zukunftsmöglichkeiten ins Spiel kamen, wie Spielsteine, die mit einem leisen Klicken ihre Stellung einnehmen. Seine Augen wurden groß, doch er sagte nichts, während er seine Energie für die Heilung sammelte. Was für ein merkwürdiger junger Mann, der die Macht besaß, die Zukunft zu seinen Gunsten zu biegen! Offensichtlich war er an den richtigen Ort der Geschichte gekommen. Dies war wirklich eine Zeit der Bewegung und des Wandels, ohne die übliche Ordnung, ohne gesichertes Fortschreiten. Er zog eine eiserne Nadel aus dem Saum seines Gewandes und fädelte schnell und sicher einen Faden ein. Sorgfältig nähte er die blutigen Ränder des aufgeschlitzten Fleisches zusammen, während er versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, wenn man jung war und alles möglich schien. Unter Marcus’ Augen presste Cabera die braunen Hände gegen Renius’ Brust und massierte das Herz. Er spürte es schneller schlagen und unterdrückte einen Aufschrei, als das Leben in den alten Körper zurückströmte. Lange verharrte er in dieser Stellung, bis der wie eingemeißelt wirkende Ausdruck von Schmerz aus Renius’ Gesicht wich und er nur noch zu schlafen schien. Als sich Cabera, schwankend vor Erschöpfung, wieder erhob, nickte er vor sich hin, als wäre gerade etwas bestätigt worden. »Die Götter treiben ein seltsames Spiel, Marcus. Sie weihen uns nie in ihre Pläne ein. Du hattest Recht. Er wird vor seinem Ende noch ein paar Morgenröten und Sonnenuntergänge erleben.« 10 Als die Sonne über den Horizont stieg, lagen die Felder verlassen da. Diejenigen, die in das Weinlager eingebrochen waren, lagen zweifellos noch im Korn und schliefen ihren Rausch aus. Gaius blickte über die Mauer und sah trägen Rauch über der geschwärzten Erde aufsteigen. Versengte Bäume standen kahl und nackt da, und das Wintergetreide schwelte immer noch in den Ruinen der Futterscheunen. Es war eine seltsam friedliche Szenerie, in der sogar die Morgenvögel schwiegen. Die Gewalt und die Aufregung der vergangenen Nacht schienen in weite Ferne zu rücken, wenn man über die Felder blicken konnte. Gaius rieb sich kurz über das Gesicht und stieg dann die Stufen in den Hof hinab. Alle weißen Mauern und Oberflächen waren mit braunen Flecken besudelt. In den Ecken gerannen Blutpfützen, und obszöne Flecken waren überall dort zu sehen, wo man die Leichen schon entfernt und zum Tor hinausgeschleift hatte, um sie zu Gruben zu bringen, sobald Karren zur Verfügung standen. Die Verteidiger hatte man auf sauberen Tüchern in kühlen Räumen aufgebahrt und ihre Gliedmaßen würdevoll zurechtgelegt. Die anderen wurden einfach auf einen stetig wachsenden Haufen geworfen, aus dem Arme und Beine in allen Richtungen hervorragten. Gaius sah bei der Arbeit zu, und im Hintergrund hörte er die Schreie der Verwundeten, die genäht oder für Amputationen vorbereitet wurden. Er kochte vor Wut und hatte nichts, woran er sie auslassen konnte. Man hatte ihn zu seiner Sicherheit eingesperrt, während alle, die er liebte, ihr Leben riskierten und sein Vater seines bei der Verteidigung seiner Familie und seines Besitzes hingegeben hatte. Es stimmte, er war von der Operation noch geschwächt gewesen, der Schorf war kaum abgeheilt ... aber nicht einmal die Möglichkeit gehabt zu haben, seinem Vater zur Seite zu stehen! Dafür gab es keine Worte, und als Cabera ihn aufgesucht hatte, um sein Beileid auszudrücken, hatte er ihn einfach ignoriert. Erschöpft saß er da, ließ Staub durch die Finger rinnen und erinnerte sich an die Worte, die Tubruk vor Jahren gesprochen hatte, und die er erst jetzt richtig begriff. Sein Land. Ein Sklave kam auf ihn zu. Gaius wusste nicht, wie er hieß, doch seine Wunden wiesen ihn als einen der Verteidiger aus. »Die Toten liegen alle vor dem Tor, Herr. Sollen wir Karren für sie holen?« Es war das erste Mal, dass er von jemandem anders als mit seinem Namen angesprochen wurde. Gaius verschanzte sich hinter steinernen Gesichtszügen, um sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. Seine Seele war voller Schmerz, und seine Stimme klang, als käme sie aus einer tiefen Grube. »Holt Lampenöl. Ich will sie an Ort und Stelle verbrennen.« Der Sklave neigte zur Bestätigung den Kopf und lief davon, um das Öl zu holen. Gaius trat vor das Tor und betrachtete die plumpe Anhäufung von Tod. Es war ein grässlicher Anblick, aber er spürte kein Mitgefühl in sich. Jeder von ihnen hatte mit dem Angriff auf das Gut sein Ende selbst gewählt. Er übergoss den Haufen mit Öl, schüttete es über Fleisch und Gesichter, in offene Münder und aufgerissene Augen. Dann zündete er das Ganze an und stellte fest, dass er doch nicht dabei zusehen konnte, wie die Leichen verbrannten. Der Qualm rief ihm den Raben in Erinnerung, den er und Marcus gefangen hatten, und er rief einen Sklaven zu sich. »Holt Fässer aus dem Lager und lasst das hier brennen, bis nur noch Asche übrig ist«, sagte er grimmig. Als die Hitze stärker wurde, ging er wieder hinein, und der Geruch folgte ihm wie ein anklagender Finger. In der Küche fand er Tubruk, der auf der Seite lag und auf ein Stück Leder biss, während Cabera eine Dolchwunde in seinem Bauch untersuchte. Gaius sah eine Weile zu, aber es wurden keine Worte gewechselt. Er ging weiter und stieß auf den Koch, der auf einer Stufe saß und das blutige Hackbeil immer noch in den Händen hielt. Gaius wusste, dass sein Vater aufmunternde Worte für den Mann parat gehabt hätte, der so einsam und verloren aussah. Er selbst brachte nichts zusammen außer kalter Wut, und so stieg er über die Gestalt hinweg, die ins Leere starrte, als wäre Gaius gar nicht da. Dann blieb er stehen. Wenn sein Vater es getan hätte, dann würde auch er es tun. »Ich habe gesehen, wie du auf der Mauer gekämpft hast«, sagte er zu dem Koch, und seine Stimme klang endlich wieder kräftig und fest. Der Mann nickte und schien sich zusammenzureißen. Mühsam stand er auf. »Das habe ich, Herr. Ich habe eine Menge getötet, aber nach einer Weile habe ich sie nicht mehr gezählt.« »Also, nachdem ich gerade hundertneunundvierzig Leichen verbrannt habe, müssen es ziemlich viele gewesen sein«, sagte Gaius und versuchte zu lächeln. »Ja. An mir ist niemand vorbeigekommen. Ich habe noch nie so viel Glück gehabt. Ich glaube, die Götter haben die Hand über mich gehalten. Über uns alle.« »Hast du meinen Vater sterben gesehen?« Der Koch stand da und hob einen Arm, als wolle er ihn dem Jungen auf die Schulter legen. Im letzten Augenblick besann er sich eines Besseren und verwandelte die Bewegung in eine Geste des Bedauerns. »Ja. Er hat viele mit sich genommen und schon vorher viele niedergestreckt. Am Ende lagen sie haufenweise um ihn herum. Er war ein tapferer Mann. Und ein guter Mann.« Bei diesen freundlichen Worten spürte Gaius, wie seine innere Ruhe ins Wanken kam. Er biss die Zähne zusammen. Als er den aufwallenden Kummer überwunden hatte, sagte er gütig: »Er wäre stolz auf dich gewesen, das weiß ich. Du hast gesungen, als ich dich kurz sehen konnte.« Zu seiner Überraschung wurde der Mann rot. »Ja. Mir hat der Kampf Spaß gemacht. Ich weiß, dass alles voller Blut und Tod war, aber es war ganz einfach, verstehst du? Jeden, der mir in die Quere kam, musste ich umbringen. Es gefällt mir, wenn die Dinge so klar sind.« »Ich verstehe«, sagte Gaius und zwang sich zu einem betrübten Lächeln. »Ruh dich jetzt aus. Die Küche ist wieder geöffnet. Bald wird Suppe verteilt.« »Die Küche! Und ich bin hier! Ich muss gehen, Herr, sonst taugt die ganze Suppe nichts.« Gaius nickte, und der Mann eilte davon. Das riesige, an die Stufe gelehnte Hackbeil vergaß er. Gaius seufzte. Er wünschte, sein eigenes Leben wäre so einfach, dass er ohne weiteres Rollen annehmen und ablegen konnte. Gedankenverloren wie er war, bemerkte er die Rückkehr des Mannes erst, als dieser etwas sagte. »Ich glaube, dein Vater wäre auch stolz auf dich gewesen. Tubruk sagt, du hättest ihn gerettet, als er am Ende erschöpft war, und das, obwohl du verletzt warst. Ich wäre stolz, wenn mein Sohn genauso stark wäre.« Tränen schossen Gaius in die Augen. Er wandte sich ab, damit der andere sie nicht sehen konnte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Zusammenbruch, nicht, wenn das Gut in Trümmern lag und sämtliche Wintervorräte verbrannt waren. Er versuchte sich mit den Einzelheiten zu beschäftigen, kam sich aber hilflos und verlassen vor, und die Tränen flossen heftiger, als er immer und immer wieder an seinen Verlust denken musste, wie ein Vogel, der seine nässenden Wunden aufpickt. »Hallo!«, erklang eine Stimme vor dem Haupttor. Gaius hörte den fröhlichen Klang und riss sich zusammen. Er war das Oberhaupt des Gutes, ein Sohn Roms und seines Vaters, und er würde dem Andenken des alten Mannes keine Schande bereiten. Er stieg die Stufen zur Mauerkrone hinauf und achtete kaum auf die Geisterbilder, die auf ihn einstürzten. Sie stammten alle aus der Dunkelheit. Im Sonnenlicht besaßen die Schatten keine Wirklichkeit. Er blickte von oben auf den Bronzehelm eines schlanken Offiziers auf einem schönen Wallach, der beim Warten ungeduldig im Boden scharrte. Der Offizier wurde von einem Contubernium von zehn Legionären begleitet. Alle Männer machten einen forschen Eindruck und steckten in sauberen Uniformen. Der Offizier hob den Blick und nickte Gaius zu. Er war ungefähr vierzig, braun gebrannt und durchtrainiert. »Wir haben den Rauch bei euch gesehen. Wir sind hergekommen, um nachzusehen, ob die Sklaven hier auch gewütet haben. Wie ich sehe, hattet ihr genug Ärger. Mein Name ist Titus Priscus. Ich bin Zenturio in Sullas Legion, die die Stadt gerade mit ihrer Anwesenheit beglückt hat. Meine Männer durchstreifen die ganze Gegend, als Säuberungs- und Hinrichtungskommando. Könnte ich mit dem Herrn des Guts sprechen?« »Das bin ich«, sagte Gaius. »Öffnet das Tor«, rief er nach unten. Diese Worte erreichten, was alle Plünderer in der vergangenen Nacht nicht geschafft hatten. Die schweren Torflügel wurden aufgezogen und die Männer eingelassen. »Sieht aus, als wäre es hier draußen ziemlich übel zugegangen«, meinte Titus und jede Spur von Heiterkeit war aus seiner Stimme und seinem Auftreten verschwunden. »Nach dem Leichenhaufen hätte ich es mir denken können, aber . Habt ihr viele von euren eigenen Leuten verloren?« »Einige. Wir haben die Mauern gehalten. Wie sieht es in der Stadt aus?« Gaius wusste nicht, was er dem Mann sagen sollte. Sollte er höflich Konversation machen? Titus stieg ab und reichte einem seiner Männer die Zügel. »Sie steht noch, Herr, auch wenn Hunderte von Holzhäusern in Flammen aufgegangen sind und mehrere tausend Tote auf den Straßen liegen. Die Ordnung ist fürs Erste wiederhergestellt, obwohl ich nicht empfehlen würde, nach Einbruch der Dunkelheit durch die Stadt zu laufen. Im Moment sind wir dabei, sämtliche Sklaven auf allen Gütern in der Nähe Roms zusammenzutreiben und - auf Sullas Befehl - jeden Zehnten zu kreuzigen, um ein Exempel zu statuieren.« »Auf meinem Land soll es jeder Dritte sein. Ich werde sie ersetzen, sobald sich die Lage beruhigt hat. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass irgendjemand, der gestern Nacht gegen mich gekämpft hat, ungestraft davonkommen könnte.« Der Zenturio sah ihn einen Augenblick lang unsicher an. »Entschuldige, Herr, aber darfst du diesen Befehl geben? Du wirst entschuldigen, wenn ich nachfrage, aber gibt es unter den gegebenen Umständen jemanden, der das bestätigen kann?« Einen Moment lang kochte die Wut in Gaius hoch, doch dann dachte er daran, wie er auf den Mann wirken musste. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich zu waschen, nachdem Lucius und Cabera seine Wunden erneut genäht und verbunden hatten. Er war schmutzig, blutverschmiert und unnatürlich blass. Er wusste nicht, dass auch seine blauen Augen von dem öligen Rauch und dem Weinen rot gerändert waren und dass nur etwas in seinem Auftreten einen erfahrenen Soldaten wie Titus davon abhielt, diesem Jungen für seine Unverschämtheit eine Ohrfeige zu geben. Aber dieses Etwas war da, ohne dass Titus es hätte näher benennen können. Nur so ein Gefühl, dieser junge Mann sei jemand, den man sich nicht leichtfertig zum Feind machen sollte. »Ich würde an deiner Stelle das Gleiche tun. Ich hole meinen Verwalter, falls der Arzt schon mit ihm fertig ist.« Ohne ein weiteres Wort wandte sich Gaius ab. Es wäre höflich gewesen, den Männern Erfrischungen anzubieten, aber Gaius war verärgert, weil er Tubruk holen musste, um seine Glaubwürdigkeit zu bestätigen. Er ließ sie warten. Tubruk war wenigstens sauber und hatte gute, dunkle Kleidungsstücke angezogen. Alle seine Wunden und Verbände waren unter der wollenen Tunika und den Bracae, den ledernen Hosen, verborgen. Als er die Legionäre sah, musste er lächeln. Die Welt kam wieder in Ordnung. »Seid ihr die Einzigen in diesem Gebiet?«, fragte er. »Äh, nein, aber ...«:, setzte Titus an. »Gut.« Tubruk wandte sich an Gaius. »Herr, ich schlage vor, du lässt diese Männer einen Boten mit der Nachricht wegschicken, dass sie hier etwas länger aufgehalten werden. Wir brauchen Männer, um das Gut wieder in Ordnung zu bringen.« Gaius machte ein ebenso ernstes Gesicht wie Tubruk und ignorierte Titus’ Miene. »Da hast du Recht, Tubruk. Sulla hat sie schließlich ausgesandt, damit sie den entfernt liegenden Gütern helfen. Und hier gibt es jede Menge zu tun.« Titus versuchte es erneut. »Also, hört mal .« Tubruk nahm wieder Notiz von ihm. »Ich schlage vor, du überbringst die Nachricht persönlich. Die anderen sehen aus, als würde ihnen ein bisschen harte Arbeit nichts ausmachen. Sulla würde doch ganz sicher nicht wollen, dass du uns hier alleine in den Trümmern zurücklässt.« Die beiden Männer blickten sich an. Titus seufzte und griff an seinen Helm, um ihn abzunehmen. »Keiner soll sagen können, ich würde mich vor der Arbeit drücken«, murmelte er. Er drehte sich zu einem seiner Legionäre um und deutete mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf die Felder hinaus. »Reite zurück und schließ dich den anderen Einheiten an. Sag Bescheid, dass ich hier ein paar Stunden lang aufgehalten werde. Wenn ihr Sklaven findet ... sag ihnen, jeder Dritte, in Ordnung?« Der Mann nickte freudig und verschwand. Titus machte sich daran, seinen Brustpanzer abzulegen. »In Ordnung. Wo sollen meine Leute anfangen?« »Kümmere du dich darum, Tubruk. Ich sehe nach den anderen.« Gaius drehte sich um und drückte dem Verwalter mit einem kurzen Griff an die Schulter seine Anerkennung aus. Am liebsten hätte er jetzt einen langen, einsamen Spaziergang durch die Wälder gemacht oder sich an das Becken am Fluss gesetzt, um seine Gedanken zu ordnen. Doch das musste warten, bis er jeden Mann und jede Frau, die in der vergangenen Nacht für seine Familie gekämpft hatten, aufgesucht und mit ihnen gesprochen hatte. Sein Vater hätte das Gleiche getan. Als er an den Stallungen vorbeikam, hörte er aus der Dunkelheit heftiges Schluchzen. Er hielt inne; er wusste nicht, ob er hineingehen sollte. Es lag so viel Trauer in der Luft, genau wie in seinem Innern. Diejenigen, die gefallen waren, hatten Freunde und Verwandte gehabt, die nicht damit gerechnet hatten, diesen Tag alleine beginnen zu müssen. Einen Augenblick blieb er noch stehen, und der ölige Gestank der Leichen, die er angezündet hatte, stieg ihm in die Nase. Dann betrat er den dunklen Schatten zwischen den Boxen. Wer immer es auch war, sein Kummer lag jetzt in seiner Verantwortung, er musste diese Bürde mit ihm teilen. Sein Vater hatte das verstanden, und deshalb war das Gut auch so lange gut gediehen. Seine Augen gewöhnten sich nach dem grellen Morgenlicht nur langsam an die Dunkelheit. Er schaute in alle Boxen, um den Ursprung der Geräusche zu finden. Nur in zweien standen Pferde, die leise wieherten, als er ihnen über die weichen Mäuler streichelte. Sein Fuß schabte gegen einen Stein und das Schluchzen verstummte augenblicklich, als hielte jemand den Atem an. Gaius verharrte so regungslos, wie es ihm Renius beigebracht hatte, bis er hörte, wie die Luft mit einem Seufzer entwich und er wusste, wo sich die andere Person befand. Im schmutzigen Stroh saß Alexandria, die Knie bis zum Kinn hochgezogen, mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand gelehnt. Sie blickte auf, als sie ihn bemerkte, und er sah, dass Tränen durch den Schmutz in ihrem Gesicht gelaufen waren. Sie war ungefähr so alt wie er, vielleicht ein Jahr älter, erinnerte er sich. Die Erinnerung daran, wie Renius sie ausgepeitscht hatte, stieg wieder in ihm auf, verbunden mit einem stechenden Gefühl der Schuld. Er seufzte. Er hatte keine Worte für sie. Langsam legte er die wenigen Schritte zurück und setzte sich neben sie an die Wand, wobei er darauf achtete, genug Abstand zwischen ihnen zu lassen, als er sich anlehnte, damit sie sich nicht bedroht fühlte. Es war still. Die Gerüche und die ganz eigene Stimmung hatten die Stallungen immer schon zu einem beruhigenden Ort für Gaius gemacht. Als er noch klein gewesen war, hatte er sich oft hierher geflüchtet, um sich vor Ärger oder einer drohenden Strafe zu verstecken. Eine Weile saß er in Gedanken versunken da, und obwohl sie kein einziges Wort wechselten, war den beiden die Situation nicht unangenehm. Die einzigen Geräusche waren die Bewegungen der Pferde und hin und wieder ein Schluchzen, das Alexandria immer noch entwich. »Dein Vater war ein guter Mensch«, flüsterte sie endlich. Er fragte sich, wie oft er diesen Satz noch hören würde, ehe der Tag um war, und ob er es aushalten würde. Er nickte stumm. »Es tut mir so schrecklich Leid«, sagte er zu ihr und spürte eher, als dass er es sah, wie sie den Kopf hob und ihn ansah. Er wusste, dass sie getötet hatte, hatte sie blutverschmiert im Hof stehen gesehen, als er gestern Nacht herausgekommen war. Er glaubte zu verstehen, warum sie weinte, und er hatte sie eigentlich trösten wollen, doch die Worte lösten eine Welle des Schmerzes in ihm, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ er den Kopf auf die Brust sinken. Alexandria sah ihn mit großen Augen überrascht an. Ehe sie darüber nachdenken konnte, hatte sie die Arme um ihn gelegt, und sie hielten einander in der Dunkelheit fest, ein kleiner Ort innigen Kummers, während die Welt draußen im Licht der Sonne ihren Gang ging. Sie strich ihm mit einer Hand über das Haar und flüsterte ihm tröstende Worte zu, während er sich immer wieder entschuldigte, bei ihr, bei seinem Vater, bei den Toten, bei denen, die er verbrannt hatte. Als er sich ausgeweint hatte, ließ sie ihn langsam los, im allerletzten Augenblick jedoch, ehe er zu weit entfernt war, presste sie ihre Lippen auf seine und spürte, wie er leicht zusammenzuckte. Sie zog sich zurück, umschlang ihre Knie mit den Armen, und ihr Gesicht brannte, unsichtbar im Dunkeln. Sie spürte seinen Blick, aber sie konnte ihn nicht erwidern. »Warum hast du ...?«, murmelte er mit vom Weinen heiserer und verquollener Stimme. »Ich weiß es nicht. Ich habe mich nur gefragt, wie es sein würde.« »Und wie war es?«, erwiderte er, und seine Stimme wurde vor Belustigung wieder kräftiger. »Schrecklich. Jemand muss dir mal beibringen, wie man küsst.« Er sah sie nachdenklich an. Vor wenigen Augenblicken war er noch in seinem Kummer ertrunken, der in ihm nicht weniger oder schwächer werden wollte. Jetzt bemerkte er, dass unter dem Schmutz und den Strohhalmen und dem Geruch von Blut - unter ihrer eigenen Trauer - ein einzigartiges Mädchen steckte. »Ich habe den ganzen restlichen Tag Zeit, um es zu lernen«, sagte er leise. Die Worte stolperten umständlich an den nervösen Hindernissen in seiner Kehle vorbei. Sie schüttelte den Kopf. »Auf mich wartet Arbeit. Ich sollte schon wieder in der Küche sein.« Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sie sich aus der Hocke und verließ die Box, als wolle sie einfach so ohne ein weiteres Wort gehen. Dann blieb sie stehen und sah ihn an. »Danke, dass du gekommen bist, um mich zu suchen«, sagte sie und trat hinaus ins Sonnenlicht. Gaius sah ihr nach. Er fragte sich, ob ihr wohl klar war, dass er noch nie ein Mädchen geküsst hatte. Noch immer konnte er den leichten Druck auf seinen Lippen spüren, als hätte sie ihn gebrandmarkt. Sie hatte es doch wohl nicht wirklich schrecklich gefunden? Ihm fiel auf, wie steif sie sich jetzt wieder hielt, als sie den Stall verließ. Sie war wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel, aber mit der Zeit, in anderer Umgebung und in der Gesellschaft von Freunden, würde sie wieder gesund werden. Genau wie er, wurde ihm klar. Marcus und Tubruk lachten gerade über eine Bemerkung Caberas, als Gaius in das Zimmer trat. Bei seinem Anblick verstummten sie alle. »Ich bin gekommen ... um euch zu danken. Für das, was ihr auf der Mauer getan habt«, fing Gaius an. Marcus unterbrach ihn, ging auf ihn zu und ergriff seine Hand. »Du brauchst mir nie für etwas zu danken. Ich schulde deinem Vater mehr, als ich jemals zurückzahlen könnte. Ich habe mit Bedauern gehört, dass er am Ende gefallen ist.« »Wir haben es überstanden. Meine Mutter lebt, ich lebe. Er würde es wieder tun, wenn er die Wahl hätte, das weiß ich. Du bist verwundet worden?« »Kurz bevor es vorbei war. Aber nichts Ernstes. Ich war unverwundbar. Cabera sagt, aus mir wird mal ein großer Kämpfer.« Marcus grinste. »Natürlich nur, falls er sich nicht vorher umbringen lässt. Das würde seine Karriere ein wenig behindern«, murmelte Cabera vor sich hin, während er sich damit beschäftigte, Wachs auf das Holz seines Bogens aufzutragen. »Wie geht es Renius?«, erkundigte sich Gaius. Beide schienen bei der Frage einen Augenblick zu zögern. Marcus wich seinem Blick aus. Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte Gaius. »Er wird überleben, aber es wird lange dauern, bis er wieder in Form ist«, sagte Marcus. »In seinem Alter würde eine Infektion sein Ende bedeuten, aber Cabera meint, er schafft es.« »Er schafft es«, bestätigte Cabera. Gaius seufzte und setzte sich. »Und was passiert jetzt? Ich bin zu jung, um den Platz meines Vaters einzunehmen, seine Interessen in Rom zu vertreten. Um ehrlich zu sein, wäre ich nicht damit zufrieden, nur das Gut zu leiten, aber ich hatte nie Zeit, seine restlichen Angelegenheiten kennen zu lernen. Ich weiß nicht, wer sich um sein Vermögen gekümmert hat, oder wo die Besitzurkunden für das Land sind.« Er wendete sich an Tubruk. »Ich weiß, dass du über einiges informiert bist und würde dir das Kapital anvertrauen, bis ich älter bin, aber was soll ich jetzt machen? Weiterhin Lehrer für mich und Marcus anstellen? Das Leben kommt mir plötzlich unbestimmt vor, zum ersten Mal ohne Richtung.« Cabera hörte bei diesem Ausbruch mit dem Polieren auf. »Jeder hat einmal dieses Gefühl. Glaubst du etwa, ich habe mir, als ich ein kleiner Junge war, vorgenommen, eines Tages hier zu landen? Das Leben hat nun mal die Angewohnheit, plötzlich unerwartete Wendungen zu nehmen. Ich würde es gar nicht anders haben wollen, so schmerzhaft es auch sein mag. Zu viel von der Zukunft ist schon festgelegt, da ist es gut, wenn wir nicht jede Einzelheit kennen, sonst wäre das Leben nichts anderes als eine graue, langweilige Spielart des Todes.« »Du musst eben schnell lernen, das ist alles«, fuhr Marcus fort. Sein Gesicht strahlte vor Begeisterung. »Bei dem augenblicklichen Zustand Roms? Wer soll mir da etwas beibringen? Wir leben nicht in Frieden und Wohlstand, wo man über meinen Mangel an politischen Fähigkeiten hinwegsehen könnte. Mein Vater hat das immer sehr deutlich gemacht. Er hat gesagt, Rom sei voller Wölfe.« Tubruk nickte finster. »Ich werde tun, was ich kann, aber schon jetzt werden einige ein Auge auf die Güter geworfen haben, weil sie geschwächt wurden und vielleicht billig aufgekauft werden können. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, ohne Schutz zu sein.« »Aber ich weiß nicht genug, um uns zu beschützen!«, fuhr Gaius fort. »Der Senat könnte mir alles wegnehmen, was ich besitze, wenn ich zum Beispiel keine Steuern bezahle, aber wie bezahle ich sie? Wo ist das Geld, wo nehme ich es her, und wie viel soll ich zahlen? Wo sind die Namen der Kunden meines Vaters? Versteht ihr?« »Beruhige dich«, sagte Cabera und strich wieder langsam über das Holz seines Bogens. »Denk lieber nach. Lass uns mit dem anfangen, was du hast, und nicht mit dem, was du nicht weißt.« Gaius atmete tief durch und wünschte sich wieder, sein Vater wäre da, um der unerschütterliche Fels der Gewissheit in seinem Leben zu sein. »Ich habe dich, Tubruk. Du kennst das Gut, aber nicht die anderen Geschäfte. Keiner von uns versteht etwas von Politik und von den Vorgängen im Senat.« Wieder sah er Cabera und Marcus an. »Ich habe euch beide und ich habe Renius, aber keiner von uns war auch nur ein einziges Mal in den Kammern des Senats, und die Verbündeten meines Vaters sind alle Fremde für uns.« »Konzentriere dich auf das, was wir haben, sonst verzweifelst du. Bisher hast du schon ein paar sehr fähige Leute aufgezählt. Es wurden schon Armeen mit weniger aufgestellt. Was noch?« »Meine Mutter und ihr Bruder Marius, aber mein Vater hat immer gesagt, er wäre der größte Wolf von allen.« »Wir brauchen jetzt aber einen großen Wolf. Jemanden, der sich in der Politik auskennt. Er ist von deinem Blut, du musst ihn aufsuchen«, sagte Marcus leise. »Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann«, wandte Gaius mit düsterem Blick ein. »Er wird deine Mutter nicht im Stich lassen. Er muss dir helfen, die Kontrolle über das Gut zu behalten, selbst wenn er es nur für sie tut«, erklärte Tubruk. Gaius stimmte langsam zu. »Das stimmt. Er hat ein Haus in Rom, dort könnte ich ihn besuchen. Es gibt niemand anderen, der helfen könnte, also muss er es sein. Aber ich kenne ihn kaum. Seit meine Mutter krank geworden ist, war er kaum noch hier.« »Das dürfte keine Rolle spielen. Er wird dich nicht abweisen«, sagte Cabera friedlich und musterte den Glanz, den er dem Bogen gegeben hatte. Marcus sah den alten Mann scharf an. »Du scheinst dir ja sehr sicher zu sein«, sagte er. Cabera zuckte die Achseln. »Nichts ist sicher auf dieser Welt.« »Dann ist es also beschlossen. Ich schicke einen Boten voraus und werde meinen Onkel aufsuchen«, sagte Gaius, schon etwas weniger schwermütig. »Ich begleite dich«, sagte Marcus schnell. »Du bist immer noch nicht von deinen Wunden genesen, und in Rom ist es im Augenblick nicht sehr sicher, wie du gehört hast.« Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Gaius wirklich. Cabera murmelte etwas vor sich hin. »Wisst ihr, ich bin eigentlich in dieses Land gekommen, um Rom zu sehen. Ich habe in abgeschiedenen Bergdörfern gelebt und bin bei meinen Reisen auf Stämme gestoßen, die man schon für ausgestorben hielt. Ich habe geglaubt, ich hätte alles gesehen, aber ständig haben mir die Leute erzählt, ich müsse Rom sehen, ehe ich sterbe. Ich habe zu ihnen gesagt: >Dieser See ist wirklich wunderschöne, und sie erwiderten: >Du solltest dir Rom ansehen.< Sie haben gesagt, es sei eine wunderbare Stadt, der Mittelpunkt der Welt, und trotzdem habe ich seine Mauern noch nie durchschritten.« Die Jungen lächelten beide über die durchsichtige Taktik des alten Mannes. »Natürlich darfst du mitkommen. Ich betrachte dich als Freund des Hauses. Du wirst überall willkommen sein, wo ich bin, bei meiner Ehre«, erwiderte Gaius in feierlichem Tonfall, als wiederholte er einen Schwur. Cabera legte den Bogen beiseite und erhob sich mit ausgestreckter Hand. Gaius empfing sie mit festem Griff. »Auch du wirst immer an meinem Feuer willkommen sein«, sagte Cabera. »Mir gefällt das hiesige Klima und die Menschen. Ich glaube, meine Reisen werden noch eine Weile warten müssen.« Gaius ließ seine Hand wieder los und schaute nachdenklich in die Runde. »Ich werde gute Freunde um mich herum brauchen, wenn ich mein erstes Jahr in der Politik überleben will. Mein Vater hat immer gesagt, es sei, als laufe man barfuß durch ein Vipernnest.« »Er scheint eine recht blumige Ausdrucksweise gehabt zu haben, und keine sehr hohe Meinung von seinen Kollegen«, sagte Cabera mit trockenem Lachen. »Wir werden vorsichtig auftreten und hin und wieder einen Kopf zertrampeln, wenn es nötig wird.« Alle vier lächelten und spürten die Kraft, die trotz der Unterschiede in Alter und Herkunft aus einer solchen Freundschaft entstehen kann. »Ich würde gern Alexandria mitnehmen«, fügte Gaius plötzlich hinzu. »Ach ja? Die Hübsche?«, erwiderte Marcus und sein Gesicht begann zu strahlen. Gaius spürte, dass seine Wangen rot wurden, und hoffte, dass es nicht allzu offensichtlich war. Den Gesichtern der anderen nach zu urteilen, hoffte er vergebens. »Du wirst mir dieses Mädchen vorstellen müssen«, sagte Cabera. »Renius hat sie mal ausgepeitscht, weil sie uns von unseren Übungen abgelenkt hat«, fuhr Marcus fort. Cabera stieß ein Geräusch der Missbilligung aus. »Er kann sehr uncharmant sein. Schöne Frauen sind eine der Freuden des Lebens .« »Hört mal, ich ...«, hob Gaius an. »Ja, ich weiß schon, sie soll nur die Pferde halten oder so etwas. Ihr Römer habt eine Art mit den Frauen, es ist ein Wunder, dass euer Volk noch nicht ausgestorben ist.« Kurz darauf verließ Gaius das Zimmer, während die anderen noch lachten. Gaius klopfte an die Tür des Zimmers, in dem Renius lag. Im Augenblick war er allein, obwohl Lucius in der Nähe war und gerade erst nach den Wunden und Nähten gesehen hatte. Im Zimmer war es dunkel, und Gaius dachte zunächst, der alte Mann schliefe. Schon wandte er sich wieder um, weil er die Ruhe des Genesenden nicht stören wollte, doch eine flüsternde Stimme hielt ihn zurück. »Gaius? Ich dachte mir, dass du es bist.« »Renius. Ich wollte dir danken.« Gaius trat ans Bett und zog einen Stuhl neben die darin liegende Gestalt. Die Augen waren geöffnet und klar, und Gaius blinzelte, als er das Gesicht betrachtete. Es musste an dem schwachen Licht liegen, aber Renius sah jünger aus. Es konnte nicht sein, doch es war nicht zu leugnen, dass einige der tief eingegrabenen Runzeln schwächer geworden waren, und an den Schläfen waren ein paar schwarze Haare zu sehen, die in dem Licht fast unsichtbar waren, sich aber deutlich von den weißen Stoppeln abhoben. »Du siehst ... gut aus«, brachte Gaius hervor. Renius stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. »Cabera hat mich geheilt, und das hat Wunder gewirkt. Er war überraschter als alle anderen und hat gesagt, ich müsse eine Bestimmung oder so etwas haben, um so von ihm beeinflusst werden zu können. Um die Wahrheit zu sagen, ich fühle mich stark, obwohl mein linker Arm immer noch nutzlos ist. Lucius wollte ihn abnehmen, damit er nicht so rumbaumelt. Ich . vielleicht gebe ich meine Zustimmung, wenn der Rest von mir wieder gesund ist.« Gaius hörte schweigend zu und kämpfte gegen schmerzhafte Erinnerungen an. »So viel ist in so kurzer Zeit passiert«, sagte er. »Ich bin froh, dass du noch hier bist.« »Ich konnte deinen Vater nicht retten. Ich war zu weit weg und selbst am Ende. Cabera sagt, er sei auf der Stelle gestorben, durch ein Messer in seinem Herzen. Er hat höchstwahrscheinlich selbst gar nichts davon gemerkt.« »Es ist schon gut. Du brauchst mir das nicht zu erzählen. Ich weiß, dass er auf der Mauer sein wollte. Ich wäre auch gerne dort gewesen, aber man hat mich in meinem Zimmer gelassen, und .« »Du bist aber trotzdem rausgekommen, oder? Ich bin froh darüber, so wie es gelaufen ist. Tubruk sagt, du hättest ihn ganz am Schluss gerettet, wie eine ... Reservestreitmacht.« Der alte Mann lächelte und hustete eine Weile. Gaius wartete geduldig, bis der Anfall vorüber war. »Du wurdest auf meinen Befehl hin aus dieser Sache rausgehalten. Du warst zu schwach für einen stundenlangen Kampf, und dein Vater war auch meiner Meinung. Er wollte dich in Sicherheit wissen. Trotzdem bin ich froh, dass du am Ende rausgekommen bist.« »Ich auch. Ich habe mit Renius gekämpft!«, sagte Gaius, und Tränen standen ihm in den Augen, obwohl er lächelte. »Ich kämpfe immer mit Renius«, brummte der alte Mann. »So toll ist das nun auch wieder nicht.« 11 Das Licht der Morgendämmerung war kalt und grau, der Himmel stand klar über den Ländereien des Gutes. Der tiefe Klang der Hörner erschallte voller Trauer und übertönte den Gesang der Vögel, der an einem Tag, der das Ende eines Lebens anzeigte, so unpassend erschien. Im Haus war aller Schmuck entfernt worden, bis auf einen Zypressenzweig über dem Haupttor, der die Priester des Jupiters vor dem Betreten warnen sollte, solange der Leichnam noch drinnen lag. Dreimal klagten die Hörner, und schließlich riefen die Menschen: »Conclamatum est« - die Trauer ist erklungen. Innerhalb der Tore sammelten sich die Trauergäste aus der Stadt, die zum Zeichen ihres Kummers unrasiert, ungewaschen und in grobe Wolltogen gekleidet, erschienen waren. Gaius stand mit Tubruk und Marcus am Tor und sah zu, wie sein Vater mit den Füßen voran hinausgetragen und vorsichtig auf den offenen Wagen gelegt wurde, der ihn zum Scheiterhaufen bringen sollte. Die Menge wartete, die Köpfe im Gebet oder in Gedanken gesenkt, während Gaius ernst zu dem Leichnam schritt. Er schaute in das Antlitz, das er sein ganzes Leben lang gekannt und geliebt hatte, und versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, als sich die Augen noch hatten öffnen können und die starke Hand ihn an der Schulter berührt oder ihm die Haare zerzaust hatte. Diese Hände lagen jetzt reglos neben dem Körper, die Haut war sauber und glänzte von Öl. Die Wunden aus dem Kampf um die Mauern waren unter den Falten der Toga verborgen, doch es war kein Hauch von Leben mehr in ihm. Kein Atem hob und senkte seine Brust; die Haut sah irgendwie falsch aus, viel zu blass. Er fragte sich, ob sie sich kalt anfühlte, konnte die Hand jedoch nicht ausstrecken. »Lebwohl, mein Vater«, flüsterte er und verlor fast die Fassung, als der Kummer ihn wieder zu übermannen drohte. Doch da er wusste, dass die Menge ihn beobachtete, riss er sich zusammen. Dem alten Mann keine Schande machen. Einige von ihnen waren alte, ihm unbekannte Freunde, andere waren bestimmt Aasgeier, die gekommen waren, um sich ein Bild von seiner Schwäche zu machen. Bei diesem Gedanken verspürte er einen zornigen Stich, der ihm half, seine Trauer zu ersticken. Er ergriff die Hand seines Vaters und neigte den Kopf. Die Haut fühlte sich an wie Stoff, lag rau und kühl in der seinen. »Conclamatum est«, sagte er laut, und die Menge wiederholte die Worte murmelnd. Er trat zurück und beobachtete schweigend, wie seine Mutter sich dem Mann näherte, der ihr Gatte gewesen war. Er konnte sehen, wie sie unter dem schmutzigen Wollumhang am ganzen Leibe bebte. Ihr Haar war nicht von den Sklaven hergerichtet worden und stand wirr und unordentlich vom Kopf ab. Ihre Augen waren blutunterlaufen und ihre Hand zitterte, als sie seinen Vater ein letztes Mal berührte. Gaius erstarrte und hoffte, sie würde das Ritual ohne Peinlichkeit zu Ende bringen. Weil er so nahe stand, konnte er als Einziger die Worte hören, die sie sprach, als sie sich dicht zum Gesicht seines Vaters hinunterbeugte. »Warum hast du mich alleine gelassen, mein Liebster? Wer wird mich jetzt zum Lachen bringen, wenn ich traurig bin, wer wird mich in der Dunkelheit umarmen? Es ist nicht das, wovon wir geträumt haben. Du hast mir versprochen, immer bei mir zu sein, wenn ich müde und wütend auf die Welt bin.« Sie begann bebend zu schluchzen, und Tubruk gab der Pflegerin, die er für sie angestellt hatte, ein Zeichen. Genau wie die Ärzte hatte auch sie keine Besserung ihrer körperlichen Verfassung bewirkt, doch Aurelia schien bei der römischen Matrone Trost zu finden, vielleicht auch nur der weiblichen Gesellschaft wegen. Für Tubruk war das Grund genug, sie weiterzubeschäftigen. Er nickte, als sie Aurelia sanft am Arm nahm und in das verdunkelte Haus führte. Gaius atmete langsam aus und wurde der Menge wieder gewahr. Tränen traten ihm in die Augen, doch er achtete nicht darauf und ließ sie einfach an den Wimpern hängen. Tubruk kam auf ihn zu und sprach leise zu ihm. »Sie wird wieder gesund«, sagte er, aber sie wussten beide, dass das nicht stimmte. Einer nach dem anderen traten die Trauernden vor, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, und nicht wenige wechselten danach ein paar Worte mit Gaius, priesen seinen Vater und forderten ihn auf, sie in der Stadt aufzusuchen. »Er war immer ehrlich zu mir, auch wenn anderswo mehr Profit zu machen gewesen wäre«, sagte ein grauhaariger Mann in einer groben Toga. »Ihm gehörte ein Fünftel meiner Läden in der Stadt, und er hat mir das Geld geliehen, um sie zu kaufen. Er war einer der seltenen Menschen, dem man in allem trauen konnte, und er war stets gerecht.« Gaius drückte seine Hand. »Vielen Dank. Tubruk vereinbart einen Termin mit dir, dann reden wir über die Zukunft.« Der Mann nickte. »Wenn er mich beobachten kann, dann möchte ich, dass er sieht, dass ich ehrlich zu seinem Sohn bin. Das, und noch viel mehr, bin ich ihm schuldig.« Andere folgten ihm, und mit Stolz sah Gaius die ungespielte Trauer, die sein Vater hinterlassen hatte. In Rom gab es eine Welt, die sein Sohn nie gesehen hatte, doch sein Vater war ein anständiger Mensch gewesen, und das war ihm wichtig: Die Stadt war ärmer geworden, weil sein Vater nicht mehr durch ihre Straßen ging. Einer der Trauergäste war in eine saubere Toga aus guter, weißer Wolle gekleidet und stach aus der Trauergesellschaft hervor. Er blieb nicht an dem Wagen stehen, sondern kam direkt auf Gaius zu. »Ich komme als Vertreter des Konsul Marius. Er weilt nicht in der Stadt, aber er hat mich geschickt, um dir zu sagen, dass er deinen Vater nicht vergessen wird.« Gaius dankte ihm freundlich, während er gleichzeitig fieberhaft nachdachte. »Überbringe Konsul Marius die Nachricht, dass ich ihn aufsuchen werde, sobald er wieder in der Stadt weilt.« Der Mann nickte. »Dein Onkel wird dich herzlich empfangen, da bin ich sicher. Heute in drei Wochen triffst du ihn wieder in seinem Haus an. Ich richte ihm deine Worte aus.« Der Bote zog sich wieder zurück und schritt durch die Menge zum Tor hinaus. Gaius sah ihm nach. Marcus trat neben ihn und sagte leise: »Schon jetzt bist du nicht mehr so alleine, wie du warst.« Gaius dachte an die Worte seiner Mutter. »Das stimmt. Er hat hohe Anforderungen an mich gestellt, und ich werde sie erfüllen. Ich werde dereinst kein geringerer Mann sein, wenn ich hier liege und mein Sohn diejenigen begrüßt, die mich gekannt haben. Das schwöre ich.« In die Stille des Morgens drangen die Stimmen der Praeficae, die leise immer und immer wieder die gleichen Worte des Verlustes sangen. Es war ein trauriger Klang, und er erfüllte die Welt, als die Pferde den Wagen mit seinem Vater langsam aus dem Tor zogen und sich die Menschen mit gesenkten Köpfen anschlossen. In wenigen Minuten hatte sich der Hof geleert. Gaius wartete noch auf Tubruk, der hineingegangen war, um nach Aurelia zu sehen. »Kommst du mit?«, fragte ihn Gaius, als er zurückkehrte. Tubruk schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier und kümmere mich um deine Mutter. Sie soll in diesem Augenblick nicht allein sein.« Wieder traten Tränen in Gaius’ Augen, und er ergriff den Arm des älteren Manns. »Schließe das Tor hinter mir, Tubruk. Ich glaube, ich schaffe es nicht.« »Du musst. Dein Vater ist unterwegs zur Grabstätte, und du musst ihm folgen, aber zuerst müssen die Tore vom neuen Herrn geschlossen werden. Es steht mir nicht zu, deinen Platz einzunehmen. Verschließe das Anwesen zum Zeichen der Trauer, und dann geh und zünde den Scheiterhaufen an. Das sind deine letzten Aufgaben, ehe ich dich Herr nennen werde. Jetzt geh.« Gaius, zu keinem weiteren Wort fähig, drehte sich um und zog die schweren Torflügel hinter sich zu. Der Leichenzug war mit seinen gemessenen Schritten noch nicht weit gekommen, und er ging langsam hinter ihm her, mit aufrechtem Rücken und schmerzerfülltem Herzen. Das Krematorium lag außerhalb der Stadt, in der Nähe der Familiengrabstätte. Seit Jahrzehnten schon waren Begräbnisse innerhalb der Mauern Roms verboten, weil die Stadt allen verfügbaren Platz für neue Gebäude brauchte. Schweigend sah Gaius zu, wie die Leiche seines Vaters auf einen hohen Scheiterhaufen gelegt wurde, in dessen Mitte sie den Blicken entzogen war. Das Holz und das Stroh waren mit parfümierten Ölen getränkt worden, und der Geruch von Blumen hing schwer in der Luft, während die Praeficae ihr Klagelied beendeten und stattdessen eines von Hoffnung und Wiedergeburt anstimmten. Der Mann, der den Leichnam seines Vaters für die Bestattung vorbereitet hatte, brachte Gaius eine fauchende Fackel. Er hatte die dunklen Augen und das ruhige Gesicht eines Mannes, der Tod und Trauer gewohnt war. Dann trat er an den Scheiterhaufen und spürte die Blicke aller Trauergäste auf sich lasten. Er würde in der Öffentlichkeit keine Schwäche zeigen, schwor er sich. Rom und sein Vater sahen genau hin, ob er schwach werden würde, doch das würde er nicht zulassen. So dicht am Scheiterhaufen war der Duft der Parfums beinahe überwältigend. Gaius nahm eine Silbermünze, öffnete den Mund seines Vaters und drückte das Metall gegen die kühle, trockene Zunge. Das war der Lohn für den Fährmann Charon; sein Vater würde die stillen Gefilde des Jenseits erreichen. Er schloss dem Toten den Mund, trat zurück und stieß die qualmende Fackel in das ölige Stroh am Fuß des Scheiterhaufens. Wieder musste er an den Geruch verbrennender Federn denken, aber die Erinnerung verflog ebenso rasch, wie sie gekommen war und bevor er sie einordnen konnte. Die Flammen züngelten rasch höher, das Knacken und Prasseln der Zweige wirkte im Vergleich zu den leisen Liedern der Praeficae unnatürlich laut. Mit gerötetem Gesicht trat Gaius vor der Hitze zurück, die Fackel schlaff in der Hand. Es war das Ende der Kindheit, während er noch ein Kind war. Die Stadt rief ihn, und er fühlte sich noch nicht dazu bereit. Der Senat rief ihn, und er hatte schreckliche Angst. Doch er würde das Andenken seines Vaters nicht enttäuschen und sich den Herausforderungen stellen, wenn sie auf ihn zukamen. In drei Wochen würde er das Gut verlassen und Rom als Bürger betreten, als Mitglied der Nobilitas. Endlich konnte er weinen. 12 »Rom - die größte Stadt der Welt«, sagte Marcus und schüttelte verwundert den Kopf, als sie die weite, gepflasterte Fläche des Forums betraten. Riesige Bronzestatuen blickten auf die kleine Gruppe herab, die ihre Pferde durch die geschäftigen Passanten lenkte. »Man merkt erst wirklich, wie groß das alles ist, wenn man ganz nah dran ist«, meinte Cabera, dessen übliches Selbstvertrauen einen Dämpfer erhalten hatte. Die Pyramiden in Ägypten hatte er größer in Erinnerung, doch die Menschen dort schienen mit ihren Grabmälern immer nur in die Vergangenheit zu schauen. Hier waren die großen Bauten für die Lebenden bestimmt, und er spürte den Optimismus, der darin lag. Auch Alexandria sah überwältigt aus, obwohl das zum Teil daran lag, wie sehr sich alles in den fünf Jahren verändert hatte, seit sie Gaius’ Vater für die Arbeit in der Küche gekauft hatte. Sie fragte sich, ob der Mann, dem ihre Mutter gehört hatte, immer noch irgendwo in der Stadt lebte, und schauderte, als sie sich an sein Gesicht erinnerte und daran, wie er sie behandelt hatte. Ihre Mutter war nie frei gewesen und als Sklavin gestorben, nachdem sie und einige andere in den Sklavenverschlägen unter einem der Verkaufshäuser Fieber bekommen hatten. Solche Seuchen kamen recht häufig vor; die großen Sklavenauktionshäuser waren gewohnt, jeden Monat einige Leichen für ein paar Münzen an die Aschenmacher zu verkaufen. Doch sie erinnerte sich daran, und in ihren Träumen drückte die wächserne Stille ihrer Mutter immer noch gegen ihre Arme. Sie schauderte erneut und schüttelte den Kopf, als wolle sie ihn so freibekommen. Ich werde nicht als Sklavin sterben, dachte sie insgeheim, und Cabera drehte sich zu ihr um, als hätte er ihren Gedanken gehört. Er nickte und zwinkerte, und sie lächelte ihm zu. Er war auch einer, der nirgendwo richtig hinzugehören schien, ganz gleich, wo er sich befand. Ich werde etwas Nützliches erlernen, damit ich Dinge herstellen und verkaufen kann, um mich dann später selbst freizukaufen, dachte sie und kümmerte sich nicht darum, dass die Pracht des Forums auch auf sie einen großen Eindruck machte. Wer würde an einem solchen Ort, der aussah, als sei er von Göttern errichtet worden, nicht ins Träumen geraten? Wenn man eine Hütte ansah, konnte man sich vorstellen, wie sie gebaut worden war, aber wer konnte sich vorstellen, wie diese Säulen errichtet worden waren? Alles strahlte und war unberührt von dem Dreck, an den sie sich erinnerte: enge schmutzige Straßen und hässliche Männer, die ihre Mutter stundenweise mieteten, während das Geld an den Besitzer des Hauses ging. Auf dem Forum gab es weder Bettler noch Huren, nur wohlgekleidete, saubere Männer und Frauen, die kauften, verkauften, aßen und tranken und über Politik und Geld diskutierten. Auf jeder Seite sprangen dem Auge gewaltige Tempel aus prächtigem Stein entgegen; riesige, an beiden Enden vergoldete Säulen; große Bögen, die zu Ehren militärischer Triumphe errichtet worden waren. Hier schlug das wahre Herz des Imperiums. Jeder von ihnen spürte das. Hier herrschten Selbstsicherheit und Arroganz; während der größte Teil der Welt noch im Dreck lebte, verfügten diese Menschen hier über Macht und unglaublichen Reichtum. Das einzige Anzeichen für die jüngsten Unruhen war die unübersehbare Anwesenheit grimmig dreinblickender Legionäre, die an jeder Ecke auf Posten standen und die Menge mit kalten Augen beobachteten. »Das alles hier dient nur dazu, dass die Menschen sich klein vorkommen«, murmelte Renius. »Aber es wirkt überhaupt nicht so!«, fuhr Cabera fort und blickte sich staunend um. »Es erfüllt mich mit Stolz, dass der Mensch so etwas bauen kann. Was für ein wunderbares Geschlecht wir doch sind!« Alexandria nickte schweigend. Dies hier war ein Beweis dafür, dass man alles erreichen konnte; vielleicht sogar die Freiheit. Aus Hunderten von kleinen Läden rings um den Platz priesen kleine Jungen die Waren und Dienstleistungen ihrer Herren: Barbiere, Tischler, Fleischer, Steinmetze, Gold- und Silberschmiede, Töpfer, Mosaikmacher, Teppichweber - die Liste war endlos, ein tosendes Durcheinander aus Farben und Geräuschen. »Das dort oben auf dem Kapitolshügel ist der Tempel des Jupiter. Nachdem wir bei deinem Onkel Marius waren, kommen wir hierher zurück und bringen ihm ein Opfer dar«, sagte Tubruk weltmännisch und lächelte in die Morgensonne. Er führte die Gruppe an und brachte sie mit erhobenem Arm zum Halten. »Wartet. Der Weg dieses Mannes wird den unseren kreuzen. Er ist ein hoher Staatsbeamter und darf nicht aufgehalten werden.« Die anderen hielten an. »Woher weißt du, wer das ist?«, fragte Marcus. »Siehst du den Mann neben ihm? Das ist ein Liktor, ein besonderer Bediensteter. Siehst du das Bündel auf seiner Schulter? Das sind hölzerne Ruten zum Auspeitschen und eine kleine Axt für Enthauptungen. Wenn, sagen wir mal, eines von unseren Pferden mit dem Magistrat zusammenprallen würde, könnte er auf der Stelle ein Todesurteil aussprechen. Er braucht dazu weder Zeugen noch Gesetze. Am besten geht man ihnen aus dem Weg, wo immer es möglich ist.« Schweigend beobachteten sie, wie der Mann und sein Diener den Platz überquerten, anscheinend ohne sich der ihnen gewidmeten Aufmerksamkeit bewusst zu sein. »Ein gefährlicher Ort für Unwissende«, flüsterte Cabera. »Meiner Erfahrung nach ist das überall so«, knurrte Renius von hinten. Jenseits des Forums kamen sie in kleinere Straßen, die nicht mehr der schnurgeraden Ausrichtung der Hauptstraßen folgten. Hier standen weniger Namen an den Kreuzungen. Die Häuser waren oft vier oder sogar fünf Stockwerke hoch, und vor allem Cabera bestaunte sie. »Was für eine Aussicht sie dort haben müssen! Sind sie sehr teuer, diese obersten Häuser?« »Wohnungen nennt man das, und nein, das sind die billigsten. In dieser Höhe gibt es kein fließendes Wasser, und sie sind bei Feuer sehr gefährlich. Wenn im Erdgeschoss ein Brand ausbricht, kommen die ganz oben nur selten heraus. Siehst du, wie klein die Fenster dort oben sind? Das dient zum Schutz gegen Sonne und Regen, aber es bedeutet auch, dass man nicht herausspringen kann.« Sie bahnten sich ihren Weg über die schweren Trittsteine, die, auf Lücke gelegt, die tiefer liegenden Straßen kreuzten. Ohne sie hätten anspruchsvolle Fußgänger in den schlammigen Dreck treten müssen, den Pferde und Esel hinterließen. Die Räder der Karren mussten einen genormten Abstand haben, damit sie durch die Lücken passten, und Cabera nickte vor sich hin, während er das Verfahren beobachtete. »Das ist eine gut geplante Stadt«, sagte er. »Etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen.« Tubruk lachte. »Es gibt nichts Vergleichbares. Man sagt, Karthago sei von ähnlicher Schönheit gewesen, aber wir haben es vor mehr als fünfzig Jahren zerstört und Salz auf dem Land verstreut, damit sie sich nie wieder gegen uns erhebt.« »Du sprichst fast so, als wäre eine Stadt ein Lebewesen«, antwortete Cabera. »Ist sie das denn nicht? Man kann das Leben spüren. Ich habe gespürt, wie sie mich willkommen hieß, als ich durch das Tor geritten bin. Das hier ist mein Zuhause, so wie es kein anderes Haus sein kann.« Auch Gaius spürte das Leben um sich herum. Obwohl er nie innerhalb der Mauern gelebt hatte, war sie doch ebenso sehr seine Heimat wie die Tubruks, vielleicht sogar noch mehr, da er zur Nobilitas gehörte, als freier Mann in das großartigste Volk der Welt hineingeboren war. Mein Volk hat das gebaut, dachte er. Meine Vorfahren haben ihre Hände an diese Steine gelegt und sind auf diesen Straßen gegangen. Mein Vater hat vielleicht an dieser Ecke gestanden, und meine Mutter könnte in einem der Gärten aufgewachsen sein, auf die ich von der Hauptstraße aus nur einen flüchtigen Blick werfen kann. Er hielt die Zügel entspannter. Cabera sah ihn an und lächelte, weil er den Stimmungsumschwung spüren konnte. »Wir sind fast da«, sagte Tubruk. »Wenigstens liegt Marius’ Haus weitab von dem Gestank des Unrats auf den Straßen. Der fehlt mir nicht, das kann ich euch versichern.« Sie bogen von der geschäftigen Straße ab und lenkten die Pferde einen steilen Hügel hinauf in eine ruhigere, sauberere Straße. »Hier stehen die Häuser der Reichen und Mächtigen. Sie besitzen Güter auf dem Land, haben aber hier ihre Stadtvillen, in denen sie Gäste empfangen und Ränke schmieden können, um noch mehr Macht und Reichtum zu gewinnen«, fuhr Tubruk fort, wobei seine Stimme so ausdruckslos klang, dass Gaius ihn verwundert ansah. Die Häuser waren durch mehr als mannshohe eiserne Tore vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützt. Jedes hatte eine Nummer und eine kleine Tür, durch die Fußgänger eintreten konnten. Tubruk erklärte ihnen, dass sie nur den kleinsten Teil der Anlagen sahen; die Gebäude erstreckten sich noch endlos nach hinten, mit privaten Bädern und Ställen und Innenhöfen, alles vor den gewöhnlichen Plebejern verborgen. »In Rom legt man großen Wert auf Privatsphäre«, sagte Tubruk. »Vielleicht gehört das zum Stadtleben. Wenn man auf einem Landgut einfach so mal vorbeikommt, wird das mit Sicherheit kaum jemanden stören, aber hier muss man Termine machen und sich ankündigen und warten und warten, bis sie bereit sind, einen zu empfangen. So, das hier muss es sein. Ich melde dem Torwächter unsere Ankunft.« »Dann verlasse ich euch hier«, sagte Renius. »Ich muss zu meinem eigenen Haus und nachsehen, ob es bei den Unruhen beschädigt worden ist.« »Denk an die Ausgangssperre. Schließ die Tür hinter dir, wenn die Sonne untergeht, mein Freund. Sie bringen immer noch jeden um, der sich nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen herumtreibt.« Renius nickte. »Ich werde aufpassen.« Er wendete sein Pferd, und Gaius legte ihm eine Hand auf den gesunden rechten Arm. »Du willst uns doch nicht verlassen? Ich dachte .« »Ich muss nach meinem Haus sehen. Außerdem muss ich eine Weile allein nachdenken. Ich bin noch nicht so weit, mich mit den anderen alten Männern zur Ruhe zu setzen; jetzt nicht mehr. Morgen bei Tagesanbruch komme ich zurück, um euch zu treffen und . auf jeden Fall bis morgen Früh bei Tagesanbruch.« Er lächelte und ritt davon. Als er den Hügel hinuntertrabte, fiel Gaius wieder auf, wie dunkel sein Haar war, welche Energie seinen Körper erfüllte. Er drehte sich um und sah Cabera an, der die Achseln zuckte. »Torwächter!«, rief Tubruk. »Lass uns ein.« Nach der Hitze in den Straßen Roms boten die kühlen Flure aus Stein, die nach hinten zum eigentlichen Anwesen führten, eine willkommene Abkühlung. Die Pferde und das Gepäck waren schnell fortgebracht worden, und die fünf Besucher wurden von einem älteren Sklaven in das erste Gebäude geführt. Vor einer Tür aus goldfarbenem Holz blieben sie stehen. Ein Sklave öffnete sie, ehe er sie mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte. »Hier findest du alles, was du brauchst, Meister Gaius. Konsul Marius lässt dir Zeit, dich nach deiner Reise zu waschen und umzuziehen. Er erwartet dich nicht vor Sonnenuntergang, in drei Stunden, wenn ihr zu Abend essen werdet. Soll ich deinen Gefährten den Weg zu den Gesindekammern zeigen?« »Nein. Sie bleiben bei mir.« »Wie du wünschst, Herr. Soll ich das Mädchen zu den Sklavenunterkünften bringen?« Gaius nickte langsam und dachte dabei nach. »Behandle sie gut. Sie ist eine Freundin meines Hauses.« »Aber natürlich, Herr«, erwiderte der Mann und gab Alexandria ein Zeichen. Sie warf Gaius einen Blick zu, und der Ausdruck in ihren dunklen Augen war nicht zu deuten. Ohne ein weiteres Wort ging der stille kleine Mann davon. Seine Sandalen machten auf dem Steinfußboden keine Geräusche. Die Zurückgebliebenen wechselten stumme Blicke und jeder von ihnen schöpfte Trost aus der Anwesenheit der anderen. »Ich glaube, die mag mich«, sagte Marcus in Gedanken versunken. Gaius sah ihn überrascht an, und Marcus zuckte die Achseln. »Hat auch tolle Beine.« Lachend betrat er ihre Unterkunft und ließ den verblüfften Gaius stehen. Cabera stieß einen leisen Pfiff aus, als er den Raum betrat. Die Decke lag vierzig Fuß über dem Mosaikboden und wurde von einer Reihe von Messingbalken getragen, die kreuz und quer über dem Raum verliefen. Die Wände waren in den dunklen Rot- und Orangetönen gestrichen, die sie so häufig gesehen hatten, seit sie in die Stadt gekommen waren, aber der Fußboden fesselte ihre Aufmerksamkeit, noch ehe sie zum Deckengewölbe hochblickten. Er bestand aus einer Reihe von Kreisen, die einen Marmorbrunnen in der Mitte des riesigen Raums umfassten. In jedem Kreis waren gehende oder laufende Figuren abgebildet, in dem Versuch erstarrt, den Vordermann zu erreichen. In den äußersten Kreisen waren Gestalten vom Markt abgebildet, die ihre Waren trugen, und wenn das Auge den Kreisen weiter nach innen folgte, konnte man unterschiedliche Teile der Gesellschaft entdecken: Sklaven, Beamte, Mitglieder des Senats, Legionäre, Ärzte. In einem Ring befanden sich nur Könige, bis auf ihre Kronen ausnahmslos nackt. Der innerste Ring, der einen Gürtel um den eigentlichen Brunnen bildete, enthielt Götterbilder; sie und nur sie standen still und richteten die Blicke auf die eiligen Horden, die eifrig im Kreis rannten, jedoch nie von einem Ring in den nächsten springen konnten. Gaius ging quer über die Kreise zum Brunnen, nahm eine Tasse, die auf dem marmornen Rand stand, und trank von dem Wasser. Eigentlich war er nur müde, und so sehr ihn die Schönheit des Raums auch beeindruckte, war es wichtiger für ihn, dass bei all dem Reichtum weder Liegen noch etwas zu Essen zu sehen waren. Die anderen folgten ihm durch einen Bogen in den nächsten Raum. »Das gefällt mir schon besser«, meinte Marcus fröhlich. Auf einem polierten Tisch war Essen angerichtet worden: Fleisch, Brot, Eier, Gemüse und Fisch, dazu Obst in goldenen Schalen. Weiche Liegen standen einladend herum, aber noch eine Tür führte weiter, und Gaius konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick dahinter zu werfen. In der Mitte des dritten Raums befand sich ein tiefes Becken. Das Wasser dampfte verlockend, und entlang der Wände standen Holzbänke, auf denen sich weiße, weiche Tücher türmten. An Ständern neben dem Wasser hingen Gewänder, und vier Sklaven standen neben niedrigen Tischen zur Massage bereit, falls das gewünscht wurde. »Ausgezeichnet«, sagte Tubruk. »Dein Onkel ist ein wundervoller Gastgeber. Ich nehme vor dem Essen erst einmal ein Bad.« Noch während er sprach, fing er an, seine Kleider abzulegen. Einer der Sklaven kam auf ihn zu und hielt ihm einen Arm für die Kleidungsstücke hin, die er auszog. Als Tubruk fertig war, verschwand der Sklave mit ihnen durch die einzige Tür. Kurz darauf kam ein anderer herein und nahm seinen Platz bei den Tischen ein. Tubruk ließ sich vollständig in das Wasser gleiten und hielt den Atem an, als er unter die Oberfläche tauchte und sich jeder Muskel in der Wärme entspannte. Als er wieder auftauchte, waren Gaius und Marcus aus ihren Sachen gesprungen, hatten sie einem anderen Sklaven zugeworfen und waren nackt und lachend am anderen Ende des Beckens ins Wasser getaucht. Auch vor Cabera stand ein Sklave und hielt ihm einen Arm für seine Sachen hin, doch der alte Mann betrachtete ihn skeptisch. Dann seufzte er und begann, das Gewand von seinem mageren Körper zu streifen. »Immer neue Erfahrungen«, sagte er, und zuckte zusammen, als er sich vorsichtig ins Wasser ließ. »Die Schultern, Bursche«, rief Tubruk einem der Diener zu. Der Mann nickte, kniete sich neben das Becken und drückte seine Daumen in Tubruks Muskeln, wo er mit geübten Bewegungen die Verspannungen löste, die dort seit dem Sklavenangriff auf das Gut gesessen hatten. »Herrlich«, seufzte Tubruk und döste vor sich hin, von der Wärme wohlig eingelullt. Marcus war als Erster wieder draußen und legte sich sofort auf den Massagetisch, wo er auf dem glatten Tuch in der kühleren Luft dampfte. Der in der Nähe stehende Sklave nahm einige Instrumente von seinem Gürtel, die fast wie eine Reihe von langen Messingschlüsseln aussahen. Er goss reichlich warmes Olivenöl auf Marcus’ nasse Haut und fing an, sie abzuschaben, fast so, als schuppe er einen Fisch. Damit löste er den Schmutz der Reise und wischte eine erstaunliche Menge an schwarzem Dreck auf ein Tuch an seiner Hüfte. Dann rieb er die Haut trocken und goss etwas Öl für die Massage nach, die er mit langen, gleitenden Bewegungen entlang der Wirbelsäule begann. Marcus stöhnte zufrieden. »Gaius, ich glaube, es wird mir hier gefallen«, murmelte er durch träge Lippen. Gaius lag im Wasser und ließ seine Gedanken schweifen. Vielleicht wollte Marius keine zwei großen Jungen hier haben. Er hatte keine eigenen Kinder, und die Götter wussten, dass es eine schwierige Zeit für die Republik war. All die zerbrechlichen Freiheiten, die sein Vater so geliebt hatte, waren in Gefahr, wenn an allen Straßenecken Soldaten standen. Als Konsul war Marius einer der beiden mächtigsten Männer der Stadt, aber jetzt, wo Sullas Legion in den Straßen stand, wurde seine Macht zu einer bloßen Fiktion, sein Leben war von Sullas Launen abhängig. Doch wie sollte Gaius die Interessen seines Vaters ohne die Hilfe seines Onkels schützen? Er musste in den Senat eingeführt werden, mit einer anderen Person als Bürgen. Er konnte nicht einfach den alten Platz seines Vaters einnehmen; man würde ihn hinauswerfen, und damit wäre alles vorbei. Mit Sicherheit waren die Blutsbande zu seiner Mutter ein wenig Hilfe wert, aber Gaius konnte sich nicht völlig sicher sein. Marius war der strahlende Legat, der seine Schwester hin und wieder besuchen kam, als Gaius noch klein war. Aber als sich ihre Krankheit verschlimmerte, waren die Besuche immer seltener geworden; seit dem letzten Besuch waren Jahre vergangen. »Gaius?« Marcus’ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Komm raus und lass dich massieren. Du denkst schon wieder zu viel nach.« Gaius grinste seinen Freund an und erhob sich aus dem Wasser. Der Gedanke, sich seiner Nacktheit wegen zu schämen, kam ihm gar nicht erst. Niemand schämte sich deshalb. »Cabera? Hast du dich schon mal massieren lassen?«, fragte er den alten Mann, dem bereits die Augen zufielen, im Vorbeigehen. »Nein, aber ich probiere alles aus«, erwiderte Cabera und watete auf die Stufen zu. »Dann bist du hier in der richtigen Stadt«, lachte Tubruk mit geschlossenen Augen. Sauber und erfrischt, mit neuen Kleidern und etwas gegen den gröbsten Hunger im Magen, wurden die vier bei Sonnenuntergang zu Marius geführt. Als Sklavin durfte Alexandria sie nicht begleiten, worüber Gaius einen Augenblick lang enttäuscht war. Wenn sie bei ihnen war, wusste er kaum, was er zu ihr sagen sollte, aber wenn sie nicht da war, fielen ihm lauter geistreiche Dinge ein, an die er sich dann später nicht mehr erinnern konnte, wenn er sie aussprechen wollte. Er hatte den Kuss in den Stallungen ihr gegenüber nicht wieder erwähnt und fragte sich, ob sie genau so oft daran dachte wie er. Er verscheuchte die Gedanken an sie aus seinem Kopf, denn er wusste, dass er hellwach und konzentriert sein musste, wenn er einem Konsul von Rom gegenübertrat. Ein wohlbeleibter Sklave hielt sie vor der Tür zu dem Zimmer auf und nestelte an ihrer Kleidung herum, zog einen geschnitzten Elfenbeinkamm hervor, um Marcus’ Locken zu bändigen und rückte Tubruks Überwurf gerade. Als sich seine fleischigen Finger Cabera näherten, schossen die Hände des alten Mannes vor und schlugen sie zur Seite. »Nicht anfassen!«, sagte er giftig. Das Gesicht des Mannes blieb ausdruckslos, und er fuhr fort, die anderen zurechtzumachen. Schließlich war er es zufrieden, auch wenn er sich einen strengen Blick auf Cabera gestattete. »Der Herr und die Herrin sind heute Abend anwesend. Verbeugt euch zuerst vor dem Herrn, während ihr euch vorstellt, und richtet den Blick während der Verbeugung zu Boden. Dann verbeugt euch vor Frau Metella, ein paar Fingerbreit weniger tief. Falls euer barbarischer Sklave es wünscht, kann er auch ein paarmal mit dem Kopf auf den Boden schlagen.« Cabera öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch der Sklave drehte sich um und stieß die Türen auf. Gaius trat als Erster ein. Er erblickte einen prächtigen Raum mit einem Garten in der Mitte, der zum Himmel hin offen war. Um das Rechteck des Gartens herum befand sich ein Säulengang, von dem weitere Zimmer abgingen. Weiße Steinsäulen trugen den Überhang des Dachs, und die Wände waren mit Szenen aus der römischen Geschichte bemalt: die Siege Scipios, die Eroberung Griechenlands. Marius und seine Frau Metella hatten sich erhoben, um ihre Gäste zu empfangen, und Gaius, der sich plötzlich sehr jung und verlegen fühlte, zwang sich zu einem Lächeln. Als er näher trat, sah er, wie ihn der Mann musterte, und fragte sich, zu welchen Schlüssen er wohl gelangen mochte. Marius selbst machte eine eindrucksvolle Figur. Als Legat Hunderter Feldzüge trug er eine lose Toga, die seinen rechten Arm und die Schulter unbedeckt ließ und den Blick auf gewaltige Muskeln und ein schwarzes Geflecht von Haaren auf Brust und Unterarmen freigab. Er trug keinerlei Schmuck oder Ziergegenstände, als wären solche Dinge für einen Mann von seiner Statur nicht vonnöten. Aufrecht stand er da und strahlte Stärke und Willenskraft aus. Sein Gesichtsausdruck wirkte streng; dunkelbraune Augen funkelten unter dichten Brauen hervor. Jeder seiner Gesichtszüge verriet die Stadt seiner Geburt. Er hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und sagte nichts, als Gaius vor ihn trat und sich verbeugte. Metella war einmal eine Schönheit gewesen, doch die Zeit und die Sorgen hatten sich in ihr Gesicht eingegraben, die Falten eines namenlosen Kummers hatten sich mit den Krallen einer alten Frau an ihrer Haut zu schaffen gemacht. Sie machte einen angespannten Eindruck; die Sehnen an ihrem Hals standen hervor. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie ihn betrachtete. Sie trug ein einfaches Kleid aus rotem Stoff, dazu Ohrringe und Armbänder aus hellem Gold. »Der Sohn meiner Schwester ist in meinem Haus stets willkommen«, sagte Marius mit einer Stimme, die den ganzen Raum füllte. Gaius wäre vor Erleichterung beinahe zusammengesackt, doch er hielt sich gerade. Marcus trat neben ihn und verbeugte sich geschmeidig. Metellas und sein Blick trafen sich, und das Zittern ihrer Hände wurde stärker. Gaius sah, wie Marius ihr einen besorgten Seitenblick zuwarf, als sie vortrat. »Was für wunderschöne Knaben«, sagte sie und streckte die Hände aus. Verwirrt ergriff jeder von ihnen eine. »Was ihr während der Aufstände durchgemacht habt! Was ihr gesehen haben müsst!« Sie hielt eine Hand an Marcus’ Wange. »Hier seid ihr in Sicherheit, versteht ihr? Unser Heim ist euer Heim, solange ihr wollt.« Marcus hob die Hand, legte sie auf die ihre und flüsterte: »Vielen Dank.« Er schien mit dieser seltsamen Frau besser zurechtzukommen als Gaius. Ihre Intensität erinnerte ihn zu schmerzhaft an seine eigene Mutter. »Du könntest vielleicht einmal nachsehen, wie weit die Vorbereitungen für das Mahl gediehen sind, meine Liebe, während ich mit den Jungen über geschäftliche Dinge rede«, dröhnte Marius’ Stimme fröhlich hinter ihnen. Sie nickte und ging hinaus, wobei sie Marcus noch einen Blick über die Schulter zuwarf. Marius räusperte sich. »Ich glaube, meine Frau mag euch«, sagte er. »Die Götter haben uns nicht mit eigenen Kindern gesegnet, und ich glaube, ihr werdet ihr Trost spenden.« Jetzt ließ er den Blick über die anderen wandern. »Tubruk! Wie ich sehe, bist du immer noch der fürsorgliche Wächter. Ich habe gehört, dass du bei der Verteidigung des Hauses meiner Schwester tapfer gekämpft hast.« »Ich habe meine Pflicht getan, Herr. Am Ende war es nicht genug.« »Der Sohn lebt, und die Mutter. Julius würde sagen, das ist genug«, erwiderte Marius. Damit richtete er seinen Blick wieder auf Gaius. »Ich kann das Gesicht deines Vaters in dem deinen sehen. Es tut mir Leid, dass er uns verlassen hat. Ich kann nicht behaupten, wir wären richtige Freunde gewesen, aber wir hatten Respekt voreinander, und das ist ehrlicher als so manche Freundschaft. Ich konnte nicht zu der Bestattung kommen, doch er war in meinen Gedanken und meinen Gebeten.« Gaius fing an, diesen Mann zu mögen. Vielleicht ist gerade das sein Talent, warnte ihn eine innere Stimme. Vielleicht ist er deshalb so oft gewählt worden. Er ist ein Mann, dem andere folgen. »Vielen Dank. Er hat stets gut von dir gesprochen«, sagte er laut. Marius lachte; ein kurzes Bellen. »Das bezweifele ich. Wie geht es deiner Mutter? Ist ihr Zustand ... unverändert?« »Mehr oder weniger, Herr. Die Ärzte verzweifeln.« Marius nickte, aber sein Gesicht gab nichts preis. »Du musst mich von jetzt an Onkel nennen, glaube ich. Ja. Onkel gefällt mir gut. Und du, wer ist das?« Wieder hatten sich seine Augen und seine Aufmerksamkeit ohne Vorwarnung dem Nächsten zugewandt. Diesmal ruhte sein Blick auf Cabera, der ihn ungerührt erwiderte. »Er ist ein Priester und Heiler und mein Berater. Sein Name ist Cabera«, erwiderte Gaius. »Woher kommst du, Cabera? Du hast keine römischen Gesichtszüge.« »Aus dem fernen Osten, Herr. Meine Heimat ist in Rom unbekannt.« »Lass hören. Ich bin in meinem Leben mit meiner Legion weit herumgekommen.« Marius musterte ihn unbarmherzig und ohne zu blinzeln. Cabera schien das nicht weiter zu stören. »Aus einem Bergdorf tausend Meilen östlich von Aegyptus. Ich habe es als Junge verlassen und seinen Namen vergessen. Auch ich bin seitdem weit gereist.« Der flammende Blick zuckte schlagartig fort, als Marius das Interesse verlor. Wieder sah er die beiden Jungen an. »Von jetzt an ist mein Haus euer Zuhause. Ich nehme an, Tubruk wird auf dein Gut zurückkehren?« Gaius nickte. »Gut. Sobald ich ein paar eigene Probleme geklärt habe, arrangiere ich deine Einführung in den Senat. Kennst du Sulla?« Gaius war sich schmerzhaft bewusst, dass er geprüft wurde. »Er hat im Augenblick die Kontrolle über Rom.« Marius runzelte die Stirn, doch Gaius fuhr fort: »Seine Legion patrouilliert in den Straßen, und das verschafft ihm eine Menge Einfluss.« »Da hast du Recht. Ich sehe schon, das Leben auf einem Gehöft hat dich über die Geschehnisse in der Stadt nicht vollkommen im Dunkeln gelassen. Kommt und setzt euch. Trinkt ihr Wein? Nein? Dann ist jetzt ein ebenso geeigneter Zeitpunkt wie jeder andere, es zu lernen.« Als sie sich auf den Liegen um den Tisch niederließen, auf dem sich die Speisen türmten, beugte Marius den Kopf und begann laut zu beten: »Großer Mars. Lass mich in den schwierigen Tagen, die da kommen, die richtigen Entscheidungen treffen.« Er richtete sich wieder auf, grinste sie an, und auf sein Zeichen hin schenkte einer der Sklaven Wein ein. »Dein Vater hätte ein großer Legat werden können, wenn er gewollt hätte«, sagte Marius. »Er hatte den schärfsten Verstand, dem ich je begegnet bin, aber er hat sich dafür entschieden, sein eigenes Interesse klein zu halten. Er hat die Realität der Macht nicht begriffen, nämlich die, dass sich ein starker Mann über die Regeln und Gesetze seiner Nächsten erheben kann.« »Er hatte eine hohe Meinung von den Gesetzen Roms«, erwiderte Gaius nach kurzem Nachdenken. »Ja. Das war sein einziger Fehler. Weißt du, wie oft ich zum Konsul gewählt worden bin?« »Dreimal«, warf Marcus ein. »Trotzdem erlaubt das Gesetz nur eine Amtszeit. Ich werde wieder und wieder gewählt werden, bis mir das Spiel zu langweilig wird. Ich bin ein zu gefährlicher Mann, als dass man mir etwas verweigern könnte, versteht ihr. Darauf läuft es letztlich hinaus, trotz aller Gesetze und Bestimmungen, die den alten Männern im Senat so viel bedeuten. Meine Legion steht treu zu mir, und nur zu mir. Ich habe den Landbesitz als Voraussetzung zum Eintritt in die Legion abgeschafft, deshalb verdanken mir viele Legionäre ihren einzigen Lebensunterhalt. Es stimmt schon, viele von ihnen stammen aus der Gosse Roms, aber trotz ihrer Herkunft und ihrer niederen Geburt sind sie stark und mir treu ergeben. Fünftausend Männer würden diese Stadt auseinander nehmen, würde ich ermordet werden, deshalb kann ich unbehelligt durch die Straßen gehen. Sie wissen, was geschehen wird, wenn ich sterbe, versteht ihr? Wenn sie mich nicht umbringen können, müssen sie mir gefällig sein, nur dass jetzt endlich auch Sulla bei diesem Spiel mitspielt, mit einer Legion, die nur ihm treu ergeben ist. Ich kann ihn nicht umbringen und er kann mich nicht umbringen, also knurren wir uns im Senat gegenseitig an und warten auf eine Schwäche. Im Augenblick ist er im Vorteil. Seine Männer stehen in den Straßen, wie du gesagt hast, während meine außerhalb der Stadtmauern lagern. Eine Pattsituation. Spielst du Latrunculi? Ich habe hier ein Brett.« Diese letzte Frage war an Gaius gerichtet, der blinzelte und den Kopf schüttelte. »Ich werde es dir beibringen. Sulla ist ein Meister darin, ebenso wie ich. Es ist ein gutes Spiel für Generäle. Es geht darum, den gegnerischen König umzubringen oder ihm seine Macht zu rauben, sodass er hilflos ist und aufgeben muss.« Ein Soldat trat in kompletter, glänzender Rüstung ein und salutierte mit steifem rechtem Arm. »Legat, die Männer, die du verlangt hast, sind hier. Sie haben die Stadt aus verschiedenen Richtungen betreten und sich hier versammelt.« »Ausgezeichnet! Weißt du, Gaius, ein weiterer Zug in diesem Spiel steht kurz bevor. Fünfzig meiner Männer befinden sich hier in meinem Haus. Falls Sulla nicht an jedem Tor Spione hat, weiß er nicht, dass sie die Stadt betreten haben. Wenn er ahnt, was ich vorhabe, wartet bei Tagesanbruch eine Zenturie seiner Legion vor meinem Haus, aber schließlich ist das ganze Leben ein Spiel, oder nicht?« Er wandte sich an den Wachtposten. »Wir brechen im Morgengrauen auf. Sorg dafür, dass sich meine Sklaven um die Männer kümmern. Ich komme bald nach.« Der Soldat salutierte wieder und ging. »Was hast du vor?«, fragte Marcus, der völlig verwirrt war. Marius erhob sich und reckte die Schultern. Er rief einen Sklaven herbei und trug ihm auf, seine Uniform vorzubereiten, damit sie bei Tagesanbruch bereit lag. »Habt ihr schon einmal einen Triumphzug gesehen?« »Nein. Ich glaube, es hat seit Jahren keinen mehr gegeben«, antwortete Gaius. »Es ist ein Recht, das jedem Legaten zusteht, der neue Länder erobert hat: seine Legionen durch die Straßen seiner geliebten Hauptstadt zu führen und die Liebe der Menge und den Dank des Senats entgegenzunehmen. Ich habe weite Gebiete fruchtbaren Ackerlands in Nordafrika erobert, so wie Scipio vor mir. Trotzdem ist mir von Sulla, der den Senat im Augenblick unter seiner Fuchtel hat, ein Triumphzug verweigert worden. Er sagt, die Stadt hätte zu viel Umwälzungen erlebt, aber das ist nicht der eigentliche Grund. Was aber ist der eigentliche Grund?« »Er will deine Männer nicht in der Stadt haben, unter welchem Vorwand auch immer«, sagte Gaius schnell. »Gut. Was soll ich also tun?« »Sie trotzdem in die Stadt bringen?«, riskierte Gaius eine Antwort. Marius erstarrte. »Nein. Das hier ist meine geliebte Hauptstadt. Noch nie ist eine feindliche Streitmacht durch ihre Tore eingedrungen. Ich will nicht der Erste sein. Das wäre rohe Gewalt, und die ist immer riskant. Nein, ich werde darum bitten! In sechs Stunden bricht der Tag an. Ich würde vorschlagen, ihr schlaft ein wenig, meine Herren. Sagt nur einem der Sklaven Bescheid, wenn ihr in eure Gemächer gebracht zu werden wünscht. Gute Nacht.« Er lachte trocken auf, ging davon und ließ die vier allein zurück. »Er ...«:, setzte Cabera an, doch Tubruk hielt warnend einen Finger in die Höhe und machte mit den Augen eine Bewegung zu den Sklaven hin, die unauffällig bereit standen. »Das Leben hier dürfte nicht langweilig werden«, sagte er leise. Gaius und Marcus nickten und grinsten sich an. »Ich würde gerne sehen, wie er darum >bittet<«, meinte Marcus. Tubruk schüttelte rasch den Kopf. »Zu gefährlich. Das geht bestimmt nicht ohne Blutvergießen ab, und ich habe euch nicht nach Rom gebracht, damit ihr gleich am ersten Tag getötet werdet! Wenn ich gewusst hätte, dass Marius etwas Derartiges plant, hätte ich den Besuch noch eine Weile hinausgezögert.« Gaius legte ihm eine Hand auf den Arm. »Du warst ein guter Beschützer, Tubruk. Aber das will ich sehen. Das lassen wir uns nicht verbieten.« Seine Stimme war ruhig, aber Tubruk starrte ihn an, als hätte Gaius geschrieen. Dann entspannte er sich. »Dein Vater war nie so tollkühn, aber wenn du fest entschlossen bist und Marius zustimmt, komme ich mit, um auf euch aufzupassen, so wie ich es immer getan habe. Cabera?« »Wo sollte ich denn sonst hingehen? Ich wandele immer noch auf dem gleichen Pfad wie du.« Tubruk nickte. »Dann bei Morgengrauen. Ich würde vorschlagen, dass ihr mindestens ein oder zwei Stunden vor Tagesanbruch aufsteht, um Dehnübungen zu machen und ein leichtes Frühstück einzunehmen.« Er stand auf und verbeugte sich vor Gaius. »Herr?« »Du kannst gehen, Tubruk«, sagte Gaius mit ausdrucksloser Miene. Tubruk ging. Marcus hob eine Augenbraue, doch Gaius ignorierte ihn. Sie waren nicht allein und konnten nicht die gleichen lockeren Beziehungen pflegen wie auf dem Gut. Verwandt oder nicht, Marius’ Haus war kein Ort, an dem man sich gehen lassen konnte. Tubruk hatte sie mit seiner formellen Art daran erinnert. Marcus und Cabera gingen kurz danach und ließen Gaius mit seinen Gedanken zurück. Er streckte sich auf der Liege aus und blickte in die nächtlichen Sterne über dem offenen Garten. Er spürte, wie seine Augen feucht wurden. Sein Vater war tot, und er war bei Fremden. Alles war neu und anders und überwältigend. Jedes Wort musste genau überlegt werden, ehe es den Mund verließ, jede Entscheidung genau bedacht. Es war anstrengend, und nicht zum ersten Mal wünschte er sich, wieder ein Kind und ohne jede Verantwortung zu sein. Wenn er damals einen Fehler gemacht hatte, hatte er sich immer an andere wenden können, doch wer war jetzt noch für ihn da? Er fragte sich, ob sich sein Vater oder Tubruk wohl jemals so verloren vorgekommen waren wie er. Es schien nicht möglich, dass sie die gleichen Ängste gekannt hatten. Als er sich wieder beruhigt hatte, stand er im Dunkeln auf und verließ leise den Raum, wobei er sich sein Ziel selbst kaum eingestand. Die Flure lagen still und scheinbar verlassen da, doch nachdem er nur ein paar Schritte gegangen war, trat ein Wachtposten auf ihn zu und sprach ihn an. »Kann ich dir helfen, Herr?« Gaius erschrak. Natürlich hatte Marius Wachen in seinem Haus und den Gärten aufgestellt. »Ich habe heute eine Sklavin mitgebracht. Ich würde gerne nach ihr sehen, ehe ich schlafen gehe.« »Ich verstehe, Herr«, erwiderte der Posten mit einem feinen Lächeln. »Ich zeige dir den Weg zu den Sklavenquartieren.« Gaius knirschte mit den Zähnen. Er wusste, was der Mann dachte, aber wenn er jetzt noch etwas sagte, würde er seinen Verdacht nur noch verstärken. Schweigend folgte er ihm, bis sie zu einer schweren Tür am Ende des Gangs kamen. Der Soldat klopfte leise, und sie brauchten nicht lange zu warten, bis sie sich öffnete. Eine ältere Frau funkelte den Wachtposten finster an. Ihre Haare waren fast grau und ihr Gesicht legte sich schnell in missbilligende Falten, ein Gesichtsausdruck, der bei ihr offensichtlich häufig zu sehen war. »Was willst du, Thomas? Lucilla schläft schon und ich habe dir schon einmal gesagt .« »Es geht nicht um mich. Dieser junge Mann ist Marius’ Neffe. Er hat heute ein Mädchen mitgebracht.« Das Verhalten der Frau änderte sich, als sie Gaius erblickte, der still und verzweifelt den Kopf schüttelte und sich fragte, wie viele Leute noch davon erfahren würden. »Alexandria, nicht wahr? Ein wunderschönes Mädchen. Mein Name ist Carla. Ich bringe dich zu ihrer Kammer. Die meisten Sklaven schlafen schon, also sei bitte leise.« Sie forderte Gaius mit einem Zeichen auf, ihr zu folgen, was er auch tat, Hals und Rücken steif vor Verlegenheit. Er spürte Thomas’ Blick im Rücken, ehe sich die Tür leise hinter ihm schloss. Dieser Teil von Marcus’ Haus war einfach, aber sauber. Von einem langen Korridor gingen viele Türen ab, und in regelmäßigen Abständen steckten kleine Kerzen in Haltern an der Wand. Nur wenige davon brannten, doch sie gaben genug Licht, damit Gaius sehen konnte, wohin er ging. Carla hatte ihre Stimme zu einem rauen Flüstern gesenkt. »Die meisten der Sklaven schlafen in mehreren Gemeinschaftsräumen, aber dein Mädchen hat eine von den Einzelkammern bekommen, die wir für Lieblingssklaven reservieren. Du hast doch gesagt, sie soll gut behandelt werden, nicht wahr?« Gaius errötete. Er hatte vergessen, welche Neugierde Alexandria und er bei Marius’ Sklaven wecken würde. Morgen früh würde jeder wissen, dass er sie in der Nacht besucht hatte. Sie bogen um eine letzte Ecke und Gaius erstarrte vor Überraschung. Die letzte Tür des Korridors stand offen und gegen das schwache Licht von drinnen sah er Alexandria stehen, wunderschön im flackernden Kerzenlicht. Sie allein hätte ihn schon den Atem anhalten lassen, doch es war jemand bei ihr, der im Schatten an der Wand lehnte. Carla schoss vor, und sie beide erkannten Marcus gleichzeitig. Er schien ebenso überrascht zu sein, sie zu sehen. »Wie bist du hier hereingekommen?«, wollte Carla mit gepresster Stimme wissen. Marcus blinzelte. »Ich habe mich durchs Haus geschlichen. Ich wollte nicht alle aufwecken«, erwiderte er. Gaius sah Alexandria an. Die Eifersucht schnürte ihm die Brust ein. Sie sah verärgert aus, doch das Funkeln in ihren Augen verstärkte nur ihr zersaustes Aussehen. Ihre Stimme klang schroff. »Wie ihr beide unschwer erkennen könnt, geht es mir gut, ich habe es hier recht angenehm. Sklaven müssen vor Tagesanbruch aufstehen, deshalb würde ich jetzt gerne schlafen gehen, falls ihr nicht auch noch Cabera oder Tubruk holen wollt.« Marcus und Gaius sahen sie überrascht an. Sie schien wirklich sehr wütend zu sein. »Nein? Dann gute Nacht.« Sie nickte ihnen mit zusammengepressten Lippen zu und schloss leise die Tür. Carla stand mit vor Überraschung weit geöffnetem Mund da. Sie wusste nicht, wie sie es anfangen sollte, sich zu entschuldigen. »Was machst du hier?«, verlangte Gaius mit leiser Stimme zu wissen. »Das Gleiche wie du. Ich dachte, sie wäre vielleicht einsam. Ich konnte ja nicht wissen, dass du daraus ein gesellschaftliches Ereignis machen würdest.« Überall im Korridor gingen Türen auf, und eine leise Frauenstimme rief: »Alles in Ordnung, Carla?« »Ja, meine Liebe. Vielen Dank«, zischte Carla zurück. »Hört mal. Sie ist zu Bett gegangen. Ich würde vorschlagen, dass ihr beide ihrem Beispiel folgt, ehe das ganze Haus zusammenläuft, um nachzusehen, was hier los ist.« Sie nickten mit mürrischen Gesichtern und gingen gemeinsam den Korridor wieder hinunter. Carla blieb zurück und presste eine Hand auf den Mund, um nicht loszulachen, ehe die beiden außer Hörweite waren. Fast wäre es ihr gelungen. Wie es Alexandria vorhergesagt hatte, erwachte Marius’ Haushalt zwei Stunden vor Tagesanbruch plötzlich zum Leben. Die Herde in der Küche wurden angefeuert, die Fenster geöffnet und Fackeln entlang der Wände aufgestellt, bis die Sonne aufging. Sklaven liefen emsig mit Tabletts voll Essen und Handtüchern für die Soldaten umher. Die Stille der dunklen Stunden wurde von rauem Gelächter und Rufen gestört. Gaius und Marcus wachten bei den ersten Geräuschen auf, Tubruk kurz nach ihnen. Cabera weigerte sich aufzustehen. »Was soll ich denn schon groß machen? Ich werde einfach in mein Gewand schlüpfen und zum Tor laufen! Noch zwei Stunden bis Tagesanbruch klingt für mich sehr verlockend.« »Du kannst dich waschen und frühstücken«, sagte Marcus mit hellwachen Augen. »Ich habe mich gestern gewaschen, und vor Mittag esse ich nie viel. Verschwinde.« Marcus ließ ihn liegen und schloss sich den anderen an, die ein wenig Brot mit Honig zu sich nahmen und es mit heißem, gewürztem Wein hinunterspülten, der ihnen den Magen wärmte. Sie hatten kein Wort über die Geschehnisse der vergangenen Nacht verloren, und beide spürten deutlich eine leise Spannung, die zwischen ihnen lag, und ein Schweigen in den Augenblicken, die sie normalerweise mit Plaudereien gefüllt hätten. Schließlich holte Gaius tief Luft. »Wenn sie dich mag, halte ich mich eben raus«, sagte er und betonte jedes Wort sehr deutlich. »Sehr anständig von dir«, erwiderte Marcus lächelnd. Er trank seinen Becher heißen Wein aus und verließ das Zimmer, wobei er sich mit einer Hand die Haare glatt strich. Tubruk betrachtete Gaius’ Miene und stieß ein bellendes Lachen aus, ehe er Marcus folgte. Marius, der frisch und ausgeruht aussah, trat unter dem Poltern eisenbeschlagener Sandalen auf Stein in die Gartenräume. In seiner Legatenuniform wirkte er noch größer, eine imponierende Erscheinung. Marcus merkte, wie er im Gang des anderen nach Schwächen suchte, so wie er jeden Gegner zu beobachten gelernt hatte. Hielt er eine Schulter nach einer alten Verletzung etwas tiefer, oder schonte er ein etwas schwächeres Knie? Da war nichts. Hier war ein Mann, der dem Tode nie nahe gewesen war, der nie die Verzweiflung kennen gelernt hatte. Obwohl ... er hatte keine Kinder. Seine einzige Schwäche. Marcus fragte sich, ob wohl Marius oder seine Frau unfruchtbar war. Die Götter waren bekannt für ihre Launen, doch dass einem Mann so viel gegeben wurde, ohne die Möglichkeit, es weiterzureichen, war ein schlechter Scherz. Marius trug einen Brustpanzer aus Bronze und einen langen roten Umhang über den Schultern. Er hatte den einfachen Gladius eines Legionärs umgeschnallt, obwohl Marcus der silberne Griff auffiel, der ihn von gewöhnlichen Schwertern unterschied. Seine braunen Beine unter dem Lederrock waren größtenteils nackt. Er bewegte sich gut, ungewöhnlich gut für einen Mann seines Alters. Seine Augen funkelten kaum wahrnehmbar vor Aufregung und Erwartung. »Es freut mich, dass ihr schon alle auf seid. Willst du mit meinen Männern marschieren?« Seine Stimme klang tief und ruhig, ohne eine Spur von Nervosität. Gaius lächelte und freute sich, nicht fragen zu müssen. »Das wollen wir alle. Mit deiner Erlaubnis ... Onkel.« Marius nickte bei diesem Wort mit dem Kopf. »Natürlich, aber haltet euch im Hintergrund. Dies ist ein gefährliches Morgenvergnügen, ganz egal, wie es ausgeht. Und noch etwas. Du kennst die Stadt nicht, und falls wir getrennt werden, ist dieses Haus vielleicht nicht mehr sicher. Suche Valcinus in den öffentlichen Bädern auf. Sie sind bis zum Mittag geschlossen, aber er wird dich einlassen, wenn du meinen Namen nennst. Seid ihr bereit?« Marcus, Gaius und Tubruk blickten einander an, wie benommen von dem Tempo der Ereignisse. Wenigstens zwei von ihnen waren zugleich ein wenig aufgeregt. Sie schlossen sich Marius an, der in den Hof hinausmarschierte, wo seine Männer geduldig warteten. Cabera stieß im letzten Augenblick zu ihnen. Seine Augen blinkten so aufgeweckt wie immer, doch auf Wangen und Kinn zeigten sich weiße Stoppeln. Marcus grinste ihn an, was mit einem finsteren Blick beantwortet wurde. Sie standen fast am Ende des Trupps, und Gaius betrachtete die Mienen der Soldaten um ihn herum. Sie waren alle braun gebrannt, hatten dunkles Haar und trugen rechteckige Schilde an den linken Arm geschnallt. Auf dem Messing der Vorderseite jeden Schilds war das einfache Wappen des Hauses von Marius zu sehen: drei gekreuzte Pfeile. In diesem Augenblick verstand Gaius, was Marius gemeint hatte. Dies hier waren römische Soldaten, die ihre Stadt bis zum Letzten verteidigen würden, ihre Ergebenheit jedoch galt dem Wappen, das sie trugen. Alle schwiegen, während sie darauf warteten, dass die Flügel des großen Tores aufschwangen. Metella trat aus der Dunkelheit und küsste Marius, der den Kuss leidenschaftlich erwiderte und seiner Frau mit einer Hand ans Gesäß griff. Seine Männer, die seine aufgekratzte Stimmung nicht teilten, sahen teilnahmslos zu. Dann drehte sie sich um und küsste Gaius und Marcus. Zu ihrer Überraschung sahen sie Tränen in ihren Augen glänzen. »Kehrt wohlbehalten wieder zu mir zurück. Ich warte auf euch alle.« Gaius sah sich nach Alexandria um. Er hatte die vage Absicht, ihr von seiner edlen Entscheidung zu erzählen, das Feld für Marcus zu räumen. Er hoffte, dass sie sein Opfer rühren und sie Marcus’ Annäherungsversuche zurückweisen würde. Unglücklicherweise konnte er sie nirgends entdecken, und dann ging das Tor auf, und es blieb keine Zeit mehr. Gaius und Marcus schlossen sich Tubruk und Cabera an, als Marius’ Soldaten unter großem Lärm in die morgendlichen Straßen Roms hinausmarschierten. 13 Unter normalen Umständen hätten die Straßen Roms bei Tagesanbruch verlassen dagelegen. Die meisten Menschen wären erst am späten Morgen erwacht, um dann bis Mitternacht ihren Geschäften nachzugehen. Durch die Ausgangssperre hatte sich der Tagesablauf verschoben. Die Läden öffneten bereits, als Marius und seine Männer sich auf den Weg machten. Der Legat führte seine Soldaten mit lockerem, selbstbewusstem Schritt an. Passanten stießen Warnrufe aus, und Gaius sah Leute, die sich beim Anblick der bewaffneten Männer rasch in Hauseingänge zurückzogen. Nachdem erst vor kurzem Aufstände stattgefunden hatten, hatte niemand Lust, stehen zu bleiben und dem Zug zuzusehen, der sich den Hügel zum Forum hinunterschlängelte, wo sich die Gebäude des Senats befanden. Zunächst leerten sich die Hauptstraßen, als die Arbeiter, die früh auf den Beinen waren, zur Seite traten, um den Soldaten Platz zu machen. Gaius spürte ihre Blicke und hörte sie wütend knurren. Ein Wort wurde von den grimmigen Gesichtern ständig wiederholt: »Scelus!« - die Anwesenheit der Soldaten auf den Straßen war ein Verbrechen. Der Morgen war kühl und feucht. Gaius fröstelte ein wenig. Auch Marcus sah im fahlen Licht grimmig aus und nickte, als sich ihre Blicke trafen. Seine Hand lag auf dem Knauf seines Gladius’. Die Atmosphäre wurde durch das Scheppern und Krachen, das die Männer beim Marschieren erzeugten, noch angespannter. Gaius war nicht klar gewesen, wie laut fünfzig Soldaten sein konnten, doch die engen Straßen hallten vom Klirren der eisenbeschlagenen Sandalen wider. Die Fenster der Wohnungen in den oberen Stockwerken gingen auf, als sie vorbeikamen, und jemand brüllte wütend, doch sie marschierten weiter. »Sulla wird euch die Augen ausstechen!«, schrie ein Mann, ehe er seine Tür zuschlug. Marius’ Männer ignorierten sowohl den Spott als auch die Menge, die sich hinter ihnen sammelte und sich, angezogen von der Aufregung und Gefahr, in einen rasch anwachsenden Pöbel verwandelte. Ein Legionär, der Sullas Zeichen auf dem Schild trug, drehte sich um, als er den Lärm hörte, und erstarrte. Sie marschierten auf ihn zu, und Gaius konnte die plötzliche Aufregung spüren, als sich alle Augen auf den einsamen Mann richteten. Dann siegte die Besonnenheit über die Tapferkeit, und er verschwand im Laufschritt um eine Ecke. Ein Mann in der ersten Reihe neben Marius machte Anstalten, die Verfolgung aufzunehmen, doch der Legat hielt ihm eine Hand vor die Brust. »Lasst ihn laufen. Er soll ihnen sagen, dass ich komme.« Seine Stimme drang durch die Reihen, und Gaius bewunderte seine Ruhe. Niemand sonst sagte etwas, und sie marschierten in schepperndem Gleichschritt weiter. Cabera schaute sich um und erbleichte, als er sah, wie sich die Straßen hinter ihnen mit Menschen füllten. Es gab keine Möglichkeit zum Rückzug mehr. Eine dicht gedrängte Menschenmenge folgte ihnen auf dem Fuß. Mit vor Aufregung leuchtenden Augen johlten und riefen sie. Cabera zog einen kleinen blauen Stein an einem Lederriemen aus der Tasche, den er küsste, während er ein kurzes Gebet murmelte. Tubruk sah den alten Mann an und legte ihm die Hand auf die Schulter. Als sie den großen Platz des Forums erreichten, war die Menge so sehr angewachsen, dass sie auch die Parallelstraßen füllte und sich hinter ihnen und um sie herum auf die freie Fläche ergoss. Gaius spürte, wie die Männer, hinter denen er marschierte, nervös wurden, sah, wie sich ihre Muskeln spannten, als sie die Schwerter für alle Fälle in den Scheiden lockerten. Er schluckte und merkte, wie ausgetrocknet seine Kehle war. Sein Herz hämmerte, und ihm war ein wenig schwindlig. Als wolle sie sich über die herrschende Stimmung lustig machen, brach die Sonne genau in dem Augenblick, als sie das Forum betraten, aus dem Morgendunst hervor und ließ die Statuen und Tempel auf einer Seite golden aufleuchten. Vor sich erblickte Gaius die Stufen des Senatsgebäudes und leckte sich über die mit einem Mal trockenen Lippen, als in weiße Roben gekleidete Gestalten aus dem Inneren traten und sie erwarteten. Auf den Stufen zählte er vier von Sullas Legionären, die Hände an den Schwertern. Weitere würden schon unterwegs sein. Hunderte von Menschen strömten aus allen Richtungen auf das Forum; aus den nahe gelegenen Straßen hallten spöttische Rufe. Alle Augen schauten auf Marius und seine Männer. Die Menge ließ eine Gasse zum Senat frei. Sie kannte das Ziel, ohne davon unterrichtet worden zu sein. Gaius biss die Zähne zusammen. So viele Menschen! Sie schienen keinerlei Angst oder Ehrfurcht zu kennen, zeigten auf diesen oder jenen, riefen, drängelten und schubsten sich gegenseitig, um besser sehen zu können. Allmählich bereute Gaius seine Bitte, die Soldaten begleiten zu dürfen. Am Fuß der Stufen ließ Marius seine Männer halten und trat einen Schritt vor. Die Menge drängte näher, besetzte jeden freien Zentimeter. Die Luft roch nach Schweiß und scharf gewürztem Essen. Dreißig breite Stufen führten zu den Türen des Sitzungssaals hinauf. Neun Senatoren standen darauf. Gaius erkannte das Gesicht Sullas, der auf der obersten Stufe stand. Er blickte Marius unverwandt und ausdruckslos an; sein Gesicht war wie eine Maske. Die Hände hielt er auf dem Rücken, als wolle er gleich einen Vortrag beginnen. Seine vier Legionäre hatten sich auf der untersten Stufe postiert, und Gaius sah, dass zumindest sie nervös darauf warteten, was als Nächstes passieren würde. Wie auf ein Zeichen schwieg die immer noch anwachsende Menge plötzlich, nur hier und da wurde die Stille vom Murren und Fluchen derer unterbrochen, die um bessere Plätze kämpften. »Ihr kennt mich alle«, brüllte Marius. Seine Stimme war in der Stille weithin zu hören. »Ich bin Marius, Legat, Konsul, Bürger. Hier, vor dem Senat, fordere ich mein Recht ein, einen Triumphzug abzuhalten, in Anerkennung der Eroberungen, die meine Legion in Afrika gemacht hat.« Die Menge drängte näher heran. Vereinzelt flogen Fäuste, und schrille Schreie durchbrachen die Spannung des Augenblicks. Der Pöbel drückte gegen die Soldaten, und zwei von ihnen mussten die Arme heben und die Leute zurückdrängen, was noch mehr wütendes Geschrei zur Folge hatte. Gaius spürte die hässliche Stimmung der Menge. Sie hatten sich hier auf dem Forum versammelt wie zu einer Vorstellung im Zirkus, um Tod und Gewalt zu sehen und sich unterhalten zu lassen. Er bemerkte, dass die anderen Senatoren auf eine Antwort von Sulla zu warten schienen. Als einziger anderer Konsul lag die Autorität der Stadt bei ihm. Er stieg zwei Stufen herab, näher zu seinen Soldaten. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet, aber seine Worte klangen besonnen. »Das, was du tust, ist ungesetzlich. Sag deinen Männern, sie sollen sich zerstreuen. Komm herein, dann können wir darüber reden, wenn der Senat vollzählig zusammengetreten ist. Du kennst das Gesetz, Marius.« Diejenigen in der Menge, die ihn verstehen konnten, jubelten, während andere Beschimpfungen johlten, in dem Wissen, durch die heftig hin- und herwogende Menschenmasse geschützt zu sein. »Ich kenne das Gesetz! Ich weiß, dass ein Legat das Recht auf einen Triumphzug hat. Ich fordere mein Recht ein. Willst du es mir verweigern?« Auch Marius war einen Schritt vorgetreten, und die Menge wogte schiebend und stoßend mit ihm nach vorne, wobei sie auf die Stufen des Senats zwischen den beiden Männern vordrang. »Vappa! Cunnus!« Sie schleuderten den Soldaten, die sie zurückhielten, unflätige Ausdrücke an den Kopf, und Marius drehte sich zu der ersten Reihe seiner halben Zenturie um. Seine Augen waren kalt und schwarz. »Genug. Schafft Platz für euren Legaten!«, sagte er mit grimmiger Stimme. Die vordersten zehn Männer zogen ihre Schwerter und streckten die ihnen am nächsten stehenden Menschen in der Menge nieder. Innerhalb von Sekunden strömte Blut aus aufgeschlitzten Leibern über die Marmorstufen. Sie hörten nicht auf, sondern töteten mit gefühlloser Konzentration weiter. Frauen und Männer fielen vor ihnen zu Boden. Ein Aufschrei ging durch die Menge, während sie zurückzuweichen versuchte, doch die hinten Stehenden konnten nicht sehen, was passierte, und drängten immer weiter nach vorne. Jetzt zogen alle fünfzig Soldaten ihre Gladii und schlugen um sich, ohne Rücksicht darauf, wer durch ihre Klingen fiel. Es konnte vom Anfang bis zum Ende lediglich wenige Sekunden gedauert haben, Gaius und Marcus jedoch, die nur voller Schrecken mit ansehen konnten, wie die Menge reihenweise wie Weizen niedergemäht wurde, kam es wie Stunden vor. Die Leichen lagen auf dem Forum verstreut, und die Menge, die die Botschaft nun verstanden hatte, versuchte zu fliehen. Nach ein paar weiteren Sekunden hatte sich ein breiter Ring um Marius und seine Männer gebildet, der breiter wurde, als Bürger und Sklaven vor den roten Schwertern zurückwichen. Kein Wort war gesprochen worden. Die Klingen wurden an den Toten abgewischt und wieder in die Scheiden gesteckt. Die Männer nahmen ihre Positionen wieder ein, und Marius blickte erneut zu den Senatoren hinauf. Die Steine des Forums glänzten nass vor Blut. Die anderen Männer auf den Stufen waren bleich geworden und unwillkürlich einige Schritte zurückgewichen, um dem Gemetzel zu entkommen. Nur Sulla war stehen geblieben. Seine Lippen verzogen sich zu einer bitteren Grimasse, als ihm der Geruch von frischem Blut und aufgerissenen Eingeweiden entgegenwehte. Die beiden Männer sahen sich lange an, als wären sie die Einzigen auf dem Forum. Der Moment dehnte sich aus, und Marius hob die Hand, als wolle er seinen wartenden Männern einen weiteren Befehl erteilen. »Heute in einem Monat«, stieß Sulla hervor. »Halte deinen Triumphzug ab, Legat, aber denke daran, dass du dir heute einen Feind gemacht hast. Genieße die Augenblicke der Freude, die dir zustehen.« Marius neigte den Kopf. »Ich danke dir, Sulla, für deine Weisheit.« Er wandte den Senatoren den Rücken zu und ließ die Soldaten kehrtmachen, während er durch ihre Reihen schritt, um wieder seine Position an der Spitze einzunehmen. Die Menge hielt sich zurück, aber alle Gesichter waren vor bitterer Wut gezeichnet. »Vorwärts«, ertönte der Befehl, und wieder war das Klirren von Eisen auf Stein zu hören, als die halbe Zenturie ihrem Legaten über den Platz folgte. Gaius blickte Tubruk und Marcus an und schüttelte verwundert den Kopf, sagte jedoch nichts. Aus den Augenwinkeln konnte er eine Zenturie von Sullas Männern sehen, die mit den gezückten Schwertern aus einer Seitenstraße heraus auf den Platz gerannt kam. Er erstarrte und wollte gerade einen Warnruf ausstoßen, als er sah, wie Tubruk den Kopf schüttelte. Hinter ihnen ließ Sulla seine Männer mit einer Handbewegung anhalten. Sie nahmen Aufstellung und sahen mit wütenden Gesichtern zu, wie Marius abrückte. Als Gaius den Rand des Forums erreichte, sah er Sulla mit der rechten Hand eine Kreisbewegung in der Luft machen. »Ein bisschen zu knapp für meinen Geschmack«, flüsterte Tubruk. Weiter vorn schnaubte Marius, der die Bemerkung gehört hatte, verächtlich. Er schritt entschlossen voran, und ließ seine laute Stimme vernehmen. »Marschordnung in den Straßen, Männer. Es ist noch nicht vorbei.« Die Soldaten bildeten eine dicht gestaffelte Einheit. Marius schaute sich um. »Behaltet die Seitenstraßen im Auge. Sulla wird uns nicht einfach davonkommen lassen, wenn er es verhindern kann. Bleibt wachsam und haltet die Schwerter griffbereit.« Gaius war wie betäubt, er wurde von Ereignissen mitgerissen, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Sollte dies die Sicherheit im Schatten seines Onkels sein? Von allen Seiten von Legionären eingeschlossen, ging er mit seinen Freunden im Gleichschritt mit. Hinter ihm erklang ein kurzer, bellender Schrei, und Gaius wirbelte herum, wobei ihn der Soldat, der hinter ihm lief, fast zu Fall brachte. Einer der Männer lag auf den Pflastersteinen, im Dreck der Straße. Blut bildete eine Lache um ihn, und Gaius sah flüchtig, wie drei Männer wie wahnsinnig auf ihn einstachen. »Sieh nicht hin«, warnte Tubruk und drehte Gaius mit sanftem Druck gegen die Schulter wieder nach vorne. »Aber der Mann! Sollten wir nicht anhalten?«, rief Gaius verwundert. »Wenn wir anhalten, sterben wir alle. Sulla hat seine Hunde losgelassen.« Gaius spähte in die Seitenstraße, die sie gerade passierten und sah eine Gruppe von Männern, die mit gezückten Dolchen auf sie zu gerannt kamen. Ihrer Körperhaltung nach waren es Legionäre, aber ohne Uniform. Gaius zog nahezu gleichzeitig mit allen anderen sein Schwert. Sein Herz begann wieder zu hämmern; er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. »Behaltet die Nerven! Wir bleiben auf keinen Fall stehen«, rief Marius mit angespannten Hals-und Rückenmuskeln nach hinten. Die Männer mit den Messern fielen über die letzte Reihe her, als sie an ihnen vorbeilief. Einer von ihnen sank mit einem Gladius in den Rippen zu Boden, ehe die anderen ihr Opfer zu Boden werfen konnten. Er schrie vor Angst, als man ihm sein Schwert entriss, doch dann erstarb der Schrei plötzlich. Während sie weitermarschierten, hörte Gaius hinter sich Triumphgeheul. Er drehte sich kurz um und wünschte sogleich, er hätte es nicht getan, denn die Angreifer hielten einen blutigen Kopf hoch und heulten wie die Tiere. Die Männer um ihn herum fluchten wild, und einer von ihnen blieb plötzlich mit erhobenem Schwert stehen. »Komm weiter, Vegus, wir haben es fast geschafft«, beschwor ihn ein anderer, doch er schüttelte die Hände auf seinen Schultern ab und spuckte auf den Boden. »Er war mein Freund«, murmelte er, trat aus dem Glied und rannte auf die blutverschmierte Gruppe zu. Gaius versuchte zu beobachten, was passieren würde. Er konnte den Aufschrei hören, als sie ihn kommen sahen, doch dann schienen immer mehr Männer aus den Gassen zu strömen, und er wurde ohne einen Laut in Stücke gerissen. »Ruhig«, rief Marius, und Gaius hörte zum ersten Mal Zorn in seiner Stimme. »Ruhig«, rief er noch einmal. Marcus nahm einen Dolch von dem Mann zu seiner Rechten und ließ sich durch die Reihen zurückfallen. Er war in der letzten Dreierreihe, als sie an der dunklen Öffnung einer Gasse vorbeikamen, aus der vier Männer gesprungen kamen, die Messer zum Töten erhoben. Marcus duckte sich und fing das Körpergewicht eines Angreifers ab, als sie in einer brutalen Umarmung zusammenkrachten. Er zog sein Messer quer durch die Kehle, die er so dicht neben seiner eigenen sehen konnte, und blinzelte, als das Blut über ihn sprudelte. Dann benutzte er den Leib des anderen, um einen weiteren Angriff abzublocken, und warf ihn den restlichen Angreifern entgegen. Während er landete, starben die Männer unter den schnellen, kräftigen Stichen der drei Legionäre, die dann ohne ein Wort die Reihen wieder schlossen. Einer von ihnen schlug Marcus auf die Schulter, und Marcus grinste ihn an. Er schlängelte sich wieder durch die Reihen und nahm, ein wenig außer Atem, seinen Platz an Gaius’ Seite ein. Gaius legte ihm kurz seine Hand ins Genick. Dann öffneten sich vor ihnen die Tore, und sie waren in Sicherheit. Sie blieben in Formation, bis der letzte Mann im Hof war. Als die Tore sich schlossen, lief Gaius zurück, um den Hügel hinabzublicken, den sie gemeinsam heraufgekommen waren. Er lag verlassen da, kein Mensch war zu sehen. Rom schien so ruhig und friedlich wie immer. 14 Marius strahlte förmlich vor Freude und Energie, als er zwischen seinen Männern hindurchschritt, ihnen auf die Schultern klopfte und lachte. Sie grinsten wie Schuljungen, die von ihrem Lehrer gelobt werden. »Wir haben es geschafft, Jungs!«, rief Marius. »Heute in einem Monat werden wir der Stadt einen Tag bieten, an den sie sich noch lange erinnern wird.« Sie jubelten ihm zu, und er rief nach Wein und Erfrischungen und wies alle Sklaven seines Haushaltes an, die Männer wie Könige zu behandeln. »Alles, was sie wollen!«, brüllte er. Weinbecher aus Gold und Silber wurden in die groben Hände aller Männer gedrückt, die es durch das Tor zurück geschafft hatten, einschließlich Gaius und Marcus. Dunkelroter Wein schwappte und gluckerte, als er aus Tonkrügen eingeschenkt wurde. Alexandria war unter den anderen Sklaven und lächelte sowohl Marcus als auch Gaius an. Gaius nickte ihr zu, aber Marcus zwinkerte, als sie vorüberging. Tubruk roch an seinem Wein und lachte. »Der Beste.« Marius hielt seinen Becher mit ernstem Gesicht in die Höhe. Nach ein paar Sekunden wurde es still. »Auf die, die es heute nicht geschafft haben, die für uns gestorben sind. Tagoe, Luca und Vegus. Gute Männer, einer wie der andere.« »Alles gute Männer!« Die Stimmen antworteten der seinen in einem heiseren Chor, dann wurden die Becher geleert und den Sklaven zum Nachschenken hingestreckt. »Er kannte ihre Namen«, flüsterte Gaius Tubruk zu, der den Kopf dicht zu ihm hinüberbeugte, um zu antworten. »Er kennt alle ihre Namen«, murmelte er. »Deshalb ist er ein guter Legat. Deshalb lieben sie ihn. Er könnte dir etwas über jeden Mann hier erzählen, und auch über einen guten Teil der Legion außerhalb Roms. Nenn es einen Trick, wenn du willst, eine billige Masche, um die Männer, die ihm dienen, zu beeindrucken. Das würde er dir antworten, wenn du ihn fragen würdest.« Er hielt inne, um dem Legaten zuzusehen, der einen riesigen, stämmigen Soldaten in den Schwitzkasten genommen hatte und mit ihm durch die Menge lief. Der Mann brüllte, wehrte sich jedoch nicht. Er nahm es so, wie es gemeint war. »Sie sind seine Kinder, glaube ich. Du kannst sehen, wie sehr er sie liebt. Dieser große Kerl könnte Marius wahrscheinlich die Arme ausreißen, wenn er wollte. An einem anderen Tag würde er einen Mann niederstechen, weil er ihn in der Mittagssonne schief angesehen hat. Aber Marius kann ihn am Kopf herumzerren, und er lacht. Ich weiß nicht, ob man einem Mann diese Fähigkeit beibringen kann. Ich denke, so etwas ist angeboren, oder eben nicht. Man braucht es nicht einmal zu können, um ein guter Legat zu sein. Diese Männer würden für Sulla kämpfen, wenn sie in seiner Legion wären. Sie würden für ihn kämpfen, die Formation halten und für ihn sterben. Aber sie lieben Marius, deshalb kann man sie nicht bestechen oder kaufen, und sie laufen im Kampf nicht davon, niemals, bis zum letzten Mann. Zumindest nicht, wenn er es sieht. Früher musste man Land besitzen, um in die Legion zu kommen. Marius hat das abgeschafft. Jetzt kann jeder Karriere machen, indem er für Rom kämpft, zumindest für ihn. Die Hälfte der Männer hätte es niemals in die Armee geschafft, ehe Marius sein Gesetz durch den Senat brachte. Sie schulden ihm viel.« Langsam verließen die Männer den Platz vor dem Eingang, um sich von den hübschesten Sklavinnen des Hauses baden und massieren zu lassen. Mehrere Schönheiten hatten bereits Arme ergriffen und staunten lautstark über die Geschichten von großer Tapferkeit und Mut im Kampf. Als Marius den Kopf des großen Legionärs losließ, rief er sogleich ein Mädchen herbei, eine schlanke Brünette mit dunklen, mit Kohlestift umrandeten Augen. Der große Mann blickte sie kurz an, grinste wie ein Wolf und nahm sie auf seine Arme. Ihr Lachen hallte von den Ziegelwänden wider, als er mit ihr in Richtung der Hauptgebäude loszog. Ein junger Soldat ließ Alexandria seinen muskulösen Arm auf die Schulter fallen und sagte etwas zu ihr. Marcus trat schnell von hinten an den Mann heran. »Dieses Mädchen nicht, mein Freund. Sie ist nicht aus diesem Haus.« Der Soldat sah ihn an und bemerkte an der Haltung und dem Gesichtsausdruck des Jungen sofort, dass es ihm Ernst war. Er zuckte die Achseln und rief einem anderen Sklavenmädchen etwas zu, das gerade vorbeilief. Gaius hatte den Wortwechsel beobachtet, und als Alexandria ihm in die Augen sah, malte sich Zorn auf ihrem Gesicht. Sie kehrte Marcus den Rücken zu und ging in das kühle Innere der Gartenräume davon. Marcus wandte sich an seinen Freund. Ihm war ihr Gesicht aufgefallen, und sein eigenes war sehr nachdenklich geworden. »Wieso war sie denn so böse?«, fragte Gaius aufgebracht. »Ich glaube nicht, dass sie gerne mit diesem großen Ochsen mitgegangen wäre. Du hast sie gerettet.« Marcus nickte. »Das könnte ja gerade das Problem sein. Vielleicht wollte sie sich ja nicht von mir retten lassen. Vielleicht wollte sie, dass du es tust.« »Oh.« Gaius’ Miene hellte sich auf. »Meinst du?« Marius kam zu Gaius und seinen Freunden herübergewankt. Er lachte immer noch, und seine Haare klebten ihm von dem Wein, mit dem man ihn übergossen hatte, an der Stirn. Seine Augen strahlten vor Freude. Er packte Gaius an beiden Schultern. »Nun, mein Junge? Wie hat dir Rom beim ersten Mal geschmeckt?« Gaius grinste zurück. Man konnte gar nicht anders. Die Stimmungen des Manns waren ansteckend. Wenn er die Stirn runzelte, dann schwebten dunkle Wolken von Furcht und Angst über ihm und berührten alle, denen er begegnete. Lächelte er, so wollte man mitlächeln. Man wollte einer von seinen Männern sein. Gaius spürte die Macht dieses Mannes, und zum ersten Mal fragte er sich, ob er wohl selbst jemals die gleiche Art von Loyalität verdienen würde. »Es war erschreckend, aber zugleich auch aufregend«, erwiderte er, und seine Lippen konnten nicht aufhören zu lächeln. »Gut! Manche spüren es nämlich nicht, weißt du. Die rechnen nur Nachschubtabellen zusammen und kalkulieren, wie viele Männer man braucht, um eine Bergschlucht zu halten. Sie spüren die Erregung einfach nicht.« Er blickte Marcus, Tubruk und Cabera an. »Betrinkt euch, wenn ihr wollt, nehmt euch eine Frau, wenn ihr jetzt noch eine findet. Heute wird nicht gearbeitet, und nach dem Ärger, den wir heute Morgen hatten, kann hier niemand weg, ehe es dunkel ist. Morgen fangen wir gleich mit der Planung an und überlegen, wie wir fünftausend Mann fünfzig Meilen weit heranführen und durch Rom marschieren lassen können. Versteht ihr etwas von Nachschub?« Sowohl Marcus als auch Gaius schüttelten den Kopf. »Dann werdet ihr es lernen. Die beste Armee der Welt ist ohne Verpflegung und Wasser verloren, Jungs. Das muss man wissen. Alles andere ergibt sich dann schon. Mein Haus ist euer Haus, denkt daran. Ich persönlich setze mich jetzt in den Brunnen und betrinke mich.« Er nahm drei ungeöffnete Krüge Wein von den zurückgebliebenen Sklaven und spazierte davon - ein Mann, der wusste, was er wollte. Tubruk sah ihm mit einem sarkastischen Lächeln nach, als er den Hof verließ. »Man erzählt sich, Marius sei in Nordafrika einmal am Vorabend einer Schlacht gegen einen wilden Stamm mit einem Krug Wein in jeder Hand alleine in das feindliche Lager gegangen. Ihr müsst bedenken, das war das Lager von siebentausend der grausamsten Krieger, die der Legion je begegnet sind. Er hat die ganze Nacht lang mit dem Führer des Stamms gezecht, obwohl beide kein einziges Wort der Sprache des anderen verstanden. Sie haben auf das Leben und die Zukunft und die Tapferkeit getrunken. Dann, am nächsten Morgen, kam er zu seinen eigenen Linien zurückgestolpert.« »Und was geschah dann?«, sagte Marcus. »Sie haben den Stamm bis auf den letzten Mann abgeschlachtet. Was dachtest du denn?«, lachte Tubruk. »Warum hat ihn der Anführer nicht getötet?«, fuhr Marcus fort. »Vermutlich mochte er ihn. Das tun die meisten Menschen.« Metella kam in den Hof hinaus und streckte Marcus und Gaius lächelnd die Hände entgegen. »Ich bin froh, dass ihr wohlbehalten wieder zu uns zurückgekehrt seid. Ihr sollt dieses Haus als einen Ort des Friedens und der Zuflucht für euch betrachten.« Dann sah sie Marcus in die Augen, die ihren Blick ruhig erwiderten. »Bist du wirklich ohne Mutter aufgewachsen?« Marcus errötete leicht und fragte sich, was ihr Marius alles erzählt haben mochte. Er nickte, und Metella stieß einen leisen Seufzer aus. »Du armer Junge. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich schon früher zu mir geholt.« Marcus überlegte, ob sie wohl wusste, was die Legionäre gerade mit den Sklavinnen machten. Sie schien nicht in die raue Welt von Marius und seiner Legion zu passen. Er fragte sich, wie seine eigene Mutter wohl sein mochte, und zum ersten Mal dachte er daran, nach ihr zu suchen. Marius wusste es wahrscheinlich, doch genau danach wollte er ihn nicht fragen. Vielleicht sagte Tubruk es ihm, ehe er auf das Gut zurückkehrte. Metella ließ seine Hand los und strich ihm über die Wange. »Du hast viel Schweres durchmachen müssen, aber das ist jetzt vorbei.« Langsam berührte er ihre Hand mit der seinen, und es war, als hätten sie eine private Übereinkunft getroffen. Metellas Augen glänzten vor Tränen. Sie drehte sich um und ging durch den Säulengang davon. Marcus sah Gaius an und zuckte die Achseln. »Da hast du eine Freundin gefunden«, meinte Tubruk, während er ihr nachblickte. »Sie mag dich.« »Ich bin ein bisschen zu alt, um noch eine Mutter zu brauchen«, murmelte Marcus. »Das kann sein, aber sie ist nicht zu alt, um einen Sohn zu brauchen.« Gegen Mittag entstand plötzlich laute Aufregung am Tor des Hauses. Einige Legionäre kamen mit gezogenen Schwertern heraus, für den Fall, dass es sich um Vergeltungsmaßnahmen für die morgendliche Aktion handeln sollte. Gaius und Marcus liefen schnell mit den anderen auf den Hof hinaus und blieben dort mit offenen Mündern stehen. Renius hing, die Arme durch das Gitter gestreckt, am Tor und sang ein trunkenes Klagelied. Er hielt sich zwar an der Querstange des Tores fest, aber seine Tunika war mit Wein und Erbrochenem besudelt. Ein Wachtposten trat auf die Stangen zu und sprach mit ihm, als Gaius und Marcus, gefolgt von Tubruk, den Hof erreichten. Plötzlich ergriff Renius die Haare des Mannes und riss seinen Kopf mit einem Krachen gegen das Metall. Der Soldat fiel bewusstlos um, und die anderen begannen wütend zu brüllen. »Lasst ihn rein und bringt ihn um!«, schrie ein Mann, aber ein anderer meinte, es könne eine Falle von Sulla sein, um sie dazu zu bringen, das Tor zu öffnen. Das brachte sie einen Augenblick zum Schweigen, und als Nächste traten Gaius und Marcus ans Tor. »Können wir dir helfen?«, erkundigte sich Marcus und hob freundlich fragend die Augenbrauen. Renius nuschelte wütend: »Ich jage dir gleich mein Schwert in die Brust, Hurenbalg.« Marcus fing an zu lachen. »Macht das Tor auf«, rief Gaius der anderen Wache zu. »Das ist Renius. Er gehört zu mir.« Der Wachtposten ignorierte ihn, als hätte er gar nichts gesagt, und machte damit deutlich, dass Gaius in diesem Haus keine Befehle geben konnte. Als er auf das Tor zuging, trat ein Legionär einen Schritt vor, stellte sich ihm in den Weg und schüttelte langsam den Kopf. Marcus schlenderte hinüber zum Tor und wechselte mit dem dort stehenden Posten ein paar Worte. Der Mann war gerade mitten in der Antwort, als ihm Marcus einen harten Kopfstoß versetzte und ihn in den Staub schickte. Er ignorierte den Wächter, der zappelnd versuchte, wieder aufzustehen, rannte zu den großen Riegeln, mit denen die Torflügel gesichert waren, und öffnete sie. Renius kippte in den Hof und blieb liegen; sein guter Arm zuckte. Marcus lachte in sich hinein und begann das Tor wieder zu schließen, als er hinter sich das leise metallische Geräusch eines aus der Scheide gleitenden Messers vernahm. Er wirbelte herum und konnte gerade noch rechtzeitig einen Stoß der wütenden Wache mit dem Unterarm abfangen. Mit seiner Linken verpasste er dem Mann eine Rückhand auf den Mund und schickte ihn erneut zu Boden. Marcus schloss das Tor. Zwei weitere Männer rannten herbei, um ihn zu ergreifen, aber eine Stimme rief »Halt!«, und alle erstarrten einen Augenblick lang. Marius trat in den Hof hinaus. Man sah ihm nicht das Geringste von dem vielen Wein an, den er die letzten zwei Stunden stetig getrunken hatte. Während er näher kam, behielten die beiden Männer Marcus im Auge, der ihren Blicken ruhig standhielt. »Bei allen Göttern! Was geht hier in meinem Haus vor?« Marius legte einem der Männer, die Marcus gegenüberstanden, eine schwere Hand auf die Schulter. »Renius ist hier«, sagte Gaius. »Er ist zusammen mit uns vom Gut gekommen.« Marius blickte auf die ausgestreckt daliegende Gestalt, die friedlich auf den Pflastersteinen schlief. »Als er noch Gladiator war, hat er sich nie betrunken. Ich verstehe warum, wenn es bei ihm solche Wirkung hat. Was ist denn mit dir passiert?« Die letzte Frage war an den Wächter gerichtet, der seinen Posten wieder eingenommen hatte. Sein Mund und seine Nase bluteten und seine Augen funkelten vor Wut, doch er hütete sich davor, sich bei Marius zu beschweren. »Ich habe das Tor abgekriegt, als ich es aufgemacht habe«, sagte er langsam. »Verdammt unvorsichtig von dir, Fulvio. Du hättest dir von meinem Neffen helfen lassen sollen.« Die Botschaft war deutlich. Der Mann nickte und wischte ein wenig Blut mit der Hand weg. »Ich bin froh, dass wir das geklärt hätten. Und jetzt kommt ihr beiden mit in mein Arbeitszimmer.« Er zeigte mit dem Finger auf Gaius und Marcus. »Wir haben ein paar Dinge zu bereden.« Er wartete, bis Gaius und Marcus vorausgegangen waren und folgte ihnen. Über die Schulter rief er: »Bringt den alten Mann irgendwohin, wo er seinen Rausch ausschlafen kann, und lasst das verdammte Tor zu.« Marcus blickte die in der Nähe stehenden Legionäre an und sah, dass sie alle grinsten, doch er konnte nicht sagen, ob der Grund dafür verhaltene Bosheit oder echte Freude war. Marius öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer und ließ die beiden in den Raum eintreten, in dem an allen Wänden Landkarten von Afrika, dem Imperium und Rom selbst hingen. Leise schloss er die Tür, drehte sich dann um und blickte sie an. Als er die kalten Augen des Onkels sah, verspürte Gaius eine plötzlich aufschießende Furcht. »Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?«, zischte er sie durch zusammengebissene Zähne Gaius machte den Mund auf und wollte sagen, dass er Renius hatte hereinlassen wollen, dann jedoch besann er sich eines Besseren. »Es tut mir Leid. Ich hätte auf dich warten sollen.« Marius ließ seine Faust schwer auf den Schreibtisch krachen. »Dir ist doch wohl klar, dass wir jetzt alle höchstwahrscheinlich tot wären, wenn Sulla zwanzig ausgesuchte Männer draußen auf der Straße postiert gehabt hätte, um auf eine solche Gelegenheit zu warten?« Gaius errötete vor Scham. Marius wandte sich an Marcus. »Und du. Warum hast du Fulvio angegriffen?« »Gaius hat den Befehl gegeben, das Tor zu öffnen. Er hat ihn nicht befolgt. Ich habe dafür gesorgt.« Marcus gab nicht klein bei. Er begegnete dem Blick des älteren Mannes unerschrocken. Der Legat hob verblüfft die Augenbrauen. »Hast du denn erwartet, dass er, ein Veteran aus dreißig Schlachten, die Befehle eines bartlosen, vierzehnjährigen Knaben ausführt?« »Ich ... ich habe nicht darüber nachgedacht.« Zum ersten Mal sah Marcus unsicher aus, und der Legat wandte sich wieder Gaius zu. »Wenn ich mich bei dieser Geschichte hinter euch stelle, verliere ich einiges an Respekt bei den Männern. Sie wissen alle, dass du einen Fehler begangen hast und lauern darauf, was ich deswegen unternehme.« Gaius verließ der Mut. »Es gibt einen Ausweg, aber der wird euch beide teuer zu stehen kommen. Fulvio ist der Faustkampfmeister seiner Zenturie. Er hat heute viel an Gesicht verloren, als du ihn niedergeschlagen hast, Marcus. Ich nehme an, er wäre bereit, an einem Freundschaftskampf teilzunehmen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Sonst könnte er dir gut und gerne mal ein Messer zwischen die Rippen jagen, wenn ich nicht da bin, um es zu verhindern.« »Er wird mich umbringen«, sagte Marcus leise. »Nicht bei einem Freundschaftskampf. Deines zarten Alters wegen werden wir auf Eisenhandschuhe verzichten und nur welche aus Ziegenleder nehmen, die die Hände schützen. Seid ihr im Faustkampf ausgebildet worden?« Die Jungen murmelten zustimmend und dachten an Renius. Marius wandte sich wieder an Gaius. »Die Männer werden deinen Freund selbstverständlich lieben, wenn er Mut beweist, ganz egal, ob er gewinnt oder verliert, und ich kann nicht zulassen, dass er meinen Neffen in den Schatten stellt, verstehst du?« Gaius nickte und konnte sich schon denken, was jetzt kommen würde. »Ich lasse dich gegen einen der anderen kämpfen. Sie sind alle Meister in irgendetwas, deshalb habe ich sie ja als Eskorte zum Senat ausgewählt. Ihr werdet beide eine Tracht Prügel beziehen, aber wenn ihr euch gut verkauft, ist der Vorfall bald vergessen, und vielleicht gewinnt ihr sogar etwas Ansehen bei meinen Männern. Die meisten von ihnen sind Abschaum aus der Gosse; sie fürchten sich vor nichts und respektieren nur Stärke. Gewiss, ich könnte ihnen einfach befehlen, wieder auf ihre Posten zu gehen und nichts weiter zu unternehmen, damit ihr euch hinter meiner Befehlsgewalt verstecken könnt, aber das wäre nicht in Ordnung, versteht ihr?« Er blickte in ihre düsteren Gesichter und lachte plötzlich auf. »Ihr könnt genauso gut lächeln, Jungs. Es gibt keinen anderen Ausweg, also warum spuckt ihr dann dem alten Jupiter nicht ins Gesicht, wenn es ohnehin nicht anders geht?« Die beiden schauten sich an und grinsten. Marius lachte erneut. »Ihr schafft das schon. In zwei Stunden. Ich sage meinen Männern Bescheid und gebe die Gegner bekannt. Dann hat Renius noch etwas Zeit zum Ausnüchtern. Ich denke, das wird er sich nicht entgehen lassen wollen. Bei allen Göttern, ich will es mir jedenfalls nicht entgehen lassen! Wegtreten!« Betreten gingen Gaius und Marcus auf ihre Zimmer. Ihre anfängliche Ausgelassenheit war verschwunden und hatte bei dem Gedanken an das Bevorstehende einem Gefühl der Übelkeit Platz gemacht. »He! Ist dir eigentlich klar, dass ich einen Meister der Zenturie zu Boden geschickt habe? Ich werde verdammt noch mal versuchen, diesen Kampf zu gewinnen. Wenn ich ihn einmal treffen kann, dann kann ich ihn auch niederschlagen. Ich brauche nur einen guten Treffer.« »Aber dieses Mal ist er darauf eingestellt«, erwiderte Gaius verdrießlich. »Ich kriege es bestimmt mit diesem großen Affen zu tun, den Marius vorhin am Kopf durch den Hof gezogen hat. Diese Art von Humor würde genau zu ihm passen.« »Große Männer sind langsam. Du hast einen schnellen Konterschlag, aber du musst außerhalb seiner Reichweite bleiben. Diese Soldaten sind alle schwer, und das bedeutet, dass sie härter zuschlagen können als wir. Beweg dich, tänzele um sie herum und mach sie müde.« »Die bringen uns um«, erwiderte Gaius. »Ja. Wahrscheinlich.« Tubruk nahm die Neuigkeit gleichmütig auf, als sie ihm in ihren Gemächern davon erzählten. »Ich habe mit etwas in der Art gerechnet. Marius liebt Wettkämpfe und veranstaltet ständig welche zwischen seinen eigenen Männern und denen anderer Legionen. Das ist einfach sein Stil -ein bisschen Anfeuern und eine Menge Blut, und schon ist alles vergeben und vergessen. Glücklicherweise habt ihr nicht mehr als ein oder zwei Becher Wein getrunken. Kommt jetzt, zwei Stunden sind nicht viel, um euch vorzubereiten. Ihr macht euch besser in einem der Übungsräume ein bisschen warm. Lasst euch von einem der Sklaven hinbringen. Ich stoße zu euch, sobald ich ein paar Handschuhe gefunden habe. Und noch etwas: Ihr dürft Marius nicht enttäuschen. Vor allem du nicht, Gaius. Du bist sein Verwandter, du musst einen guten Kampf liefern.« »Ich verstehe«, sagte Gaius grimmig. »Dann fangt an. Ich lasse Renius mit Eiswasser aufwecken, aus sicherer Entfernung, falls er Amok läuft.« »Was war denn los mit ihm? Warum war er denn schon so früh am Tag betrunken?«, fragte Gaius neugierig. »Ich weiß es nicht. Konzentriert euch immer nur auf eine Sache auf einmal. Ihr könnt euch heute Abend immer noch mit ihm darüber unterhalten. Und jetzt geht!« Während das übrige Rom die Nachmittagshitze verschlief, versammelten sich die Männer der Legion der Erstgeborenen im größten Übungsraum, wo sie sich an den Wänden aufreihten, schwatzten und kaltes Bier oder Fruchtsäfte tranken. Nach den Kämpfen hatte ihnen Marius ein zehngängiges Festmahl mit gutem Essen und Wein versprochen, die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Tubruk stand bei Marcus und Gaius und lockerte ihnen nacheinander die Schultern. Cabera saß mit undurchdringlichem Gesicht auf einem Hocker. »Sie sind beide Rechtshänder«, sagte Tubruk leise. »Fulvio kennt ihr; der andere, Decidus, ist ein Meister im Speerwurf. Er hat starke Schultern, auch wenn er nicht sehr schnell aussieht. Haltet euch fern von ihnen und lasst sie auf euch zukommen.« Marcus und Gaius nickten. Beide waren ein bisschen blass unter ihrer sonnengebräunten Haut. »Denkt dran, es geht nur darum, lange genug auf den Beinen zu bleiben, um zu zeigen, dass ihr Mut habt. Wenn ihr zu früh niedergeht, dann steht wieder auf. Ich beende den Kampf, wenn ihr in zu große Schwierigkeiten geratet, aber das wird Marius nicht gefallen, deshalb muss ich vorsichtig sein.« Er legte jedem eine Hand auf die Schulter. »Ihr verfügt beide über das nötige Können, den Mut und die Ausdauer. Renius sieht zu. Enttäuscht uns nicht.« Beide Jungen blickten zu der Stelle hinüber, wo Renius saß, seinen nutzlosen Arm am Gürtel festgebunden. Seine Haare waren immer noch feucht, und in seinen Augen schimmerte Mordlust. Jubel brandete auf, als Marius eintrat. Er hob die Hände zum Zeichen der Ruhe, und sie trat schnell ein. »Ich erwarte, dass jeder Mann sein Bestes gibt, aber ihr sollt wissen, dass ich mein Geld auf meinen Neffen und seinen Freund setze. Zwei Wetten, zu jeweils fünfundzwanzig Aurei. Nimmt jemand die Wette an?« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Fünfzig Goldstücke waren ein hoher Einsatz für einen privaten Kampf, doch wer konnte schon widerstehen? Die versammelten Männer leerten ihre Geldbeutel, und manche liefen in ihre Zimmer, um mehr Münzen zu holen. Nach einer Weile war das Geld zusammen, und Marius fügte seinen eigenen Anteil hinzu, sodass er nun hundert Goldstücke in seiner großen Hand hielt, genug, um ein kleines Stück Land zu kaufen, oder ein Schlachtross, komplett mit Rüstung und Waffen. »Kannst du den Beutel für uns halten, Renius?«, fragte Marius. »Sehr gerne«, erwiderte dieser mit ernster und formeller Stimme. Er schien die schlimmsten Nachwirkungen des Rausches überstanden zu haben, aber Gaius fiel auf, dass er nicht aufzustehen versuchte, sondern wartete, bis man ihm das Geld brachte. Unter dem erneuten Jubel der Männer betraten Fulvio und Decidus den Übungsraum. Es war keine Frage, auf wessen Seite die Legionäre standen. Beide Männer trugen nun ein eng anliegendes Tuch, das lediglich ihre Lenden und den oberen Teil der Oberschenkel bedeckte und von einem breiten Gürtel gehalten wurde. Decidus besaß die Schultern und den Körperbau, den man normalerweise bei den Statuen auf dem Forum sehen konnte. Gaius beobachtete ihn genau, konnte jedoch keine sichtbaren Schwächen erkennen. Fulvio winkte der Menge nicht zu. Seine Nase war mit einem Stück Stoff verbunden, das hinter dem Kopf verknotet worden war, und seine geschwollenen Lippen verliehen ihm einen trotzigen Ausdruck. Gaius stieß Marcus an. »Anscheinend hast du ihm vorhin mit dem Kopfstoß die Nase gebrochen. Er wird damit rechnen, dass du ihm erneut draufschlägst, das ist dir doch klar. Warte auf eine gute Gelegenheit.« Marcus nickte, ebenso wie Gaius in das Studium des Mannes und seiner Bewegungen vertieft. Wieder hob Marius die Hände, um sich bei den aufgeregten Soldaten Gehör zu verschaffen. »Marcus und Fulvio bestreiten den ersten Kampf. Keine Zeitbegrenzung, aber eine Runde endet, wenn ein Mann ein Knie oder mehr auf dem Boden hat. Wenn einer nicht mehr aufstehen kann, ist der Kampf zu Ende, und der nächste beginnt. Nehmt eure Positionen ein.« Fulvio und Marcus stellten sich zur Linken und zur Rechten des Legaten auf. »Wenn das Horn ertönt, fangt ihr an. Viel Glück.« Marius ging langsam mit seinen Männern an den Rand und gab einem von ihnen das Zeichen, das Horn erschallen zu lassen, das normalerweise in der Schlacht verwendet wurde. Es wurde schlagartig still, nur der reine, schmetternde Ton brach sich an den Wänden. Marcus lockerte seine Schultern, dehnte den Hals, indem er den Kopf nach links und rechts drehte, und trat vor. Er hielt die Hände hoch, so wie es ihm Renius beigebracht hatte, doch Fulvio ließ seine Fäuste entspannt an nur leicht gebeugten Armen herunterhängen. Als Marcus es mit einer linken kurzen Geraden versuchte, wich er seitlich aus, und die Schläge gingen harmlos ins Leere. Eine Faust schoss vor und traf Marcus auf der Brust über dem Herzen. Er schnappte vor Schmerz nach Luft und wich zurück, biss dann aber die Zähne zusammen und griff erneut an. Er setzte einen schnellen Schlag mit links an, dem er sofort eine rechte Gerade folgen ließ, aber wieder wich Fulvio mit einem einzigen Schritt aus und hämmerte seinen rechten Handschuh noch einmal auf die gleiche Stelle. Marcus spürte, wie die Luft vor Schmerz explosionsartig aus ihm entwich. Die Männer hatten zu jubeln angefangen, nur Gaius, Tubruk, und Cabera feuerten den jüngeren Kämpfer an. Fulvio lächelte, und Marcus fing an nachzudenken. Der Mann war schnell und schwer zu treffen. Im Augenblick machte Marcus die ganze Arbeit, ohne damit irgendetwas zu erreichen. Mit einem wütenden Knurren stürzte er vor, den rechten Arm schlagbereit. Er sah, wie Fulvio sich bereit machte, blieb dann plötzlich stehen und ließ den Schlag, der ihn bewusstlos schlagen sollte, an seinem Kinn vorbeischießen. Marcus versetzte Fulvio einen schnellen und harten Schlag auf die Nase und spürte mit Genugtuung das Knirschen der Knochen. In dieser Sekunde traf ihn ein Konterschlag seitlich am Kopf, und er krachte benommen und außer Atem auf den Holzboden. Keuchend kam er auf die Knie und sah zu Fulvio auf, der ein paar Schritte entfernt dastand. Das Blut strömte ihm wieder aus der Nase, und die Augen darüber starrten ihn mordlüstern an. Marcus erhob sich in einen Hagel von Schlägen. Er versuchte ihnen auszuweichen und das Schlimmste abzuwehren, aber Fulvio war überall und schlug ihm aus allen Winkeln die Fäuste in den Magen und die Nieren. Er verarbeitete ihn zu Hackfleisch, und als sich Marcus vor Schmerzen zusammenkauerte, traf ihn eine Serie rascher Aufwärtshaken am Kopf und warf ihn nach hinten. Wieder fiel er hin und lag da, während sich seine Brust schmerzhaft hob und senkte. Er schmeckte Blut auf der Zunge, sein linkes Auge schwoll nach den Attacken von Fulvios rechter Geraden zu. Dieses Mal machte er nach dem Aufstehen drei schnelle Schritte rückwärts, um Zeit zu gewinnen und sich sammeln zu können. Fulvio stürmte ohne Gnade auf ihn los, bewegte Kopf und Körper hin und her, auf der Suche nach der besten Stelle, um einen Treffer zu landen. Der Mann ähnelte einer Schlange, die gleich zubeißen würde, und Marcus wusste, dass er das nächste Mal, wenn er zu Boden ging, wohl kaum wieder aufstehen würde. Wut packte ihn, und er duckte sich aus reinem Reflex unter dem ersten Schlag weg und schlug den folgenden mit dem Arm beiseite. Er spürte, wie Fulvios Unterarm unter seinen Fingern entlang glitt und hielt plötzlich das Handgelenk fest. Seine rechte Faust landete mit der ganzen Kraft seiner Schultern dahinter im Magen des Mannes, und er wurde mit einem schmerzerfüllten Zischen belohnt. Er hielt den Arm weiter fest und versuchte, den Schlag zu wiederholen, aber Fulvio holte mit der Linken aus und traf ihn hart am Kinn. Die Welt wurde schwarz und er fiel hin, wobei er die harten Holzbretter unter sich kaum noch spürte. Seine Beine schienen ihre gesamte Kraft verloren zu haben, und es gelang ihm nur noch, sich wie ein Tier japsend auf alle viere aufzurappeln. Fulvio, der immer noch nicht zufrieden war, bedeutete ihm mit einem Handschuh aufzustehen. Marcus blickte auf den Boden und überlegte, ob er es tun sollte. Blut rann zwischen seinen Lippen hervor und er sah zu, wie es in eine kleine Lache tropfte. Was soll’s, dachte er. Noch einen Versuch. Dieses Mal stürzte sich Fulvio nicht sogleich auf ihn. Er grinste wieder und winkte Marcus mit den Händen heran. Marcus biss die Zähne zusammen. Er würde den Mann noch einmal zu Boden schicken, und wenn er dabei umkam. Er stellte sich vor, Fulvio hätte Dolche in seinen beiden Fäusten, und jeder Kontakt mit ihnen würde den Tod bedeuten. Langsam fühlte er seinen Mut wiederkehren. Er wusste, wie man mit Schwert und Messer kämpfte, warum sollte das hier so anders sein? Er schwankte ein wenig, um Fulvio zum Angriff zu bewegen. Der größte Teil seiner Messerausbildung hatte aus Konterattacken bestanden, und er wollte, dass der Boxer zu einem weiteren Schlag ansetzte. Fulvio verlor schnell die Geduld und griff mit fliegenden Fäusten an. Marcus behielt die Fäuste im Auge, und als eine auf ihn zugerast kam, blockte er sie ab, hob sie mit dem Unterarm hoch und landete einen Konterschlag in Fulvios Unterleib. Fulvio stöhnte auf, und wieder kam reflexartig seine hohe Linke, aber dieses Mal zog Marcus den Kopf ein und der Schlag ging über ihm ins Leere, wodurch Fulvio für den Bruchteil einer Sekunde ohne Deckung dastand. Marcus legte seine ganze Kraft in einen Stoppstoß mit der Linken und wünschte sich, es wäre seine Rechte. Fulvios Kopf flog nach hinten, und als er wieder in die Waagerechte kam, war die Rechte bereit. Marcus ließ sie ein weiteres Mal auf die gebrochene Nase des Boxers krachen. Fulvio landete abrupt auf dem Hinterteil; frisches Blut strömte aus seiner zermalmten Nase. Ehe Marcus sich darüber freuen konnte, war der Mann schon wieder aufgesprungen und ließ einen Hagel von Schlägen auf ihn niederprasseln, wobei er sich doppelt so schnell zu bewegen schien wie vorher. Marcus ging nach den ersten beiden Hieben zu Boden und steckte im Fallen noch zwei weitere ein. Dieses Mal stand er nicht wieder auf, und er hörte weder den Jubel noch das Horn, als Marius mit einem Nicken den Kampf beendete. Fulvio hob triumphierend die Hände, und Marius gab wehmütig ein Zeichen, den Männern die ersten fünfzig der hundert Goldmünzen wiederzugeben. Sie steckten kurz die Köpfe zusammen und dann, als Ruhe eingetreten war, bot einer von ihnen Marius den Beutel wieder an. »Wir möchten den Gewinn als Einsatz für den nächsten Kampf stehen lassen, Herr, wenn es Euch recht ist«, sagte er. Marius verzog in gespieltem Entsetzen das Gesicht, doch dann nickte er und sagte, er würde dagegenhalten. Die Männer jubelten erneut. Marcus erwachte, als ihm Tubruk einen Becher Wein ins Gesicht schüttete. »Habe ich gewonnen?«, fragte er mit zerschlagenen Lippen. Tubruk lachte und wischte ihm etwas von dem Blut und Wein aus dem Gesicht. »Du hattest nicht die geringste Chance, aber du warst trotzdem erstaunlich gut. Eigentlich hättest du nicht einmal in der Lage sein dürfen, ihn zu berühren.« »Ich habe ihn aber ganz schön berührt«, murmelte Marcus. Er lächelte und zuckte zusammen, als seine Lippen aufplatzten. »Ich habe ihn umgehauen.« Marcus blickte sich nach einer Möglichkeit zum Ausspucken um, aber da er nichts fand, schluckte er die klebrige Mischung aus Schleim und Blut hinunter. Ihm tat alles weh, sogar noch schlimmer als damals, als Suetonius ihn gefesselt hatte. Er fragte sich, ob er noch so gut aussehen würde, wenn alles verheilt war, doch seine Gedanken wurden von Fulvio gestört, der zu ihm herüberkam und sich im Gehen die Handschuhe auszog. »Guter Kampf. Ich hatte drei Goldstücke auf mich selber gesetzt. Du bist sehr schnell. In ein paar Jahren könntest du wirklich gefährlich werden.« Marcus nickte und streckte die Hand aus. Fulvio blickte sie an und schüttelte sie dann kurz, ehe er zu den Männern zurückging, die ihn erneut bejubelten. »Nimm den Lappen und tupf dir das Blut ab, solange es tropft«, fuhr Tubruk gut gelaunt fort. »Über dem Auge musst du genäht werden. Wir müssen es bestimmt auch aufschneiden, damit die Schwellung zurückgeht.« »Noch nicht. Erst will ich Gaius zusehen.« »Natürlich.« Immer noch lachend ging Tubruk davon, und Marcus blinzelte durch sein gutes Auge. Gaius ballte die Fäuste und wartete auf Tubruk. Sein Gegner hatte den Kampfplatz bereits betreten, machte sich warm und dehnte Schultern und Beine. »Er ist ein Tier«, murmelte er, als Tubruk neben ihn trat. »Das stimmt, aber er ist kein Faustkämpfer. Du hast eine relativ gute Chance gegen ihn, solange du keinen von seinen mächtigen Schlägen abkriegst. Wenn er dich erwischt, pustet er dich aus wie eine Kerze. Halt dich zurück und benutze deine Füße, um dich um ihn herum zu bewegen.« Gaius blickte ihn spöttisch an. »Sonst noch etwas?« »Wenn du kannst, schlag ihn in die Hoden. Damit rechnet er zwar, aber es ist im strengen Sinne nicht gegen die Regeln.« »Tubruk, du hast nicht das Herz eines ehrenwerten Mannes.« »Nein, ich habe das Herz eines Sklaven und Gladiators. Ich habe bei diesem Kampf zwei Goldstücke auf dich gesetzt, und ich will gewinnen.« »Hast du auf Marcus gewettet?«, fragte Gaius. »Natürlich nicht. Im Gegensatz zu Marius werfe ich kein Geld zum Fenster raus.« Marius trat in die Mitte und gab wieder ein Zeichen, damit Ruhe einkehrte. »Nach dieser enttäuschenden Niederlage bleibt das Geld für den nächsten Kampf stehen. Decidus und Gaius, nehmt eure Positionen ein. Die gleichen Regeln. Fangt an, wenn das Horn erklingt.« Er wartete, bis beide dastanden und sich anblickten, ging dann zur Wand und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust. Als das Horn erklang, trat Gaius vor und hieb Decidus die Faust in die Kehle. Der größere Mann stieß ein krächzendes Stöhnen aus und riss vor Schmerz beide Hände an den Hals. Gaius ließ einen kräftigen Aufwärtshaken folgen, der Decidus am Kinn traf. Er sank auf die Knie und fiel dann mit leeren und glasigen Augen nach vorne. Gaius ging langsam zu seinem Hocker zurück und setzte sich hin. Er lächelte und Renius, der ihn beobachtete, erinnerte sich an dasselbe Lächeln im Gesicht eines kleineren Jungen, als er ihn aus dem eiskalten Wasser des Beckens am Fluss gehoben hatte. Er nickte zustimmend, und seine Augen leuchteten, doch Gaius sah es nicht. Einen Augenblick lang toste die Stille, dann stießen die Männer die angehaltene Luft aus, und ringsum brach lautes Stimmengewirr aus, in erster Linie Fragen, gewürzt mit ein paar kräftigen Flüchen, als ihnen klar wurde, dass sie die Wette verloren hatten. Marius ging zu der ausgestreckt am Boden liegenden Gestalt und legte ihr die Finger an den Hals. Wieder wurde es still. Endlich nickte er. »Sein Herz schlägt noch. Er wird es überleben. Er hätte sein Kinn besser decken sollen.« Die Männer ließen den Sieger halbherzig hochleben, obwohl sie nicht ganz bei der Sache waren. Marius sprach grinsend zu der Menge. »Für alle, die Hunger haben, wartet im Speisesaal ein Festbankett. Wir feiern die Nacht durch, denn morgen geht es wieder zurück an die Arbeit und ans Plänemachen.« Decidus wurde wiederbelebt und, den Kopf benommen schüttelnd, hinausgeführt. Der Rest marschierte hinter ihm her und ließ Marcus und Gaius allein mit dem Legaten zurück. Renius war die ganze Zeit über nicht aufgestanden, auch Cabera blieb mit interessiertem Gesicht zurück. »Tja, Jungs, mit eurer Hilfe habe ich heute eine Menge Geld verdient!«, dröhnte Marius und brach in Gelächter aus. Er musste sich an einer Wand abstützen, weil sein ganzer Körper vor Lachen bebte. »Ihre Gesichter! Zwei bartlose Jungs, und einer von ihnen setzt Fulvio auf den Hintern .« Das Lachen übermannte ihn und er wischte sich die Tränen ab, die über sein gerötetes Gesicht strömten. Renius erhob sich leicht schwankend, kam auf Gaius und Marcus zu und versetzte jedem von ihnen einen Klaps auf die Schulter. »Ihr habt angefangen euch einen Namen zu machen«, sagte er leise. 15 Am Vorabend des Triumphzugs ging es im Lager der Erstgeborenen alles andere als ruhig zu. Gaius saß an einem der Lagerfeuer und schärfte einen Dolch, der seinem Vater gehört hatte. Um ihn herum prasselten die Feuer, und die Geräusche der siebentausend Soldaten und der Lagerhuren machten die Dunkelheit lebendig und fröhlich. Sie lagerten im offenen Gelände, weniger als fünf Meilen von den Toren der Stadt entfernt. Die ganze letzte Woche über waren Waffen poliert, Leder gewichst und Risse im Stoff geflickt worden. Die Pferde hatte man gestriegelt, bis sie wie Kastanien glänzten. Übungen in Marschordnung waren zu nervenaufreibenden Angelegenheiten geworden. Fehler wurden nicht hingenommen, und niemand wollte zurückgelassen werden, wenn sie nach Rom marschierten. Die Männer waren alle stolz auf Marius und sich selbst. Es herrschte keine falsche Bescheidenheit im Lager: Sie wussten, dass er und sie sich diese Ehre verdient hatten. Als Marcus in den Lichtschein des Feuers trat und sich auf eine Bank setzte, hörte Gaius mit dem Schärfen auf. Er starrte in die Flammen und lächelte nicht. »Wie sieht’s aus?«, fragte er wütend, ohne den Kopf zu wenden. »Ich reise morgen früh ab«, antwortete Marcus. Auch er starrte ins Feuer und fuhr fort: »Es ist am besten so. Marius hat einen Brief für mich geschrieben, den ich zu meiner neuen Zenturie mitnehmen soll. Möchtest du ihn mal sehen?« Gaius nickte, und Marcus reichte ihm eine Schriftrolle hinüber. Er las: Carac, ich empfehle dir diesen jungen Mann. In ein paar Jahren wird er ein erstklassiger Soldat sein. Er hat eine rasche Auffassungsgabe und ausgezeichnete Reflexe. Er wurde von Renius ausgebildet, der ihn zu deinem Lager begleiten wird. Übertrage ihm Verantwortung, sobald er bewiesen hat, dass er sie tragen kann. Er ist ein Freund meines Hauses. Marius. Primigenia. »Hübsche Worte. Ich wünsche dir viel Glück«, sagte Gaius verbittert, als er zu Ende gelesen hatte und Marcus die Schriftrolle zurückgab. Der Freund lachte auf. »Das sind mehr als nur hübsche Worte! Dein Onkel hat mir Zugang zu einer anderen Legion verschafft. Du verstehst nicht, was das für mich bedeutet. Natürlich würde ich gerne bei dir bleiben, aber du erlernst jetzt bald im Senat die große Politik und übernimmst dann einen hohen Posten in der Armee oder in den Tempeln. Ich besitze nichts außer meinen Fähigkeiten, meinem Kopf und der Ausrüstung, die mir Marius geschenkt hat. Ohne seine Hilfe hätte ich schon Schwierigkeiten, einen Posten als Tempelwache zu bekommen! Aber so habe ich die Chance, etwas aus mir zu machen. Gönnst du mir das nicht?« Gaius hob den Blick. Sein wütender Gesichtsausdruck überraschte Marcus. »Ich weiß, dass du das tun musst. Ich habe nur nicht damit gerechnet, mir Rom allein erobern zu müssen. Ich habe immer gedacht, du bleibst bei mir. Das bedeutet Freundschaft nun einmal.« Marcus packte seinen Arm. »Du wirst immer mein bester Freund sein. Wenn du mich brauchst, dann rufe, und ich werde kommen. Erinnerst du dich noch an den Pakt, den wir geschlossen haben, ehe wir in die Stadt gekommen sind? Wir passen aufeinander auf, und wir können uns gegenseitig vollkommen vertrauen. Das ist mein Schwur, und ich habe ihn nie gebrochen.« Gaius sah ihn nicht an, und Marcus nahm seine Hand wieder fort. »Du kannst Alexandria haben«, versuchte Marcus es mit einer noblen Geste. Gaius schnappte nach Luft. »Ein Abschiedsgeschenk? Was für ein großzügiger Freund du doch bist! Du bist ihr viel zu hässlich, das hat sie mir gestern erzählt. Sie mag dich nur, weil du einen guten Kontrast bietest. Neben deinem Affengesicht sieht sie noch viel schöner aus.« Marcus nickte fröhlich. »Mich will sie anscheinend nur als Bettgespielen haben. Vielleicht kannst du ihr ja Gedichte vorlesen, während ich sie mir in allen Stellungen vornehme.« Gaius zog empört die Luft ein, doch dann legte sich langsam ein Lächeln über sein Gesicht. »Sobald du weg bist, bin ich derjenige, der ihr die Stellungen zeigt.« Er lachte leise bei diesen Worten und verbarg seine Gedanken. Was denn für Stellungen? Ihm fielen nur zwei ein. »Nach mir wirst du wie ein Ochse wirken, bei all der Übung, die ich hatte. Marius ist ein sehr freigiebiger Mann.« Gaius blickte seinen Freund an und versuchte einzuschätzen, wie viel von seiner Angeberei tatsächlich nichts weiter als Angeberei war. Er wusste, dass sich Marcus als Liebling der Sklavenmädchen in Marius’ Haus erwiesen und dass man ihn nach Einbruch der Dunkelheit nur selten in seinem eigenen Zimmer angetroffen hatte. Er selbst wusste dagegen nicht, was er fühlte. Manchmal war das Verlangen nach Alexandria so stark, dass es ihn schmerzte; dann wieder wollte er die Mädchen durch die Korridore jagen, so wie es Marcus tat. Er wusste, wenn er sie jemals als Sklavin dazu zwingen würde, würde er alles verlieren, was ihm kostbar war. Der Gedanke, dass Marcus womöglich schon genossen haben könnte, wonach er trachtete, ließ sein Herz vor Ärger schneller schlagen. Marcus unterbrach seine Gedanken mit leiser Stimme. »Du wirst Freunde brauchen, wenn du älter bist, Männer, denen du vertrauen kannst. Wir haben beide gesehen, welche Macht dein Onkel besitzt, und ich glaube, wir würden wohl beide gerne einmal davon kosten.« Gaius nickte. »Was könnte ich dir dann als mittelloser Sohn einer Stadthure nützen? Ich kann mir in meiner neuen Legion einen Namen und mein Glück machen. Erst dann können wir richtige Zukunftspläne schmieden.« »Ich verstehe. Ich erinnere mich an unseren Schwur, und ich werde mich daran halten.« Gaius schwieg einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf, um die Gedanken an Alexandria daraus zu vertreiben. »Wo wirst du stationiert sein?« »Ich gehöre zur Vierten Mazedonischen, deshalb reisen Renius und ich nach Griechenland. Die Wiege der Zivilisation, wie es immer heißt. Ich freue mich schon darauf, fremde Länder zu sehen. Ich habe gehört, dass die Frauen dort unbekleidet um die Wette rennen, weißt du. Das heizt die Fantasie an. Und nicht nur die.« Er lachte und Gaius lächelte matt, weil er immer noch an Alexandria dachte. Hatte sie sich ihm hingegeben? »Ich bin froh, dass Renius dich begleitet. Es wird ihm gut tun, eine Weile von seinen Problemen abgelenkt zu werden.« Marcus verzog das Gesicht. »Das stimmt, aber er wird nicht gerade der angenehmste Reisegefährte sein. Irgendwie ist er ziemlich schlecht gelaunt, seit er betrunken bei deinem Onkel aufgetaucht ist, aber ich kann auch verstehen, warum.« »Wenn die Sklaven mein Haus niedergebrannt hätten, wäre ich auch ein bisschen durcheinander. Sogar seine Ersparnisse sind gestohlen worden. Er hatte sie unter dem Fußboden versteckt, sagte er, aber die Plünderer müssen sie gefunden haben. Das war kein sehr strahlendes Kapitel in unserer Geschichte, als die Sklaven einem alten Mann sein Erspartes raubten. Obwohl er ja eigentlich kein richtiger alter Mann mehr ist, oder?« Marcus sah ihn von der Seite an. Sie hatten nie darüber geredet, aber Gaius schien ohnehin Bescheid zu wissen. »Cabera?«, fragte Gaius und sah ihm ins Gesicht. Marcus nickte. »Das dachte ich mir; mit mir hat er etwas Ähnliches gemacht, als ich verwundet war. Er ist auf jeden Fall ein nützlicher Mann, den man immer um sich haben sollte.« »Ich bin froh, dass er bei dir bleibt. Er glaubt an deine Zukunft. Er dürfte es wohl schaffen, dich am Leben zu erhalten, bis ich zurückkehre, ruhmbedeckt und von wunderschönen Frauen umgeben, die allesamt Siegerinnen bei Wettläufen waren.« »Vielleicht erkenne ich dich ja dann unter all dem Ruhm und den Frauen gar nicht wieder.« »Ich werde noch der Gleiche sein. Ich bedauere es sehr, morgen an dem Triumphzug nicht teilnehmen zu können. Das wird etwas ganz Besonderes. Wusstest du, dass Marius Silbermünzen mit seinem Gesicht drauf hat prägen lassen? Er will sie in die Menge werfen.« Gaius lachte. »Typisch mein Onkel. Er wird gerne wiedererkannt. Er genießt den Ruhm mehr, als er es genießt, Schlachten zu gewinnen, glaube ich. Er bezahlte die Männer jetzt schon mit diesen Münzen, damit sie sich noch schneller in Rom verbreiten. Zumindest Sulla wird er damit verärgern, und wahrscheinlich will er genau das damit erreichen.« Cabera und Renius traten aus der Dunkelheit und setzten sich mit auf Marcus’ Bank. »Da bist du ja!«, sagte Renius. »Ich dachte schon, ich würde dich nicht mehr finden, um dir Lebewohl zu sagen.« Erneut fiel Gaius die frische Stärke des Mannes auf. Er sah nicht älter aus als vierzig, oder gut erhaltene fünfundvierzig. Gaius ergriff seine ausgestreckte Hand und spürte den Händedruck des Alten, kräftig wie eine Schlagfalle. »Wir werden uns alle wiedersehen«, sagte Cabera. Sie sahen ihn an. Er hielt die Handflächen hoch und lächelte. »Das ist keine Prophezeiung, aber ich habe so ein Gefühl. Unser Pfad ist noch nicht zu Ende.« »Ich bin froh, dass wenigstens du bleibst. Jetzt, wo Tubruk wieder auf dem Gut ist und die beiden hier nach Griechenland verschwinden, wäre ich in Rom sonst ganz allein«, sagte Gaius und lächelte ein wenig schüchtern. »Pass auf ihn auf, du alter Schurke«, brummte Renius. »Ich habe mir nicht all die Mühe gemacht, ihn auszubilden, nur um dann zu hören, er sei von einem Pferd getreten worden. Halte ihn von verkommenen Weibern und zu viel Wein fern.« Dann wandte er sich an Gaius und hob den Finger. »Jeden Tag üben. Dein Vater hat sich nie gehen lassen, und das solltest du auch nicht tun, wenn du unserer Stadt nützlich sein willst.« »Das werde ich. Was hast du vor, nachdem du Marcus abgeliefert hast?« Renius’ Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick. »Ich weiß es nicht. Mir fehlen die Mittel, um mich zur Ruhe zu setzen, also werden wir sehen ... Es liegt in den Händen der Götter, wie immer.« Ein paar Sekunden lang machten alle traurige Gesichter. Nichts blieb je so, wie es war. »Kommt jetzt«, sagte Renius schroff. »Zeit zum Schlafen. In ein paar Stunden wird es hell, und wir haben alle einen langen Tag vor uns.« Ein letztes Mal reichten sie sich schweigend die Hände und kehrten in ihre Zelte zurück. Als Gaius am nächsten Morgen erwachte, waren Marcus und Renius schon fort. Neben ihm lag, ordentlich zusammengefaltet, die Toga virilis, das Gewand des erwachsenen Mannes. Er sah sie lange an und versuchte sich daran zu erinnern, was ihm Tubruk über das richtige Anlegen dieses Kleidungsstücks beigebracht hatte. Die Tunika eines Jungen war viel einfacher anzuziehen, und der tiefe Saum der Toga würde schnell schmutzig werden. Die Botschaft dahinter war einfach und unmissverständlich: Ein Mann kletterte nicht auf Bäume und stapfte nicht durch schlammige Flüsse. Die Tollheiten des Halbwüchsigen musste er jetzt hinter sich lassen. Bei Tageslicht konnte man sehen, wie sich die großen Zehnmannzelte bis weit in die Ferne erstreckten. Die ordentlichen Reihen zeigten die Disziplin der Männer und ihres Legaten. Marius hatte fast einen ganzen Monat damit zugebracht, eine sechs Meilen lange Route durch die Stadt auszuarbeiten, die vor den Stufen des Senats endete. Aller Unrat war vom Pflaster der Straßen gewaschen worden, doch es war trotzdem eine enge und gewundene Strecke, auf der nur sechs Legionäre oder drei Pferde nebeneinander Platz hatten. Damit ergaben sich fast elfhundert Reihen von Männern, Pferden und Ausrüstung. Nach einem langen Streit mit seinen Pionieren hatte Marius zugestimmt, die Belagerungsmaschinen im Lager zu lassen - man hätte sie einfach nicht um die schmalen Ecken herumbekommen. Schätzungen zufolge würde der Marsch drei Stunden dauern, und das nur, falls es nirgendwo Staus oder sonstige Verzögerungen gab. Als Gaius gewaschen und angezogen war und etwas gegessen hatte, war die Sonne bereits über den Horizont gestiegen. Die gewaltige, glänzende Menge der Soldaten hatte ihre Positionen eingenommen und war fast abmarschbereit. Gaius hatte die Anweisung erhalten, sich eine vollständige Toga und Sandalen anzuziehen und seine Waffen im Lager zu lassen. Nachdem er so lange das Rüstzeug eines Legionärs mit sich herumgetragen hatte, fühlte er sich so ganz ohne Ausrüstung etwas wehrlos, aber er gehorchte. Marius selbst würde auf einem Thron sitzen, der auf einer offenen flachen Kutsche stand, die von sechs Pferden gezogen wurde. Er wollte eine purpurne Toga tragen, eine Farbe, die nur einem Legaten während eines Triumphzuges zustand. Der Farbstoff war unglaublich teuer, weil er aus seltenen Muscheln gewonnen und destilliert wurde. Diese Toga war ein Kleidungsstück, das man nur ein einziges Mal trug, zudem war Purpur die Farbe der alten Könige von Rom. Wenn er durch das Tor der Stadt fuhr, würde ein Sklave einen vergoldeten Lorbeerkranz über seinen Kopf recken und ihn dort während der restlichen Fahrt halten. Vier Worte mussten während des Triumphzuges geflüstert werden, die Marius fröhlich ignorieren würde: »Bedenke, du bist sterblich.« Die Kutsche war von den Pionieren der Legion so gebaut worden, dass sie genau zwischen die Trittsteine der Straßen passte. Die schweren Holzräder waren mit einem Eisenband beschlagen und die Achsen frisch gefettet worden. Der Oberbau war vergoldet und glänzte in der Morgensonne, als wäre er aus massivem Gold. Als Gaius näher kam, war der Legat gerade dabei, mit ernstem Gesicht seine Truppen zu inspizieren. Er sprach mit vielen seiner Männer, die ihm auch antworteten, dabei jedoch die Augen trotzdem streng geradeaus gerichtet hielten. Endlich schien der Legat zufrieden zu sein und bestieg die Kutsche. »Die Bewohner unserer Stadt werden diesen Tag niemals vergessen. Euer Anblick wird die Kinder dazu bringen, der Armee beizutreten, die uns alle beschützt. Auswärtige Botschafter werden uns beobachten und in ihren Beziehungen zu Rom noch vorsichtiger handeln, das Bild unserer Reihen stets im Hinterkopf. Kaufleute werden uns sehen und erkennen, dass es auf der Welt noch etwas anderes gibt als Geldverdienen. Frauen werden uns betrachten und ihre kleinen Männer mit den Besten Roms vergleichen! Seht euer Spiegelbild in ihren Augen, wenn wir vorbeiziehen. Ihr gebt den Menschen heute mehr als Brot und Münzen! Ihr zeigt ihnen, was Ruhm bedeutet!« Die Männer jubelten bei den letzten Worten, und Gaius merkte, dass auch er einstimmte. Er ging zu der Kutsche mit dem Thron hinüber, und Marius erblickte ihn. »Wo ist mein Platz, Onkel?«, fragte er. »Hier oben, mein Junge. Stell dich auf meine rechte Seite, damit alle dich als Liebling meines Hauses kennen lernen.« Gaius grinste, kletterte hinauf und nahm seine Position ein. Von seinem neuen erhöhten Standpunkt aus konnte er in die Ferne blicken, und ein Schauer der Erwartung durchfuhr ihn. Marius ließ den Arm fallen. Die Trompeten hallten entlang der langen Reihen. Die Legionäre machten ihren ersten Schritt auf der harten Erde. Zu beiden Seiten des großen, goldenen Gefährts erkannte Gaius Gesichter von ihrem ersten blutigen Ausflug zum Senat wieder. Selbst an diesem Tag der Freude hatte Marius seine handverlesenen Männer um sich geschart. Nur ein Narr würde es riskieren, ein Messer zu werfen, während die Legion auf den Straßen war; sie würden die Stadt in einer grausamen Raserei zerstören. Trotzdem hatte Marius sie gewarnt, dass es immer wieder Narren gäbe, und seine Männer lächelten nicht. »Einen solchen Tag erleben zu dürfen ist ein kostbares Geschenk der Götter«, verkündete Marius mit tönender Stimme. Gaius nickte und ließ die Hand auf dem Thron ruhen. »In der Stadt leben sechshunderttausend Menschen, und keiner von ihnen wird heute seinen Geschäften nachgehen. Schon jetzt fangen sie an, in den Straßen Spaliere zu bilden und sich Plätze an den Fenstern zu kaufen, um uns unterwegs zuzujubeln. Die Straßen sind mit frischen Binsen bestreut, einem Teppich, auf dem wir jeden Schritt der sechs Meilen gehen werden. Nur das Forum wird freigehalten, damit dort die gesamten fünftausend Mann Aufstellung nehmen können. Ich werde Jupiter einen Stier und Minerva einen Eber opfern, und dann, Gaius, werden du und ich, werden wir beide den Senat betreten, wo du deiner ersten Abstimmung beiwohnen wirst.« »Um was geht es denn bei der Abstimmung?«, erkundigte sich Gaius. Marius lachte. »Bloß um die Kleinigkeit, dich offiziell in den Rang der Nobilitas und der Erwachsenen aufzunehmen. In Wirklichkeit ist es nur eine Formalität. Das Recht steht dir durch deinen Vater zu, sonst würde auch meine Patenschaft reichen. Denk daran, diese Stadt ist auf Talent gebaut und wird durch Talent weitergeführt. Es gibt die alten Häuser, die Reinblütigen: Sulla selbst entstammt einem solchen Haus. Andere Männer sind dort, weil sie sich selbst an die Macht gebracht haben, so wie ich. Wir respektieren Macht und Stärke und schätzen alles, was gut für die Stadt ist, ungeachtet der Abstammung.« »Gehören deine Anhänger zu den neuen Männern?«, fragte Gaius. »Seltsamerweise nein. Die hüten sich oft davor, mit einem der ihren gesehen zu werden. Viele von ihnen unterstützen Sulla, aber von denen, die mir folgen, sind genauso viele von hoher Geburt wie zu den neuen Wölfen gehören. Die Volkstribune machen immer viel Aufhebens darum, dass sie nur nach ihrem Gewissen entscheiden und bei jeder Abstimmung unabhängig stimmen, dabei kann man sich stets darauf verlassen, dass sie für billigeres Getreide oder mehr Rechte für die Sklaven stimmen werden. Wegen ihrem Veto darf man sie nicht ignorieren.« »Könnten sie dann meine Aufnahme verhindern?« Marius lachte. »Mach nicht so ein besorgtes Gesicht. Sie stimmen bei internen Angelegenheiten nicht mit ab, etwa bei neuen Mitgliedern, sondern nur in der Stadtpolitik. Und selbst wenn sie es täten, würde es viel Mut erfordern, gegen mich zu stimmen, wenn meine Legion mit Tausenden von Männern draußen auf dem Forum steht. Sulla und ich sind Konsuln - die Oberkommandierenden der Militärmacht Roms. Wir führen den Senat, nicht andersherum.« Er lächelte selbstzufrieden und rief nach Wein, worauf ihm ein voller Becher gereicht wurde. »Was geschieht, wenn du anderer Meinung bist als der Senat oder als Sulla?«, fragte Gaius. Marius prustete in seinen Weinbecher. »Das passiert ständig. Die Menschen wählen den Senat, damit er Gesetze verabschiedet und durchsetzt und das Imperium weiter ausbaut. Sie wählen auch andere, ranghöhere Ämter: Ädilen, Prätoren und Konsuln. Sulla und ich sind hier, weil das Volk uns gewählt hat; das vergisst der Senat nicht. Wenn wir anderer Meinung sind, kann jeder der Konsuln eine neue Gesetzesinitiative unterdrücken und die Beratung darüber sofort beenden. Sulla oder ich brauchen nur >Veto< - ich verbiete es - zu sagen, sobald die Debatte beginnt, und damit ist die Sache für dieses Jahr erledigt. Wir können uns auf diese Weise auch gegenseitig blockieren, aber das passiert nicht sehr oft.« »Aber wie kontrolliert der Senat die Konsuln?«, drängte Gaius interessiert weiter. »Sie könnten gegen mich stimmen, mich theoretisch sogar aus dem Amt entfernen, aber in der Praxis würden meine Anhänger und die von mir Abhängigen eine solche Abstimmung verhindern, deshalb ist ein Konsul für ein Jahr in seiner Macht beinahe unangreifbar.« »Du hast gesagt, ein Konsul würde nur für ein Jahr gewählt und müsse dann zurücktreten«, sagte Gaius. »Das Gesetz beugt sich starken Männern, Gaius. Jedes Jahr schreit der Senat laut nach einer Ausnahme und nach meiner Wiederwahl. Ich bin gut für Rom, verstehst du? Das wissen sie nur zu genau.« Gaius freute sich über die leise Unterhaltung, zumindest so leise, wie es dem Legaten möglich war. Er verstand, warum sein Vater ihn mit Argwohn betrachtet hatte. Marius war wie ein Sommergewitter, man wusste nie, wo er als Nächstes einschlagen würde, im Augenblick jedoch hatte er die Stadt fest in der Hand, und Gaius hatte gemerkt, dass es auch ihn genau dort hinzog: ins Zentrum der Macht. Schon weit vor den Toren konnten sie Rom toben hören. Das Geräusch war wie das Meer, eine formlose, krachende Welle, die sie verschlang, als sie am Wachtturm der Stadtmauer Halt machten. Die Stadtwachen näherten sich der goldenen Kutsche, und Marius stand auf, um sie zu empfangen. Auch sie glänzten und blitzten, waren dem Anlass entsprechend herausgeputzt und trugen gewichtige Mienen zur Schau. »Nenne deinen Namen und dein Anliegen«, sagte einer von ihnen. »Marius, Legat der Erstgeborenen. Ich bin hier. Ich werde im Triumphzug durch die Straßen Roms ziehen.« Der Mann lief ein wenig rot an, und Marius grinste. »Du darfst die Stadt betreten«, sagte die Wache, trat beiseite und gab das Zeichen zum Öffnen der Torflügel. Marius setzte sich wieder und beugte sich zu Gaius hinüber. »Das Protokoll besagt, dass ich um Erlaubnis fragen muss, aber heute ist ein zu schöner Tag, um nett zu Wachen zu sein, die es nicht bis in die Legion geschafft haben. Führt uns hinein!« Er gab ein Zeichen, und wieder erklangen die Trompeten entlang der Kolonne. Die Tore öffneten sich und die Menge gaffte und brüllte vor Begeisterung. Der Lärm brandete über die Legion hinweg, und Marius’ Kutscher musste kräftig mit den Zügeln schnalzen, damit die Pferde sich in Bewegung setzten. Die Erstgeborenen zogen in Rom ein. »Wenn du rechtzeitig fertig sein willst, um dir den Triumphzug anzusehen, musst du jetzt aufstehen! Alle sagen, er wird ungewöhnlich prächtig. Dein Vater und deine Mutter sind schon angezogen und bei ihren Dienern, während du hier noch herumliegst und döst!« Cornelia schlug die Augen auf und räkelte sich. Es war ihr egal, dass die Bettdecke von ihrer goldenen Haut rutschte. Ihre Amme Clodia machte sich an den Vorhängen zu schaffen und zog sie auf, um frische Luft und Sonnenschein hineinzulassen. »Sieh nur, die Sonne steht schon hoch am Himmel, und du bist noch nicht einmal angezogen. Es ist schamlos, hier noch immer unbekleidet herumzuliegen. Wenn ich jetzt ein Mann oder dein Vater gewesen wäre?« »Er hätte sich nicht hereingewagt. Er weiß, dass ich kein Nachthemd trage, wenn es so heiß ist.« Immer noch gähnend erhob sich Cornelia aus dem Bett und streckte sich wie eine Katze, krümmte den Rücken und streckte die Fäuste in die Luft. Clodia ging zur Schlafzimmertür und legte den Riegel vor, damit niemand hereinkommen konnte. »Ich vermute, du willst noch kurz ins Bad eintauchen, ehe du dich anziehst«, sagte Clodia, und ihre Zuneigung machte dem Versuch, streng zu klingen, einen Strich durch die Rechnung. Cornelia nickte und tappte hinüber ins Badezimmer. Das dampfende Wasser erinnerte sie daran, dass der restliche Haushalt schon seit Tagesanbruch wach und bei der Arbeit gewesen war. Sie verspürte ein leichtes Schuldgefühl, doch das löste sich in der angenehmen Wärme in Nichts auf, nachdem sie erst ein Bein in die Wanne streckte und dann wohlig seufzend hineinstieg. Es war ein Luxus, den sie genoss, nicht bis zur offiziellen Badestunde später am Tag warten zu müssen. Clodia folgte ihr geschäftig, die Arme voller angewärmter Handtücher. Die Frau war so voller Energie, dass sie keine Sekunde still stand. Ein Fremder hätte weder an ihrer Kleidung noch an ihrem Auftreten merken können, dass sie eine Sklavin war. Selbst die Juwelen, die sie trug, waren echt, und sie konnte ihre Kleider aus einer reichhaltigen Garderobe aussuchen. »Beeil dich! Trockne dich damit ab und zieh diesesMamillare an.« Cornelia stöhnte. »Es schnürt zu sehr ein, um es an heißen Tagen anzuziehen.« »Es wird aber verhindern, dass deine Brüste in ein paar Jahren wie leere Säcke herunterhängen.« Clodia schnaubte. »Dann wirst du froh sein, dass du es getragen hast. Steh auf! Raus aus dem Wasser, du Faulpelz. Am Rand steht ein Glas Wasser, damit du dir den Mund spülen kannst.« Während Cornelia ihren Körper abtrocknete, legte Clodia ihr die Gewänder bereit und öffnete eine Reihe kleiner silberner Kästchen mit Farben und Ölen. »Zieh das an«, sagte sie und legte eine lange, weiße Tunika über Cornelias ausgestreckte Arme. Das Mädchen schlüpfte hinein, setzte sich an den Tisch und stellte einen bronzenen Spiegel vor sich auf, um sich zu betrachten. »Ich hätte gerne Locken«, sagte sie wehmütig und hielt eine Strähne ihres Haars zwischen den Fingern. Es hatte einen dunkelgoldenen Ton, war aber glatt, wenn auch sehr dicht. »Das würde dir nicht stehen, Lia. Und heute haben wir keine Zeit dafür. Ich denke, deine Mutter ist mit ihrer Ornatrix schon fertig und wartet bereits auf uns. Heute kommt es auf einfache, zurückhaltende Schönheit an.« »Dann nur ein bisschen Ocker auf die Lippen und Wagen, falls du mich nicht wieder mit diesem stinkenden weißen Blei anmalen willst.« Clodia stieß gereizt die Luft durch die Lippen. »Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis du deinen Teint verbergen musst. Wie alt bist du jetzt, siebzehn?« »Du weißt doch, wie alt ich bin. Schließlich hast du dich bei der Geburtstagsfeier ordentlich betrunken«, erwiderte Cornelia mit einem Lächeln und hielt still, während die Farbe aufgetragen wurde. »Ich war fröhlich, meine Liebe, so wie alle anderen auch. Es ist nichts Falsches daran, wenn man hin und wieder in Maßen trinkt, das habe ich immer schon gesagt.« Clodia nickte vor sich hin, während sie die Farben aufrieb. »Jetzt noch ein bisschen Antimonpulver um die Augen herum, damit die Männer sie für dunkel und geheimnisvoll halten, dann können wir mit den Haaren anfangen. Nicht anfassen! Denk dran, die Hände schön unten lassen, damit nichts verschmiert.« Schnell und geschickt scheitelte Clodia das dunkelgoldene Haar und zog es am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen, wodurch Cornelias langer, schlanker Hals zum Vorschein kam. Sie musterte das Gesicht im Spiegel und lächelte erfreut über die Wirkung. »Warum dein Vater immer noch keinen Mann für dich gefunden hat, werde ich nie verstehen. Reizvoll genug bist du auf jeden Fall.« »Er sagte, er würde die Wahl mir überlassen, und ich habe noch niemanden gefunden, der mir gefällt«, erwiderte Cornelia und berührte die Nadeln in ihrem Haar. Clodia stieß einen verächtlichen Laut aus. »Dein Vater ist ein guter Mann, aber die Tradition ist wichtig. Er sollte einen Mann mit guten Aussichten für dich suchen, damit du einen eigenen Haushalt bekommst, den du führen kannst. Ich glaube sogar, das würde dir gefallen.« »Wenn es so weit ist, nehme ich dich mit. Du würdest mir sonst fehlen, so wie ... ein Kleid, das ein bisschen alt und aus der Mode ist, aber immer noch gemütlich, verstehst du?« »Wie schön du deine Zuneigung zu mir in Worte zu kleiden verstehst, meine Liebe«, erwiderte Clodia und gab ihr mit der Hand einen Klaps auf den Hinterkopf, während sie sich umdrehte, um das Gewand aufzunehmen. Es war ein großes Quadrat aus Goldstoff, das bis zu Clodias Knien herabhing. Um seine volle Wirkung zu entfalten, musste das Gewand sorgsam drapiert werden, aber Clodia hatte viele Jahre Erfahrung und kannte Cornelias Vorlieben, was Schnitt und Stil betraf. »Es ist wunderschön. Aber schwer«, murrte Cornelia. »Genau wie die Männer, wie du schon bald feststellen wirst«, antwortete Clodia mit einem Blitzen in den Augen. »Und jetzt lauf zu deinen Eltern. Wir müssen rechtzeitig da sein, wenn wir noch einen guten Platz für den Triumphzug bekommen wollen. Wir gehen in das Haus eines Freundes deines Vaters.« »Oh, Vater, wenn du das doch noch hättest erleben dürfen«, flüsterte Gaius, als sie in die Straßen eintauchten. Der Weg lag dunkelgrün vor ihnen; jeder Stein war mit Binsen bedeckt worden. Die Menschen trugen ihre besten und buntesten Sachen, eine wogende Menge aus Farben und Geräuschen. Hände wurden ausgestreckt, heiße, neidische Augen beobachteten sie. Sämtliche Läden waren verrammelt worden, so wie Marius es gesagt hatte. Die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein, um an diesem Festtag den großen Legaten zu sehen. Gaius war überrascht von der Menge der Leute und ihrer Begeisterung. Hatten sie denn schon vergessen, dass sich dieselben Soldaten erst vor vier Wochen mit dem Schwert auf dem Forum Platz verschafft hatten? Marius sagte, sie respektierten nur Stärke, und ihr Jubel, der durch die engen Straßen brandete und hallte, war der Beweis dafür. Gaius schaute nach rechts in ein Fenster hinein und erblickte eine Frau von beachtlicher Schönheit, die ihm Blumen zuwarf. Er fing eine auf, und wieder schrie die Menge jubelnd. Niemand drängte auf die Straße, obwohl keine Soldaten oder Wachen die Ränder sicherten. Offensichtlich hatten sie ihre Lektion beim letzten Mal gelernt. Es sah aus, als würden sie durch eine unsichtbare Absperrung zurückgehalten. Selbst die hart gesottensten Männer aus Marius’ Leibwache grinsten beim Marschieren. Marius saß da wie ein Gott. Er hatte seine gewaltigen Hände auf die Armlehnen des goldenen Throns gelegt und lächelte in die Menge. Der Sklave hinter ihm hielt ihm den Kranz aus vergoldetem Lorbeer über das Haupt, der Schatten fiel auf seine Gesichtszüge. Alle Augen folgten ihm auf seinem Weg. Seine Pferde waren für das Schlachtfeld ausgebildet worden und ignorierten die schreienden Menschen, auch dann, als ihnen einige der Wagemutigeren Blumen um die Hälse warfen. Gaius stand während der Fahrt an der Seite des großen Mannes, und der Stolz, den er verspürte, ließ seine Seele jubilieren. Ob dies seinem Vater gefallen hätte? Die Antwort lautete wahrscheinlich Nein, und Gaius bekümmerte dieser Gedanke ein wenig. Marius hatte Recht: Einen solchen Tag nur miterleben zu dürfen, hieß die Götter zu berühren. Er wusste, er würde ihn nie vergessen, und in den Augen der Menschen konnte er sehen, dass auch sie diese Momente bewahren würden, um sich in den dunklen Wintern der kommenden Jahre daran wärmen zu können. Nach der Hälfte der Strecke sah Gaius Tubruk an einer Ecke stehen. Als sich ihre Blicke trafen, spürte Gaius ihre gesamte gemeinsame Geschichte. Tubruk hob den Arm zum Gruß, und Gaius erwiderte ihn. Die Männer um Tubruk drehten sich zu ihm um und fragten sich, welche Verbindung er wohl zu ihm hatte. Er nickte, als sie vorbeizogen. Gaius nickte zurück und schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. Er war trunken von Gefühlen und musste sich an der Rückenlehne des Thrones festhalten, um in den Wogen des Jubels nicht ins Schwanken zu geraten. Marius gab zwei seiner Männer ein Zeichen, woraufhin sie mit weichen Lederbeuteln in der Hand auf die Kutsche kletterten. Hände verschwanden in dunklen Tiefen und kamen voller glänzender Silbermünzen wieder hervor. Marius’ Bildnis flog über die Menge hinweg, die seinen Namen brüllte, während sie rings um ihn auf der Erde nach dem Metall suchten. Auch Marius griff hinein. Als seine Hände wieder zum Vorschein kamen, rieselten die Silberstücke zwischen seinen Fingern hindurch, ehe er die Münzen in hohem Bogen wegschleuderte und lachte, als sie auf den Boden prasselten und die Menge sich verbeugte, um die Geschenke aufzuheben. Er lächelte über ihre Freude, und sie priesen ihn. Von einem niedrigen Fenster aus blickte Cornelia über die aufund abwogende Menschenmenge und war froh, nicht mittendrin zu stecken. Sie spürte, wie sie ein Schauer durchlief, als sich Marius auf seinem Thron näherte und jubelte ihm wie alle anderen zu. Er war ein gut aussehender Legat, und die Stadt liebte Helden. Neben ihm stand ein junger Mann, zu jung, um Legionär zu sein. Cornelia beugte sich vor, um ihn besser sehen zu können. Er lächelte, und seine blauen Augen blitzten, als er auflachte, offensichtlich über eine von Marius’ Bemerkungen. Der Umzug erreichte die Stelle, von der aus Cornelia mit ihrer Familie zusah. Sie sah, wie die Münzen durch die Luft flogen und die Menschen sich darauf stürzten, um eine zu erhaschen. Cinna, ihr Vater, konnte darüber nur die Nase rümpfen. »Was für eine Geldverschwendung. Rom liebt sparsame Generäle«, sagte er giftig. Cornelia ignorierte ihn und hielt den Blick auf Marius’ Begleiter gerichtet. Er war attraktiv und sah kräftig aus, doch es war noch etwas anderes an ihm, an seiner Haltung. Er strahlte ein inneres Selbstvertrauen aus, und wie Clodia oft sagte, es gab nichts Attraktiveres als Selbstvertrauen. »Sämtliche Mütter Roms werden jetzt hinter diesem jungen Gockel für ihre Töchter her sein«, flüsterte Clodia neben ihr. Cornelia wurde rot, und Clodias Augenbrauen schossen in freudiger Überraschung in die Höhe. Der Triumphzug zog noch weitere zwei Stunden an ihnen vorbei, für Cornelia jedoch war das alles nur noch Zeitverschwendung. Farben und Gesichter verschwammen miteinander, die Männer waren mit Blumen bedeckt, und die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als sie Einzug auf dem Forum hielten. Marius gab seinem Wagenlenker ein Zeichen, die Kutsche nach ganz vorne zu manövrieren, vor die Stufen des Senats. Der weite Platz hallte von den Hufschlägen auf Stein wider, und langsam ließen sie den Lärm der Straßen hinter sich. Zum ersten Mal bemerkte Gaius Sullas Soldaten, die die Zugänge zum Platz und dahinter die brodelnde Menge der Zuschauer bewachten. Nach dem farbenprächtigen Tumult während der Fahrt ins Zentrum der Stadt war es hier beinahe friedlich. »Hier anhalten«, befahl Marius und erhob sich von seinem Thron, um den Einzug seiner Männer zu beobachten. Sie waren hervorragend gedrillt, kamen in exakt gebildeten Reihen anmarschiert und stellten sich eine nach der anderen auf, von der hintersten Ecke bis vor die Stufen des Senats, bis das gesamte Forum mit den schimmernden Reihen seiner Soldaten gefüllt war. Keine menschliche Stimme hätte alle Männer erreichen können, deshalb gab ein Trompetensignal das Kommando, Haltung anzunehmen. Mit einem Donnerhall fuhren die Hacken zusammen. Marius lächelte stolz und legte die Hand auf Gaius’ Schulter. »Erinnere dich immer daran. Deshalb schleppen wir uns tausend Meilen von der Heimat entfernt über die Schlachtfelder.« »Den heutigen Tag werde ich nie vergessen«, erwiderte Gaius ehrlich, und Marius’ Griff verstärkte sich einen Augenblick, ehe er losließ. Marius ging zu einem weißen Bullen hinüber, den vier seiner Männer festhielten. Ein großer schwarzborstiger Eber wurde ebenfalls festgehalten, wehrte sich aber noch verzweifelt gegen seine Fesseln. Marius bekam eine dünne Wachskerze gereicht und entzündete den Weihrauch in einer goldenen Schale. Seine Männer neigten die Köpfe, als er mit seinem Dolch vortrat und leise vor sich hin sprechend beiden Tieren die Kehle durchschnitt. »Führe uns durch Krieg und Seuchen sicher zurück nach Hause in unsere Stadt«, sagte er. Er wischte die Klinge am Fell des Bullen ab, während dieser zu Boden sank und vor Angst und Schmerz brüllte. Dann schob er den Dolch in die Scheide zurück, legte einen Arm um Gaius’ Schulter, und gemeinsam stiegen sie die breiten weißen Stufen des Senatsgebäudes hinauf. Hier war der Sitz der größten Macht der Welt. Säulen, die drei große Männer nicht umspannen konnten, trugen ein zu beiden Seiten schräg abfallendes Dach, auf dem sich wiederum Statuen erhoben. Am oberen Ende der Treppe befanden sich Bronzetüren, die sogar Marius klein erscheinen ließen. Sie waren verschlossen. Aus ineinander greifenden Füllungen hergestellt, wirkten sie, als hätte man sie erbaut, um anstürmende Armeen aufzuhalten, doch als das Paar die Treppe hinaufstieg, wurden die Türen langsam von innen aufgezogen. Marius nickte, und Gaius schluckte seine Ehrfurcht hinunter. »Komm, mein Junge, lass uns zu unseren Herren gehen. Es schickt sich nicht, den Senat warten zu lassen.« 16 Auf der Straße zum Meer fragte sich Marcus, warum Renius so angespannt aussah. Vom Morgengrauen bis zum späten Nachmittag waren sie auf der gepflasterten Strecke schweigend abwechselnd im Trab und im Schritt geritten. Er hatte Hunger und fürchterlichen Durst, wollte es aber nicht zugeben. Mittags hatte er beschlossen, dass er nicht als Erster aufgeben würde, wenn Renius den ganzen Weg bis zum Hafen ohne Pause zurücklegen wollte. Als schließlich der Geruch von totem Fisch und Algen die saubere Landluft verpestete, machte Renius Halt, und Marcus sah zu seiner Überraschung, wie bleich er war. »Ich mache hier eine Pause, um einen Freund zu besuchen. Du kannst zum Hafen vorausreiten und dir dort ein Zimmer nehmen. Es gibt dort ein Gasthaus .« »Ich komme mit dir«, sagte Marcus kurz. »Wie du willst«, murmelte Renius mit zusammengebissenen Zähnen und bog von der Hauptstraße in einen kleineren Weg ab. Verwundert folgte Marcus dem ehemaligen Gladiator auf dem Pfad, der sich meilenweit durch einen Wald schlängelte. Er fragte nicht, wohin der Weg führte, lockerte aber sein Schwert in der Scheide, für den Fall, dass sich im Laubwerk Banditen verbargen. Obwohl ein Schwert nicht viel gegen einen Bogen auszurichten vermochte, fiel ihm ein. Die Sonne war dort, wo man sie durch das Blätterdach überhaupt sehen konnte, nicht mehr weit vom Horizont entfernt, als sie endlich ein kleines Dorf erreichten. Es bestand aus nicht mehr als zwanzig Häusern, machte jedoch einen gepflegten Eindruck. Neben den meisten Wohnhäusern sah man Hühner in Hühnerställen und angepflockte Ziegen. Marcus spürte keine Gefahr. Renius stieg vom Pferd. »Kommst du mit rein?«, fragte er und ging auf eine Tür zu. Marcus nickte und band die beiden Pferde an einem Pfahl fest. Als er damit fertig war, war Renius bereits hineingegangen, und mit gerunzelter Stirn legte Marius eine Hand auf den Dolch, als er eintrat. Drinnen war es ziemlich dunkel, nur eine Kerze und ein Feuer in der Feuerstelle spendeten Licht, doch er konnte sehen, wie Renius einen uralten Mann mit seinem guten Arm umarmte. »Das ist mein Bruder Primus. Primus, das ist der Junge, von dem ich erzählt habe. Der mit mir nach Griechenland reist.« Der Mann musste achtzig Jahre zählen, aber sein Händedruck war fest. »Mein Bruder hat mir von den Fortschritten geschrieben, die du und der andere, Gaius, gemacht haben. Er mag niemanden, aber ich glaube, gegen euch beide hat er eine geringere Abneigung als gegen die meisten anderen Menschen.« Marcus brummte etwas. »Setz dich, Junge. Wir haben eine lange Nacht vor uns.« Er ging hinüber zu dem kleinen Holzfeuer und schob einen langen eisernen Schürhaken mitten in die Glut. »Was ist denn los?«, fragte Marcus. Renius seufzte. »Mein Bruder war früher Feldscher. Er wird mir den Arm abnehmen.« Marcus spürte, wie ihn ein würgendes Grauen überfiel, als ihm klar wurde, was er zu sehen bekommen würde. Schuldgefühle meldeten sich und ließen ihn erröten. Er hoffte, Renius würde nicht erzählen, wie er verletzt worden war. Um seine Verlegenheit zu überspielen, sagte er: »Das hätten doch bestimmt auch Lucius oder Cabera machen können.« Renius brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. »Viele hätten es tun können, aber Primus war ... ist der Beste.« Primus lachte gackernd und öffnete dabei einen Mund, in dem sich nur noch wenige Zähne befanden. »Mein Bruder hat die Leute in Stücke gehauen, und ich musste sie wieder zusammenflicken«, sagte er fröhlich. »Dafür brauchen wir mehr Licht.« Er drehte sich zu einer Öllampe um und zündete sie mit einer Kerze an. Als er sich wieder umdrehte, musterte er Renius mit zusammengekniffenen Augen. »Ich weiß, meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher, aber hast du dir die Haare gefärbt?« Renius lief rot an. »Ich will von dir eigentlich nichts über deine schlechten Augen hören, ehe du an mir herumschneidest, Primus. Ich habe mich nur gut gehalten, das ist alles.« »Verdammt gut«, pflichtete Primus bei. Er leerte einen Lederbeutel mit Werkzeugen auf einer Tischplatte aus und wies seinen Bruder an, sich hinzusetzen. Als Marcus die Sägen und Nadeln erblickte, wünschte er sich, er hätte den Rat befolgt und wäre zum Hafen vorausgeritten, doch jetzt war es zu spät. Renius setzte sich. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Primus reichte ihm eine Flasche mit einer braunen Flüssigkeit. Er setzte sie an und trank mit großen Schlucken. »Du, Junge, hol die Seile da drüben und binde ihn an den Stuhl. Ich will nicht, dass er um sich schlägt und meine Möbel kaputtmacht.« Mit einem Gefühl aufsteigender Übelkeit griff Marcus nach den Seilen, wobei er mit Entsetzen die alten Blutflecken auf ihnen bemerkte. Er beschäftigte sich mit den Knoten und versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken. Nach ein paar Minuten konnte Renius sich nicht mehr rühren, und Primus goss ihm den Rest der braunen Flüssigkeit in die Kehle. »Mehr habe ich nicht, fürchte ich. Es wird den schlimmsten Schmerz betäuben, aber nicht sehr.« »Jetzt mach schon«, knurrte Renius durch zusammengebissene Zähne. Primus hielt ihm ein dickes Stück Leder vor den Mund und befahl ihm, hineinzubeißen. »Damit retten wir dir wenigstens die Zähne.« An Marcus gewandt sagte er: »Du hältst den Arm still. Dann geht es schneller mit dem Sägen.« Er legte Marcus’ Hand auf den drahtigen Bizeps und überprüfte den Sitz der Seile an Handgelenken und Ellenbogen. Erst dann zog er eine hässliche Klinge aus seinem Sack und hielt sie gegen das Licht, um die Schärfe zu überprüfen. »Ich schneide erst einen Kreis um den Knochen herum, und dann einen weiteren ein Stück weiter unten, um Platz für die Säge zu schaffen. Wir nehmen einen Ring Fleisch heraus, sägen den Knochen durch und brennen dann die Wunde aus. Es muss schnell gehen, sonst verblutet er. Ich lasse genug Haut übrig. Die wird über den Stumpf gelegt und fest zugebunden. Er darf ihn die erste Woche nicht berühren, dann soll er jeden Morgen und jeden Abend eine Salbe draufschmieren, die ich ihm mitgebe. Ich habe keinen Lederdeckel für den Stumpf, ihr werdet selbst einen anfertigen oder kaufen müssen.« Marcus schluckte nervös. Primus tauchte die Finger in die Muskeln und Nerven des nutzlosen Arms. Nach einer Minute brummte er bedauernd und blickte traurig auf. »Es ist so, wie du gesagt hast. Überhaupt kein Gefühl mehr. Die Muskeln sind durchtrennt und beginnen zu verkümmern. Ist das bei einem Kampf passiert?« Marcus schaute Renius unwillkürlich an. In den Augen über den gebleckten Zähnen funkelte der Wahnsinn. »Ein Trainingsunfall«, sagte er leise. Der Lederstreifen dämpfte seine Stimme. Primus nickte und legte die Klinge auf die Haut. Renius spannte sich an und Marcus packte den Arm. Mit geschickten, sicheren Bewegungen nahm Primus tiefe Einschnitte vor und hielt nur inne, wenn er vor Blut nichts mehr sehen konnte und es mit einen Stück Stoff wegtupfen musste. Marcus spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte, aber Renius’ Bruder wirkte vollkommen entspannt und stieß die Luft zwischen den Zähnen auf eine Weise aus, dass sie einem kleinen Lied ähnelte. Hinter einem rosa Schleier wurde weißer Knochen sichtbar. Primus grunzte zufrieden. Nach nur wenigen Sekunden hatte er den Knochen ringsum erreicht und begann mit dem zweiten Schnitt. Renius blickte auf die blutverschmierten Hände seines Bruders hinab und verzog die Lippen zu einer bitteren Grimasse. Danach starrte er mit zusammengebissenen Zähnen die Wand an. Ein leichtes Zittern beim Atmen war das einzige Zeichen seiner Angst. Blut strömte über Marcus’ Hände, den Stuhl, den Fußboden, überall hin. In Renius schien es ganze Seen davon zu geben, die ihm glänzend und nass entströmten. Der zweite Ring wurde ausgeschnitten und hinterließ große Lappen überhängender Haut. Renius schnitt und kerbte und entfernte dunkle Fleischstücke, die er achtlos zu Boden fallen ließ. »Mach dir keine Sorgen wegen der Schweinerei. Ich habe zwei Hunde, die freuen sich darüber, wenn ich sie nachher reinlasse.« Marcus drehte den Kopf zu Seite und übergab sich hilflos. Primus gab ein missbilligendes Geräusch von sich und legte die Hände, die den Arm hielten, wieder an die richtige Stelle. Eine Handbreit über dem Ellenbogen war ein Stück weißen Knochens zu sehen. Renius hatte begonnen, in harten Stößen durch die Nase zu atmen. Primus drückte eine Hand gegen den Hals des Bruders und fühlte den Puls. »Ich mache so schnell wie möglich«, murmelte er. Renius nickte mit starrem Blick. Primus stand auf und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. Er sah seinem Bruder in die Augen und verzog das Gesicht. »Jetzt kommt der schlimmste Teil. Du wirst den Schmerz spüren, wenn ich den Knochen durchsäge, und die Vibrationen sind sehr unangenehm. Ich mache so schnell, wie ich kann. Halt ihn richtig fest, Junge. Zwei Minuten lang musst du fest sein wie ein Fels. Und nicht mehr kotzen, verstanden?« Marcus atmete verzweifelt tief ein, und Primus holte eine Säge mit dünnem Blatt hervor, mit einem Holzgriff wie ein Küchenmesser. »Fertig?« Beide murmelten ihre Zustimmung. Primus setzte die Säge an und begann zu sägen, wobei er den Ellbogen so rasend schnell vor- und zurückbewegte, dass er kaum mehr war als ein verwischter Schemen. Renius verkrampfte sich und sein ganzer Körper stemmte sich gegen die Seile, die ihn festhielten. Marcus hielt ihn fest, als ginge es um sein Leben, und zuckte jedes Mal zusammen, wenn seine Finger über das Blut rutschten und die Säge stecken blieb. Ohne Warnung löste sich der Arm und hing seitlich von Renius’ Körper weg. Renius blickte auf ihn hinunter und knurrte vor Wut. Primus wischte sich die Hände ab und drückte ein Stoffknäuel in die Wunde. Er gab Marcus ein Zeichen, dass er es festhalten solle, und holte den Eisenstab, den er im Feuer heiß gemacht hatte. Die Spitze glühte und Marcus zuckte in Erwartung des Kommenden zusammen. Kaum war der Stoff wieder vom Stumpf entfernt, arbeitete Primus sehr schnell und drückte die Spitze auf alle Stellen, an denen Blut hervortrat. Bei jeder Berührung zischte es, und der Gestank war fürchterlich. Marcus erbrach sich erneut auf den Fußboden, und ein Faden klebriger, gelber Gallenflüssigkeit blieb zwischen dem Boden und seinem Mund in der Luft hängen. »Leg das Ding wieder ins Feuer, schnell. Ich halte den Stoff, bis es wieder heiß ist.« Marcus richtete sich taumelnd auf, nahm die Stange und schob sie in die Flammen. Renius’ Kopf rollte auf seinen Schultern herum, der Lederstreifen fiel ihm aus dem offenen Mund. Primus hielt den Stoff fest und nahm ihn dann weg, um zu sehen, wo noch Blut hervortrat. Er fluchte kräftig. »Ich habe mindestens die Hälfte der Adern verfehlt. Früher konnte ich alle mit einem Mal erwischen, aber ich habe das jetzt schon seit ein paar Jahren nicht mehr gemacht. Es muss richtig gemacht werden, sonst gibt es eine Blutvergiftung. Ist das Eisen schon so weit?« Marcus zog es hervor, doch die Spitze war noch schwarz. »Nein. Wird er es überleben?« »Nicht, wenn ich die Wunde nicht schließen kann. Geh raus und hol noch mehr Holz für das Feuer.« Marcus war dankbar für den Vorwand und eilte hinaus, wo er die wundervolle Luft tief einsog. Es war schon fast dunkel. Bei den Göttern, wie lange waren sie dort drin gewesen? Er sah zwei große Jagdhunde, die an einer Wand angebunden waren und schliefen. Er schauderte und nahm ein paar schwere Stücke Holz von dem Stapel in ihrer Nähe. Als er sich näherte, wachten sie auf und knurrten leise, erhoben sich aber nicht. Ohne sie anzusehen ging er wieder hinein und warf zwei Scheite auf das Feuer. »Bring mir das Eisen, sobald die Spitze rot glüht«, knurrte Primus und presste den Stoff fest gegen den Stumpf. Marcus vermied es, den abgetrennten Arm anzusehen. So losgelöst vom Körper wirkte er irgendwie fehl am Platz, und sein Magen krampfte sich mehrmals kurz zusammen, ehe er wieder die Vernunft besaß, in die Flammen zu blicken. Das Eisen musste noch ein weiteres Mal erhitzt werden, ehe Primus endlich zufrieden war. Marcus wusste, dass er das zischende Geräusch des Ausbrennens niemals würde vergessen können und unterdrückte ein Schaudern, während er half, den Stumpf mit sauberen Stoffbinden zu verbinden. Gemeinsam trugen sie Renius auf eine Pritsche in einem anderen Zimmer. Marcus setzte sich auf die Kante, wischte sich den Schweiß aus den Augen und war froh, dass es vorbei war. »Was passiert ... damit?« Er deutete auf den Arm, der immer noch am Stuhl festgebunden war. Primus zuckte die Achseln. »Es kommt mir nicht richtig vor, das ganze Ding den Hunden zu geben. Wahrscheinlich vergrabe ich ihn irgendwo im Wald. Wenn ich es nicht tue, fängt er nur an zu faulen und zu stinken, aber viele Männer wollen so etwas behalten. An einer Hand hängen so viele Erinnerungen. Ich meine, diese Finger haben Frauen gehalten und Kinder gestreichelt. Es ist ein großer Verlust, aber mein Bruder ist stark. Ich hoffe nur, er ist auch stark genug hierfür.« »Unser Schiff legt in vier Tagen bei Flut ab«, sagte Marcus leise. Primus kratzte sich am Kinn. »Er kann auf einem Pferd sitzen. Er wird noch ein paar Tage geschwächt sein, aber er ist stark wie ein Bulle. Das größte Problem wird das Gleichgewicht sein. Er wird den Umgang mit dem Schwert neu lernen, wird fast ganz von vorne anfangen müssen. Wie lange dauert die Seereise?« »Einen Monat, bei gutem Wind«, antwortete Marcus. »Nutze die Zeit. Übe jeden Tag mit ihm. Von allen Männern wird es meinem Bruder am wenigsten gefallen, nicht mehr zu allem in der Lage zu sein.« 17 Marius blieb vor der Tür zur inneren Senatskammer stehen. »Du darfst erst eintreten, wenn du offiziell als Bürger aufgenommen bist, und auch dann nur als mein Tagesgast. Ich werde dich vorschlagen und eine kurze Rede zu deinen Gunsten halten. Das ist eine reine Formalität. Warte, bis ich zurückkomme und dir zeige, wo du sitzen darfst.« Gaius nickte ruhig und trat zurück, während Marius an die Tür klopfte und eintrat, als sie sich öffnete. Der junge Mann blieb alleine im Vorraum zurück und ging eine Weile auf und ab. Als ihm die Wartezeit nach zwanzig Minuten zu lang wurde, ging er hinüber zu den Türen, die nach draußen führten und offen standen. Von dort aus blickte er auf die Soldatenmassen hinab, die auf dem Forum standen. Sie boten einen beeindruckenden Anblick, wie sie trotz der Hitze des Tages unbeweglich strammstanden. Von der Höhe der Türen zum Senat aus, den ganzen riesigen Platz zu Füßen, hatte Gaius einen guten Blick auf die dahinter liegende geschäftige Stadt. Er war ganz in diesen Anblick vertieft, als er hinter sich die Angeln der Innentür knarren hörte und Marius heraustrat. »Willkommen in der Nobilitas, Gaius. Du bist jetzt ein Bürger Roms, und dein Vater wäre stolz auf dich. Nimm neben mir Platz und höre dir die heutigen Themen an. Sie dürften dich wahrscheinlich sehr interessieren.« Gaius folgte ihm und begegnete den Blicken der Senatoren, die seinen Eintritt beobachteten. Der eine oder andere nickte ihm zu, und er fragte sich, ob sie seinen Vater gekannt hatten. Er merkte sich ihre Gesichter, falls sich später die Gelegenheit ergeben sollte, mit ihnen zu reden. Unauffällig blickte er sich in dem Saal um und versuchte niemanden anzustarren. Die Welt hörte auf das, was diese Wenigen zu sagen hatten. Die Anordnung ähnelt einem Circus im Miniaturformat, dachte er, als er sich auf den Platz setzte, den ihm Marius anwies. Fünf treppenartig ansteigende Reihen umringten einen freien Platz in der Mitte, von dem aus jeweils ein Redner zu den anderen sprechen konnte. Gaius erinnerte sich daran, von seinen Tutoren gelernt zu haben, dass die Rednerbühne aus dem Bug eines karthagischen Kriegschiffs bestand, und der Gedanke an ihre Geschichte faszinierte ihn. Die Sitze waren in die geschwungenen Reihen eingelassen, mit Armlehen aus dunklem Holz, die überall dort hervorstanden, wo sie nicht von sitzenden Männern verdeckt wurden. Alle trugen weiße Togen und Sandalen, und es entstand der Eindruck, in einem Arbeitsraum zu sein, einem Ort, der vor Energie nur so knisterte. Die meisten Mitglieder waren weißhaarig, doch es waren auch ein paar jüngere, kräftige Männer darunter. Einige Senatoren standen. Gaius vermutete, dass das als Zeichen dafür diente, ein Argument vorbringen oder zur aktuellen Debatte beitragen zu wollen. Sulla selbst stand in der Mitte und redete über Steuern und Getreide. Als er Gaius sah, der zu ihm herüberblickte, lächelte er dem jungen Mann zu, und Gaius spürte die Macht, die hinter diesem Lächeln steckte. Hier war noch jemand wie Marius, stellte er in diesem Augenblick fest, aber gab es in Rom genug Platz für zwei von dieser Sorte? Sulla sah aus wie damals, als er ihn bei den Spielen gesehen hatte. Er war in eine einfache weiße Toga gehüllt, mit einem roten Band als Gürtel. Sein Haar war geölt und glänzte in dunkelgoldenen Locken. Er strahlte Gesundheit und Lebenskraft aus und schien vollkommen entspannt. Als Gaius den Platz neben seinem Onkel einnahm, hustete Sulla taktvoll in eine Hand. »Ich denke, wegen der heute anstehenden ernsteren Dinge kann diese Steuerdebatte auf die kommende Woche vertagt werden. Gibt es Einwände dagegen?« Die, die gestanden hatten, setzten sich wieder und sahen nicht verärgert aus. Sulla lächelte erneut und zeigte seine weißen, ebenmäßigen Zähne. »Ich heiße den neuen Bürger willkommen und möchte der Hoffnung des Senats Ausdruck verleihen, dass er der Stadt ebenso gut dienen wird wie sein Vater.« Zustimmendes Gemurmel ertönte, und Gaius neigte dankend den Kopf. »Unsere offizielle Begrüßung muss allerdings im Augenblick noch warten. Ich habe heute Morgen ernste Nachrichten von einer Gefahr erhalten, die der Stadt droht.« Er machte eine Pause und wartete höflich, bis die Senatoren aufhörten zu reden. »Im Osten hat ein griechischer General namens Mithridates eine unserer Garnisonen in Kleinasien überrannt. Hinter ihm könnten bis zu achttausend Aufständische stehen. Sie haben offensichtlich bemerkt, wie dünn gestaffelt unsere Truppen standen und setzen jetzt darauf, dass wir nicht in der Lage sind, das Gebiet zurückzuerobern. Wenn wir jedoch nichts unternehmen, um ihn zurückzuschlagen, laufen wir Gefahr, dass seine Armee an Stärke zunimmt und die Sicherheit unserer griechischen Besitzungen bedroht.« Mehrere Senatoren sprangen auf, und sofort entspannen sich lebhafte Wortgefechte in den Reihen. Sulla hob die Hände und bat um Ruhe. »Es muss eine Entscheidung getroffen werden. Die Legionen, die bereits in Griechenland stehen, sind damit beschäftigt, die unsicheren Grenzen zu bewachen. Sie haben nicht genug Männer, um dieser neuen Bedrohung entgegenzutreten. Wir dürfen die Stadt nicht ohne Schutz lassen, vor allem nicht nach den jüngsten Aufständen, aber ebenso wichtig ist es, eine Legion zu entsenden, die Mithridates im Felde entgegentritt. Griechenland erwartet mit Spannung unsere Reaktion. Sie muss rasch und heftig sein.« Mehrere Köpfe nickten eifrig. Rom war nicht auf Behutsamkeit und Kompromissen erbaut worden. Gaius kam plötzlich ein Gedanke, und er sah Marius an. Der Legat hatte die Hände vor sich zu Fäusten geballt; sein Gesicht war angespannt und kalt. »Marius und ich kommandieren jeder eine Legion. Wir sind Mithridates um Monate näher als jede andere Legion aus dem Norden. Die Entscheidung, die ich zur Abstimmung bringen möchte, betrifft die Frage, welche von den beiden sich einschiffen soll, um der feindlichen Armee zu begegnen.« Er blickte kurz zu Marius hinüber, und zum ersten Mal sah Gaius die Bosheit in seinen Augen leuchten. Marius erhob sich, und schlagartig wurde es still im Saal. Diejenigen, die gestanden hatten, setzten sich wieder, um dem anderen Konsul die Möglichkeit zu geben, als Erster zu antworten. Marius legte die Hände auf den Rücken, und Gaius sah, wie die Knöchel weiß hervortraten. »Ich habe an Sullas Vorschlag nichts auszusetzen. Die Situation ist klar: Unsere Streitkräfte müssen sich aufteilen, um Rom und unsere fernen Besitztümer zu verteidigen. Ich muss ihn fragen, ob er sich freiwillig als derjenige meldet, der die Eindringlinge vertreiben wird.« Alle Blicke richteten sich auf Sulla. »In dieser Angelegenheit vertraue ich ganz dem Urteil des Senats. Ich bin ein Diener Roms. Meine persönlichen Wünsche spielen hierbei keine Rolle.« Marius lächelte verkniffen, und man konnte die Spannung zwischen den beiden in der Luft spüren. »Ich bin der gleichen Meinung«, sagte Marius mit klarer Stimme und setzte sich wieder. Sulla sah erleichtert aus und ließ den Blick durch den Saal mit der gewölbten Decke wandern. »Dann ist die Entscheidung einfach. Ich nenne den Namen jeder Legion, und diejenigen, die sie für am besten geeignet halten, gegen Mithridates zu kämpfen, stehen auf und lassen sich zählen. Die anderen erheben sich, wenn sie den anderen Namen hören. Bei einer solchen Abstimmung, die die Sicherheit der Stadt betrifft, darf sich niemand der Stimme enthalten. Sind alle einverstanden?« Die dreihundert Senatoren murmelten ernst ihre Zustimmung, und Sulla lächelte wieder. Gaius spürte, wie ihn Furcht überkam. Sulla schwieg einen langen Augenblick und schien die Anspannung sichtlich zu genießen. Endlich sprach er ein Wort in die Stille hinein. »Die Erstgeborenen.« Marius legte eine Hand auf Gaius’ Schulter. »Du darfst heute nicht abstimmen, mein Junge.« Gaius blieb sitzen und reckte den Hals, um zu sehen, wie viele sich erhoben. Marius blickte Sulla gleichgültig an, als sei die Angelegenheit für ihn nicht wichtig. Es schien, als würden überall um sie herum Männer aufstehen, und Gaius wusste, dass sein Onkel verloren hatte. Dann verstummten die Geräusche, und es erhob sich niemand mehr. Er blickte zu dem gut aussehenden Konsul hinab, der in der Mitte stand, und konnte sehen, wie dessen Miene von entspannter Freude zu Unglauben und dann zu blanker Wut wechselte. Er zählte und ließ sein Ergebnis von zwei anderen überprüfen, bis alle übereinstimmten. »Einhunderteinundzwanzig Stimmen dafür, dass sich die Erstgeborenen mit den Eindringlingen auseinander setzen.« Er biss sich auf die Lippe, und sein Gesicht nahm für einen Augenblick einen brutalen Ausdruck an. Er starrte Marius an, der die Achseln zuckte und den Blick abwandte. Die stehenden Männer setzten sich. »Zweite Alaudae«, flüsterte Sulla, und seine Stimme wurde von der hervorragenden Akustik des Raumes getragen. Wieder standen Männer auf, und Gaius erkannte, dass es die Mehrheit war. Welchen Plan Sulla auch immer gehabt hatte, er war fehlgeschlagen, und Gaius sah, wie er die Senatoren auf ihre Sitze zurückwinkte, ohne zu Ende auszählen und das Ergebnis festhalten zu lassen. Es war deutlich zu sehen, dass er sich zusammenriss, und als er sprach, war er wieder der charmante junge Mann, den Gaius gesehen hatte, als er eingetreten war. »Der Senat hat gesprochen, und ich bin der Diener des Senats«, sagte er förmlich. »Ich vermute, Marius wird die Quartiere in der Stadt während meiner Abwesenheit für seine eigenen Männer nutzen?« »Allerdings«, erwiderte Marius mit ungerührter Miene. Sulla fuhr fort: »Mit der Unterstützung unserer Streitkräfte in Kleinasien wird es kein langer Feldzug werden. Sobald ich Mithridates vernichtet habe, kehre ich nach Rom zurück. Dann werden wir über die Zukunft Roms entscheiden.« Bei den letzten Worten schaute er Marius direkt an. Die Botschaft war unmissverständlich. »Schon heute Abend lasse ich meine Männer die Kasernen räumen. Wenn nichts weiteres mehr ansteht, wünsche ich euch allen einen guten Tag.« Sulla verließ den Saal, und eine Gruppe seiner Anhänger schloss sich ihm an. Die Anspannung wich aus dem Raum, und plötzlich redeten und lachten alle durcheinander oder sahen sich gegenseitig nachdenklich an. Marius stand auf, und augenblicklich kehrte Ruhe ein. »Ich danke euch für euer Vertrauen, meine Herren. Ich werde diese Stadt gegen alle Feinde verteidigen.« Unwillkürlich musste Gaius daran denken, dass auch Sulla sehr wohl zu diesen Feinden gehören mochte, wenn er erst wieder zurückkehrte. Mehrere Senatoren umringten seinen Onkel, und ein paar schüttelten ihm in unverhohlener Gratulation die Hand. Marius zog Gaius mit einer Hand zu sich und ergriff mit der anderen die Schulter eines dürren Manns, der sie beide anlächelte. »Crassus. Darf ich dir meinen Neffen Gaius vorstellen? Du wirst es nicht glauben, Gaius, wenn du ihn dir so ansiehst, aber Crassus ist wahrscheinlich der reichste Mann in ganz Rom.« Der Mann hatte einen langen, dünnen Hals, auf dessen Ende sein Kopf hin- und herwackelte, und warme braune Augen, die aus einem Meer von Falten hervorblinzelten. »Die Götter haben es gut mit mir gemeint, das ist wahr. Ich habe auch zwei wunderschöne Töchter.« Marius lachte. »Eine ist halbwegs ansehnlich, Crassus, aber die andere kommt nach ihrem Vater.« Innerlich zuckte Gaius bei diesen Worten zusammen, Crassus jedoch schienen sie überhaupt nichts auszumachen. Er lachte wehmütig. »Das stimmt, sie ist ein bisschen knochig. Ich muss wohl eine hohe Mitgift in Aussicht stellen, um die jungen Männer Roms anzulocken.« Dann wandte er sich an Gaius und streckte die Hand aus. »Es ist mir ein Vergnügen dich kennen zu lernen, junger Mann. Wirst du ein Legat werden wie dein Onkel?« »Ganz bestimmt«, sagte Gaius ernst. Crassus lächelte. »Dann wirst du Geld brauchen. Kommst du zu mir, wenn du einen Förderer brauchst?« Gaius nahm die angebotene Hand und drückte sie kurz, ehe sich Crassus wieder unter die Menge mischte. Marius beugte sich zu seinem Neffen hinüber und murmelte ihm ins Ohr: »Gut gemacht. Er war mir immer ein treuer Freund und besitzt ein unglaubliches Vermögen. Ich arrangiere für dich einen Besuch auf seinem Familiensitz; seine verschwenderische Pracht ist wirklich sehenswert. Und jetzt möchte ich dir noch jemanden vorstellen. Komm mit.« Gaius folgte ihm durch die Grüppchen von Senatoren, die über die Ereignisse des Tages und über Sullas Demütigung sprachen. Gaius fiel auf, dass Marius jedem Mann, der seinem Blick begegnete, die Hand schüttelte, kurz gratulierte, sich nach der Familie und abwesenden Freunden erkundigte. Jede Gruppe verließ er mit einem Lächeln. Auf der anderen Seite des Senatssaals unterhielten sich drei Männer leise, und sie unterbrachen ihr Gespräch sofort, als Marius und Gaius sich näherten. »Das ist der Mann, Gaius«, sagte Marius fröhlich. »Gnaeus Pompeius, den seine Anhänger für den besten Feldgeneral halten, den Rom hat, wenn ich krank oder nicht im Land bin.« Pompeius schüttelte ihnen beiden die Hand und lächelte freundlich. Im Gegensatz zu dem hageren Crassus war er ein wenig übergewichtig, dabei ebenso groß wie Marius. Seine Körperfülle stand ihm gut und erweckte den Eindruck von massiver Kraft. Er schien nicht älter als dreißig zu sein, was seinen militärischen Rang noch eindrucksvoller machte. »Daran kann gar kein Zweifel bestehen, Marius«, erwiderte er. »Auf dem Schlachtfeld bin ich ein wahres Wunder. Sogar starke Männer weinen, wenn sie die Schönheit meiner Manöver sehen.« Marius lachte und schlug ihm auf die Schulter. Pompeius musterte Gaius von oben bis unten. »Eine jüngere Ausgabe von dir, du alter Fuchs?«, sagte er zu Marius. »Wie könnte es anders sein, mit meinem Blut in seinen Adern?« Pompeius verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Dein Onkel ist heute ein schreckliches Risiko eingegangen, als er Sulla aus Rom verdrängt hat. Was hältst du davon?« Marius wollte antworten, doch Pompeius hob die Hand. »Lass ihn sprechen, alter Fuchs. Mal sehen, ob etwas an ihm dran ist.« Gaius antwortete ohne Zögern, und die Worte fielen ihm überraschend leicht. »Es ist ein gefährlicher Schachzug, Sulla zu verärgern, aber mein Onkel liebt Risiken dieser Art. Sulla ist ein Diener der Stadt und wird gut gegen diesen fremden König kämpfen. Wenn er zurückkehrt, wird er eine Übereinkunft mit meinem Onkel treffen müssen. Vielleicht können wir die Kasernen erweitern, damit beide Legionen die Stadt beschützen können.« Pompeius blinzelte und wandte sich an Marius. »Ist er ein Narr?« Marius lachte. »Nein. Er weiß nur nicht, ob ich dir vertraue oder nicht. Ich vermute, er hat meine Pläne schon lange erraten.« »Was wird dein Onkel tun, wenn Sulla zurückkehrt?«, flüsterte Pompeius nah an Gaius’ Ohr. »Er wird die Tore schließen. Wenn Sulla mit Gewalt einzudringen versucht, wird ihn der Senat zum Feind Roms erklären. Er wird entweder eine Belagerung beginnen oder sich zurückziehen müssen. Ich vermute, er wird sich Marius’ Befehl unterstellen, wie es jeder Feldgeneral dem Konsul von Rom gegenüber tun würde.« Pompeius stimmte ihm ungerührt zu. »Ein gefährlicher Weg, wie ich schon sagte. Ich kann dich nicht öffentlich unterstützen, aber privat werde ich mein Möglichstes für dich tun. Glückwunsch zu deinem Triumphzug. Du hast prächtig ausgesehen.« Er gab seinen beiden Begleitern ein Zeichen, und sie gingen davon. Gaius blickte sich um und sah ein paar von Sullas Senatoren in der Nähe stehen, die mit unverhohlener Feindseligkeit hinüberblickten. Er folgte Marius hinaus aufs Forum, wo sie sich an einer Stelle auf die Steinstufen setzten, an der niemand ihre Gespräche belauschen konnte. Nicht weit von ihnen standen die Erstgeborenen immer noch stramm. In ihren glänzenden Rüstungen sahen sie unbesiegbar aus. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in der Gegenwart von Tausenden ganz entspannt mit seinem Onkel auf den Stufen des Senats zu sitzen. Gaius konnte nicht länger an sich halten. »Wie hast du es geschafft, die Abstimmung zu deinen Gunsten zu entscheiden?« Marius fing an zu lachen und wischte sich den plötzlich auftretenden Schweiß von der Stirn. »Mit Planung, mein Junge. Ich habe von der Landung des Mithridates’ praktisch in dem Augenblick erfahren, als sie stattgefunden hat. Tage vor Sulla. Ich habe das älteste Hilfsmittel der Welt benutzt, um die Zauderer im Senat dazu zu bringen, für mich zu stimmen, und trotzdem ging es knapper aus, als mir lieb war. Das Ganze hat mich ein Vermögen gekostet, aber ab morgen früh habe ich die Kontrolle über Rom.« »Er wird zurückkehren«, warnte ihn Gaius. Marius schnaubte. »In sechs Monaten vielleicht. Er könnte auf dem Schlachtfeld fallen oder sogar gegen Mithridates verlieren; ich habe gehört, dass er ein gerissener Legat ist. Selbst wenn ihn Sulla im Eiltempo schlägt und auf dem Hin- und Rückweg nach Griechenland günstige Winde hat, bleiben mir mehrere Monate zur Vorbereitung. Abziehen kann er ohne jede Schwierigkeiten, aber wieder hinein wird er nicht ohne Kampf kommen.« Gaius schüttelte bei dieser Bestätigung seiner Gedanken ungläubig den Kopf. »Und was passiert jetzt? Kehren wir in dein Haus zurück?« Marius lächelte traurig, als er antwortete. »Nein. Ich musste es für die Bestechungsgelder verkaufen. Sulla war bereits dabei, sie zu bestechen, also musste ich in den meisten Fällen sein Angebot verdoppeln. Es hat mich meinen gesamten Besitz gekostet, außer meinem Pferd, meinem Schwert und meiner Rüstung. Ich bin vielleicht der erste mittellose Legat, den Rom je hatte.« Er lachte leise. »Hättest du die Abstimmung verloren, wäre alles dahin gewesen«, flüsterte Gaius, entsetzt über den Einsatz. »Aber ich habe nicht verloren! Ich habe Rom, und meine Legion steht vor uns.« »Trotzdem . was hättest du getan, wenn du verloren hättest?« Marius blies verächtlich Luft zwischen den Lippen hervor. »Ich wäre natürlich losgezogen, um gegen Mithridates zu kämpfen. Bin ich denn kein Diener der Stadt? Allerdings müsste jemand schon sehr mutig sein, um mein Bestechungsgeld anzunehmen und dann gegen mich stimmen, wenn meine Legion draußen vor der Tür wartet, oder nicht? Wir müssen dankbar sein, dass der Senat das Gold so hoch schätzt. Diese Senatoren denken an neue Pferde und Sklaven, aber sie waren nie so arm, wie ich es gewesen bin. Für mich ist Geld nur das, was es mir bringt, und hier hat es mich hergebracht, auf diese Stufen, mit der größten Stadt der Welt im Rücken. Kopf hoch, Junge, heute ist ein Tag der Freude, nicht des Bedauerns.« »Nein, da hast du Recht. Ich musste nur gerade an Marcus und Renius denken, die nach Osten unterwegs sind, um sich der Vierten Makedonischen anzuschließen. Es ist durchaus möglich, dass sie auf diesen Mithridates treffen, der aus der anderen Richtung kommt.« »Ich hoffe nicht. Die beiden würden diesen Griechen zum Frühstück verspeisen, und ich finde, Sulla sollte wenigsten noch ein bisschen was zu tun haben, wenn er dort ankommt.« Gaius lachte, dann erhoben sich beide. Marius blickte auf seine Legion, und Gaius konnte die Freude und den Stolz förmlich spüren, den er versprühte. »Das war ein guter Tag. Du hast die Mächtigen dieser Stadt kennen gelernt, und ich bin von den Menschen gefeiert und vom Senat unterstützt worden. Ach, übrigens, wegen deiner Sklavin ... diesem hübschen Ding? Ich an deiner Stelle würde sie verkaufen. Es ist eine Sache, wenn man ein Mädchen ein paarmal flachlegt, aber du scheinst sie gern zu haben, und das verheißt nichts als Ärger.« Gaius wendete sich ab und biss sich auf die Lippen. Gab es denn nirgends mehr Geheimnisse? Ohne das Unbehagen seines Begleiters zu bemerken, fuhr Marius vergnügt fort: »Hast du sie denn überhaupt schon mal ausprobiert? Nein? Vielleicht schlägst du sie dir dann ja aus dem Kopf. Ich kenne ein paar gute Häuser, falls du vorher ein paar Erfahrungen sammeln willst. Frag mich einfach, wenn du so weit bist.« Gaius antwortete nicht, aber seine Wangen glühten. Marius ließ den Blick mit unverhohlenem Stolz über die Primigenia-Legion schweifen, die immer noch in Reih und Glied vor ihnen stand. »Sollen wir mit den Männern zur Stadtkaserne marschieren, mein Junge? Ich glaube, sie könnten nach dem ganzen Marschieren und dem Herumstehen in der Sonne eine anständige Mahlzeit und ein paar Stunden Schlaf vertragen.« 18 Marcus blickte hinaus aufs Mittelmeer und atmete die warme Luft mit dem leichten Salzgeschmack ein. Nach einer Woche auf See hatte ihn die Langeweile überkommen. Er kannte inzwischen jeden Zoll des kleinen Handelsschiffs und hatte sogar schon im Frachtraum geholfen, die Amphoren mit dem dickflüssigen Öl und die Ebenholzplanken aus Afrika zu zählen. Eine Weile hatten die Hunderte von Ratten unter Deck sein Interesse geweckt, und bewaffnet mit einem Dolch und einem Briefbeschwerer aus Marmor, den er aus der Kabine des Kapitäns gestohlen hatte, hatte er zwei Tage damit verbracht, in der Dunkelheit zu ihren Nestern zu kriechen. Nachdem er Dutzende von ihren kleinen Leibern über Bord geworfen hatte, kannten sie seinen Geruch oder seinen vorsichtigen Schritt und zogen sich in Ritzen tief im Leib des Schiffes zurück, sobald er den Fuß auf die Leiter setzte, die unter Deck führte. Seufzend betrachtete er den Sonnenuntergang. Die Farben der im Meer versinkenden Sonne schlugen ihn immer noch in ihren Bann. Als Passagier hätte er die ganze Reise über in seiner Kabine bleiben können, so wie Renius es offensichtlich vorhatte, doch der winzige, beengte Raum bot keinerlei Unterhaltung, und Marcus benutzte ihn schon bald nur noch zum Schlafen. Der Kapitän hatte ihm erlaubt, eine Wache zu übernehmen, und er hatte sich sogar an den beiden großen Steuerrudern versucht, die sich hinten oder am Heck, wie er gelernt hatte, befanden, aber sein Interesse war schnell erlahmt. »Noch ein paar Wochen, und ich bin reif für den Selbstmord«, murmelte er vor sich bin, während er mit dem Messer seine Initialen in die hölzerne Reling ritzte. Hinter sich hörte er ein schlurfendes Geräusch, doch er drehte sich nicht um, sondern lächelte nur und betrachtete weiter den Sonnenuntergang. Eine Weile blieb es still, dann ertönte wieder ein Geräusch, so wie es ein kleiner Körper macht, wenn er eine bequemere Position sucht. Marcus wirbelte herum und warf sein Messer von unten, so wie es ihm Renius einmal beigebracht hatte. Es schlug dumpf in den Mast und blieb dort zitternd stecken. Ein erschrockener Aufschrei war die Folge, und schmutzige weiße Füße blitzten auf, als sich irgendetwas tiefer in den Schatten verkroch und dabei auch noch leise zu sein versuchte. Marcus schlenderte hinüber zu dem Messer, zog es mit einem Ruck heraus, schob es wieder in die Scheide an seiner Hüfte und spähte angestrengt in die Finsternis. »Komm raus, Peppis, ich weiß, dass du da drin bist«, rief er. Er hörte ein Schniefen. »Ich hab dich nicht treffen wollen. Es war nur ein Scherz. Ehrlich.« Langsam kam ein spindeldürrer kleiner Junge hinter einem Bündel Sackleinen hervor. Er war unglaublich schmutzig, seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen. »Ich hab dich nur beobachtet«, sagte Peppis nervös. Marcus betrachtete ihn genauer und bemerkte eine kleine Kruste aus getrocknetem Blut unter seiner Nase und einen blauen Fleck über einem Auge. »Haben die Männer dich wieder verprügelt?«, fragte er und versuchte, seine Stimme freundlich klingen zu lassen. »Ein bisschen, aber es war meine eigene Schuld. Ich bin über ein Tau gestolpert und dadurch habe ich einen Knoten gelöst. Ich habe es nicht mit Absicht getan, aber der Erste Maat hat gesagt, er wird mich lehren, ungeschickt zu sein. Ich bin aber schon ungeschickt, deshalb habe ich gesagt, das muss mich niemand lehren, und dann hat er mich verprügelt.« Er schniefte wieder und wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. Eine silbrige Spur blieb darauf zurück. »Warum läufst du nicht im nächstbesten Hafen davon?«, fragte Marcus. Peppis streckte seine Brust so weit heraus, wie es ging, wodurch sich seine Rippen wie weiße Stangen unter der Haut abzeichneten. »Ich doch nicht. Ich will Matrose werden, wenn ich größer bin. Ich lerne die ganze Zeit, indem ich den Männern zusehe. Ich hätte das Tau heute wieder verknoten können, wenn mich der Erste Maat gelassen hätte, aber das konnte er ja nicht wissen.« »Soll ich mich mal mit diesem ... mit dem Ersten Maat unterhalten? Und ihm sagen, dass er mit dem Prügeln aufhören soll?« Peppis wurde sogar noch blasser und schüttelte den Kopf. »Er würde mich umbringen, wenn du das machst, vielleicht auf dieser Reise oder vielleicht auch auf der Rückfahrt. Er sagt immer, wenn ich es nicht schaffe, Matrose zu werden, schmeißt er mich eines Nachts über Bord, wenn ich schlafe. Deshalb schlafe ich nicht in meiner Koje, sondern hier oben an Deck. Ich wechsle oft meinen Schlafplatz, damit er nicht weiß, wo er mich findet, wenn er meint, es ist so weit.« Marcus seufzte. Der Kleine tat ihm Leid, doch es gab keine einfache Lösung für seine Probleme. Selbst wenn er den Ersten Maat still und leise über Bord warf, würden die anderen Peppis weiter quälen. Sie beteiligten sich alle daran, und als Marcus Renius zum ersten Mal davon erzählt hatte, hatte der alte Gladiator gelacht und gesagt, so einen gäbe es auf jedem Schiff. Trotzdem ärgerte sich Marcus darüber, wenn dem Jungen wehgetan wurde. Er hatte nie vergessen, wie es war, der Gnade von Schlägertypen wie Suetonius ausgeliefert zu sein, und er wusste, dass er, wenn er und nicht Gaius die Wolfsfalle gebaut hätte, ihn mit Steinen beworfen und getötet hätte. Er seufzte erneut und stand auf, um seine müden Muskeln zu strecken. Wo wäre er wohl gelandet, wenn Gaius’ Eltern sich nicht um ihn gekümmert und ihn großgezogen hätten? Er hätte sich auch sehr gut an Bord eines Handelsschiffs verstecken und in die gleiche schreckliche Situation wie Peppis geraten können. Er hätte nie gelernt, wie man kämpft oder sich verteidigt, und die Unterernährung hätte auch ihn schwach und kränklich werden lassen. »Hör mal«, sagte er, »wenn ich dir schon nicht bei den Matrosen helfen darf, dann lass mich wenigstens mein Essen mit dir teilen. Ich esse sowieso nicht viel und habe immer einen Teil davon zurückgehen lassen, vor allem bei unruhiger See. In Ordnung? Bleib hier, dann bringe ich dir etwas.« Peppis nickte stumm und Marcus ging ein wenig fröhlicher unter Deck in seine enge Kabine, um Käse und Brot zu holen, die man ihm zuvor dort hingestellt hatte. In Wahrheit hatte er selber Hunger, doch er konnte auch ohne Essen auskommen; der kleine Junge hingegen war fast verhungert. Marcus ließ Peppis mit dem Essen allein und ging nach achtern zu den Steuerrudern, weil er wusste, dass der Erste Maat um Mitternacht das Ruder übernahm. Wie Peppis hatte er den richtigen Namen des Mannes nie erfahren. Alle nannten ihn nur nach seinem Rang, und er schien seine Arbeit gut zu machen, die Mannschaft mit harter Hand zu führen. Das kleine Schiff Lucidae hatte obendrein den Ruf, ehrlich zu sein, weil auf ihren Reisen nur sehr wenig Fracht verloren ging. Andere Schiffe mussten immer wieder derartige kleine Verluste abschreiben, um ihre Mannschaften bei Laune zu halten. Nicht jedoch die Eigner der Lucidae. Marcus’ Züge hellten sich auf, als er den Mann erblickte, der seinen Posten bereits übernommen hatte und eines der großen Ruder sicher gegen die Strömungen behauptete und sich leise mit seinem Kameraden an dem anderen Ruder unterhielt. »Ein schöner Abend«, sagte er, als er näher kam. Der Erste Maat knurrte und nickte. Zu zahlenden Passagieren hatte er freundlich zu sein, über die notwendigste Höflichkeit jedoch ging er nicht hinaus. Er war ein kräftig gebauter Mann, der das Ruder mit einem Arm hielt, während sein Partner sein ganzes Gewicht und beide Schultern einsetzen musste, um das seine ruhig zu halten. Der andere Mann sagte nichts, aber Marcus erkannte in ihm ein anderes Mannschaftsmitglied, groß gewachsen, mit langen Armen und rasiertem Schädel. Er starrte unverwandt nach vorne und konzentrierte sich ganz auf seine Aufgabe und das Gefühl des Holzes in seinen Händen. »Ich möchte gerne ein Mitglied der Mannschaft als Sklaven kaufen. Mit wem muss ich da reden?«, fragte Marcus mit unvermindert freundlicher Stimme. Der Erste Maat blinzelte überrascht, und zwei Blicke hefteten sich auf den jungen Römer. »Wir sind freie Männer«, sagte der andere, und aus seiner Stimme war sein Missfallen herauszuhören. Marcus sah verwirrt aus. »Ich meinte natürlich keinen von euch. Ich meinte den Jungen, Peppis. Er steht nicht auf der Mannschaftsliste. Ich habe nachgesehen, deshalb dachte ich, dass er vielleicht zu verkaufen ist. Ich brauche einen Jungen, der mir das Schwert trägt und .« »Ich habe dich an Deck beobachtet«, grollte der Erste Maat aus tiefer Brust. »Du hast immer finster dreingeblickt, wenn wir ihm eine Lektion erteilt haben. Du bist wohl eins von diesen verweichlichten Stadtbürschlein, die meinen, wir würden den Schiffsjungen zu streng behandeln. Entweder das, oder du hättest ihn gerne für dein Bett. Was nun?« Marcus lächelte und zeigte dabei die Zähne. »Oh weh. Das klang aber wie eine Beleidigung, mein Freund. Du solltest besser das Ruder loslassen, damit ich dir auch mal eine Lektion erteilen kann.« Der Erste Maat machte den Mund auf, um zu antworten, und Marcus schlug zu. Eine Weile schlingerte die Lucidae steuerlos über das dunkle Meer. Renius rüttelte ihn unsanft wach. »Steh auf! Der Kapitän will dich sprechen.« Marcus stöhnte. Sein Gesicht und Oberkörper waren mit Blutergüssen bedeckt. Renius pfiff leise, als er aufstand und sich vorsichtig anzuziehen begann. Mit der Zunge fand er einen lockeren Zahn und er zog den Wasserkrug unter dem Bett hervor, um blutigen Schleim hineinzuspucken. Mit dem Teil seines Bewusstseins, der schon funktionierte, bemerkte er zu seiner Freude, dass Renius seinen eisernen Brustpanzer trug und sein Schwert umgeschnallt hatte. Der Stumpf seines Armes war mit sauberen Stoffstreifen verbunden und die Schwermut, die ihn in den ersten Wochen an seine Kabine gefesselt hatte, schien verschwunden zu sein. Als Marcus seine Tunika übergestreift und einen Umhang gegen die Morgenkühle umgelegt hatte, hielt ihm Renius die Tür auf. »Jemand hat gestern Nacht den Ersten Maat und einen weiteren Mann, der bei ihm war, zusammengeschlagen«, erzählte Renius fröhlich. Marcus befühlte sein Gesicht mit der Hand und spürte den Rand aufgeplatzter Haut auf seiner Wange. »Hat er gesagt, wer es war?«, knurrte er. »Er sagte, er sei im Dunkeln von hinten überfallen worden. Seine Schulter ist gebrochen.« Renius hatte sich tatsächlich von seiner düsteren Stimmung verabschiedet, aber Marcus empfand den neuen, lachenden Renius nicht gerade als Fortschritt. Der Kapitän war ein Grieche namens Epides, ein kleiner, energiegeladener Mann mit einem Bart, der wie angeklebt aussah, weil nicht ein einziges störrisches Haar in seinem Gesicht am falschen Platz war. Als Marcus und Renius eintraten, stand er auf und stützte die Hände auf den Schreibtisch, der wegen der Dünung mit schweren eisernen Klammern am Fußboden befestigt war. An jedem Finger saß ein wertvoller, in Gold gefasster Stein, der bei jeder Bewegung glitzerte. Der restliche Raum war eher schlicht ausgestattet, wie es sich für ein Handelsschiff gehörte. Es gab keinen Luxus und nichts, was man ansehen konnte, außer den Mann selbst, der die beiden finster anstarrte. »Sparen wir uns die Unschuldsbeteuerungen«, sagte er. »Mein Erster Maat hat eine gebrochene Schulter und ein gebrochenes Schlüsselbein, und du hast es getan.« Marcus wollte etwas sagen, aber der Kapitän unterbrach ihn. »Er will nicht zugeben, dass du es warst, und nur Zeus weiß, warum. Wenn er es getan hätte, würde ich dich auf Deck bis aufs Blut auspeitschen lassen. So wirst du bis zum Ende der Reise seine Pflichten übernehmen, und ich verfasse einen Brief an den Befehlshaber deiner Legion, in dem ich ihm mitteile, was für einen undisziplinierten Rüpel er da bekommt. Ich verpflichte dich ab sofort für die Dauer dieser Überfahrt als Mannschaftsmitglied, so wie es mein Recht als Kapitän der Lucidae ist. Wenn ich erfahre, dass du dich in irgendeiner Weise vor deinen Pflichten drückst, lasse ich dich auspeitschen. Hast du mich verstanden?« Marcus wollte antworten, aber dieses Mal kam ihm Renius zuvor, der mit ruhiger und vernünftiger Stimme sprach. »Kapitän. Von dem Augenblick an, in dem dieser Junge seine Stellung in der Vierten Makedonischen angenommen hat, wurde er ein Soldat dieser Legion. Da du in einer schwierigen Lage bist, wird er sich freiwillig als Ersatz für den Ersten Maat melden, bis wir in Griechenland von Bord gehen. Mit dem Unterschied, dass ich derjenige bin, der darauf achtet, dass er sich nicht vor seinen Pflichten drückt. Sollte er auf deinen Befehl hin ausgepeitscht werden, komme ich hier herauf und reiße dir das Herz heraus. Haben wir uns verstanden?« Seine Stimme blieb bis zuletzt ruhig und fast freundlich. Epides wurde ein wenig bleich und strich sich mit einer nervösen Bewegung über den Bart. »Sorg nur dafür, dass er seine Arbeit tut. Und jetzt raus mit euch, und melde dich beim Zweiten Maat, damit er dich einteilt.« Renius sah ihn lange an und nickte dann langsam, drehte sich zur Tür um und ließ Marcus als Ersten hinaustreten, ehe er ihm folgte. Als er wieder allein war, sank Epides auf seinen Stuhl, tauchte eine Hand in eine Schale mit Rosenwasser und betupfte damit sein Genick. Dann fasste er sich wieder und suchte mit einem grimmigen Lächeln seine Schreibsachen zusammen. Eine Weile dachte er an all die gescheiten, bissigen Antworten, die er hätte geben sollen. Von Renius bedroht zu werden, bei allen Göttern! Wenn er nach Hause zurückkehrte, würde die Geschichte, die er erzählte, all die schlagfertigen Retourkutschen beinhalten, eben jedoch hatte ihm etwas unverhüllt Gewalttätiges in den Augen des Mannes die Sprache verschlagen. Der Zweite Maat war ein mürrischer Mann aus Norditalien namens Parus. Er sagte nur wenig, als sich Marcus und Renius bei ihm meldeten. Er erklärte ihnen kurz die täglichen Aufgaben eines Ersten Maats auf einem Handelsschiff, die mit der mitternächtlichen Ruderwache endeten. »Es kommt mir nicht richtig vor, dich Ersten Maat zu nennen, während er noch unter Deck ist.« »Ich erledige seine Arbeit für ihn. So lange nennst du mich bei seinem Namen«, erwiderte Marcus. Der Mann erstarrte. »Wie alt bist du, sechzehn? Den Männern wird es auch nicht gefallen«, meinte er. »Siebzehn«, log Marcus lässig. »Die Männer werden sich schon daran gewöhnen. Vielleicht sollten wir jetzt lieber mit ihnen reden.« »Bist du schon einmal zur See gefahren?«, fragte Parus. »Das ist meine erste Schiffsreise, aber du sagst mir, was getan werden muss, und ich werde es tun. In Ordnung?« Parus blies mit unverhohlener Abscheu die Backen auf und nickte. »Ich hole die Männer an Deck.« »Ich hole die Männer an Deck, Erster Maat«, verbesserte Marcus deutlich durch seine geschwollenen Lippen. Seine Augen funkelten gefährlich, und Parus fragte sich, wie er den Ersten Maat im Kampf besiegt haben konnte, und warum dieser dem Kapitän nicht sagen wollte, wer es gewesen war, wenn es doch jeder Narr deutlich sehen konnte. »Erster Maat«, stimmte er mürrisch zu und verließ sie. Marcus drehte sich zu Renius um, der ihn schief ansah. »Was denkst du?«, fragte Marcus. »Ich denke, du solltest verdammt vorsichtig sein, wenn du lebend nach Griechenland kommen willst«, erwiderte Renius ernst. Alle Mannschaftsmitglieder, die gerade nicht arbeiten mussten, hatten sich auf dem kleinen Deck versammelt. Marcus zählte fünfzehn Matrosen, während fünf weitere an den Rudern und in der Takelage zu tun hatten. Parus räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. »Da sich der Erste Maat den Arm gebrochen hat, sagt der Kapitän, dass der hier die restliche Überfahrt lang seine Arbeit machen soll. Geht wieder an die Arbeit.« Die Männer wandten sich zum Gehen, und Marcus trat wütend einen Schritt vor. »Bleibt, wo ihr seid«, donnerte er, selbst überrascht von der Kraft seiner Stimme. Einen Augenblick hatte er ihre Aufmerksamkeit, und er hatte nicht vor, ihn ungenutzt verstreichen zu lassen. »Also, ihr wisst alle, dass ich dem Ersten Maat den Arm gebrochen habe, deshalb werde ich es nicht leugnen. Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit und haben uns geprügelt, das ist alles. Ich weiß nicht, warum er dem Kapitän nicht erzählt hat, wer es war, aber ich respektiere ihn dafür ein wenig mehr. Ich werde seine Arbeit tun, so gut ich es vermag, aber ich bin kein Seemann, und das wisst ihr auch. Ihr arbeitet mit mir zusammen, und es macht mir nichts aus, wenn ihr mir sagt, falls ich etwas falsch mache. Aber wenn ihr behauptet, ich würde etwas falsch machen, dann solltet ihr auch besser Recht haben. In Ordnung?« Von den versammelten Männern kam halblautes Gemurmel. »Wenn du kein Seemann bist, dann hast du keine Ahnung von dem, was du tust. Was soll uns denn ein Bauer auf einem Handelsschiff nutzen?«, fragte ein über und über tätowierter Matrose. Er grinste höhnisch und Marcus antwortete schnell, rot vor Wut. »Als Erstes werde ich eine Runde über das Schiff machen und mit jedem von euch reden. Ihr erklärt mir genau, worin eure Aufgabe besteht, und ich erledige sie. Wenn ich es nicht schaffe, gehe ich wieder zum Kapitän und sage ihm, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin. Hat jemand Einwände?« Es herrschte Schweigen. Ein paar von ihnen schien die Herausforderung zu interessieren, auf den meisten Gesichtern jedoch lag offene Feindseligkeit. Marcus biss die Zähne zusammen und spürte, wie der lockere Zahn wehtat. Er zog seinen Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn hoch. Es war eine schön gearbeitete Waffe, die ihm Marius als Abschiedsgeschenk gegeben hatte. Obwohl nicht übermäßig verziert, war es trotzdem ein teueres Stück, mit einem mit Bronzedraht umwickelten Griff. »Wenn ein Mann etwas kann, was ich nicht schaffe, schenke ich ihm den hier, ein Geschenk des Legaten Marius der Primigenia. Wegtreten.« Jetzt war das Interesse auf den Gesichtern schon größer, und einige Matrosen blickten auf die Klinge, die er immer noch hochhielt, während sie auf ihre Posten zurückkehrten. Marcus drehte sich zu Renius um. Der Gladiator schüttelte ungläubig den Kopf. »Oh Ihr Götter, bist du noch nicht trocken hinter den Ohren. Dieser Dolch ist viel zu gut, um ihn wegzuwerfen«, sagte er. »Ich werde ihn nicht verlieren. Wenn ich mich der Mannschaft gegenüber beweisen muss, dann werde ich es eben tun. Ich bin stark genug. Wie schwierig können diese Aufgaben denn schon sein?« 19 Marcus klammerte sich verzweifelt an den Querbalken des Mastes. Hier, am höchsten Punkt des Schiffs, kam es ihm so vor, als schwinge er mit dem Mast von einem Horizont zum anderen. Das Meer unter ihm war grau und mit schäumenden, weißen Wellen übersät, die keine Gefahr für das robuste kleine Schiff darstellten. Sein Magen drehte sich, und jeder Teil von ihm antwortete mit Unbehagen. Bis zum Mittag waren alle seine Blutergüsse steif geworden, und jetzt fiel es ihm schwer, den Kopf nach rechts zu drehen, ohne dass der Schmerz schwarze und weiße Punkte vor seinen Augen flimmern ließ. Über ihm stand, barfuß und ohne sich irgendwo festzuhalten, ein Matrose auf der Rah, der als Erster den Dolch gewinnen wollte. Der Mann grinste ihn an, nicht boshaft, aber die Herausforderung war eindeutig: Marcus sollte neben ihn treten und das Risiko eingehen, ins Meer oder, noch schlimmer, auf das Deck tief unter ihm zu stürzen. »Von unten sahen die Masten gar nicht so hoch aus«, knurrte Marcus durch zusammengebissene Zähne. Der Matrose kam lässig zu ihm herüber. Er war absolut im Gleichgewicht und passte seinen Schwerpunkt pausenlos dem Rollen und Stampfen des Schiffs an. »Hoch genug, um dich zu töten. Aber der Erste Maat konnte auch die Rah entlanglaufen. Es ist deine Entscheidung.« Er wartete geduldig und überprüfte zwischendurch aus alter Gewohnheit, ob die Knoten und Taue straff saßen. Marcus biss die Zähne zusammen, hob sich über die Querstange und drückte seinen rebellierenden Magen dagegen. Unten sah er die anderen Männer und erkannte einige Gesichter, die nach oben schauten und sehen wollten, ob es ihm gelang. Oder vielleicht auch nur, um rechtzeitig beiseite zu springen, falls er fiel. Die Spitze des Mastes, die voller Taue hing, befand sich in Griffweite, und er benutzte sie, um sich weit genug hochziehen und einen Fuß auf das Rundholz stellen zu können. Das andere Bein hing herunter, und einen Augenblick lang nutzte er seine Pendelbewegung, um sein Gleichgewicht zu finden. Nach einem weiteren schmerzhaften Aufbäumen seiner gepeinigten Muskeln hockte er auf der Rahe und hielt sich mit beiden Händen am Mast fest, während seine Knie fast höher waren als sein Kinn. Er sah zu, wie sich der Horizont bewegte, und hatte plötzlich das Gefühl, als stünde das Schiff still und die ganze Welt wirbele um ihn herum. Jetzt war ihm schwindlig, und er schloss die Augen, was jedoch nur wenig half. »Komm schon«, sprach er sich Mut zu. »Einen guten Gleichgewichtssinn hast du doch.« Seine Hände zitterten, als er den Mast losließ und das Geschaukel mit den Beinmuskeln ausglich. Dann erhob er sich langsam wie ein alter Mann, bereit, jederzeit sofort den Mast zu ergreifen, sobald er das Gleichgewicht verlor. Aus einer gebeugten Haltung richtete er sich auf, bis er mit hängenden Schultern aufrecht stand, die Augen unverwandt auf den Mast gerichtet. Dann beugte er die Knie ein wenig und versuchte, sich der Bewegung durch die Luft anzupassen. »Du hast Glück. Heute ist es nicht sehr windig«, sagte der Matrose gleichmütig. »Ich war mal bei einem Sturm hier oben und habe versucht, ein zerrissenes Segel festzubinden. Das hier ist gar nichts.« Marcus hielt sich mit einer Antwort zurück. Einen Mann, der sechzig Fuß über dem Deck so entspannt mit verschränkten Armen dastehen konnte, wollte er nicht verärgern. Er starrte ihn an, und zum ersten Mal, seit er diese Höhe erreicht hatte, hatten sich seine Augen vom Mast gelöst. Der Matrose nickte. »Du musst einmal quer rüberlaufen. Von deinem Ende bis zu meinem. Dann darfst du wieder runter. Wenn du die Nerven verlierst, gib mir den Dolch, ehe du hinunterkletterst. Man kommt sonst nicht so gut ran, wenn du auf die Planken knallst.« Das wiederum konnte Marcus gut verstehen. Der Mann versuchte ihn nervös zu machen und erreichte damit das genaue Gegenteil. Er wusste, dass er sich auf seine Reflexe verlassen konnte. Wenn er fiel, würde ihm genügend Zeit bleiben, sich an irgendetwas festzuhalten. Also würde er die Höhe und die Bewegungen einfach nicht weiter beachten und es riskieren. Er richtete sich ganz auf, machte kleine Schritte zurück zum Rand und beugte sich vor, als der Mast fest entschlossen schien, ihn bis zur Meeresoberfläche hinunterzutauchen, ehe er sich nach einem Augenblick wieder aufrichtete und erneut nach vorne kippte. Dann kam es ihm vor, als blicke er einen Berghang hinunter, den nur der lässig dastehende Matrose verdeckte. »Na gut«, sagte er und streckte die Arme aus, um die Balance zu halten. »In Ordnung.« Mit kleinen Schritten bewegte er sich voran, wobei er die Sohlen seiner nackten Füße nie vom Holz löste. Er wusste, dass der Matrose hier mit Leichtigkeit entlanggehen konnte, doch er hatte nicht vor, jahrelange Erfahrung mit ein paar atemberaubenden Schritten wettzumachen. Stattdessen schob er sich ganz langsam vorwärts, und sein Selbstvertrauen wuchs gewaltig an, bis er das Schaukeln fast genoss, sich im Gleichklang mit der Bewegung hin- und herbeugte und über sie lachte. Der Matrose sah ihn ungerührt an, als er ihn erreichte. »Reicht das?«, fragte Marcus. Der Mann schüttelte den Kopf. »Bis zum Ende, habe ich gesagt. Du hast noch gut drei Fuß vor dir.« Marcus sah ihn verärgert an. »Du stehst mir im Weg, Mann!« Er sollte doch wohl kaum auf einem Stück Holz, das kaum breiter war als sein Oberschenkel, um den anderen herumgehen? »Dann sehen wir uns unten«, sagte der Mann und trat von dem Querbalken herunter. Marcus stockte der Atem, als die Gestalt an ihm vorbeischoss. In dem Augenblick, als er die Hand, die sich an dem Balken festhielt, und das Gesicht, das zu ihm emporgrinste, erblickte, verlor er das Gleichgewicht und fing an, in Panik hin- und herzuschwanken. Er wusste, dass er gleich auf das Deck aufschlagen würde. Noch mehr Gesichter trieben in sein Gesichtsfeld. Sie schienen alle nach oben zu blicken, blasse Schemen mit ausgestreckten Fingern. Marcus ruderte wie wild mit den Armen und beugte sich in heftigen Zuckungen vor und zurück, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Er fand sein Gleichgewicht wieder, konzentrierte sich auf die Rah, ignorierte die Tiefe unter sich und versuchte, den Rhythmus seiner Muskeln wieder zu finden, der ihm noch vor wenigen Augenblicken solchen Spaß bereitet hatte. »Fast wärst du gefallen«, sagte der Matrose, der immer noch lässig an einem Arm von der Rah hing und die Höhe gar nicht wahrzunehmen schien. Es war ein raffinierter Trick gewesen, und beinahe hätte er funktioniert. Lachend und kopfschüttelnd wollte der Mann gerade nach einem Tau greifen, als Marcus auf die Finger trat, die sich an dem Querbalken festhielten. »He!«, schrie er, aber Marcus beachtete ihn nicht und legte sein gesamtes Gewicht auf die Ferse, während er die Bewegungen der Lucidae ausglich. Plötzlich machte ihm das Ganze wieder Spaß, und er tat einen tiefen, reinigenden Atemzug. Die Finger wanden sich unter ihm und in der Stimme des Matrosen hörte man einen Anflug von Panik, als er merkte, dass er das nächste Tau nicht ganz erreichen konnte, selbst wenn er es mit den Beinen versuchte. Wäre seine Hand frei gewesen, hätte er mit Leichtigkeit schwingen und loslassen können, derart festgehalten jedoch konnte er nur baumeln und fluchen. Ohne Warnung nahm Marcus den Fuß weg, um den letzten Schritt zum Ende der Rah zu machen und vernahm mit Freude die kratzenden Geräusche unter sich, als der Matrose vollkommen überrascht abrutschte und sich verzweifelt festzuhalten versuchte. Marcus schaute nach unten und sah den wütenden Blick des Mannes, der sich anschickte, wieder auf den Querbalken zurückzuklettern. Die Mordlust stand ihm ins Gesicht geschrieben. Marcus eilte schnell zur Mitte der Rah zurück, wo er sich hinsetzte und den Mast fest mit den Oberschenkeln umklammerte. Da er sich immer noch unsicher fühlte, legte er sein linkes Bein weiter unten um den Mast, um sich abzustützen. Er zog Marius’ Dolch hervor und begann seine Initialen ganz oben in das Holz zu schnitzen. Der Matrose sprang fast auf den Querbalken, blieb an dessen Ende stehen und funkelte ihn böse an. Marcus ignorierte ihn, aber er konnte die Gedanken des Mannes fast hören, als ihm klar wurde, dass er unbewaffnet war und sein überlegener Gleichgewichtssinn durch Marcus’ festen Halt am Mast ausgeglichen wurde. Wenn er nahe genug an Marcus heran wollte, um ihn hinunterzustoßen, riskierte er einen Dolch im Hals. Die Sekunden verstrichen. »Na gut. Du kannst das Messer behalten. Klettern wir wieder nach unten.« »Du zuerst«, sagte Marcus ohne aufzusehen. Er hörte, wie die Geräusche, die der Matrose beim Abstieg machte, leiser wurden und schloss seine Schnitzarbeit ab. Alles in allem war er enttäuscht. Wenn er sich weiter in diesem Tempo Feinde machte, würde eines Nachts tatsächlich ein Messer auf ihn warten. Diplomatie, stellte er fest, war doch schwieriger, als er angenommen hatte. Renius war nicht da, um ihm zu seiner sicheren Rückkehr auf Deck zu gratulieren, deshalb setzte Marcus seinen Rundgang auf dem Schiff alleine fort. Nach der ersten Begeisterung über die Aussicht, den Dolch gewinnen zu können, waren die Blicke, die ihn empfingen, jetzt desinteressiert oder offen feindselig. Marcus verschränkte die Hände hinter dem Rücken, um das unkontrollierbare Zittern zu unterdrücken, das sie befallen hatte, als seine Füße wieder das sichere Holz des Decks berührt hatten. Er erwiderte jeden Blick mit einem Nicken, als wären es Grußworte, und zu seiner Überraschung nickte der eine oder andere zurück. Vielleicht geschah es nur aus Gewohnheit, aber es beruhigte ihn ein wenig. Ein Matrose, der sein langes Haar mit einem blauen Stoffstreifen zurückgebunden hatte, suchte offensichtlich Marcus’ Blick. Er machte einen freundlichen Eindruck, deshalb blieb Marcus stehen. »Und was machst du hier?«, fragte er, nun etwas vorsichtiger. »Komm mit zum Heck ... Erster Maat«, sagte der Mann, ging voraus und winkte ihn mit sich. Marcus folgte ihm nach achtern zu den Rudern. »Mein Name ist Crixus. Ich mache hier alles Mögliche, was immer gerade so anfällt, aber meine Spezialität ist es, die Ruder zu befreien, wenn sich irgendetwas in ihnen verfangen hat. Das können Algen sein, aber meistens sind es Fischernetze.« »Und wie befreist du sie?« Marcus konnte sich die Antwort schon denken, aber er fragte trotzdem und versuchte, unbeschwert und freundlich interessiert zu klingen. Er war noch nie ein guter Schwimmer gewesen, wohingegen sich der Brustkasten des Manns geradezu lächerlich weit ausdehnte, wenn er einatmete. »Nach deinem kleinen Spaziergang auf dem Mast wird dir das hier leicht fallen. Ich springe nur über Bord, tauche hinab zu den Rudern und schneide mit meinem Messer alles los, was sich darum gewickelt hat.« »Das klingt nach einer gefährlichen Aufgabe«, erwiderte Marcus und freute sich über das entspannte Grinsen, das er als Antwort erhielt. »Das ist es auch, wenn dort unten Haie sind. Sie folgen der Lucidae, weißt du, falls wir Abfall über Bord werfen.« Marcus kratzte sich am Kinn und versuchte sich zu erinnern, was ein Hai war. »Sind sie groß, diese Haie?« Crixus nickte mit Nachdruck. »Bei den Göttern, ja. Einige von ihnen könnten einen Menschen auf einen Bissen verschlucken! In der Nähe meines Dorfes wurde mal einer angespült, der hatte einen halben Mann in seinem Bauch. Er muss ihn in der Mitte durchgebissen haben.« Marcus sah den anderen an und vermutete, dass hier wieder jemand versuchte, ihm Angst zu machen. »Und was tust du, wenn du dort unten diesen Haien begegnest?«, fragte er. Crixus lachte. »Man muss ihnen auf die Nase schlagen. Dann vergeht ihnen der Appetit.« »In Ordnung«, sagte Marcus zweifelnd und blickte hinunter in das tiefe, kalte Meer. Er fragte sich, ob er diese Aufgabe auf den nächsten Tag verschieben sollte. Der Abstieg von der Mastspitze hatte den größten Teil seiner Muskulatur gelockert, doch noch immer ließ ihn jede Bewegung zusammenzucken. Außerdem war es nicht warm genug, um ein Bad im Meer besonders reizvoll erscheinen zu lassen. Er schaute Crixus an und merkte, wie dieser nur darauf wartete, dass er sich weigerte. Innerlich seufzte er. Nichts lief so, wie er es sich vorgestellt hatte. »Aber heute hat sich nichts in den Steuerrudern verfangen, oder?«, fragte er, und Crixus’ Lächeln wurde breiter, weil er glaubte, Marcus suchte nach einer Ausrede, um es gar nicht erst versuchen zu müssen. »Nicht auf dem offenen Meer, nein. Es reicht, wenn du eine Entenmuschel von der Unterseite eines Ruders abkratzt. Das ist ein kleines Tier, das sich an Schiffböden hängt. Wenn du eine hochbringst, gebe ich dir einen aus. Wenn du mit leeren Händen zurückkehrst, gehört das hübsche kleine Messer mir, in Ordnung?« Marcus stimmte zögernd zu und begann, Tunika und Sandalen abzulegen, bis er nur noch im Lendentuch dastand. Unter Crixus’ amüsierten Blicken dehnte er seine Beinmuskeln, wobei er die Holzreling als Stütze benutzte. Er ließ sich Zeit, weil er an Crixus’ Begeisterung sehen konnte, dass dieser vollkommen von seinem Scheitern überzeugt war. Schließlich war er locker und bereit. Er nahm das Messer, trat auf die glatte hölzerne Fläche am Heck und bereitete sich auf den Sprung vor. Selbst bei einem so tief liegenden Schiff wie der Lucidae, die förmlich durch das Wasser walzte, waren es gute zwanzig Fuß. Er dachte an die wenigen Sprünge ins Wasser, die er bei einem Ausflug mit Gaius’ Eltern an einen See gemacht hatte, als er acht oder neun gewesen war. Die Hände zusammen. »Leg dir lieber das hier um.« Crixus’ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Der Mann hielt ihm das mit Teer versiegelte Ende eines dünnen Taus hin. »Man bindet es sich um die Hüfte, damit die Lucidae einen nicht abhängt. Sie sieht nicht sehr schnell aus, aber schwimmend könntest du sie nicht einholen.« »Danke«, sagte Marcus misstrauisch und fragte sich, ob ihn Crixus ursprünglich ohne Seil hatte springen lassen wollen, und es sich erst im letzten Augenblick anders überlegt hatte. Er band sich das Tau fest um und blickte hinunter in das kalte Wasser, das von den Rudern zerfurcht wurde. Ein Gedanke kam ihm. »Wo ist das andere Ende?« Crixus besaß den Anstand, ein verlegenes Gesicht zu machen, womit er Marcus’ früheren Verdacht bestätigte. Stumm zeigte er auf die Stelle, wo das Seil festgemacht war. Marcus nickte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Wellen zu. Dann sprang er, drehte sich dabei ein wenig in der Luft und prallte mit einem lauten Klatschen auf das graue Wasser. Marcus hielt die Luft an, tauchte unter die Wasseroberfläche, und wurde herumgerissen, als das Seil seinen Tauchgang bremste. Dann spürte er, wie ihn das Schiff hinter sich herzog. Er kämpfte sich an die Oberfläche und schnappte erleichtert nach Luft, als er in der Nähe der Ruder wieder durch die Wellen brach. Er sah die dunklen Ruderblätter durch die Wellen schneiden und versuchte sich an der schlüpfrigen Oberfläche oberhalb der Wasserlinie festzuhalten. Es war unmöglich, und er merkte, dass er kräftig schwimmen musste, um nur in ihrer Nähe bleiben zu können. Sobald er Hände und Füße langsamer bewegte, trieb er ab, bis das Seil wieder straff war. Die Kälte ließ seine Muskeln verkrampfen, und Marcus wurde klar, dass ihm nur wenig Zeit blieb, bevor er im Wasser nichts mehr ausrichten konnte. Er packte den Dolch fest mit der rechten Hand, holte tief Luft und tauchte unter, wobei er sich mit den Händen den Weg zur glitschigen grünen Unterseite des nächsten Ruders ertastete. Unten angekommen drohte sein Lunge zu platzen. Es gelang ihm, sich ein paar Sekunden lang zu halten, während seine Hände in dem Schleim herumsuchten, aber er spürte nichts, was sich wie eine der von Crixus beschriebenen Muscheln anfühlte. Fluchend tauchte er mit strampelnden Beinen wieder an die Oberfläche. Da er sich nicht an den Rudern festhalten und ausruhen konnte, spürte er, wie ihn seine Kräfte rasch verließen. Wieder holte er Luft und tauchte hinab in die Finsternis. Crixus spürte die Gegenwart des alten Gladiators, noch ehe dieser neben ihn trat und auf das zitternde Tau hinabstarrte, das zwischen den Rudern ins Wasser führte. Als er seinem Blick begegnete, konnte Crixus die verhaltene Wut sehen und wich automatisch einen Schritt zurück. »Was machst du da?«, fragte Renius ruhig. »Er überprüft die Ruder und schneidet Entenmuscheln ab«, erwiderte Crixus. Renius’ Lippen verzogen sich vor Missmut. Selbst einarmig strahlte er Gewalttätigkeit aus, obwohl er vollkommen still dastand. Crixus sah den Gladius, der an seinem Gürtel hing, und wischte sich die Hände an seinen zerlumpten Beinkleidern ab. Gemeinsam beobachteten sie, wie Marcus dreimal an die Oberfläche kam und wieder hinabtauchte. Seine Arme schlugen ziellos im Wasser unter ihnen umher, und beide Männer konnten sein erschöpftes Husten hören. »Zieh ihn jetzt hoch. Ehe er sich ertränkt«, sagte Renius. Crixus nickte schnell und begann, Hand über Hand das Seil einzuholen. Renius bot ihm seine Hilfe nicht an, doch die Art und Weise, wie er dastand, die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt, war Ansporn genug. Crixus war schweißgebadet, als Marcus die Höhe des Decks erreichte. Er hing beinahe leblos an dem Seil, und seine Glieder waren so müde, dass sie ihm nicht mehr gehorchen wollten. Crixus zerrte ihn wie einen Stoffballen an Deck und drehte ihn mit dem Gesicht nach oben. Marcus hatte die Augen geschlossen und atmete schwer. Crixus lächelte, als er den Dolch sah, den der junge Mann immer noch umklammert hielt. Kaum streckte er die Hand danach aus, da vernahm er ein leises, singendes Geräusch hinter sich und erstarrte, als Renius ihm das Schwert vor das Gesicht hielt. »Was hast du denn jetzt vor?« »Ich nehme mir den Dolch! Er ... er sollte eine Muschel mitbringen ...«:, stotterte Crixus. »Sieh in seiner anderen Hand nach«, brummte Renius. Marcus konnte ihn durch das Geräusch von Wasser in seinen Ohren und den Schmerzen in seiner Brust und seinen Gliedern kaum hören, aber er öffnete die linke Faust. Dort lag, umgeben von Kratzern und Schnitten, eine runde Muschel, in deren Innern ihr Bewohner nass glänzte. Crixus’ Kiefer klappte nach unten, und Renius winkte ihn mit seinem Schwert fort. »Der zweite Maat soll die Männer zusammenrufen . Parus hieß er. Das hier ist weit genug gegangen.« Nach einem kurzen Blick auf das Schwert und das Gesicht des Mannes verzichtete Crixus auf Widerworte. Renius kniete sich neben Marcus und schob das Schwert zurück in die Scheide. Er schlug dem Jungen ein paarmal mit der flachen Hand in das bleiche Gesicht und brachte etwas Farbe zurück. Marcus hustete jämmerlich. »Ich dachte, du hörst endlich auf, nachdem du fast von der Rah gefallen bist. Ich weiß nicht, was du damit beweisen willst, aber bleib jetzt hier und ruh dich aus, während ich mich um die Männer kümmere.« Marcus wollte etwas sagen, aber Renius schüttelte den Kopf. »Sei still. Mit solchen Männern habe ich mein ganzes Leben lang zu tun gehabt.« Ohne ein weiteres Wort stand er auf, ging hinüber zu der versammelten Mannschaft und baute sich so vor ihnen auf, dass alle ihn sehen konnten. Obwohl er durch fest zusammengebissene Zähne sprach, konnten alle seine Stimme vernehmen. »Sein Fehler war es, von Abschaum wie euch ehrenhaftes Verhalten zu erwarten. Ich für mein Teil habe nicht vor, euer Vertrauen oder euren Respekt zu gewinnen. Ich stelle euch jetzt einfach vor die Wahl. Erledigt eure Aufgaben ordentlich. Arbeitet hart, geht eure Wachen und sorgt dafür, dass alles glatt geht, bis wir den Hafen erreichen. Ich habe mehr Männer getötet, als ich zu zählen vermag, und ich werde jedem Mann, der mir in dieser Angelegenheit nicht gehorcht, die Eingeweide aufschlitzen. Und jetzt seid Männer! Falls einer von euch jetzt noch mit mir darüber streiten will, dann möge er sich ein Schwert nehmen, seine Freunde holen und mich angreifen.« Seine Stimme wuchs zu einem Brüllen an. »Verzieht euch nicht einfach wie alte Weiber in der Sonne, um in irgendwelchen Ecken finstere Pläne zu schmieden! Sprecht jetzt, kämpft jetzt, denn wenn ihr es nicht tut, spalte ich jedem, den ich später beim Flüstern erwische, den Schädel, das schwöre ich!« Er funkelte sie wütend an, und die Männer starrten auf ihre Füße. Keiner sagte etwas, und auch Renius schwieg. Sein Schweigen hielt an, bis es schmerzte. Niemand rührte sich; wie Statuen standen sie an Deck. Endlich atmete der alte Gladiator tief ein und knurrte sie an. »Nicht ein Einziger von euch besitzt den Mut, gegen einen alten, einarmigen Mann zu kämpfen? Dann macht euch wieder an eure Arbeit. Und macht sie gut, denn ich behalte jeden Einzelnen von euch im Auge, und ab jetzt wird keiner mehr gewarnt.« Er schritt durch sie hindurch, und sie machten ihm schweigend Platz. Crixus blickte Parus an und zuckte kurz die Achseln, während er mit den anderen zurückwich. Die Lucidae segelte ruhig weiter über das kalte Meer. Renius ließ sich gegen die Kabinentür fallen, nachdem er sie hinter sich zugemacht hatte. Er spürte die Nässe unter seinen Achseln und fluchte leise vor sich hin. Er war es nicht gewohnt, Männer durch leere Worte zum Gehorsam zu bringen, doch seine Balance war schrecklich, und er wusste, wie schwach er noch war. Er wollte schlafen, musste aber zuerst seine Übungen zu Ende bringen. Seufzend zog er seinen Gladius und ging die Streiche durch, die er vor einem halben Jahrhundert gelernt hatte, schneller und schneller, bis die Klinge in dem kleinen Raum die Decke traf und stecken blieb. Renius fluchte wütend, und die Männer, die sich in der Nähe seiner Tür befanden, hörten ihn und sahen sich mit weit aufgerissenen Augen an. In dieser Nacht stand Marcus allein am Bug, blickte auf die vom Mond angestrahlten Wellen hinaus und fühlte sich elend. Alle Bemühungen des Tages hatten ihm nichts eingebracht, und das Bewusstsein, dass Renius alles für ihn hatte in Ordnung bringen müssen, lastete wie ein Eisengewicht auf seiner Brust. Er hörte leise Stimmen hinter sich, wirbelte herum und sah schwarze Gestalten um die Kabinenaufbauten herumkommen. Er erkannte Crixus und Parus und den Mann aus der Takelage, dessen Namen er nicht kannte. Er wappnete sich gegen die Schläge, denn er wusste, dass er es nicht mit allen auf einmal aufnehmen konnte, doch Crixus hielt ihm einen Lederbecher mit einer dunklen Flüssigkeit hin. Er lächelte unsicher, weil er nicht wusste, ob Marcus ihm den Becher aus der Hand schlagen würde. »Hier. Ich habe versprochen, dir einen auszugeben, wenn du eine Muschel mitbringst. Ich halte meine Versprechen.« Marcus nahm den Becher, und die drei Männer entspannten sich sichtlich. Sie kamen näher, lehnten sich über die Reling und blickten hinaus auf das schwarze Wasser, das unter ihnen hinwegrauschte. Alle drei hatten ähnliche Becher in den Händen, und Crixus füllte sie aus einem weichen Lederbeutel, der gurgelte, als er sein Gewicht unter seinem Arm verlagerte. Marcus roch die bittere Flüssigkeit, als er den Becher zu seinem Mund führte. Er hatte noch nie etwas Stärkeres als Wein getrunken und nahm einen großen Schluck, ehe er merkte, dass das Zeug, was immer es auch sein mochte, auf den Wunden an Lippen und Zahnfleisch brannte. Unwillkürlich schluckte er es hinunter, nur um den Mund zu leeren, und begann sofort zu husten, als das Feuer in seinem Magen explodierte. Er schnappte nach Luft und Parus klopfte ihm mit gleichmütigem Gesicht auf den Rücken. »Tut gut, das Zeug, was?«, sagte Crixus lachend. »Tut gut, Erster Maat«, erwiderte Marcus hustend. Crixus lächelte. »Ich mag dich, Junge. Ehrlich«, sagte er und schenkte sich selbst nach. »Aber dieser Freund von dir, dieser Renius, das ist wirklich ein übler Sauhund.« Alle nickten feierlich, betrachteten versonnen das Meer und den Himmel. 20 Marcus betrachtete den geschäftigen Hafen, der vor ihm immer größer wurde, mit gemischten Gefühlen. Die Lucidae manövrierte geschickt zwischen den uralten Steinen hindurch, die zwischen der rauen See und dem ruhigen Hafenbecken aufgeschichtet waren. Mit ihnen kamen mehrere andere Schiffe an, und sie mussten fast den ganzen Morgen warten, bis ein geplagter Lotse mit einem Boot kam, um sie an den für sie bestimmten Ankerplatz zu geleiten. Zunächst hatte sich Marcus über die vier Wochen auf See keine großen Gedanken gemacht, hatte sie mit nicht mehr Interesse bedacht als eine Wanderung von einer Stadt zur anderen. Allein das Ziel war für ihn wichtig gewesen. Inzwischen jedoch kannte er den Namen jedes einzelnen Mitglieds der kleinen Besatzung, und nach dem nächtlichen Saufgelage am Bug hatte er auch ihre Anerkennung gewonnen. Sogar als der Erste Maat wieder in der Lage war, einfachere Aufgaben zu verrichten, hatte das die Stimmung zwischen ihm und den Männern nicht vergiftet. Allem Anschein nach hegte der Mann keinen Groll gegen ihn, ja, er schien sogar stolz auf Marcus zu sein, als sei dessen Akzeptanz bei der Mannschaft gewissermaßen sein Verdienst. Peppis hatte sich wie zuvor zum Schlafen in allen Ecken an Deck verkrochen, hatte aber dank des Essens, das Marcus für ihn abgezweigt hatte, ein bisschen zugenommen, und die Schläge hatten, wie auf ein unsichtbares Signal unter den Männern hin, aufgehört. Der Junge war viel fröhlicher geworden und würde eines Tages vielleicht ein richtiger Seemann werden, so wie er es sich erhoffte. In gewisser Hinsicht beneidete Marcus den Jungen. Er erlebte so etwas wie Freiheit. Diese Männer würden sämtliche Häfen der bekannten Welt zu sehen bekommen, während er unter der sengenden Sonne durch fremde Länder marschierte und Rom stets im Marschgepäck mit sich schleppte. Er atmete tief durch, schloss die Augen und versuchte, die verschiedenen Düfte herauszufiltern, die mit dem Wind vom Land herangetragen wurden. Jasmin und Olivenöl waren vorherrschend, aber er nahm auch wieder die Ausdünstungen einer großen Menschenansammlung wahr -Schweiß und Exkremente. Er seufzte und zuckte gleich darauf zusammen, als eine Hand auf seine Schulter klatschte. »Wird schön sein, endlich wieder Land unter die Füße zu bekommen«, sagte Renius und blickte mit ihm zur Hafenstadt hinüber. »Wir leihen uns Pferde, die uns nach Osten zur Legion bringen. Dort suchen wir deine Zenturie, damit du deinen Eid leisten kannst.« Marcus nickte schweigend. Renius bemerkte, in welcher Stimmung er war. »Nur die Erinnerung bleibt immer gleich, mein Junge. Alles andere verändert sich. Wenn du nach Rom zurückkommst, wirst du es kaum wiedererkennen, und alle Leute, die du geliebt hast, werden sich verändert haben. Das lässt sich nicht aufhalten, es ist die natürlichste Sache der Welt.« Da er sah, dass er Marcus damit nicht aufgeheitert hatte, fuhr er fort. »Diese Kultur hier war schon uralt, als Rom noch jung war. Es ist ein fremdartiger Ort für einen Römer, und du musst aufpassen, dass ihre Ideale vom angenehmen Leben dich nicht verweichlichen. Aber in Illyrien gibt es noch wilde Stämme, die immer wieder Raubzüge über die Grenze unternehmen, also dürftest du auch etwas anderes zu sehen bekommen. Das interessiert dich eher, was?« Er stieß sein kurzes, bellendes Lachen aus. »Du hast wohl gedacht, hier wartet nur langweiliger Drill auf dich? Hast wohl gedacht, du musst den ganzen Tag in der Sonne herumstehen? Marius hat eine gute Wahl getroffen, mein Junge. Er hat dich zu einem der gefährlichsten Außenposten des Imperiums geschickt. Nicht einmal die Griechen wagen sich dort hin, ohne es sich zweimal zu überlegen, und Mazedonien ist das Land, in dem Alexander geboren wurde. Genau der richtige Ort, um dich ein bisschen abzuhärten.« Gemeinsam sahen sie zu, wie die Lucidae langsam am Kai festmachte, Leinen hinüber geworfen und festgezurrt wurden. Kurz darauf war das kleine Handelsschiff sicher vertäut, und Marcus tat diese plötzliche Freiheitsberaubung fast Leid. Epides trat, mit einem Chiton, der traditionellen griechischen, knielang getragenen Tunika bekleidet, aufs Deck heraus. Er funkelte vor Geschmeide, und sein geöltes Haar glänzte in der Sonne. Als er die beiden Passagiere an der Reling stehen sah, ging er auf sie zu. »Ich habe schlechte Nachrichten, meine Herren. Im Norden hat sich eine griechische Armee erhoben, deshalb konnten wir nicht wie geplant in Dyrrhachium anlegen. Das hier ist Oricum, ungefähr hundert Meilen weiter südlich.« »Was?« Renius richtete sich zu voller Größe auf. »Wir haben dich dafür bezahlt, dass du uns im Norden absetzt, damit wir uns der Legion dieses Jungen anschließen können. Ich -« »Es lag nicht im Bereich des Möglichen, wie gesagt«, erwiderte der Kapitän lächelnd. »Die Flaggensignale waren eindeutig, als wir uns Dyrrhachium genähert haben. Deshalb sind wir der Küste weiter nach Süden gefolgt. Ich kann es mir nicht leisten, die Lucidae aufs Spiel zu setzen, wenn dort eine Rebellenarmee haust, die sich an der Zerstörung römischer Garnisonen berauscht. Die Sicherheit des Schiffes stand auf dem Spiel.« Renius packte Epides am Chiton und zog ihn zu sich heran, sodass der Kapitän auf den Zehenspitzen stehen musste. »Verflucht seist du! Zwischen hier und Mazedonien liegt ein verdammt großer Berg, wie du genau weißt. Das bedeutet für uns einen weiteren Monat beschwerliche Reise und zusätzliche Auslagen, und du allein bist schuld daran!« Epides versuchte sich zu wehren, das Gesicht hochrot vor Zorn. »Lass mich sofort los! Wie kannst du es wagen, mich auf meinem eigenen Schiff zu beschuldigen? Ich rufe die Hafenwache und lasse dich aufhängen, du arroganter -« Renius ließ die Hand zu einem Rubin rutschen, der an einer schweren Goldkette um Epides’ Hals hing. Mit einem kräftigen Ruck zerriss er ihre Glieder und steckte sie in seine Gürteltasche. Epides stammelte vor Zorn unzusammenhängendes Zeug, doch Renius stieß ihn von sich und drehte sich wieder zu Marcus um. Der Kapitän fiel der Länge nach aufs Deck. »Also gut. Gehen wir an Land. Zumindest können wir uns ordentlich für die Reise ausrüsten, wenn ich die Kette verkaufe.« Als er sah, wie Marcus’ Blick blitzschnell auf etwas hinter ihm zuckte, wirbelte Renius herum und zog in der gleichen Bewegung sein Schwert. Epides war im Begriff, sich mit einem juwelenbesetzten Dolch und verzerrtem Gesicht auf ihn zu stürzen. Renius schwang direkt in den Stoß und bohrte seinen Gladius in die glatt rasierte Brust des Mannes. Dann zog er die Klinge wieder heraus und wischte sie mit raschen Bewegungen an dem Chiton ab, während Epides, sich windend, auf dem Deck zusammenbrach. »An zerstörten römischen Garnisonen berauscht, was?«, murmelte er und versuchte sein Schwert zurück in die Scheide zu stecken. »Jetzt halt schon still, verflixtes Ding .« Marcus war noch immer wie benommen von dem raschen Tod, und auch die Männer der Besatzung, die den plötzlichen Gewaltausbruch mitbekommen hatten, standen mit offenen Mündern da. Renius nickte ihnen zu, als das Schwert endlich in die Scheide glitt. »Lasst die Rampen runter. Wir haben noch eine lange Reise vor uns.« Ein Stück Schiffswand wurde gelöst und von der Lücke aus Planken zum Kai gelegt, damit die Ladung gelöscht werden konnte. Marcus schüttelte in stummer Ungläubigkeit den Kopf. Ein letztes Mal überprüfte er seine Habe, klopfte sich an die Seite und spürte wieder den Verlust seines Dolches, den er am vorangegangenen Abend dem Ersten Maat geschenkt hatte. Er hatte irgendwie gespürt, dass er das Richtige tat, und das Lächeln der Mannschaft, als der Mann ihn herumzeigte, verriet ihm, dass er eine gute Entscheidung getroffen hatte. Jetzt lächelte keiner mehr, und Marcus wünschte, er hätte den Dolch behalten. Er lud sich sein Bündel auf die Schultern und half Renius mit dem seinen. »Mal sehen, was Griechenland so zu bieten hat«, meinte er. Renius grinste angesichts des urplötzlichen Stimmungswechsels und stapfte an Epides’ verkrümmtem Leichnam vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Dann verließen sie die Lucidae und drehten sich nicht mehr um. Der Hafenboden bewegte sich beängstigend unter ihren Füßen, und Marcus schwankte einige Augenblicke unsicher, bevor sich die alten Gewohnheiten wieder einstellten. »Wartet«, rief eine Stimme hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, sahen sie Peppis mit wirbelnden Armen und Beinen die Rampe herunterstürmen. Dann stand er atemlos vor ihnen, und sie warteten, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. »Nimm mich mit, Herr«, bat er und sah Marcus, der erstaunt blinzelte, flehend an. »Ich dachte, du wolltest Seemann werden, wenn du groß bist«, sagte Marcus. »Jetzt nicht mehr. Ich will ein Kämpfer werden, ein Legionär wie du und Renius«, sagte Peppis, und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. »Ich will das Imperium gegen feindliche Horden verteidigen.« Marcus sah Renius an. »Hast du mit dem Jungen gesprochen?« »Ja, ich hab ihm ein paar Geschichten erzählt. Viele Jungen träumen davon, in die Legion einzutreten. Es ist ein gutes Leben für einen Mann«, erwiderte Renius ohne Scham. Peppis sah Marcus’ Unschlüssigkeit und drängte weiter. »Du brauchst einen Diener, jemanden, der dein Schwert trägt und sich um dein Pferd kümmert. Bitte schick mich nicht zurück.« Marcus ließ das Bündel von seiner Schulter gleiten und reichte es dem Jungen, der ihn freudig anstrahlte. »Na schön. Trag das. Kannst du mit Pferden umgehen?« Peppis schüttelte, noch immer freudestrahlend, den Kopf. »Dann musst du es lernen.« »Das werde ich. Ich werde der beste Diener sein, den du je gehabt hast«, erwiderte der Junge und schlang die Arme um das Bündel. »Zumindest kann der Kapitän nichts mehr dagegen einwenden«, meinte Marcus. »Nein. Den Kerl konnte ich von Anfang an nicht leiden«, erwiderte Renius schroff. »Frag jemanden, wo die nächsten Stallungen sind. Wir brechen auf, bevor es dunkel wird.« Die Ställe, das Rasthaus für die Reisenden und die Menschen selbst kamen Marcus sehr eigenartig vor. Er erkannte Rom in tausend kleinen Einzelheiten, nicht zuletzt in den Legionären mit den ernsten Gesichtern, die paarweise durch die Straßen patrouillierten. Trotzdem fiel ihm bei jedem Schritt etwas Neues, Andersartiges auf. Ein hübsches Mädchen, das mit seinen Leibwächtern vorbeikam, unterhielt sich mit ihnen in einem weich perlenden Plappern, das die Männer zu verstehen schienen. Ein Tempel unweit der Stallungen war wie zu Hause aus reinem weißem Marmor errichtet, doch die Statuen sahen merkwürdig aus. Sie waren denen, die er kannte, nicht unähnlich, aber hier waren andere Gesichter aus dem Stein gehauen. Überall sah man Bärte, gelockt und mit süßen Ölen parfümiert, aber das Eigenartigste überhaupt hatte er an den Wänden eines Tempels gesehen, der der Heilung der Kranken geweiht war. Aus Gips geformte, perfekte Gliedmaßen, kleine sowie ausgewachsene, hingen an Haken an den Außenmauern. Das Bein eines Kindes, am Knie abgeknickt, baumelte gleich neben dem Modell einer Frauenhand, und ein Stück weiter hing ein Miniatursoldat, wunderhübsch und bis ins kleinste Detail aus rötlichem Marmor gefertigt. »Was soll das denn?«, hatte er Renius im Vorbeigehen gefragt. »Nur so eine Sitte«, hatte Renius achselzuckend geantwortet. »Wenn dich die Göttin heilt, lässt du einen Abdruck von dem Körperteil machen und bringst es ihr dar. Ich glaube, es dient dazu, mehr Leute in den Tempel zu locken. Hier wird niemand geheilt, der nicht zuerst ein wenig Gold dafür bezahlt hat, also sind die Modelle so etwas wie ein Aushängeschild. Wir sind hier nicht in Rom, mein Junge. Wenn man ein bisschen genauer hinsieht, sind die Leute hier überhaupt nicht wie wir.« »Magst du sie nicht?« »Ich respektiere das, was sie erreicht haben, aber sie sonnen sich zu sehr im Glanz ihrer Vergangenheit. Sie sind ein stolzes Volk, Marcus, aber nicht stolz genug, um sich von unserem Stiefel in ihrem Nacken zu befreien. Sie halten uns für Barbaren, und die Vornehmeren tun gerne so, als existierten wir überhaupt nicht, aber was nützen einem Tausende Jahre Kunst, wenn man sich nicht verteidigen kann? Das Erste, was die Menschen lernen müssen, ist, stark zu sein. Ohne Stärke kann einem alles, was man besitzt oder geschaffen hat, wieder weggenommen werden. Vergiss das nie, mein Junge.« Wenigstens waren die Ställe so wie überall. Der Geruch bescherte Marcus mit einem Mal ein heftiges Heimweh, und er fragte sich, wie es wohl Tubruk auf dem Landgut ergehen mochte, und wie Gaius mit den Gefahren der Hauptstadt zurecht kam. Renius klopfte einem kräftigen Hengst auf die Flanke, fuhr mit den Handflächen die Beine hinab und untersuchte aufmerksam das Gebiss. Peppis sah ihm zu und tat es ihm gleich, klopfte mit ernstem Gesichtsausdruck auf Pferdebeine und betastete Sehnen. »Wie viel kostet der hier?«, erkundigte sich Renius bei dem Besitzer, der mit zwei Leibwachen neben ihm stand. Der Mann hatte Pferdegeruch an sich. Er sah sauber und irgendwie poliert aus; sein dunkles Haupt- und Barthaar glänzte. »Er ist stark, ja?«, antwortete er mit nur leichtem Akzent auf Lateinisch. »Sein Vater hat in Pontus Rennen gewonnen, aber er ist ein bisschen zu schwer für Schnelligkeit. Eher für die Schlacht.« Renius zuckte die Achseln. »Er muss mich nur nach Norden über die Berge bringen. Wie viel willst du dafür?« »Er heißt Apollo. Ich habe ihn gekauft, als das Glück einen reichen Mann verlassen hat und er gezwungen war, ihn zu verkaufen. Ich habe ein kleines Vermögen bezahlt, aber ich kenne mich aus mit Pferden. Ich weiß, was er wert ist.« »Mir gefällt er«, sagte Peppis. Beide Männer ignorierten den Jungen. »Ich zahle fünf Aurei für ihn und verkaufe ihn, wenn ich das Ziel meiner Reise erreicht habe«, sagte Renius mit fester Stimme. »Er ist zwanzig wert, und ich bin den ganzen Winter für sein Futter aufgekommen«, antwortete der Händler. »Für zwanzig kann ich ein kleines Haus kaufen!« Der Händler hob die Schultern und machte ein betroffenes Gesicht. »Nicht mehr. Die Preise sind gestiegen. Das liegt am Krieg im Norden. Die besten Tiere gehen an Mithridates, einen Emporkömmling, der sich selbst König nennt. Apollo ist eins der Letzten aus der guten Zucht.« »Zehn ist mein letztes Angebot. Wir kaufen heute zwei von deinen Pferden, deshalb will ich einen Preis für beide.« »Lass uns nicht streiten. Ich zeige dir ein anderes, das weniger wert ist und dich auch nach Norden bringt. Ich habe zwei andere, die ich zusammen verkaufen kann. Es sind Brüder, und sie sind schnell genug.« Der Mann ging an den Reihen der Pferde vorbei, und Marcus musterte Apollo, der ihn interessiert betrachtete, das Maul voll Heu. Während die Verhandlungen in der Ferne leiser wurden, tätschelte er dem Tier die weiche Nase. Apollo ignorierte ihn und reckte den Hals nach dem nächsten Maul voll Heu, das er aus einem an die Stallwand genagelten Netz zog. Nach einer Weile kehrte Renius zurück. Er sah ein bisschen blass aus. »Wir haben zwei, für morgen. Apollo und ein zweites namens Lanzer. Ich bin sicher, er denkt sich die Namen einfach so aus. Peppis reitet mit dir. Er ist so leicht, dass es nichts ausmacht. Bei den Göttern! Was die Leute hier für Preise verlangen! Wenn uns dein Onkel nicht so großzügig ausgestattet hätte, müssten wir morgen zu Fuß gehen.« »Er ist nicht mein Onkel«, rief ihm Marcus in Erinnerung. »Wie viel haben die Pferde gekostet?« »Frag nicht. Und rechne nicht damit, dass es unterwegs viel zu essen gibt. Los jetzt, wir holen die Pferde morgen bei Sonnenaufgang ab. Hoffentlich sind die Zimmerpreise nicht im gleichen Maße gestiegen, sonst müssen wir uns hierher zurückschleichen, sobald es dunkel geworden ist.« Weiter vor sich hinknurrend, verließ Renius den Stall, gefolgt von Marcus und Peppis, die sich alle Mühe gaben, nicht zu grinsen. 21 Marcus saß bequem auf seinem Pferd und beugte sich hin und wieder nach vorne, um Lanzers Ohren zu kratzen, als sie den Bergpfad hinunterritten. Peppis saß hinter ihm und döste, vom sanften Rhythmus des Pferdeschritts eingelullt. Marcus überlegte, ob er ihn mit einem Ellbogenstoß wecken sollte, damit er die herrliche Aussicht bewundern konnte, ließ ihn aber doch lieber in Ruhe. Es kam ihm vor, als könnten sie aus der Höhe ganz Griechenland überblicken, das sich in einer wogenden, grünen und gelben Landschaft mit Olivenhainen und dazwischen in Tälern und auf Bergen verstreuten Gehöften vor ihnen ausdehnte. Die saubere Luft roch hier ganz anders, Düfte unbekannter Blumen lagen darin. Marcus musste an den sanftmütigen Vepax denken, seinen ehemaligen Lehrer, und fragte sich, ob er einst durch diese Hügel gewandert war. Vielleicht hatte Alexander selbst seine Armeen auf dem Weg in die Schlacht im fernen Persien durch diese Ebenen geführt. Er stellte sich die grimmigen kretischen Bogenschützen und die mazedonische Phalanx vor, wie sie dem jungen König folgten, und richtete sich im Sattel auf. Renius ritt voraus. Sein Blick wanderte in monotoner Gleichmäßigkeit aufmerksam von dem schmalen Pfad zu dem struppigen Unterholz links und rechts und wieder zurück. In der Woche, die sie nun schon unterwegs waren, hatte er sich immer mehr in sich zurückgezogen, und manchmal vergingen ganze Tage, in denen sie kaum mehr als ein paar Worte wechselten. Nur Peppis brach das lange Schweigen, wenn er mit lauten Ausrufen der Verwunderung über Vögel oder Eidechsen auf den Steinen staunte. Marcus hatte keine Unterhaltung erzwungen, da er spürte, dass der Gladiator das Schweigen vorzog. Immer wieder betrachtete er lächelnd den Rücken des Mannes vor ihm und dachte darüber nach, wie er eigentlich zu ihm stand. Damals, in jenem Augenblick auf dem Hof des Gutes, als Gaius verwundet im Staub lag, hatte er ihn gehasst. Trotzdem hatte er einen widerstrebenden Respekt verspürt, sogar als er das Schwert gegen seinen Ausbilder erhoben hatte. Renius hatte eine Präsenz, gegen die andere Männer vergleichsweise unscheinbar wirkten. Er konnte brutal sein und war zu gefühlloser Gewalt fähig, konnte Schmerzen oder Angst einfach ignorieren. Andere folgten ihm, ohne groß darüber nachzudenken, als wüssten sie irgendwie, dass dieser Mann sie durchbringen würde. Marcus hatte es auf dem Gut und auf dem Schiff erfahren, und es fiel ihm schwer, nicht selbst einen Anflug von Ehrfurcht zu empfinden. Nicht einmal sein fortgeschrittenes Alter machte etwas aus. Marcus dachte daran, wie Cabera die Wunden des alten Mannes geschlossen hatte, und an sein Erstaunen über die rasche Heilung. Sie hatten beide verwundert zugesehen, wie das Leben in dem zerhauenen Körper wieder aufflackerte und die Haut sich mit dem plötzlich wieder zirkulierenden Blut rötete. »Er beschreitet einen größeren Weg als die meisten anderen«, hatte Cabera gesagt, nachdem Renius im kühlen Haus auf ein Bett gelegt worden war, wo er vollends genesen sollte. »Seine Füße stehen fest auf dem Boden.« Marcus hatte sich über Caberas Ton gewundert, als dieser versuchte, dem jungen Mann die Wichtigkeit dessen, was er gesehen hatte, verständlich zu machen. »Noch nie zuvor habe ich gesehen, dass der Tod seinen Griff so rasch von einem Mann löst wie bei Renius. Als ich ihn berührt habe, flüsterten die Götter in meiner Seele.« Der Pfad wand sich kreuz und quer zwischen den Steinen hindurch, und sie verlangsamten das Tempo, damit die Pferde sich den Weg suchen konnten, da sie weder eine Zerrung noch einen Sturz riskieren wollten. Ich frage mich, was die Zukunft wohl für dich bereit hält?, dachte Marcus in der behaglichen Stille. Vater. Das Wort war plötzlich da, und er erkannte, dass die Vorstellung schon seit einer Weile in ihm gewesen war. Er hatte nie einen Mann gekannt, den er hätte Vater nennen können, und als er tiefer und ohne Schmerzen in seine Gefühle eindrang, schloss das Wort eine Tür in seinem Inneren auf. Renius war nicht von seinem Blut, doch ein Teil von ihm wünschte sich, er würde dieses Land mit seinem Vater durchreisen und sie würden sich dabei gegenseitig vor Gefahren schützen. Es war ein herrlicher Wunschtraum, und er malte sich aus, wie die Leute staunten, wenn sie hörten, dass er der Sohn des Renius war. Vielleicht würden sie dann auch ihn mit ein wenig Ehrfurcht betrachten, und er würde einfach nur lächeln. Renius ließ geräuschvoll einen Wind abgehen und verlagerte sein Gewicht nach links, ohne sich umzusehen. Marcus, derartig derb aus seinen Gedanken gerissen, musste herzhaft lachen und kicherte noch eine ganze Weile vor sich hin. Der Gladiator ritt weiter, die Gedanken auf den Abstieg gerichtet, und auf das, was ihm selbst bevorstand, wenn er Marcus erst bei der Legion abgeliefert hatte. Sie näherten sich einer schmalen Stelle, an der der Pfad zwischen auf beiden Seiten hoch aufragenden Felsen hindurchführte, die aussahen, als wäre der Weg durch sie hindurchgeschnitten worden. Renius legte die Hand auf den Schwertgriff und lockerte die Klinge. »Wir werden beobachtet. Halt dich bereit«, rief er gedämpft nach hinten. Kaum hatte er das gesagt, erhob sich nicht weit vor ihm eine dunkle Gestalt aus dem Unterholz. »Halt.« Das Wort war lässig und in klarem, verständlichem Latein ausgesprochen worden, doch Renius ignorierte es einfach. Marcus zog sein Schwert halb und ließ sein Pferd mit sanftem Schenkeldruck weitergehen. Die plötzliche Steifheit in den Armen um seine Taille verriet ihm, dass Peppis wach war, aber zumindest diesmal still blieb. Mit dem gelockten Bart sah der Mann aus wie ein Grieche, doch im Gegensatz zu den Händlern, die sie in der Stadt getroffen hatten, wirkte er eher wie ein Krieger. Er lächelte und erhob noch einmal die Stimme. »Halt, oder ihr werdet getötet. Letzte Chance.« »Renius?«, murmelte Marcus nervös. Der alte Mann knurrte, ritt jedoch unbeirrt weiter und grub die Fersen in Apollos Flanken, um ihn in Trab fallen zu lassen. Ein Pfeil zerschnitt die Luft und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in die Schulter des Pferdes. Apollo schrie auf und stürzte, warf Renius in einem Durcheinander aus schepperndem Metall und lauten Flüchen zu Boden. Peppis stieß einen Angstschrei aus, Marcus zügelte sein Pferd und suchte gleichzeitig das Unterholz nach dem Bogenschützen ab. War es nur einer, oder gab es mehrere? Diese Männer waren offensichtlich Straßenräuber; wenn sie sich rasch ergaben, kamen sie mit etwas Glück vielleicht mit dem Leben davon. Renius kam umständlich wieder auf die Beine und riss sein Schwert heraus. Seine Augen glitzerten. Er nickte Marcus zu, der geschmeidig abstieg und sich so hinter sein Pferd stellte, dass es zwischen ihm und dem verborgenen Bogenschützen stand. Er zog ebenfalls seinen Gladius und fühlte sich durch das vertraute Gewicht in der Hand sofort sicherer. Peppis kletterte ebenfalls vom Pferd und versuchte sich hinter einem Bein zu verstecken, wobei er nervös vor sich hin murmelte. Der Fremde sprach abermals mit freundlicher Stimme. »Macht keine Dummheiten. Meine Gefährten wissen sehr gut mit ihren Bögen umzugehen. Hier in den Bergen kann man nicht viel anderes tun als zu üben. Und hin und wieder einen Reisenden um seinen Besitz erleichtern.« »Ich glaube, es ist nur ein Schütze«, knurrte Renius, der sprungbereit auf den Fußballen stand und das Gestrüpp im Auge behielt. Er wusste, dass der Mann nicht am gleichen Ort bleiben würde, sondern sich, während sie hier redeten, näher heranschleichen würde, um besser zielen zu können. »Willst du dein Leben darauf wetten, ja?« Die beiden Männer sahen einander an, und Peppis packte Lanzers Bein, woraufhin das Pferd unwillig schnaubte. Der Bandit war einfach und sauber gekleidet. Er sah aus wie die Jäger, die Marcus auf dem Gut gekannt hatte, durch den ständigen Aufenthalt in Wind und Sonne tief gebräunt. Er sah nicht aus wie ein Mann, der leere Drohungen ausstieß. Marcus stöhnte innerlich auf. Bestenfalls würden sie ohne Gepäck und Ausrüstung bei der Legion eintreffen, ein Einstand, den man ihn nie vergessen lassen würde. Schlimmstenfalls erwartete sie in wenigen Augenblicken der Tod. »Du siehst aus wie ein kluger Mann«, fuhr der Bandit fort. »Wenn ich die Hand sinken lasse, bist du auf der Stelle tot. Leg dein Schwert auf den Boden, dann lebst du noch eine Weile, vielleicht sogar bis ins hohe Alter, ja?« »Ich bin schon lange alt. Es lohnt sich nicht«, erwiderte Renius und setzte sich bereits in Bewegung. Er schleuderte dem Mann seinen Gladius entgegen, der sich in der Luft drehte. Bevor die Waffe auftraf, warf sich der Gladiator seitlich hinter einen Felsen. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, zischte ein Pfeil durch die Luft, doch es blieb der einzige. Keine weiteren Bogenschützen. Marcus hatte den Moment genutzt, um sich an Peppis vorbei unter dem Bauch des Pferdes hindurchzuducken, und warf sich jetzt in vollem Lauf in das Unterholz und den Hang hinauf, wobei er sich darauf verließ, dass ihn seine Geschwindigkeit auf den Beinen halten würde. Er erreichte den Hauptkamm, ohne langsamer zu werden und rannte noch schneller in die Richtung, in der er den Bogenschützen vermutete. Als er näher kam, brach ein Mann zu seiner Rechten aus der Deckung eines Feigenwäldchens hervor, und Marcus wäre beinahe ausgerutscht, als er herumschwenkte und die Verfolgung aufnahm. Nach zwanzig Schritten auf dem losen Geröll hatte er ihn eingeholt und brachte ihn mit einem Sprung zu Fall. Der Aufprall riss ihm das Schwert aus der Hand, woraufhin er sich in einen Ringkampf mit einem Mann verwickelt sah, der sowohl größer als auch stärker war als er. Der Bogenschütze drehte sich ruckartig in Marcus’ Griff, und schon hatte einer den anderen mit wild fuchtelnden Händen an der Kehle gepackt. Marcus geriet in Panik. Das Gesicht des Mannes war rot, aber sein Hals schien aus Holz zu sein, das sich einfach nicht richtig greifen, geschweige denn zusammendrücken ließ. Er hätte nach Renius gerufen, aber der Gladiator hätte den steilen Hang mit nur einem Arm nicht erklimmen können, außerdem bekam er mit den Pranken des Bogenschützen an der Kehle kaum Luft. Marcus bohrte die Daumen in die Luftröhre des Mannes und legte sein gesamtes Gewicht auf diesen Druckpunkt. Der andere grunzte vor Schmerz, doch seine haarigen Hände zogen sich immer fester zusammen, und Marcus sah weiße Blitze vor den Augen, während sein Körper nach Luft schrie. Seine eigenen Hände schienen schwächer zu werden, und einen Augenblick lang wollte er schon verzweifeln. Seine rechte Hand löste sich von der Kehle des Schützen, fast ohne dass er es gewollt hatte, und drosch auf das grunzende Gesicht unter ihm ein. Die weißen Blitze wurden von schwarzen Streifen durchzuckt, und sein Gesichtsfeld verengte sich zu einem dunklen Tunnel, doch er schlug wieder und immer wieder zu. Das Gesicht unter ihm war ein blutroter Brei, aber die Hände hielten seinen Hals erbarmungslos umklammert. Dann fielen sie einfach herunter und blieben kraftlos auf dem Boden liegen. Marcus japste schluchzend nach Luft und rollte sich seitlich von seinem Gegner herunter. Sein Herz schlug mit unmöglicher Geschwindigkeit, ihm war schwindlig, und es kam ihm vor, als würde er davonfliegen. Mühsam kam er auf die Knie, und seine Finger tasteten halb taub in immer größer werdenden Kreisen nach dem Griff seines Schwertes. Als sie sich endlich um das lederne Heft schlossen, stieß er ein stummes Dankesgebet aus. Von unten hörte er Renius und Peppis nach ihm rufen, doch er bekam noch nicht genug Luft, um ihnen zu antworten. Er machte ein paar taumelnde Schritte auf den Mann zu und erstarrte, als er sah, dass dessen Augen offen waren und ihn anblickten. Die breite Brust hob und senkte sich ebenso heftig wie die seine. Rasselnde Worte quollen zwischen den zerschlagenen Lippen des Mannes hervor, doch er sprach Griechisch, und Marcus verstand ihn nicht. Immer noch keuchend setzte er die scharfe Schwertspitze auf die Brust des Mannes und stieß zu. Dann rutschten seine Hände vom Griff ab und er fiel mit ausgestreckten Gliedmaßen zu Boden, drehte sich schwach zur Seite und erbrach sich auf den Boden. Als Marcus steifbeinig zum Pfad hinunterstakste, hatte Peppis Renius’ Pferd eingefangen, und der Gladiator drückte ein Stück Stoff auf die Wunde in Apollos Schulter. Das große Pferd zitterte, stand jedoch auf allen vieren und war hellwach. Peppis musste Lanzer fest am Zügel halten, denn das Pferd tänzelte immer wieder zur Seite, die Augen aus Angst vor dem Blutgeruch weit aufgerissen. »Alles in Ordnung, mein Junge?«, erkundigte sich Renius. Marcus brachte kein Wort heraus, nickte aber. Seine Kehle fühlte sich an, als wäre sie zermalmt worden, und die Luft ging mit jedem Atemzug pfeifend hindurch. Er zeigte darauf, und Renius winkte ihn zu sich, damit er sich seinen Hals ansehen konnte. Um die Pferde nicht zu erschrecken, bewegte er sich betont langsam. »Nichts Schlimmes«, lautete einen Augenblick später sein Urteil. »Große Hände, dem Abdruck nach.« Marcus konnte nur schwach keuchen. Er hoffte, Renius würde den säuerlichen Geruch nicht bemerken, der ihn wie eine Wolke zu umgeben schien, aber wahrscheinlich war er nur so rücksichtsvoll, es nicht zu erwähnen. »Die hätten uns lieber nicht angreifen sollen«, bemerkte Peppis. Sein kleines Gesicht blickte ernst drein. »Stimmt, mein Junge, aber wir haben trotzdem Glück gehabt«, erwiderte Renius. Dann sah er Marcus an. »Versuch nicht zu sprechen. Hilf dem Jungen, die Ausrüstung auf euer Pferd zu packen. Apollo dürfte ein oder zwei Wochen lahmen. Wir reiten abwechselnd, es sei denn, diese Banditen haben hier irgendwo ihre eigenen Pferde versteckt.« Lanzer wieherte, und von weiter unten am Berg ertönte zur Antwort ein Schnauben. Renius grinste. »Das Glück ist uns wieder einmal hold«, verkündete er fröhlich. »Hast du die Leiche durchsucht?« Marcus schüttelte den Kopf und Renius zuckte die Achseln. »Es lohnt wohl nicht, noch mal hinaufzusteigen. Sie hatten bestimmt nicht viel, und ein Bogen ist einem Mann mit einem Arm nicht viel nütze. Machen wir uns auf den Weg. Wenn wir uns ranhalten, können wir diesen Berg bis Sonnenuntergang hinter uns lassen.« Marcus fing an, Apollo abzuladen und hielt das Tier am Zügel. Als Renius sich abwandte, klopfte er Marcus auf die Schulter. Eine Geste, die ihm viel mehr bedeutete als Worte. Nach einem Monat der langen Tage und kalten Nächte tat es gut, aus der Ferne das Lager der Legion jenseits der Ebene zu erblicken. Selbst aus dieser Entfernung waren leise Geräusche zu hören. Das befestigte Lager sah dort am Horizont wie eine Stadt aus, eine Stadt mit achttausend Männern, Frauen und Kindern, die mit den vielen Verrichtungen beschäftigt waren, die nötig waren, um einen so großen Trupp Männer im Feld zu versorgen. Marcus versuchte sich die Waffenkammern und Schmieden vorzustellen, die für jedes Lager aufgebaut und später wieder zusammengepackt wurden. Es gab Küchen, Lager mit Baumaterial, Steinmetze, Tischler, Sattler, Sklaven, Prostituierte und tausend andere Zivilisten, die dafür lebten und dafür bezahlt wurden, die Kampfkraft Roms aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu den Zeltreihen von Marius’ Legion war das dort vor ihnen ein Dauerlager mit einer soliden Mauer und weiteren Befestigungsanlagen rings um das Zentrum. In gewissem Sinne war es eine Stadt, aber eine Stadt in ständiger Kampfbereitschaft. Renius hielt an. Marcus lenkte Lanzer neben ihn und brachte auch das dritte Pferd, das sie nach seinem letzten Besitzer auf den Namen Bandit getauft hatten, mit einem Ruck am Zügel zum Stehen. Peppis saß unbeholfen auf Bandits Reitdecke und betrachtete die lagernde Legion mit offenem Mund. Angesichts des ehrfürchtigen Staunens des Jungen musste Renius grinsen. »Das ist es, Marcus. Das ist deine neue Heimat. Hast du die Papiere noch, die dir Marius gegeben hat?« Marcus klopfte auf seine Brust, wo er unter der Tunika das zusammengefaltete Pergament spürte. »Kommst du mit?«, fragte er. Renius gehörte nun schon so lange zu seinem Leben, dass ihm der Gedanke, den Mann davonreiten zu sehen, während er allein zum Tor ritt, unerträglich vorkam. »Ich bringe dich und Peppis noch bis zum Praefectus castrorum, dem Quartiermeister. Der sagt dir, welcher Zenturie du zugeteilt wirst. Lerne ihre Geschichte schnell, jede Zenturie hat ihren eigenen Ruf und ihren eigenen Stolz.« »Noch mehr Ratschläge?« »Gehorche jedem Befehl ohne Widerwort. Momentan kämpfst du noch wie ein Individuum, wie ein Krieger der unzivilisierten Stämme. Hier lernst du, deinen Kameraden zu vertrauen und im Verband zu kämpfen, was dem einen oder anderen nicht immer leicht fällt.« Dann wandte er sich an Peppis: »Das Leben wird nicht leicht für dich sein. Tu was man dir sagt, und wenn du alt genug bist, wird man dir erlauben, in die Legion einzutreten. Tu nichts, was dir Schande macht. Hast du verstanden?« Peppis nickte. Sein Hals war aus lauter Angst vor diesem ungewohnten Leben ganz trocken geworden. »Ich werde es lernen. Und er auch«, sagte Marcus. Renius nickte und setzte sein Pferd mit einem Zungenschnalzen in Bewegung. »Ganz bestimmt.« Beim Anblick der sauberen, regelmäßigen Anordnung der Straßen mit ihren Reihen langer, niedriger Mannschaftsbaracken empfand Marcus eine eigenartige Befriedigung. Er und Renius waren am Tor, sobald er seine Papiere vorgezeigt hatte, herzlich willkommen geheißen worden und gingen jetzt zu Fuß zum Quartier des Präfekten, wo er sich verpflichten würde, mehrere Jahre seines Lebens im Dienst der römischen Armee zu verbringen. Renius, der selbstbewusst durch die schmalen Gassen schritt und den in Zehnergruppen vorbeimarschierenden, vorbildlich uniformierten Soldaten mit einem anerkennenden Nicken begegnete, erfüllte Marcus mit Zuversicht. Hinter ihnen trottete Peppis und schleppte das schwere Ausrüstungsbündel auf dem Rücken. Bevor sie das kleine, weiße Gebäude erreicht hatten, von dem aus der Lagerpräfekt seine römische Kleinstadt in einem fremden Land regierte, musste Marcus seine Papiere noch zweimal vorzeigen. Schließlich durften sie eintreten, und ein schlanker Mann in einer weißen Toga und Sandalen kam in die Vorräume, um sie zu begrüßen. »Renius! Ich habe eben erst erfahren, dass du im Lager bist. Die Männer reden schon davon, dass du einen Arm verloren hast. Bei den Göttern, wie schön, dich wiederzusehen!« Er strahlte sie an, ein Bild römischer Tüchtigkeit, sonnengebräunt und sehnig, und begrüßte sie einen nach dem anderen mit einem kräftigen Händedruck. Renius lächelte mit aufrichtiger Freude zurück. »Marius hat mir nicht gesagt, dass du hier bist, Carac. Freut mich, dich bei bester Gesundheit anzutreffen.« »Du bist keinen Tag älter geworden! Keinen Tag älter als vierzig, das schwöre ich bei den Göttern! Wie machst du das bloß?« »Ich lebe anständig«, grunzte Renius, der sich selbst noch nicht an die Veränderung gewöhnt hatte, die Cabera bewirkt hatte. Der Präfekt hob ungläubig eine Augenbraue, wechselte jedoch das Thema. »Und der Arm?« »Ein Trainingsunfall. Der Junge hier, Marcus, hat mich erwischt, dann musste ich ihn abnehmen lassen.« Der Präfekt pfiff durch die Zähne und schüttelte Marcus noch einmal die Hand. »Hätte nicht gedacht, dass ich mal jemandem begegne, der es mit Renius aufnehmen kann. Darf ich die Papiere sehen, die du mitgebracht hast?« Mit einem Mal wurde Marcus nervös. Er reichte sie dem Mann, der ihnen mit einer Geste bedeutete, auf den langen Bänken Platz zu nehmen, während er sich der Lektüre widmete. Schließlich gab er ihm die Schreiben zurück. »Deine Empfehlungen sind eindrucksvoll, Marcus. Wer ist der Junge?« »Er hat auf dem Handelsschiff gearbeitet, das uns hierher gebracht hat. Er will mein Diener sein und später, wenn er älter ist, in die Legion eintreten.« Der Präfekt nickte. »Von der Sorte haben wir viele im Lager, normalerweise sind es die unehelichen Kinder der Soldaten und Huren. Wenn er sich einfügt, gibt es womöglich einen Platz für ihn, aber die Konkurrenz ist groß. Ich bin eher an dir interessiert, junger Mann.« Er wandte sich an Renius. »Erzähl mir von ihm. Ich vertraue deinem Urteil.« Renius sprach mit fester Stimme, als erstatte er Bericht. »Marcus ist ungewöhnlich schnell, besonders dann, wenn sein Blut in Wallung gerät. Ich denke, er wird sich einen Namen machen, wenn er herangewachsen ist. Er ist unerschrocken und ungestüm und kämpft gerne, was zum Teil seinem Charakter und zum Teil seiner Jugend zuzuschreiben ist. Er wird der Vierten Mazedonischen gut dienen. Ich selbst habe ihm seine Grundausbildung vermittelt, aber er ist schon weit darüber hinaus und wird sich noch viel weiter entwickeln.« »Er erinnert mich an deinen Sohn. Ist dir die Ähnlichkeit nicht aufgefallen?«, fragte der Präfekt leise. »Das ... habe ich nicht bemerkt«, antwortete Renius peinlich berührt. »Das bezweifle ich. Aber sei’s drum, gute Männer können wir immer gebrauchen, und hier ist genau der richtige Ort, um seine Reife zu finden. Ich teile ihn der Fünften Zenturie zu, der Bronzefaust.« Renius sog geräuschvoll die Luft ein. »Du ehrst mich.« Der Präfekt schüttelte den Kopf. »Du hast mir einmal das Leben gerettet. Es tut mir Leid, dass ich das deines Sohnes nicht retten konnte. Das hier ist das Geringste, was ich für dich tun kann.« Noch einmal gaben sie sich die Hände. Marcus sah ziemlich verwirrt zu. »Was hast du jetzt vor, alter Freund? Kehrst du nach Rom zurück, um dein Gold auszugeben?« »Ich hatte gehofft, dass du hier einen Platz für mich hast«, erwiderte Renius leise. Der Präfekt lächelte. »Ich dachte schon, du würdest nicht fragen. Die Faust sucht dringend nach einem Waffenmeister für die Ausbildung. Der alte Belius ist vor sechs Monaten an einem Fieber gestorben, und wir haben niemanden, der so gut ist wie er. Möchtest du seinen Posten übernehmen?« Mit einem Mal grinste Renius wieder sein altes, hinterhältiges Grinsen. »Sehr gern, Carac. Ich danke dir.« Der Präfekt klopfte ihm mit unverhohlener Freude auf die Schulter. »Willkommen in der Vierten Mazedonischen, meine Herren.« Er gab einem in der Nähe wartenden Legionär ein Zeichen. »Bring diesen jungen Mann in sein neues Quartier bei der Bronzefaust. Schick den Jungen in die Stallungen, bis ich ihm eine Aufgabe bei den anderen Lagerkindern zuweise. Renius und ich haben eine Menge zu besprechen. Und dabei den einen oder anderen Becher zu leeren.« 22 Alexandria saß schweigend da und polierte den Schmutz von einem alten Schwert in Marius’ kleiner Waffenkammer. Sie freute sich darüber, dass er sein Stadthaus zurückbekommen hatte. Nach dem, was sie gehört hatte, war der Eigentümer nur zu begierig darauf gewesen, es dem neuen Regenten von Rom zu schenken. Das war viel besser als die Vorstellung, gemeinsam mit den rohen Soldaten in den Baracken der städtischen Kaserne zu wohnen - nun ja, das wäre wohl bestenfalls schwierig geworden. Die Götter wussten, dass sie keine Angst vor Männern hatte; sie kamen in ihren frühesten Erinnerungen vor, als sie mit ihrer Mutter im Zimmer nebenan gewesen waren. Wenn sie hereingekommen waren, hatten sie nach Bier und billigem Wein gestunken, und auch wenn sie hinausgingen, torkelten sie. Sie blieben nie besonders lange. Einmal hatte einer sie anfassen wollen, und sie erinnerte sich heute noch daran, dass sie damals ihre Mutter zum ersten Mal in ihrem jungen Leben zornig gesehen hatte. Sie hatte dem Mann mit einem Schürhaken den Schädel eingeschlagen, dann hatten sie ihn gemeinsam hinaus auf die Gasse geschleift und dort liegen gelassen. Tagelang hatte ihre Mutter damit gerechnet, dass jeden Augenblick die Tür eingeschlagen würde und man sie wegschaffte und aufhängte, aber niemand kam. Seufzend rieb sie an den Schichten verkrusteten Öls auf der Bronzeklinge herum, den Überresten eines längst vergessenen Feldzuges. Zuerst war ihr Rom wie eine Stadt der grenzenlosen Möglichkeiten vorgekommen, doch nachdem Marius vor drei Monaten die Herrschaft übernommen hatte, arbeitete sie immer noch den ganzen Tag für nichts und wurde jeden Tag ein bisschen älter. Andere veränderten die Welt, ihr Leben jedoch blieb immer gleich. Nur am Abend, wenn sie mit dem alten Bant in seiner kleinen Metallwerkstatt saß, hatte sie das Gefühl, Fortschritte zu machen. Bant hatte ihr beigebracht, wie man mit den Werkzeugen umging und ihre Hände bei den ersten schwerfälligen Versuchen geführt. Er redete nicht viel, schien ihre Gesellschaft aber zu genießen, und ihr gefiel sein Schweigen und seine freundlichen blauen Augen. Als sie ihn zum ersten Mal sah, hatte er gerade in der Werkstatt eine Brosche geformt, und in diesem Augenblick hatte sie gewusst, dass dies etwas war, das sie auch tun konnte. Es war eine Fertigkeit, die sich zu erlernen lohnte, sogar für eine Sklavin. Sie rieb noch heftiger. Einem Mann nicht mehr wert zu sein als ein Pferd oder auch nur ein gutes Schwert, so eins, wie sie gerade in der Hand hielt! Das war einfach nicht gerecht! »Alexandria!« Carlas Stimme rief sie. Einen Moment war sie versucht, nicht zu antworten, aber die Frau hatte eine Zunge wie eine Peitsche, und ihr Zorn war bei den meisten Sklavinnen gefürchtet. »Hier!«, antwortete sie, legte das Schwert zur Seite und wischte die Hände an einem Tuch ab. Carla hatte bestimmt noch eine Aufgabe für sie, noch ein paar Stunden Arbeit vor dem Schlafengehen. »Da bist du ja, Liebes. Ich brauche jemanden, der für mich rasch zum Markt läuft. Willst du das für mich tun?« »Ja!« Alexandria erhob sich eilig. In den vergangenen paar Monaten hatte sie gelernt, sich auf diese seltenen Botengänge zu freuen, die einzige Gelegenheit, zu der ihr erlaubt war, Marius’ Haus zu verlassen. Die letzten Male hatte sie die Besorgungen sogar allein erledigen dürfen. Wo hätte sie schließlich auch hinflüchten können? »Ich brauche noch ein paar Sachen für den Haushalt. Und du handelst immer die besten Preise aus«, sagte Carla, als sie ihr die Wachstafel reichte. Alexandria nickte. Sie feilschte gern mit den Händlern. Dabei kam sie sich immer vor wie eine freie Frau. Beim ersten Mal war Carla dabei gewesen und war regelrecht schockiert gewesen, wie viel Geld das Mädchen der Haushaltskasse sparte. Die Händler hatten jahrelang viel zu viel von ihr verlangt, weil sie um Marius’ tiefe Taschen wussten. Die ältere Frau erkannte sofort, dass das Mädchen ein Talent dafür besaß, und schickte sie so oft wie möglich hinaus; abgesehen davon wusste sie, dass Alexandria diese kleinen Freiheiten brauchte. Manche gewöhnten sich nie an die Sklaverei und versanken nach und nach in Trübsinn und gelegentlich in Verzweiflung. Carla freute sich, wenn Alexandrias Gesicht bei dem Gedanken an einen kleinen Ausflug aufleuchtete. Vermutlich behielt das Mädchen die eine oder andere Münze für sich zurück, doch was machte das schon? Sie half ihnen, Silber zu sparen, also machte ihr Carla keine Vorwürfe, wenn sie sich ein bisschen Bronze einsteckte. »Dann fort mit dir. Ich erwarte dich in zwei Stunden zurück. Und keine Minute später, verstanden?« »Aber ja, Carla. In zwei Stunden. Ich danke dir.« Die ältere Frau lächelte sie an. Sie dachte daran, wie es war, als sie selbst noch jung und die Welt so unendlich aufregend gewesen war. Sie wusste von Alexandrias Besuchen bei Bant, dem Kunstschmied. Der alte Mann schien sie ins Herz geschlossen zu haben. Es gab kaum etwas im Haushalt, was Carla nicht früher oder später erfuhr, und sie wusste, dass Alexandria in ihrem Zimmer eine kleine Bronzescheibe aufbewahrte, die sie mit Hilfe von Bants Werkzeugen mit einem Löwenkopf verziert hatte. Ein hübsches Stück. Während sie der schlanken Gestalt nachschaute, fragte sich Carla, ob die Scheibe wohl ein Geschenk für Gaius war. Bant hatte gesagt, das Mädchen habe Talent für diese Arbeit. Vielleicht deshalb, weil sie es aus Liebe tat. Der Markt war ein wildes Durcheinander aus Gerüchen und drängelnden Menschen, doch Alexandria trödelte bei keinem Posten auf ihrer Liste lange herum. Sie erledigte ihre Aufgabe rasch, bekam alles für einen guten Preis, löste sich jedoch aus den Diskussionen, bevor sie allzu sehr ausuferten. Die Ladenbesitzer schienen gerne mit dem hübschen Mädchen zu feilschen, warfen die Hände in die Luft und riefen nach Zeugen, die unbedingt erfahren sollten, was Alexandria ihnen abverlangte. Dann lächelten sie das Mädchen an, und etliche von ihnen gingen bei diesem Lächeln mit den Preisen weiter hinunter, als sie es hinterher, nachdem Alexandria wieder weg war, gut hießen. Zweifellos weiter, als ihre Ehefrauen es gut hießen. Nachdem sie die Päckchen sicher in ihren beiden Einkaufstaschen verstaut hatte, machte sich Alexandria eilig zu ihrem wahren Ziel auf, einem kleinen Juwelierladen am Ende der Marktbuden. Sie hatte ihn schon oft aufgesucht, um sich die Entwürfe des Mannes anzusehen. Die meisten Stücke waren aus Bronze oder Zinn. Silber wurde bei der Schmuckherstellung kaum verwendet, und Gold war zu teuer, es sei denn, es handelte sich um Auftragsarbeiten. Der Kunstschmied selbst war ein kleiner Mann, der stets eine schwere Lederschürze über seiner groben Tunika trug. Er blickte auf, als sie den kleinen Laden betrat, und unterbrach die Arbeit an einem kleinen Goldring, um das Mädchen im Auge zu behalten. Tabbic war ein misstrauischer Mensch, und Alexandria spürte seine Blicke, als sie seine Waren betrachtete. »Kaufst du auch Sachen an?«, fragte sie. »Manchmal schon«, lautete die Antwort. »Was hast du denn?« Sie zog die Bronzescheibe aus einer Tasche ihrer Tunika. Er nahm sie ihr aus der Hand und hielt sie ins Tageslicht, um das Muster zu begutachten. Er hielt sie sehr lange ins Licht, und sie wagte nicht, etwas zu sagen, aus Angst, ihn zu verärgern. Ohne etwas zu sagen, drehte er sie immer wieder hin und her und musterte jede noch so kleine Kerbe im Metall. »Wo hast du das her?«, wollte er schließlich wissen. »Ich habe es selbst gemacht. Kennst du Bant?« Der Mann nickte bedächtig. »Er hat mir gezeigt, wie es geht.« »Es ist ziemlich grob, aber ich denke, ich könnte es weiterverkaufen. Die Ausführung ist unbeholfen, aber das Muster ist sehr hübsch. Das Löwengesicht kommt sehr schön heraus, man merkt nur, dass du noch nicht sehr geübt mit Hammer und Ahle bist.« Er drehte die Scheibe noch einmal um. »Sag mir jetzt die Wahrheit! Woher hast du die Bronze, um das herzustellen?« Alexandria sah ihn erschrocken an. Er erwiderte ihren Blick ohne zu blinzeln, aber seine Augen sahen freundlich aus. Rasch erzählte sie ihm von ihren Einkäufen, und dass sie immer ein paar kleine Münzen vom Haushaltsgeld für sich behalten hatte, genug, um die unbearbeitete Metallscheibe an einer der Marktbuden zu kaufen. Tabbic schüttelte den Kopf. »Dann darf ich es nicht nehmen. Es gehört dir nicht. Die Münzen sind das Eigentum des Marius, also auch die Bronze. Du solltest sie ihm geben.« Alexandria spürte, dass sie jeden Augenblick in Tränen auszubrechen drohte. Sie hatte so viel Zeit auf dieses kleine Stück verwendet, und jetzt sollte alles umsonst gewesen sein. Wie benommen sah sie zu, wie er es von einer Seite zur anderen drehte. Dann drückte er es ihr wieder in die Hand. Enttäuscht schob sie die Scheibe in die Tasche zurück. »Tut mir Leid«, sagte er. Dann sah er sie an und fuhr fort: »Ich heiße Tabbic. Du kennst mich nicht, aber ich habe einen Ruf zu verlieren. Ich bin für meine Ehrlichkeit bekannt, und vielleicht auch für meinen Stolz.« Er hielt eine andere Metallscheibe hoch, eine, die grausilbern schimmerte. »Das ist Zinn. Es ist weicher als Bronze. Es lässt sich leichter bearbeiten. Man kann es hübsch polieren, und es verfärbt sich nicht so hässlich, sondern wird nur stumpf. Nimm es mit und gib es mir zurück, wenn du etwas daraus gemacht hast. Dann hefte ich eine Nadel daran und verkaufe es als Mantelspange für einen Legionär. Wenn sie genauso gut wird wie die bronzene, bekomme ich womöglich eine Silbermünze dafür. Davon ziehe ich den Preis für das Zinn und die Nadel ab, so bleiben für dich sechs, vielleicht sieben Quadranten übrig. Ein Vermittlungsgeschäft, verstehst du?« »Wo ist dein Profit bei diesem Geschäft?«, fragte Alexandria, die bei dieser Wendung des Schicksals große Augen machte. »Bei diesem ersten Geschäft verdiene ich nichts. Ich investiere ein wenig in das Talent, das du meiner Meinung nach besitzt. Grüße Bant von mir, wenn du ihn wieder siehst.« Alexandria steckte die Zinnscheibe ein und musste erneut gegen die Tränen ankämpfen. So viel Freundlichkeit war sie nicht gewöhnt. »Ich danke dir. Und die Bronze werde ich Marius geben.« »Das solltest du auch, Alexandria.« »Woher ... woher weißt du, wie ich heiße?« Tabbic nahm den Ring, an dem er gearbeitet hatte, als sie hereinkam. »Wenn ich Bant treffe, redet er kaum noch von etwas anderem.« Alexandria musste sich sputen, wenn sie vor Ablauf der zwei Stunden zurück sein wollte, aber ihre Füße waren leicht und am liebsten hätte sie laut gesungen. Sie würde aus der Zinnscheibe etwas Schönes schaffen, und Tabbic würde sie für mehr als eine Silbermünze verkaufen und weitere bei ihr in Auftrag geben, bis ihre Arbeit ihr Goldstücke einbrachte, und eines Tages würde sie ihr gesamtes Geld nehmen und sich damit freikaufen. Frei. Was für ein Schwindel erregender Traum! Als sie in Marius’ Haus eingelassen wurde, drangen die Düfte des Gartens in ihre Lunge, und sie blieb einen Augenblick lang stehen, um einfach nur die köstliche Abendluft einzuatmen. Carla kam ihr entgegen und nahm ihr die Taschen und die Münzen ab, wobei sie wie üblich angesichts der Summe der Ersparnisse nickte. Falls die Frau eine Veränderung an Alexandria festgestellt hatte, so ließ sie es sich nicht anmerken, nur ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie die Einkäufe in die kühlen Kellerräume schaffte, wo sie nicht so rasch verderben würden. Allein mit ihren Gedanken, bemerkte Alexandria Gaius zunächst überhaupt nicht. Sie hatte ihn auch nicht erwartet. Er verbrachte fast den ganzen Tag damit, den mörderischen Zeitplan seines Onkels einzuhalten und kam nur ins Haus, um etwas zu essen und zu schlafen. Die Torwachen ließen ihn kommentarlos ein; sie waren an sein Kommen und Gehen gewöhnt. Als er Alexandria im Garten stehen sah, hielt er kurz inne und erfreute sich einfach nur an ihrem Anblick. Der Abend brach mit spätsommerlicher Trägheit herein, die die Luft weich machte und dem Licht Stunden vor seinem endgültigen Schwinden einen zarten Graustich verlieh. Als er auf sie zukam, drehte sie sich um und lächelte ihn an. »Du siehst glücklich aus«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln. »Das bin ich auch«, antwortete sie. Seit damals im Stall auf dem Landgut hatte er sie nicht mehr geküsst, doch er spürte, dass die Zeit dafür endlich gekommen war. Marcus war fort, und das Stadthaus schien verlassen zu sein. Er beugte sich zu ihr hinunter, und sein Herz klopfte schmerzhaft, fast so, als hätte er Angst. Er spürte ihren warmen Atem, ehe sich ihre Lippen berührten, und dann schmeckte er sie und zog sie wie selbstverständlich in seine Arme. Ihre Körper schienen mühelos zusammenzupassen. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich daran gedacht habe«, murmelte er. Sie sah ihm in die Augen und wusste, dass es etwas gab, das sie ihm schenken konnte, und sie wusste, dass sie ihm dieses Geschenk machen wollte. »Komm mit in meine Kammer«, flüsterte sie und nahm seine Hand. Wie im Traum folgte er ihr durch den Garten in ihre Unterkunft. Carla sah die beiden gehen. »Wurde aber auch verdammt noch mal Zeit«, murmelte sie. Zuerst befürchtete Gaius, er würde sich ungeschickt anstellen, oder schlimmer noch, zu hastig, doch Alexandria lenkte seine Bewegungen, und ihre Hände fühlten sich auf seiner Haut kühl an. Sie nahm eine kleine Flasche mit parfümiertem Öl von einem Regal, und er sah zu, wie sie ein paar Spritzer auf ihre Handflächen tropfen ließ. Der schwere Duft drang in seine Lunge, als sie rittlings auf ihm saß und das Öl zärtlich auf seiner Brust verrieb. Dann rieb sie weiter unten, und er keuchte auf. Er nahm etwas davon von seiner Haut und streckte die Hand nach ihren Brüsten aus, erinnerte sich daran, wie er ihre sanfte Wölbung zum ersten Mal vor so langer Zeit im Hof des Landguts gesehen hatte. Er presste den Mund zuerst auf die eine, dann an die andere, schmeckte ihre Haut und bewegte die Lippen über die öligen Brustwarzen. Sie öffnete leicht den Mund und schloss bei seiner Berührung die Augen. Dann beugte sie sich herab und küsste ihn, und ihr offenes Haar fiel über sie beide herab. Als der Abend dunkler wurde, vereinigten sie sich ungestüm, und dann noch einmal, verspielter und mit mehr Wonne. Ohne die Kerzen war nur wenig Licht in ihrer Kammer, aber ihre Augen leuchteten, und ihre Gliedmaßen waren wie dunkles Gold, als sie sich unter ihm bewegte. Als er kurz vor Tagesanbruch erwachte, sah er, dass sie ihn beobachtete. »Das war mein erstes Mal«, sagte er leise. Etwas riet ihm, ihr die Frage nicht zu stellen, doch er musste es wissen. »War es auch für dich das erste Mal?« Sie lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln. »Ich wünschte, es wäre so«, sagte sie. »Ehrlich.« »Hast du . mit Marcus?« Ihre Augen weiteten sich ein wenig. War er wirklich so unschuldig, dass er die Beleidigung nicht bemerkte? »Das hätte ich wohl, ganz bestimmt«, erwiderte sie schnippisch, »aber er hat nicht gefragt.« »Entschuldige«, sagte er errötend. »Ich wollte nicht .« »Hat er das behauptet?«, wollte Alexandria wissen. »Ja«, antwortete Gaius mit ernstem Gesicht. »Er hat ziemlich damit angegeben.« »Bei den Göttern!«, rief Alexandria wütend und suchte ihre Kleider zusammen. »Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, ramme ich ihm einen Dolch ins Auge!« Gaius nickte und versuchte bei dem Gedanken, wie Marcus nichtsahnend zurückkehrte, nicht zu grinsen. Sie zogen sich in aller Eile an. Keiner von beiden wollte, dass er von den Klatschmäulern gesehen wurde, wie er vor Sonnenaufgang aus ihrer Kammer kam. Sie verließ mit ihm die Sklavenunterkünfte, und sie setzten sich in den Garten, ließen sich von dem warmen Wind fächeln, der durch die Stille strich. »Wann sehe ich dich wieder?«, fragte er leise. Sie schaute weg, und er dachte schon, sie wollte ihm nicht antworten. Er bekam es mit der Angst zu tun. »Gaius ... ich habe jede Sekunde der vergangenen Nacht genossen. Dich zu berühren, dich zu spüren, und dich zu schmecken. Aber du wirst eine Tochter Roms heiraten. Weißt du, dass ich keine Römerin bin? Meine Mutter kam aus Karthago, sie wurde als Kind von dort verschleppt und in die Sklaverei verkauft, und dann zur Hure gemacht. Ich bin spät zur Welt gekommen. Sie hätte mich niemals so spät bekommen dürfen. Danach kam sie nie wieder richtig zu Kräften.« »Ich liebe dich«, sagte Gaius, der wusste, dass es zumindest in diesem Augenblick stimmte, und dabei hoffte, es möge genügen. Er wollte ihr etwas geben, das ihr zeigte, dass sie ihm mehr bedeutete als eine Nacht der Lust. Sie schüttelte bei seinen Worten langsam den Kopf. »Wenn du mich liebst, lässt du mich hier im Haus des Marius. Ich kann Schmuck machen, und eines Tages habe ich genug Geld, um mich freizukaufen. Hier kann ich so glücklich werden, wie ich es niemals werden würde, wenn ich zulasse, dass ich dich liebe. Das könnte ich wohl, aber du wirst Soldat und ziehst davon, in weit entfernte Winkel der Welt, und ich würde deine Frau und deine Kinder sehen, müsste ihnen auf der Straße zunicken. Mach mich nicht zu deiner Hure, Gaius. Dieses Leben kenne ich zur Genüge, ich will es nicht. Lass mich letzte Nacht nicht bereuen. Ich möchte so etwas Wundervolles nicht bereuen.« »Ich könnte dich freikaufen«, flüsterte er gequält. Das alles schien keinen Sinn zu ergeben. In ihren Augen blitzte es wütend auf, doch sie beherrschte sich. »Nein, das könntest du nicht. Natürlich könntest du mir meinen Stolz nehmen und mich laut römischem Gesetz freilassen, aber das hätte ich mir in deinem Bett verdient. Dort, worauf es ankommt, bin ich frei, Gaius, das habe ich jetzt begriffen. Um vor dem Gesetz ein freier Bürger zu sein, muss ich ehrlich arbeiten, um mich selbst zurückzukaufen. Dann gehöre ich mir. Ich bin heute einem Mann begegnet, der von sich sagt, er sei ehrlich und stolz. Auch ich besitze beides, Gaius, Ehrlichkeit und Stolz, und ich möchte weder das eine noch das andere verlieren. Ich werde dich nie vergessen. Besuch mich in zwanzig Jahren, dann schenke ich dir einen Anhänger aus Gold, der aus Liebe gemacht ist.« »Das werde ich tun«, gelobte er, beugte sich zu ihr und küsste ihre Wange. Dann erhob er sich und verließ den duftenden Garten. Er trat hinaus auf die Straßen der Stadt und ging immer weiter und weiter, bis er sich verlaufen hatte und zu müde war, um außer seiner Betäubung noch etwas zu fühlen. 23 Der Mond ging auf. Marius funkelte den Zenturio finster an. »Meine Befehle waren eindeutig. Warum hast du sie nicht befolgt?« »Ich dachte, es läge ein Fehler vor, Legat.« Der Mann kam ein wenig ins Stammeln. Sein Gesicht war fahl. Er kannte die Konsequenzen. Soldaten sandten keine Boten aus, um Befehle in Frage zu stellen. Sie führten sie aus. Aber das, was von ihm verlangt worden war, war Wahnsinn. »Du bist angewiesen worden, dir eine Taktik gegen eine römische Legion zu überlegen. Insbesondere, Mittel und Wege zu finden, ihre Mobilität außerhalb der Tore zu neutralisieren. Was hast du daran nicht verstanden?«, knurrte Marius grimmig, und der Mann wurde noch blasser, während er seinen Rang und damit seine Pension dahingehen sah. »Ich ... Niemand rechnet damit, dass Sulla Rom angreift. Noch nie hat jemand die Stadt angegriffen -« Marius fiel ihm ins Wort. »Du bist degradiert. Schick mir Octavius, deinen Stellvertreter.« Etwas zerbrach in dem Mann. Er war über vierzig Jahre alt und würde nie wieder befördert werden. »Wenn sie wirklich kommen, Herr, möchte ich in der ersten Reihe stehen, um sie aufzuhalten.« »Um deinen Fehler gutzumachen?«, fragte Marius. Der Mann nickte matt. »Es sei dir gewährt. Dein Gesicht wird das erste sein, das sie zu sehen bekommen. Und sie werden kommen. Nicht als Lämmer, sondern als Wölfe.« Marius blickte dem gebrochenen Mann nach, der steif davonwankte, und schüttelte den Kopf. So viele wollten einfach nicht glauben, dass Sulla ihre geliebte Stadt angreifen würde. Für Marius war es längst Gewissheit. Die täglich eintreffenden Nachrichten besagten, dass es Sulla gelungen war, den aufständischen Armeen unter Mithridates das Rückgrat zu brechen und dabei ein Gutteil von Griechenland in Schutt und Asche zu legen. Kaum ein Jahr war vergangen, und er würde als Held und Eroberer zurückkehren. Das Volk würde ihm alles gewähren. In einer derartig gestärkten Position würde er seine Legion keinesfalls im Feld oder in einer benachbarten Stadt lassen und mit seinen Kumpanen in aller Stille in den Senat zurückkehren. Das war das Risiko, das Marius eingegangen war. Obwohl es sonst nichts Bewundernswertes an diesem Mann gab, musste er zugeben, dass Sulla ein hervorragender Feldherr war, und Marius hatte die ganze Zeit über gewusst, dass er sehr wohl gewinnen und als Sieger zurückkehren konnte. »Die Stadt gehört mir«, murmelte er dumpf und ließ den Blick über die Soldaten schweifen, die Brustwehren für Bogenschützen auf den gewaltigen Toren bauten. Er fragte sich, wo sich sein Neffe herumtreiben mochte und bemerkte geistesabwesend, dass er ihn in den letzten Wochen kaum zu Gesicht bekommen hatte. Müde rieb er sich den Nasenrücken. Er wusste, dass er sich zu wenig Ruhe gönnte. Seit einem Jahr hatte er ständig zu wenig Schlaf bekommen, hatte seine Versorgungslinien aufgebaut, seine Männer bewaffnet und für die Belagerung Roms vorgesorgt. Rom war als Stadtfestung neu erschaffen worden, es gab keinerlei Schwachpunkte mehr an den Mauern. Die Stadt würde standhalten, das wusste er. Sulla würde sich an den Toren aufreiben. Seine Zenturios waren handverlesen, und der Verlust dieses einen heute Morgen war durchaus ärgerlich. Jeder Mann war aufgrund seiner Flexibilität befördert worden, seiner Fähigkeit, auf neue Situationen zu reagieren, bereit für die Zeit, in der die größte Stadt der Welt ihren eigenen Kindern im Kampf gegenübertrat - sie vernichtete. Gaius war betrunken. Er stand mit einem vollen Weinbecher am Rand eines Balkons und versuchte, klar aus den Augen zu sehen. Unten im Garten plätscherte ein Brunnen. Mit verschwommenem Blick beschloss er, hinunterzugehen und den Kopf ins Wasser zu stecken. Die Nacht war warm genug. Drinnen umfing ihn der Lärm des Gelages als tosendes Durcheinander aus Musik, Gelächter und trunkenen Rufen. Es war bereits nach Mitternacht, keiner war mehr nüchtern. Die flackernden Öllampen an den Wänden warfen ein sanftes Licht auf die Zecher. Eine Frau streifte Gaius und legte ihm kichernd einen Arm um die Schultern, sodass er etwas von dem Rotwein auf den hellen Marmorboden verschüttete. Ihre Brüste waren unverhüllt, und sie zog seine freie Hand auf sie, während sie ihre Lippen auf seinen Mund presste. Er löste sich von ihr und schnappte nach Luft. Sie nahm ihm den Wein aus der Hand und leerte den Becher mit einem Zug. Dann warf sie ihn über die Schulter, langte nach unten in die Falten seiner Toga und liebkoste ihn mit erotischer Fingerfertigkeit. Er küsste sie wieder und wankte unter ihrem betrunkenen Gewicht zurück, bis sein Rücken an einer Säule unweit des Balkons Halt fand. Er spürte den kalten Stein durch den Stoff. Die Menge nahm keine Notiz von ihnen. Viele waren nur noch halb bekleidet, und in dem in der Mitte des Raumes eingelassenen Wasserbecken aalten sich nasse Pärchen. Der Gastgeber hatte für etliche Sklavenmädchen gesorgt, doch die Ausschweifungen hatten sich mit zunehmender Trunkenheit ausgeweitet, und zu dieser fortgeschrittenen Stunde nahmen die letzten hundert Gäste so ziemlich alles, was sie bekommen konnten. Gaius stöhnte, als die Fremde ihren Mund über ihm öffnete, und winkte einem vorübereilenden Sklaven, damit er ihm noch einen Becher Wein brachte. Er ließ ein paar Tropfen auf seine nackte Brust fallen und sah zu, wie die Flüssigkeit bis zu ihrem emsig arbeitenden Mund hinunterrann, wo er ihn geistesabwesend mit den Fingern in ihre weichen Lippen rieb. Die Musik und das Lachen rings um ihn herum wurden immer lauter. Die Luft war heiß und feucht vom aufsteigenden Dampf der Wasserbecken und dem Licht der Lampen. Er trank den Wein aus und warf den Becher über den Balkon hinunter in die Dunkelheit. Er hörte ihn nicht im Garten aufprallen. Sein fünftes Gelage in zwei Wochen. Eigentlich hatte er gedacht, er wäre zu müde, um schon wieder auszugehen, aber Diracius war bekannt dafür, dass es bei ihm immer besonders wild zuging. Die anderen vier waren erschöpfend gewesen, und ihm war klar, dass dieses hier sein Ende sein könnte. Sein Verstand schien ein wenig entrückt, wie ein Beobachter der sich windenden Knäuel rings um ihn herum. Eigentlich hatte Diracius Recht gehabt, als er sagte, die Feste würden ihm helfen, zu vergessen, aber selbst nach so vielen Monaten war ihm jeder Augenblick mit Alexandria noch so gegenwärtig, dass er ihn jederzeit heraufbeschwören konnte. Was er verloren hatte, war seine Fähigkeit zu staunen und sich an etwas zu erfreuen. Er schloss die Augen und hoffte, seine Beine würden ihm nicht vorzeitig den Dienst versagen. Mithridates lag auf den Knien und spuckte Blut über seinen Bart auf den Boden. Er hielt den Kopf geneigt. Er war ein Stier von einem Mann und hatte in der Schlacht am Morgen viele Soldaten getötet. Sogar jetzt noch, da seine Arme gefesselt und ihm seine Waffen genommen waren, hielten die römischen Legionäre respektvollen Abstand. Er lachte immer wieder auf, doch das Lachen klang bitter. Im weiten Umkreis lagen Hunderte von Männern, die seine Freunde und Anhänger gewesen waren, der Geruch nach Blut und offenen Eingeweiden hing in der Luft. Seine Frau und seine Töchter waren aus seinem Zelt gerissen und von kaltäugigen Soldaten abgeschlachtet worden. Seine Generäle waren gepfählt worden, ihre leblosen Körper wurden von mannshohen Spießen aufrecht gehalten. Es war ein trostloser Tag, an dem er alles so enden sah. Seine Gedanken eilten durch all die Monate zurück, kosteten noch einmal die Freuden der Rebellion, den Stolz, als starke Griechen aus allen Städten unter sein Banner geströmt kamen, angesichts eines gemeinsamen Feindes wieder vereint. Eine Zeit lang schien alles möglich, doch jetzt schmeckte er nur noch Asche im Mund. Er erinnerte sich an die erste gefallene Festung, an die Ungläubigkeit und die Scham in den Augen des römischen Präfekten, der mit ansehen musste, wie sie niederbrannte. »Sieh dir die Flammen an«, hatte ihm Mithridates zugeflüstert. »So wird es Rom ergehen.« Der Römer hatte etwas antworten wollen, aber Mithridates hatte ihn mit einem raschen Schnitt durch die Kehle und unter dem Jubel seiner Männer zum Schweigen gebracht. Jetzt war er als Letzter der Freunde übrig, die gewagt hatten, das Joch der römischen Regentschaft abzuwerfen. »Ich bin frei gewesen«, murmelte er durch das Blut, doch die Worte munterten ihn nicht mehr auf, so wie sie es ehedem getan hatten. Trompeten erschallten, und Pferde kamen durch eine frei gemachte Gasse zu der Stelle galoppiert, wo Mithridates wartend auf den Fersen hockte. Er hob den zottigen Kopf, das lange Haar fiel ihm über die Augen. Die Legionäre neben ihm nahmen schweigend Haltung an. Da wusste er, wer es sein musste. Ein Auge war mit Blut verklebt, aber durch das andere sah er eine goldene Gestalt von einem Hengst steigen und die Zügel einem anderen Mann übergeben. Die makellose weiße Toga wirkte unpassend auf diesem Feld des Todes. Wie war es möglich, dass irgendetwas auf der Welt vom Elend eines derartig grauen Nachmittags unberührt blieb? Sklaven streuten Binsen auf den Schlamm, bildeten einen Weg zu dem knienden König. Mithridates reckte den Rücken. Sie sollten ihn nicht gebrochen und als Bittsteller sehen, nicht jetzt, da seine Töchter nicht weit von hier in friedlicher Stille lagen. Cornelius Sulla schritt auf den Mann zu und musterte ihn interessiert. Als hätte er es mit den Göttern so abgesprochen, wählte die Sonne diesen Augenblick, um hinter den Wolken hervorzukommen, und sein dunkelblondes Haar schimmerte, als er einen glänzenden, silbernen Gladius aus einer einfachen Scheide zog. »Ihr habt mir sehr viel Unannehmlichkeiten bereitet, Hoheit«, sagte Sulla ruhig. Bei seinen Worten sah ihn Mithridates scheel an. »Ich habe mich redlich bemüht«, erwiderte er grimmig und hielt dem Blick des Mannes mit seinem gesunden Auge stand. »Aber jetzt ist es vorbei. Deine Armee ist zerschlagen. Die Rebellion ist beendet.« Mithridates zuckte die Achseln. Was nützte es, das Offensichtliche zu bestätigen? »Ich habe nichts mit der Ermordung deiner Frau und deiner Töchter zu tun«, fuhr Sulla fort. »Die Soldaten, die daran teilgenommen haben, sind auf meinen Befehl hingerichtet worden. Ich führe keinen Krieg gegen Frauen und Kinder, und es tut mir Leid, dass sie dir entrissen wurden.« Mithridates schüttelte den Kopf, als wolle er die Worte und die plötzlich aufblitzenden Erinnerungsbilder verscheuchen. Er hatte seine geliebte Livia seinen Namen schreien hören, doch er war von mit Keulen bewaffneten Legionären umgeben gewesen, die ihn lebendig gefangen nehmen sollten. Er hatte seinen Dolch in der Kehle eines Mannes verloren, und sein Schwert steckte in den Rippen eines anderen fest. Mit ihren Schreien in seinen Ohren hatte er sogar einem Mann, der sich auf ihn stürzen wollte, den Hals umgedreht, aber als er sich bückte, um ein Schwert vom Boden aufzuheben, hatten ihn die anderen bewusstlos geknüppelt, und als er aufwachte, war er zerschunden und gefesselt gewesen. Er starrte Sulla an, suchte nach Anzeichen von Spott. Stattdessen fand er nichts als Aufrichtigkeit. Er glaubte diesem Mann und wich seinem Blick nicht aus. Erwartete dieser Römer, dass Mithridates, der König, lachte und sagte, alles sei vergeben? Die Soldaten waren Soldaten Roms gewesen, und diese goldene Gestalt war ihr Herr und Meister. War der Jäger nicht für seine Hunde verantwortlich? »Hier ist mein Schwert«, sagte Sulla und hielt ihm die Waffe hin. »Schwöre bei den Göttern, dass du dich Zeit deines Lebens nicht mehr gegen Rom erheben wirst, und ich lasse dir dein Leben.« Mithridates blickte auf den silbernen Gladius und versuchte, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. Er hatte sich darauf eingestellt, sterben zu müssen. Jetzt so unvermittelt noch einmal das Leben angeboten zu bekommen, war, als risse man Schorf von versteckten Wunden. Es war Zeit, seine Frau zu begraben. »Warum?«, grunzte er durch das trocknende Blut. »Weil ich glaube, dass du ein Mann bist, der sein Wort hält. Heute hat es schon genug Tote gegeben.« Mithridates nickte schweigend, und Sulla reichte mit der unbefleckten Klinge um ihn herum, um die Fesseln zu durchschneiden. Der König spürte, wie die Soldaten sich anspannten, als sie sahen, wie ihr Feind wieder befreit wurde, doch er ignorierte sie, streckte die Hand aus und ergriff die Klinge mit seiner vernarbten rechten Handfläche. Das Metall lag kalt auf seiner Haut. »Ich schwöre es.« »Du hast Söhne. Was ist mit ihnen?« Mithridates sah den römischen Legaten an. Er wunderte sich, wie viel er wusste. Seine Söhne waren im Osten, sammelten Unterstützung für ihren Vater. Sie würden mit Männern, Ausrüstung und einem neuen Anlass zur Rache zurückkehren. »Sie sind nicht hier. Ich kann nicht für meine Söhne antworten.« Sulla hielt die Klinge ganz ruhig im Griff des Mannes. »Nein. Aber du kannst sie warnen. Wenn sie zurückkehren und Griechenland gegen Rom aufwiegeln, werde ich Kummer und Leid über das Land bringen, wie es noch nirgendwo gesehen wurde.« Mithridates nickte und ließ die Hand von der Klinge fallen. Sulla schob sie wieder in die Scheide, drehte sich um und ging zu seinem Pferd zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen. Jeder Römer in Sichtweite entfernte sich mit ihm. Mithridates blieb allein auf den Knien zurück, umgeben von den Toten. Er erhob sich steif und zuckte endlich bei dem Schmerz zusammen, den ihm seine vielen Wunden bereiteten. Mit kaltem, verwirrtem Blick sah er zu, wie die Römer ihre Zelte abbrachen und nach Westen abzogen, zum Meer. Die ersten Wegstunden ritt Sulla schweigend dahin. Seine Freunde wechselten stumme Blicke, aber lange Zeit wagte keiner von ihnen, das grimme Schweigen zu brechen. Schließlich streckte Padacus, ein gut aussehender Jüngling aus Norditalien, die Hand aus und berührte Sullas Schulter. Der Legat zügelte sein Pferd und sah ihn fragend an. »Warum hast du ihn am Leben gelassen? Wird er sich im nächsten Frühling nicht abermals gegen uns erheben?« Sulla zuckte die Achseln. »Möglicherweise. Aber wenn er das tut, weiß ich wenigstens, dass ich es mit einem Mann zu tun habe, den ich besiegen kann. Sein Nachfolger wird sich hüten, die gleichen Fehler zu begehen. Ich hätte noch weitere sechs Monate damit verbringen müssen, seine Anhänger in winzigen Lagern in den Bergen ausfindig zu machen und zu vernichten, aber was hätte uns das außer ihrem Hass eingebracht? Nein, der eigentliche Feind, die eigentliche Schlacht .« Er unterbrach sich und richtete den Blick auf den westlichen Horizont, als könnte er bis zu den Toren Roms schauen. »Die eigentliche Schlacht muss noch geschlagen werden, und wir haben schon jetzt viel zu viel Zeit hier verbracht. Reitet weiter. Wir sammeln die Legion an der Küste. Und treten unverzüglich die Überfahrt nach Hause an.« 24 Gaius stützte sich auf die steinerne Fensterbank und sah zu, wie die Sonne über der Stadt aufging. Er hörte, wie sich Cornelia auf dem langen Bett hinter ihm rührte, drehte sich um und lächelte in sich hinein. Sie schlief noch, ihr langes goldenes Haar ergoss sich über ihr Gesicht und über die Schultern, als sie sich unruhig hin und her wälzte. In der Hitze der Nacht hatten sie wenig gebraucht, um sich zu bedecken; ihre langen Beine waren fast bis zur Hüfte entblößt. Die leichte Decke hatte sie mit einer kleinen Hand gepackt und näher ans Gesicht herangezogen. Einen Moment lang kehrten seine Gedanken zu Alexandria zurück, doch er empfand keinen Schmerz dabei. In den ersten Monaten war es schwer gewesen, sogar mit Freunden wie Diracius, die alles taten, um ihn zu zerstreuen. Jetzt konnte er zurückschauen und sich über seine Einfältigkeit und Unbeholfenheit wundern. Trotzdem blieb nach wie vor ein kleiner Rest von Traurigkeit. Er würde nie wieder dieser unschuldige Junge sein können. Gaius hatte sich allein mit Metella getroffen und ein Dokument unterzeichnet, mit dem Alexandria an Marius’ Haus überging. Er wusste, dass er darauf vertrauen konnte, dass seine Tante sie gut behandelte. Zusätzlich hatte er eine Summe in Goldstücken aus dem Besitz des Gutes zurückgelassen, die ihr an dem Tag, an dem sie sich die Freiheit erkaufte, ausgehändigt werden sollte. Davon würde sie erst erfahren, wenn sie frei war. Es war nur ein kleines Geschenk, im Vergleich zu dem, was sie ihm gegeben hatte. Gaius grinste, als er spürte, wie ihn die Erregung abermals überkam, obwohl er wusste, dass er sich auf den Weg machen musste, bevor der Haushalt erwachte. Cornelias Vater Cinna gehörte zu den politischen Schwergewichten, denen Marius schmeichelte und die er unter Kontrolle zu bekommen trachtete. Ein Mann, dem man besser nicht in die Quere kam, und wenn man ihn im Schlafzimmer seiner geliebten Tochter fand, bedeutete das selbst für den Neffen des Marius den Tod. Er warf ihr noch einen kurzen Blick zu und zog seine Kleider zu sich heran. Trotzdem war sie es wert gewesen, trotzdem würde er das Risiko jederzeit wieder eingehen. Sie war drei Jahre älter als er, aber sie war noch Jungfrau gewesen, was ihn überrascht hatte. Sie gehörte ihm allein, und das verschaffte ihm eine stille Zufriedenheit und mehr als nur ein bisschen der alten Lust. Sie hatten sich bei einer offiziellen Zusammenkunft der Senatorenfamilien kennen gelernt, anlässlich der Feier zur Geburt von Zwillingen, die einem Angehörigen der Nobilitas geboren worden waren. Mitten am Tag gab es nichts Besseres als die unbeschwerte Zügellosigkeit eines von Diracius’ Festen, und zunächst hatte sich Gaius bei den endlosen Gratulationen und Reden gelangweilt. Dann war sie in einem unbeobachteten Augenblick zu ihm herübergekommen und hatte alles verändert. Sie trug eine dunkelgoldene, fast braune Robe, dazu Ohrringe und einen Halsring aus dem gleichen, schweren Metall. Er hatte sie vom ersten Augenblick an begehrt, und fast ebenso rasch hatte er sie gemocht. Sie war intelligent und selbstbewusst, und sie begehrte ihn. Es war ein schwindelndes Gefühl. Er hatte sich über die Dächer in ihr Schlafzimmerfenster geschlichen und ihr beim Schlafen zugesehen, ihr wild zerzaustes Haar betrachtet. Er dachte daran, wie sie sich aufgesetzt hatte, mit angezogenen Beinen und vollkommen geradem Rücken. Er hatte ein paar Sekunden gebraucht um zu bemerken, dass sie lächelte. Seufzend zog er seine Kleider und seine Sandalen an. Nachdem Sulla schon ein ganzes Jahr aus der Stadt fort war und die Rebellion in Griechenland an Grausamkeit zunahm, fiel es Gaius leicht zu vergessen, dass irgendwann die Abrechnung folgen musste. Marius hingegen hatte vom ersten Tag an auf den Augenblick hingearbeitet, an dem Sullas Standarten am Horizont auftauchten. Die Stadt summte immer noch vor Aufregung und Furcht, so wie schon seit Monaten. Die meisten waren geblieben, doch ein stetiger Strom von Kaufleuten und ihren Familien, die die Stadt verließen, zeigte an, dass nicht jeder Bewohner Marius’ Vertrauen in den Ausgang der Auseinandersetzung teilte. In jeder Straße gab es verrammelte Geschäfte, und der Senat hatte viele Entscheidungen kritisiert, was Marius, wenn er in den frühen Morgenstunden nach Hause kam, immer zu Wutausbrüchen verleitete. Es war eine Spannung, die Gaius kaum nachvollziehen konnte, überließ er sich doch eher den angenehmen Zerstreuungen der Stadt. Als er seine Toga festzog, schaute er noch einmal zu Cornelia hinüber und sah, dass ihre Augen offen waren. Er ging hin zu ihr, küsste sie auf die Lippen und spürte sein erneut aufkommendes Verlangen. Er ließ eine Hand auf ihre Brust sinken und fühlte, wie sie sich gegen ihn drängte. Er schnappte nach Luft. »Kommst du wieder zu mir, Gaius?« »Ja«, erwiderte er lächelnd und stellte zu seinem eigenen Erstaunen fest, dass er es tatsächlich ernst meinte. »Ein guter Legat ist auf jede Eventualität vorbereitet«, sagte Marius, als er Gaius die Dokumente aushändigte. »Das hier sind Zahlungsanweisungen. Sie stammen aus der Schatzkammer der Stadt und sind so gut wie bares Geld. Ich erwarte nicht, dass du sie mir zurückzahlst. Sie sind ein Geschenk an dich.« Gaius warf einen Blick auf die Summen und musste sich ein Lächeln abringen. Die Beträge waren enorm, doch sie würden die Schulden, die er bei den Geldverleihern hatte auflaufen lassen, nur gerade eben decken. Mit den fortschreitenden Vorbereitungen auf Sullas Rückkehr war es Marius nicht möglich gewesen, ein strengeres Auge auf Gaius zu haben, und in diesen ersten paar Monaten nach Alexandria hatte Gaius überall Kredite aufgenommen, um sich Frauen, Wein und Skulpturen zu leisten - alles, um seine Stellung in einer Stadt zu festigen, die nur Respekt vor Gold und Macht kannte. Mit geborgtem Reichtum hatte sich Gaius als junger Löwe in eine abgestumpfte Gesellschaft eingeführt. Selbst diejenigen, die seinem Onkel misstrauten, wussten, dass man mit Gaius rechnen musste, und es gab nie Probleme, immer noch größere Summen zu erhalten, da die Reichen sich förmlich darum schlugen, dem Neffen des Marius finanzielle Hilfe anzubieten. Marius musste einen Anflug von Gaius’ Enttäuschung bemerkt haben und interpretierte sie als Sorge um die Zukunft. »Ich rechne mit einem Sieg, aber nur ein Narr würde nicht auch eine Katastrophe einplanen, wenn es um Sulla geht. Falls es nicht so läuft wie geplant, nimm die Wechsel und verlasse die Stadt. Ich habe ein Empfehlungsschreiben beigefügt, damit bekommst du eine Koje auf einem Schiff der Legion, das dich zu irgendeinem Außenposten des Imperiums bringt. Ich habe auch ... Dokumente aufgesetzt, die dich als einen Sohn meines Hauses ausweisen. Damit ist es dir möglich, dich jedem Regiment anzuschließen und die nächsten paar Jahre zu nutzen, um dir einen Namen zu machen.« »Was geschieht, wenn du Sulla vernichtest, wie du es erwartest?« »Dann treiben wir dein Vorankommen in Rom weiter. Ich sorge dafür, dass du einen Posten bekommst, der mit einer lebenslangen Mitgliedschaft im Senat verbunden ist. Jetzt, wo die Wahlen anstehen, werden diese Posten eifersüchtig gehütet, aber es dürfte nicht unmöglich sein. Das kostet uns zwar ein Vermögen, aber dann bist du drin, einer der unumstritten Auserwählten. Und wer weiß, wohin dich die Zukunft danach noch bringt?« Gaius grinste, von der Begeisterung des Mannes mitgerissen. Mit den Wechseln würde er seine drückendsten Schulden bezahlen. Natürlich wurde in der kommenden Woche der Pferdemarkt abgehalten, und wie es hieß, brachten arabische Fürsten ganz neu gezüchtete Schlachtrösser mit, gewaltige Hengste, die sich mit der sanftesten Berührung führen ließen. Die kosteten garantiert eine ordentliche Stange Geld, vielleicht so viel wie das, was er gerade in den Händen hielt. Er schob die Papiere beim Hinausgehen in seine Toga. Die Geldverleiher würden bestimmt noch ein bisschen länger warten. Draußen, in der kühlen Abendluft vor Marius’ Stadthaus, wog Gaius seine Optionen für die Stunden vor Sonnenaufgang ab. Wie immer war die dunkle Stadt alles andere als still, und ihm war überhaupt noch nicht nach Schlafen zumute. Händler und Karrenkutscher beschimpften einander, Schmiede hämmerten, in einem Nachbarhaus lachte jemand laut, und er konnte hören, dass Geschirr zerschlagen wurde. Die Stadt war so voller Leben, ein Ort, mit dem sich das Landgut niemals messen konnte. Gaius liebte sie. Wenn er wollte, konnte er zum Forum gehen und bei Fackellicht den Rednern lauschen, an einer der endlosen Debatten zwischen den jungen Adligen teilnehmen, bis der anbrechende Morgen sie alle nach Hause trieb. Oder er konnte bei Diracius vorbeischauen und andere Gelüste stillen. Es war klüger, nicht allein durch die dunklen Straßen zu spazieren, dachte er und erinnerte sich an Marius’ Warnungen bezüglich der verschiedenartigen Raptores, die in den schlecht beleuchteten Gassen lauerten, jederzeit zu Raub oder Mord bereit. Die Stadt war nachts nicht sicher, und man konnte sich in dem Labyrinth gewundener, namenloser Straßen leicht verlaufen. Einmal falsch abgebogen und man stand in einer Gasse voller Haufen menschlichen Unrats und großer Urintümpel, obwohl der Geruch normalerweise ausreichte, um einen zu warnen. Vor einem Monat hätte er sich vielleicht nach Gefährten für eine wilde Nacht umgesehen, jetzt jedoch erschien immer öfter das Gesicht eines bestimmten Mädchens vor seinem geistigen Auge. Sein Verlangen nach ihr schien überhaupt nicht nachzulassen, sondern im Gegenteil durch ihr Beisammensein sogar noch angefacht zu werden. Auch Cornelia dachte in den fürstlichen Wohnräumen ihres Vaters bestimmt an ihn. Er würde zu ihr gehen, die Außenmauer erklimmen und sich wie immer an den Wachen ihres Vaters vorbeischleichen. Er grinste vor sich hin, als er an die plötzliche Angst dachte, die ihn erfasst hatte, als er beim letzten Mal weggerutscht war und über den harten Pflastersteinen der Straße gebaumelt hatte. Allmählich kannte er jeden Fußbreit dieser Mauer, aber ein einziger Fehler würde ihn ein Paar gebrochene Beine oder Schlimmeres kosten. »Du bist das Risiko wert, mein Mädchen«, flüsterte er und sah zu, wie die kalte Nachtluft seinen Atem sichtbar machte, während er durch die unbeleuchteten Straßen der Stadt seinem Ziel entgegenging. 25 In Cinnas Anwesen setzte die Geschäftigkeit des Arbeitstages so früh ein wie überall sonst in Rom: Wasser wurde heiß gemacht, Öfen wurden angefeuert, es wurde gefegt, geputzt und die Kleider der Familie zurechtgelegt, bevor die Herrschaft erwachte. Noch bevor die Sonne am Himmel stand, war eine Sklavin in Cornelias Zimmer gekommen, um abgelegte Kleider für die Wäsche einzusammeln. Ihre Gedanken waren bei tausend anderen Aufgaben, die sie vor dem leichten vormittäglichen Mahl noch zu erledigen hatte, sodass sie zunächst überhaupt nichts bemerkte. Plötzlich fiel ihr Blick auf ein muskulöses Bein, das auf einer Seite aus dem Bett herausragte. Erst dann sah sie das schlafende, noch ineinander verschlungene Paar und erstarrte. Nach einem Augenblick der Unentschlossenheit leuchtete Bosheit in ihren Augen auf. Sie holte tief Luft und zerriss die friedliche Szene mit einem schrillen Schrei. Gaius rollte nackt vom Bett auf den Boden und ging dort in die Hocke. Er hatte die Situation sofort erfasst, verlor jedoch keine Sekunde mit Selbstvorwürfen. Sofort packte er Toga und Schwert und sprang mit einem Satz zum Fenster. Das Sklavenmädchen rannte, immer noch schreiend und von Cornelias Verwünschungen verfolgt, zur Tür. Donnernde Schritte ertönten, und die Amme Clodia stürmte ins Zimmer, das Gesicht vor Wut verzerrt. Sie holte aus und verpasste dem Sklavenmädchen eine Ohrfeige, die den Schrei mit einem lauten Klatschen zum Verstummen brachte und das Mädchen um die eigene Achse wirbeln ließ. »Schnell raus, Junge«, fuhr ihn Clodia an, während die Sklavin wimmernd auf dem Fußboden kauerte. »Hoffentlich bist du den ganzen Ärger wert, den es jetzt geben wird!« Gaius nickte, wandte sich aber vom Fenster ab und kam noch einmal zu Cornelia zurück. »Wenn ich nicht gehe, töten sie mich als Eindringling. Sag ihnen meinen Namen, und sag ihnen, dass du mir gehörst, dass ich dich heiraten werde. Sag ihnen, ich bringe jeden um, der dir auch nur ein Haar krümmt.« Cornelia antwortete nichts, sondern zog ihn an sich und küsste ihn. Er riss sich lachend los. »Bei den Göttern, lass mich los! Es ist ein herrlicher Morgen für eine kleine Verfolgungsjagd.« Belustigt sah sie zu, wie seine weißen Hinterbacken über dem Fensterbrett aufblitzten und kurz darauf verschwunden waren. Dann wappnete sie sich für das bevorstehende Drama. Als Erste kamen die Wachen ihres Vaters herein, angeführt von dem mürrischen Hauptmann. Der Hauptmann nickte einen Gruß, ging zum Fenster und blickte hinab. »Lauft!«, rief er seinen Leuten zu. »Ich verfolge ihn über die Dächer, ihr schneidet ihm unten den Weg ab. Dafür nagele ich seine Haut an meine Wand. Um Vergebung, meine Dame«, fügte er zum Abschied hinzu, ehe sein rotes Gesicht unter dem Fenster verschwand. Cornelia musste sich zusammenreißen, um nicht vor Anspannung zu kichern. Gaius rutschte aus und schlitterte über die Dachziegel, schürfte sich die Haut von Ellbogen und Knien, denn jetzt kam es weniger auf Sicherheit denn auf halsbrecherische Geschwindigkeit an. Er hörte den Hauptmann hinter sich rufen, sah sich jedoch nicht um. Die Ziegel boten kaum Halt, letztendlich konnte er nicht viel mehr tun, als die Geschwindigkeit seines Sturzes ein wenig zu bremsen, als er auf den Rand des Daches und die darunter liegende Straße zuglitt. Als er bemerkte, dass seine Sandalen noch oben im Zimmer waren, fand er Zeit für einen ärgerlichen Fluch. Wie konnte er mit bloßen Füßen einen Sprung wagen? Er würde sich auf jeden Fall irgendwelche Knochen brechen, und damit wäre die Jagd beendet. Er ließ die Toga los, um den Gladius zu retten, den bei weitem wertvolleren Gegenstand von beiden. Es gelang ihm, sich am Dachrand festzuklammern. Dann ging er in die Hocke und kroch Stück für Stück weiter, denn er wollte nicht riskieren, eventuellen Bogenschützen ein gutes Ziel zu bieten. Für einen Mann von Cinnas Wohlstand wäre es nicht ungewöhnlich, sich eine kleine Armee zu halten, so wie es Marius auch tat. Er wusste, dass er in dieser gebückten Haltung für den fluchenden, keuchenden Hauptmann nicht mehr zu sehen war und schaute sich verzweifelt nach einem Ausweg aus seinem Dilemma um. Er musste von diesem Dach herunter. Wenn er oben blieb, suchten sie einfach ein Dach nach dem anderen ab, bis sie ihn gefunden hatten, und dann schleuderten sie ihn entweder aufs Pflaster hinunter oder schleppten ihn vor Cinna. In seinem Zorn würde Cinna allen Bitten gegenüber taub sein, und auf die Anklage der Schändung würde rasch der Tod folgen. Gaius war sich bewusst, dass Cinna nicht einmal Anklage zu erheben brauchte, nein, es genügte, wenn er einen Liktor rief und Gaius an Ort und Stelle hinrichten ließ. Falls es Cinna beliebte, konnte er auch Cornelia erwürgen lassen, um die Ehre seines Hauses zu retten, obwohl der alte Mann, wie Gaius wusste, geradezu vernarrt in seine einzige Tochter war. Hätte er ernsthaft befürchtet, dass ihr ein Leid geschehen würde, wäre er geblieben, um die Sache auszufechten, doch er wusste, dass sie vor der Rache des alten Cinna so gut wie sicher war. Wo das Dach über die Straße ragte, hörte Gaius die Rufe der Hauswache, die dort ausschwärmte und sämtliche Ausgänge blockierte. Hinter ihm wurde das Poltern eisenbeschlagener Sandalen auf den Ziegeln lauter, also holte er tief Luft, um sich zu beruhigen, und eilte weiter, in der Hoffnung, dass ihn Geschwindigkeit und Gleichgewicht lange genug auf der trügerischen Oberfläche hielten, bis er irgendwo in Sicherheit war. Als er seine Deckung verließ, schrie der Hauptmann hinter ihm auf, aber Gaius hatte keine Zeit, sich umzudrehen. Das nächste Dach war zu weit weg, um hinüberzuspringen, und die einzige flache Stelle auf dem ganzen Gebäudekomplex war der Glockenturm mit seinem kleinen Fenster. Mit einem verzweifelten Satz erreichte er die Fensterbank, zog sich hinauf und hinein, wo er die kalte Morgenluft mit großen Schlucken in sich aufnahm. Aus dem kleinen Glockenraum führte eine Treppe ins Haupthaus hinunter. Zuerst war Gaius versucht, hinunterzusteigen, aber plötzlich tauchte ein Plan in seinem Kopf auf, und er atmete tief durch und dehnte ein paar Muskeln, während er darauf wartete, dass der Hauptmann das Fenster erreichte. Kurz nachdem er beschlossen hatte, zu bleiben, schob sich der Mann vor das Sonnenlicht, und sein Antlitz hellte sich beim Anblick des jungen Mannes auf, der im Glockenhaus in der Falle saß. Sie blickten einander einen Augenblick an, und Gaius sah interessiert zu, wie sich die Vorstellung, beim Hereinklettern vielleicht selbst getötet werden zu können, nach und nach auf dem Gesicht des Mannes abzeichnete. Gaius nickte ihm zu und trat einen Schritt zurück, um ihm Eintritt zu gewähren. Der Hauptmann grinste ihn hässlich an. Er keuchte noch immer von der Anstrengung der Jagd. »Du hättest mich töten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest«, sagte er und zog sein Schwert. »Dann wärst du vom Dach gefallen«, erwiderte Gaius seelenruhig. »Ich brauche aber deine Kleider, besonders deine Sandalen.« Mit diesen Worten zog er sein eigenes Schwert und baute sich, sich seiner Nacktheit offensichtlich überhaupt nicht bewusst, lässig vor seinem Gegenüber auf. »Verrätst du mir noch deinen Namen, ehe ich dich erledige?«, fragte der Hauptmann und nahm die leicht geduckte Stellung des Schwertkämpfers ein. »Nur damit ich meinem Herrn etwas berichten kann.« »Gibst du mir deine Kleider freiwillig? An einem so herrlichen Morgen sollte man sich nicht gegenseitig umbringen«, konterte Gaius und lächelte dabei freundlich. Der Hauptmann wollte etwas erwidern, aber Gaius griff an. Sein Streich wurde pariert, denn der Mann hatte mit einem solchen Trick gerechnet. Gaius erkannte rasch, dass er es mit einem erfahrenen Gegner zu tun hatte und konzentrierte sich auf jede Bewegung des Tanzes. Sie hatten nicht genug Platz, um sich frei zu bewegen, außerdem lauerte zwischen ihnen die Treppe und drohte, einen von ihnen ins Straucheln zu bringen. Mit Finten und halbherzigen Stößen loteten sie den Kampfplatz aus, suchten nach gegnerischen Schwächen. Der Hauptmann staunte über das Können des jungen Mannes. Er hatte sich seinen Posten in Cinnas Garde gekauft, nachdem er einen Schwertkampfwettbewerb der Stadt gewonnen hatte und wusste, dass er besser war als die meisten Männer, doch hier wurden seine Angriffe immer wieder mit Geschwindigkeit und Präzision abgewehrt. Trotzdem machte er sich deshalb keine Sorgen. Im schlimmsten Fall musste er nur eine Weile durchhalten, bis Hilfe eintraf, und sobald die Suchenden bemerkten, dass hier oben gekämpft wurde, würden immer mehr die Treppe heraufkommen und den Eindringling überwältigen. Seine Hoffnung musste sich in seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn jetzt ging Gaius, nachdem er seinen Gegner genügend taxiert hatte, in die Offensive. Der Jüngling durchbrach die Verteidigung des Hauptmanns und traf ihn an der Schulter. Der Mann quittierte die Wunde mit einem Grunzen, doch Gaius lenkte seinen Gegenangriff seitlich ab und ritzte einen Schnitt in die lederne Brustplatte. Jetzt stand der Hauptmann mit dem Rücken an der Wand des kleinen Glockenturms, und schon ließ ein schmerzhafter Schlag auf seine Finger den Gladius die Treppe hinunterscheppern. Die Hand fühlte sich taub an, und der Hauptmann blickte in Gaius’ Augen, erwartete den Schlag, der ihm den Garaus machen würde. Gaius wurde kaum langsamer. Erst in der letzten Sekunde, bevor sein Schwert gegen die Schläfe des Mannes krachte, drehte er es so, dass es mit der flachen Seite auftraf. Bewusstlos sank sein Gegner zu Boden. Von unten wurden immer mehr Rufe laut. Mit fliegenden Fingern machte sich Gaius daran, den Hauptmann auszuziehen. »Mach schon, mach schon ...«:, murmelte er vor sich hin. Immer einen Plan in der Hinterhand haben, das hatte ihm Renius damals eingebläut, doch abgesehen davon, dem Mann seine Kleider zu stehlen, hatte er noch keine Zeit gehabt, über einen weitergehenden Fluchtplan nachzudenken. Es dauerte ewig, bis er angezogen war. Der Hauptmann rührte sich, und Gaius verpasste ihm noch einen Schlag mit dem Griff und nickte zufrieden, als die zuckenden Bewegungen wieder nachließen. Er hoffte, dass er ihn nicht umgebracht hatte. Der Mann hatte nur das getan, wofür er bezahlt wurde, ohne jede Gehässigkeit. Gaius atmete tief durch. Treppe oder Fenster? Er überlegte nur eine Sekunde, schob seinen eigenen Gladius in die Scheide des Hauptmanns und schritt die Treppe hinunter ins Haupthaus. Als er die Nachrichten von dem atemlosen Boten vernahm, ballte Marius die Fäuste. »Wie viele Tage sind sie hinter dir?«, fragte er so ruhig, wie es ihm möglich war. »Wenn sie Gewaltmärsche einlegen, nicht mehr als drei oder vier. Ich bin so schnell wie möglich hergeritten, habe immer wieder die Pferde gewechselt, aber die meisten von Sullas Männern waren bereits an Land, als ich aufgebrochen bin. Ich habe gewartet, um sicherzugehen, dass es die Hauptstreitmacht war, und nicht nur eine Finte.« »Das hast du gut gemacht. Hast du Sulla selbst gesehen?« »Ja, wenn auch nur aus der Ferne. Es sah aus, als ob seine komplette Legion landen und sich auf den Rückweg nach Rom machen würde.« Marius warf dem Mann eine Goldmünze zu, der sie geschickt aus der Luft fing. Der Legat erhob sich. »Dann müssen wir uns auf ihren Empfang vorbereiten. Hol die anderen Kundschafter zusammen. Ich möchte, dass ihr Sulla meine Willkommensgrüße überbringt.« »Legat?«, fragte der Bote verwundert. »Keine Fragen. Ist er denn nicht der heldenhafte Eroberer, der siegreich zu uns zurückkehrt? Komm in einer Stunde zurück, dann gebe ich dir die Briefe.« Ohne ein weiteres Wort verneigte sich der Mann und ging hinaus. Der Suchtrupp fand den Hauptmann, als dieser gerade nackt aus dem Glockenturm heraustaumelte und sich den Schädel hielt. Der Eindringling konnte trotz der intensiven Suche, die den ganzen Morgen über fortgesetzt wurde, nirgendwo aufgespürt werden. Einer der Soldaten erinnerte sich an einen Mann, der wie der Hauptmann gekleidet war und eine Seitenstraße überprüfen wollte, wusste aber nicht mehr genügend Einzelheiten, um eine gute Beschreibung abzugeben. Um die Mittagszeit wurde die Suche abgebrochen, und inzwischen machte bereits die Nachricht von Sullas Rückkehr die Runde in den Straßen von Rom. Eine Stunde später fiel einer der Hauswachen ein kleines Päckchen auf, das am Tor lehnte. Als er es öffnete, fand er darin die Uniform, die Sandalen und die Schwertscheide des Hauptmanns. Als man dem Hauptmann seine Sachen aushändigte, brach dieser in lautes Fluchen aus. Gaius wurde am Nachmittag zu Marius gerufen und hatte sich bereits eine Verteidigung für sein Handeln überlegt. Dem Legaten schien jedoch nichts von dem Skandal zu Ohren gekommen zu sein. Er wies Gaius lediglich an, sich zu den Zenturios zu setzen. »Zweifellos habt ihr inzwischen alle gehört, dass Sulla mit seiner Streitmacht an der Küste gelandet ist und nur drei oder vier Tage von der Stadt entfernt steht.« Die anderen nickten, nur Gaius musste seinen Schrecken verbergen so gut es ging. »Seit dem Tag, an dem Sulla nach Griechenland aufgebrochen ist, sind ein Jahr und vier Monate vergangen. Ich hatte mehr als genug Zeit, ihm einen angemessenen Empfang zu bereiten.« Einige der Männer lachten leise auf, und Marius lächelte grimmig. »Das ist kein leichtes Unterfangen. Ihr seid alle Männer, denen ich vertraue, und nichts von dem, was ich hier sage, darf diesen Raum verlassen. Redet nicht mit euren Frauen oder Geliebten darüber, und auch nicht mit euren besten Freunden. Ich zweifle nicht daran, dass Sulla seine Spione in der Stadt hat, die jede meiner Bewegungen beobachten. Meine Vorbereitungen bleiben ihm nicht verborgen, und er dürfte sich völlig darüber im Klaren sein, dass Rom zum Bürgerkrieg bereit ist.« Diese Worte, endlich offen ausgesprochen, erfüllten die Herzen aller, die sie vernahmen, mit Kälte. »Ich kann nicht alle meine Pläne offen legen, nicht einmal jetzt, mit Ausnahme dessen, was ich jetzt sage. Falls Sulla die Stadt lebend erreicht, was nicht unbedingt sein muss, so behandeln wir seine Legion wie eine feindliche Armee und vernichten sie im Kampf. Wir haben Vorräte an Getreide, Fleisch und Salz für viele Monate. Wir lassen ihn nicht in die Stadt und schlagen ihn an den Mauern. Schon jetzt ist der Verkehr nach Rom hinein und aus Rom heraus zum Stillstand gekommen. Die Stadt ist auf sich allein gestellt.« »Was ist, wenn er seine Legion im Lager lässt und herkommt, um seinen rechtmäßigen Zugang zu fordern?«, fragte ein Mann, den Gaius nicht kannte. »Willst du den Zorn des Senats riskieren? Willst du dich zum Diktator ernennen?« Marius schwieg lange, dann hob er den Kopf und sprach leise, fast flüsternd. »Wenn Sulla allein kommt, lasse ich ihn niedermachen. Der Senat wird mich nicht als Staatsverräter brandmarken. Ich habe in allem, was ich tue, seine Unterstützung.« Er sagte die Wahrheit: Es gab keinen Mann von Einfluss, der es wagen würde, dem Senat eine Eingabe vorzulegen, um den Legaten zu verurteilen. Die Position war eindeutig. »Und jetzt, meine Herren, die Tagesbefehle für morgen.« Cornelia wartete geduldig, bis ihr Vater fertig war. Sie ließ seinen Zorn über sich hinwegtoben, ohne dass er sie berührte. »Nein, Vater. Du wirst ihn nicht zur Strecke bringen lassen. Er wird mein Ehemann, und du wirst ihn in unserem Haus willkommen heißen, wenn die Zeit gekommen ist.« Cinnas neuerlicher Wutsausbruch ließ ihn abermals rot anlaufen. »Vorher sehe ich seinen Kadaver verfaulen! Er kommt wie ein Dieb in mein Haus, und du sitzt da wie ein Marmorblock und erzählst mir, dass ich zu all dem gute Miene machen soll? Das werde ich nicht tun, nicht, bevor sein Leichnam zerschlagen zu meinen Füßen liegt!« Cornelia seufzte leise und wartete geduldig darauf, dass die Tiraden sich erschöpften. Sie verschloss die Ohren vor dem Gebrüll und zählte die Blumen, die sie vom Fenster aus sehen konnte. Schließlich änderte sich der Ton, und ihre Aufmerksamkeit wandte sich wieder ihrem Vater zu, der sie zweifelnd musterte. »Ich liebe ihn, Vater, und er liebt mich. Es tut mir Leid, dass wir Schande über das Haus gebracht haben, aber die Hochzeit wird das alles auslöschen, egal, was auf dem Markt getratscht wird. Du hast mir doch gesagt, ich darf mir einen Mann aussuchen, weißt du nicht mehr?« »Bist du schwanger?« »Soweit ich weiß, nicht. Es wird nichts zu sehen sein, wenn wir heiraten, niemand wird sich das Maul zerreißen können.« Ihr Vater nickte. Mit einem Mal sah er älter aus, alt und ernüchtert. Cornelia erhob sich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du wirst es nicht bereuen.« Cinna grunzte skeptisch. »Kenne ich ihn, diesen Schänder der Unschuld?« Erleichtert über seinen Stimmungsumschwung lächelte Cornelia. »Bestimmt. Er ist der Neffe von Marius. Gaius Julius Cäsar.« Ihr Vater zuckte die Achseln. »Den Namen hab ich schon mal gehört.« 26 Cornelius Sulla saß bei gekühltem Wein im Schatten seines Zeltes und ließ den Blick über das Lager seiner Legion wandern. Es war die letzte Nacht, die er außerhalb seines geliebten Roms würde zubringen müssen. Er fröstelte ein wenig im Wind, und vielleicht auch im Vorgefühl der Auseinandersetzung, die unmittelbar bevorstand. Kannte er jeden Aspekt von Marius’ Plänen oder hielt der alte Fuchs eine Überraschung für ihn bereit? Nachrichten mit offiziellen Willkommensgrüßen lagen vor ihm auf dem Tisch, doch er sah in ihnen nichts anderes als Formalitäten und beachtete sie nicht. Padacus kam herbeigeritten, parierte sein Pferd schneidig aus vollem Lauf durch, sodass es beim Wenden mit den Hinterläufen einknickte. Sulla lächelte ihn an. Wie jung Padacus noch war, und was für ein ansehnlicher Mann, dachte Sulla bei sich. »Das Lager ist gesichert, Legat«, rief Padacus noch beim Absteigen. Jeder Riemen seiner Rüstung war poliert und glänzte im Sonnenlicht, das Leder war weich und dunkel vom Öl. Ein junger Herkules, dachte Sulla, als er den Gruß entgegennahm und ihn erwiderte. Dabei treu bis in den Tod, wie ein verhätschelter Jagdhund. »Morgen Abend ziehen wir in die Stadt ein. Heute ist die letzte Nacht, die wir wie Barbaren auf dem blanken Erdboden verbringen müssen«, sagte Sulla, der dem einfachen Bild den Vorzug vor der Wirklichkeit weicher Betten und erlesenen Leinens zumindest im Legatszelt gab. Sein Herz war bei den Männern, doch die Entbehrungen des Legionärslebens waren dem Konsul noch nie sonderlich verlockend erschienen. »Weihst du uns in deine Pläne ein, Cornelius? Die anderen sind gespannt, wie du mit Marius verfahren willst.« Padacus war in seinem Enthusiasmus ein Stück zu weit vorgeprescht, und Sulla hob abwehrend die Hand. »Morgen, mein Freund. Morgen ist noch Zeit genug für Vorbereitungen. Ich ziehe mich heute Abend früh zurück, nachdem ich noch ein wenig Wein zu mir genommen habe.« »Hast du Bedarf an ... Gesellschaft?«, erkundigte sich Padacus leise. »Nein. Warte. Schick mir ein paar der besser aussehenden Huren. Ich kann ebenso gut mal sehen, ob ich noch etwas Neues zu lernen habe.« Padacus ließ den Kopf sinken, als hätte man ihn geschlagen. Er ging zurück zu seinem Pferd und trabte davon. Sulla sah zu, wie er sich steif entfernte, seufzte, und goss den verbliebenen Wein aus seinem Becher auf den schwarzen Boden. Der junge Mann hatte sich schon zum dritten Mal angeboten, und Sulla musste sich der Tatsache stellen, dass er allmählich zu einem Problem wurde. Die Grenze zwischen Bewunderung und Verstimmung war bei dem jungen Padacus sehr schmal. Es war wohl besser, ihn zu einer anderen Legion zu schicken, bevor er Schwierigkeiten machte, über die niemand mehr hinwegsehen konnte. Er seufzte erneut, ging ins Zelt und zog die Lederplane des Eingangs hinter sich zu. Die Lampen waren von Sklaven angezündet worden, der Boden war mit Teppichen und Decken ausgelegt. Süßlich riechendes Öl brannte in einem kleinen Napf, eine seltene Mixtur, die ihm sehr gefiel. Sulla holte tief Luft und nahm aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung wahr, die von rechts auf ihn zukam. Sofort ließ er sich nach hinten aus der Angriffslinie fallen und spürte, wie etwas über ihm durch die Luft sauste. Sulla trat kräftig aus und riss den Angreifer von den Beinen. Während der Attentäter noch am Boden zappelte, packte Sulla seine Messerhand mit einem unerbittlichen Griff. Dann zog er sich so nach oben, dass sein Gewicht auf dem Brustkorb des anderen Mannes lag, und lächelte, als er sah, wie sich der Ausdruck des Mannes von Wut in Angst und von Überraschung in Verzweiflung verwandelte. Sulla war kein verweichlichter Mann. Zwar hatte er nicht viel für die extremeren römischen Mutproben übrig, bei denen Verletzungen und Narben für Kühnheit standen, aber er übte sich jeden Tag mit den Waffen und kämpfte bei jeder Schlacht mit. Seine Handgelenke waren wie Metall, sodass er die Klinge ohne Schwierigkeiten nach innen drehen konnte, bis sie auf die Kehle des Mannes zeigte. »Wie viel hat Marius dir dafür gezahlt?«, fragte er verächtlich. Seine Stimme verriet nur einen Hauch von Anstrengung. »Nichts. Dich töte ich aus Vergnügen.« »Ein Amateur der Tat und des Wortes!«, fuhr Sulla fort und drückte die Messerspitze näher an die pulsierende Haut. »Wache! Kommt eurem Konsul zu Hilfe!«, bellte er, und innerhalb weniger Sekunden lag der Mann so auf den Boden gepresst, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Sulla stand auf und klopfte sich den Staub ab. Der Hauptmann der Wache war mit mehreren anderen Soldaten hereingekommen. Er war blass, schaffte es aber immerhin noch, präzise zu salutieren und Haltung anzunehmen. »Wie es aussieht, konnte sich ein Attentäter durch das ganze Lager bis zum Zelt des Konsuls von Rom schleichen, ohne dass ihn jemand aufgehalten hätte«, sagte Sulla leise, tauchte dabei die Hände in eine Schüssel mit Duftwasser auf einem Eichentisch und streckte sie von sich, damit sie von einem Sklaven abgetrocknet wurden. Der Hauptmann der Wache holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Die Folter wird uns die Namen seiner Herren liefern. Ich führe die Befragung selbst durch. Mit deiner Erlaubnis, Legat, trete ich morgen von meinem Posten als Offizier zurück.« Sulla fuhr fort, als hätte der Mann überhaupt nichts gesagt. »Es gefällt mir überhaupt nicht, in meinem eigenen Zelt überfallen zu werden. Es ist so ein gewöhnlicher, ordinärer Zwischenfall, meine Ruhe auf diese Weise zu stören.« Er bückte sich und hob den Dolch auf, ohne auf dessen sich windenden Eigentümer zu achten, der von den Soldaten noch immer mit wütender Brutalität zu Boden gedrückt wurde. Dann hielt er die schmale Klinge dem Hauptmann hin. »Du hast mich ohne Schutz gelassen. Nimm das. Geh in dein Zelt und schneide dir damit die Kehle durch. Ich lasse deinen Leichnam abholen, sagen wir ... in zwei Stunden?« Der Mann nickte steif und nahm den Dolch. Er salutierte wieder, machte kehrt und verließ das Zelt. Padacus legte eine warme Hand auf Sullas Arm. »Bist du verletzt?« Sulla zog den Arm verärgert weg. »Alles in Ordnung. Bei den Göttern, es war ja nur einer. Marius muss eine ziemlich schlechte Meinung von mir haben.« »Wir wissen nicht, ob es nur einer war. Ich lasse heute Nacht rings um dein Zelt Wachen aufstellen.« Sulla schüttelte den Kopf. »Nein. Damit Marius denkt, er hätte mir Angst eingejagt? Ich begnüge mich mit den beiden Huren, die du mir besorgen sollst, und sehe zu, dass eine von ihnen die ganze Nacht über wach ist. Bring sie her und schaff mir alle anderen vom Hals. Ich glaube, mein Appetit auf ein bisschen lasterhafte Unterhaltung ist geweckt.« Padacus salutierte formvollendet, aber Sulla sah, wie sich seine vollen Lippen schmollend verzogen, als er sich zum Gehen wandte. Der Mann war eindeutig ein Risiko. Er würde es nicht bis nach Rom zurück schaffen. Vielleicht ein kleiner Unfall ... ja, ein Sturz von seinem wundervollen Wallach. Perfekt. Wenigstens war er jetzt allein. Sulla setzte sich auf ein niedriges Bett und ließ die Hand über das weiche Material gleiten. Von draußen war leises, weibliches Husten zu hören, und Sulla lächelte zufrieden. Die beiden Mädchen, die auf seinen Ruf hin eintraten, waren sauber, geschmeidig und prächtig gekleidet. Beide waren wunderschön. »Vortrefflich«, seufzte Sulla und klopfte neben sich auf das Bett. Trotz all seiner Fehler besaß Padacus ein gutes Auge für wirklich schöne Frauen - unter diesen Umständen eine wahrlich verschwendete Gabe. Marius sah seinen Neffen düster an. »Ich stelle nicht deine Entscheidung zu heiraten in Frage! Cinna wird dir bei deiner Karriere sehr nützlich sein. Die Vermählung mit seiner Tochter wird dir sowohl politisch als auch persönlich sehr gelegen kommen. Was ich dir ankreide, ist deine Zeitplanung. Ausgerechnet jetzt, wo Sullas Legion höchstwahrscheinlich morgen Abend vor den Toren der Stadt aufmarschiert, verlangst du von mir, dass ich in aller Eile eine Hochzeit ausrichte?« Ein Legionär kam hastig herein und versuchte, mit einem Arm voll Schriftrollen und Dokumenten vor dem Legaten zu salutieren. Marius hob eine Hand, um ihn fern zu halten. »Du hast doch mit mir über bestimmte Pläne gesprochen, falls morgen nicht alles nach Wunsch läuft«, sagte Gaius mit ruhiger Stimme. Marius nickte und wandte sich an die Wache. »Warte draußen. Ich rufe dich, wenn ich hier fertig bin.« Der Mann versuchte einen zweiten Gruß und trollte sich aus der Barackenunterkunft. Sobald er außerhalb der Hörweite war, erhob Gaius abermals die Stimme. »Wenn etwas für uns schief geht ... und ich aus der Stadt fliehen muss, möchte ich Cornelia nicht unverheiratet zurücklassen.« »Sie kann nicht mit dir gehen!«, fuhr ihn Marius an. »Nein, das nicht. Aber ich kann sie nicht ohne den Schutz meines Namens zurücklassen. Es kann gut sein, dass sie schwanger ist.« Er gab das Ausmaß ihrer Beziehung nur ungern preis. Das war etwas, das nur ihn und sie etwas anging, doch nur Marius konnte in der kurzen Zeit, die ihnen blieb, die Opfer und die Priester organisieren, deshalb musste er ihm verständlich machen, worum es ihm ging. »Verstehe. Weiß ihr Vater von ... eurem innigen Verhältnis?« Gaius nickte. »Dann können wir ja von Glück reden, dass er nicht mit einer Pferdepeitsche vor der Tür steht. Na schön. Ich kümmere mich um die Zeremonie. Aber nur das Allernotwendigste. Morgen bei Tagesanbruch?« Gaius musste plötzlich lächeln. Der Druck, der immer stärker auf ihm gelastet hatte, war von ihm gewichen. »So gefällst du mir schon besser«, meinte Marius lachend. »Bei den Göttern, Sulla ist noch nicht einmal in Sicht und weit davon entfernt, mir Rom wegzunehmen. Ich fürchte, du rechnest zu sehr mit dem Schlimmsten. Morgen Abend kommt dir deine Hast wahrscheinlich lächerlich vor, wenn wir Sullas Kopf auf einen Spieß stecken, aber egal. Geh jetzt. Kauf ein Hochzeitsgewand und Geschenke. Die Rechnungen gehen alle an mich.« Er klopfte Gaius auf den Rücken. »Ach, und bevor du gehst, schau noch mal bei Catia vorbei. Das ist eine schon etwas reifere Dame, die Uniformen für die Männer schneidert. Sie weiß bestimmt, wo man das eine oder andere innerhalb kürzester Zeit besorgen kann. Und jetzt geh!« Gaius verließ schmunzelnd den Raum. Sobald er draußen war, rief Marius seinen Adjutanten herein, ließ ihn die Rollen auf dem Tisch ausbreiten und die Ecken mit glatten Bleigewichten beschweren. »Sehr schön«, sagte er zu dem Soldaten. »Hol die Zenturios zu einer weiteren Besprechung her. Ich möchte alle neuen Ideen hören, wie bizarr sie auch sein mögen. Woran habe ich nicht gedacht? Was könnte Sulla vorhaben?« »Vielleicht hast du bereits an alles gedacht, Legat.« »Niemand kann an alles denken. Wir können uns lediglich auf alles vorbereiten.« Damit entließ Marius den Mann mit einer Handbewegung. Als Gaius Cabera fand, war der Alte gerade mit zweien von Marius’ Legionären beim Würfeln. Er war ganz in das Spiel versunken, und Gaius musste seine Ungeduld zügeln, als er noch einen Wurf machte und vor Freude in die welken Hände klatschte. Münzen wechselten ihren Besitzer, und Gaius zog ihn am Arm weg, bevor die nächste Runde anfing. »Ich habe mit Marius gesprochen. Er arrangiert die Zeremonie für morgen früh, gleich bei Tagesanbruch. Ich brauche heute Hilfe, damit auch wirklich alles klappt.« Cabera sah ihn aufmerksam an und verstaute seinen Gewinn in seinem zerschlissenen braunen Gewand. Er nickte den Soldaten zu, und einer von ihnen schüttelte ihm ein wenig schwermütig die Hand, bevor er wegging. »Ich bin gespannt darauf, dieses Mädchen kennen zu lernen, das einen solchen Eindruck auf dich gemacht hat. Ich nehme an, sie ist unglaublich hübsch?« »Selbstverständlich! Sie ist eine junge Göttin. Honigbraune Augen und goldenes Haar. Sie ist einfach unbeschreiblich, du kannst es dir nicht vorstellen.« »Nein. Ich bin nie jung gewesen. Ich bin schon als faltiger alter Mann zur Welt gekommen, sehr zur Überraschung meiner Mutter«, antwortete Cabera mit ernster Stimme, was Gaius zum Lachen brachte. Er war vor Aufregung wie betrunken, und über allem ragte der Schatten von Sullas Ankunft immer drohender in seinem Bewusstsein auf. »Marius hat mir freie Hand gelassen, aber die Läden machen schon so früh zu. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Komm schon!« Gaius zog Cabera am Arm, und der Alte musste über so viel Überschwang vor sich hin kichern. Als sich der Abend über die Stadt senkte, verließ Marius die Zenturios und ging hinaus, um die Verteidigungsanlagen an den Mauern noch einmal zu kontrollieren. Beim Gehen streckte er sich und hörte und spürte, wie sein Rücken knackte. Nach den vielen Stunden, die er über den Plänen gebeugt war, schmerzte er merklich. Eine innere Stimme warnte ihn davor, wie dumm es sei, nach Einbruch der Dunkelheit allein in der Stadt herumzuspazieren, auch wenn die Ausgangssperre noch immer nicht aufgehoben war. Er tat den Gedanken mit einem Achselzucken ab. Rom würde ihm niemals etwas antun. Er wusste, dass die Stadt ihren Sohn viel zu sehr liebte. Wie als Antwort auf seine Gedanken spürte er einen erfrischenden warmen Wind auf dem Gesicht, der den Schweiß trocknete, der sich in der überfüllten Baracke auf seiner Haut gebildet hatte. Wenn er erst einmal mit Sulla fertig war, würde er einen größeren Palast für die römische Legion errichten lassen. Direkt neben den jetzigen Unterkünften lag ein Elendsviertel, das per Senatsbeschluss abgerissen werden konnte. Er sah es schon genau vor sich und malte sich aus, wie er in den neuen, weitläufigen Hallen fremde Staatsmänner bewirtete. Es waren Träume, doch sie waren erfreulich, als er so durch die stillen Straßen ging, in denen lediglich das Klack-Klack seiner Sandalen die tiefe Stille störte. Gegen den mit Sternen übersäten Nachthimmel sah er die Silhouetten seiner Männer. Einige standen ruhig da, andere machten ihre vorgeschriebenen, einander überschneidenden Runden. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass sie wachsam waren. Gute Männer. Wer konnte sagen, was sie erwartete, wenn die nächste Nacht heraufzog? Wieder zuckte er mit den Schultern und war froh, dass ihn in den düsteren Straßen niemand sehen konnte. Sulla würde kommen, und er würde ihn mit Stahl empfangen. Es hatte keinen Sinn, sich darüber Sorgen zu machen, und Marius holte tief Luft, um die finsteren Gedanken zu vertreiben. Als ihn der erste von vielen Wachtposten anhielt, lächelte er bereits zuversichtlich. »Guter Junge. Halt den Speer jetzt gut fest. Ein Pilum ist in den richtigen Händen eine Furcht einflößende Waffe. So ist’s gut. Ich dachte, ich schau mir diesen Abschnitt mal genauer an. Die Warterei gefällt mir überhaupt nicht. Dir?« Der Posten salutierte ernst. »Mir macht das nichts aus, Herr. Du kannst passieren.« Marius klopfte dem Posten auf die Schulter. »Guter Mann. An dir kommen sie nicht vorbei.« »Nein, Herr.« Der Legionär sah ihm nach und nickte vor sich hin. Der Alte hatte immer noch Biss. Marius stieg die Stufen zu der neuen Mauer hinauf, die seine Legion über und um die alten Tore Roms errichtet hatte. Es war eine solide, massive Konstruktion aus schweren, gegeneinander versetzten Steinblöcken, mit einem breiten Laufgang auf der Krone, wo eine kleinere Mauer seine Männer vor feindlichen Pfeilen schützte. Marius stützte die Hände auf den glatten Stein und schaute in die Nacht hinaus. Wenn er Sulla wäre ... wie würde er die Stadt einnehmen wollen? Sullas Legionen verfügten über gewaltige Belagerungsmaschinen: schwere Armbrüste, Steinschleudern und Katapulte. Marius hatte sie selbst schon eingesetzt und fürchtete sie alle. Er wusste, dass Sulla seine Maschinen nicht nur mit großen Steinen zum Zerschmettern der Mauern, sondern auch mit kleinteiligeren Geschossen bestücken konnte, die diejenigen Verteidiger, die sich nicht rechtzeitig duckten, in Fetzen rissen. Er würde Feuer einsetzen, Fässer mit Steinöl über die Mauer schleudern, um die dahinter liegenden Gebäude in Brand zu setzen. Genügend Fässer, damit die Männer auf der Mauer von hinten beleuchtet wurden und den Bogenschützen bessere Ziele boten. Marius hatte einige Holzgebäude hinter der Mauer abreißen lassen; seine Männer hatten die Behausungen rasch und gründlich auseinander genommen. Diejenigen, die er nicht entfernen konnte, waren mit gewaltigen Wasservorräten und gut ausgebildeten Mannschaften ausgestattet, die damit umgehen konnten. Diese Maßnahme war eine neue Idee für Rom, eine Vorstellung, über die er genauer nachdenken musste, sobald die Schlacht vorüber war. Jeden Sommer brannten etliche Häuser aus, und manchmal sprang das Feuer auf andere Häuser über, bevor es von einer breiten Straße oder einer dicken Steinmauer aufgehalten wurde. Eine kleine Gruppe, die zur rechten Zeit mit genügend Wasser bereit stand, könnte . Er rieb sich mit den Fingerknöcheln die Augen. Er verbrachte zu viel Zeit mit Denken und Planen. Seit Wochen hatte er kaum mehr als ein paar Stunden am Stück geschlafen, und allmählich machte sich die Entbehrung selbst bei seiner Vitalität bemerkbar. Die Mauer musste mit Leitern erklommen werden. Sie war stark, aber römische Legionen waren geübt darin, Festungen und Burgen einzunehmen. Die dazu erforderlichen Techniken waren inzwischen fast alltäglich geworden. Marius murmelte vor sich hin, in dem Wissen, dass der nächste Posten zu weit entfernt war, um ihn zu hören. »Sie haben noch nie gegen Römer gekämpft, schon gar nicht gegen Römer, die ihre eigene Stadt verteidigen. Das ist unser wahrer Vorteil. Ich kenne Sulla, aber er kennt mich auch. Die Mobilität ist auf ihrer Seite, aber wir haben das Bollwerk, außerdem ist die Moral auf unserer Seite. Schließlich sind es nicht meine Männer, die unser geliebtes Rom angreifen.« Von den eigenen Gedanken aufgemuntert, ging Marius hinüber zum nächsten Mauerabschnitt. Er sprach mit jedem Mann und erkundigte sich bei diesem und jenem, zu dem ihm ein Name einfiel, nach dem Befinden, der Karriere und der Familie. Bei keinem, mit dem er redete, konnte er Unmut oder Verzagen feststellen. Sie waren wie Jagdhunde, begierig darauf, für ihn zu töten. Als er den ganzen Abschnitt abgeschritten hatte und wieder in die dunklen Straßen hinabstieg, fühlte sich Marius von dem einfachen Glauben der Männer an ihn erhoben. Er würde für sie sorgen. Sie würden für ihn sorgen. Auf dem Weg zurück in die Unterkünfte summte er eine Militärmelodie vor sich hin. Jetzt war sein Herz wieder leicht. 27 Gaius Julius Cäsar lächelte, trotz des Anflugs von nervöser Schwäche, der seinen Magen flattern ließ. Mithilfe von Marius’ Näherin hatte er fast den ganzen Abend Diener zum Einkaufen und mit anderen Aufträgen ausgesandt. Er wusste, dass die Zeremonie einfach sein musste und staunte, dass so viele Angehörige der Nobilitas an diesem kalten Morgen erschienen waren. Die Senatoren waren mit ihren Familien und Sklaven zum Tempel des Jupiter gekommen, und jedem Blick, dem er begegnete, folgte ein Lächeln. Das Aroma von Blüten und brennendem Duftholz lag schwer in der Luft. Marius und Metella standen am Eingang des Marmortempels; Metella tupfte sich Tränen aus den Augen. Gaius nickte beiden nervös zu, während er auf die Ankunft seiner Braut wartete. Er zupfte an den Ärmeln seines Hochzeitsgewandes, dessen tiefer Halsausschnitt einen einzelnen Amethyst an einer dünnen Goldkette sehen ließ. Er wünschte, Marcus wäre hier. Es hätte ihm sehr geholfen, jemanden bei sich zu haben, der ihn wirklich kannte. Alle anderen gehörten zu der Welt, in die er erst hineinwachsen sollte: Tubruk, Cabera, Marius, sogar Cornelia selbst. Mit einem Stich wurde ihm bewusst, dass er, damit das alles um ihn herum wirklich erscheinen konnte, jemanden brauchte, der ihm in die Augen blickte und die ganze Reise bis zu diesem Punkt kannte. Stattdessen weilte Marcus in fremden Landen, als der wilde Abenteurer, der er schon immer hatte sein wollen. Wenn er irgendwann zurückkehrte, war der Hochzeitstag nicht mehr als eine Erinnerung, an der er niemals würde teilhaben können. Im Tempel war es kühl. Einen Augenblick lang erschauerte Gaius und spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Er war in einem Raum voller Leute, die ihn überhaupt nicht kannten. Wäre sein Vater noch am Leben, hätte er gemeinsam mit ihm auf Cornelia warten können. Sie hätten ein Lächeln oder ein Augenzwinkern austauschen und damit sagen können: »Sieh dir an, was ich getan habe.« Gaius spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, und blickte hinauf zur Deckenwölbung, weil er nicht wollte, dass sie ihm über das Gesicht liefen. Mit der Beerdigung seines Vaters hatte seine Mutter ihren Frieden vollends verloren. Als Gaius gefragt hatte, ob es ihr möglich sei zu kommen, hatte Tubruk den Kopf geschüttelt. Der alte Gladiator liebte sie so sehr wie sonst niemand, das wusste er. Vielleicht war es schon immer so gewesen. Gaius räusperte sich und holte seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Er musste die Kindheit hinter sich lassen. Auch hier waren viele Freunde versammelt, sagte er sich. Tubruk mit seiner knurrigen Zuneigung war ihm wie ein Onkel, und Marius und Metella schienen ihn ohne Vorbehalte akzeptiert zu haben. Marcus hätte da sein sollen. Das schuldete er ihm. Gaius hoffte, dass sich Cinna einigermaßen wohlwollend zeigen würde. Seit er offiziell um Cornelias Hand angehalten hatte, hatte er mit dem Mann kein Wort mehr gewechselt. Es war kein fröhliches Zusammentreffen gewesen, obwohl der Senator um ihretwillen seine Würde bewahrt hatte. Zumindest war er hinsichtlich der Mitgift für Cornelia nicht knauserig gewesen. Cinna hatte ihm die Urkunden für ein großes Stadthaus in einem gefragten Viertel der Stadt überschrieben. Da zu dem Geschenk auch Sklaven und Wachpersonal gehörten, hatte sich Gaius von einer großen Last befreit gefühlt. Was auch geschah, jetzt würde Cornelia in Sicherheit sein. Er runzelte die Stirn. Jetzt musste er sich auch an den neuen Namen gewöhnen und den alten mit all den anderen Fesseln der Jugend abwerfen. Julius. Der Name seines Vaters. Er hatte einen guten Klang, obwohl er vermutete, dass er für diejenigen, die ihn schon als Knaben gekannt hatten, immer Gaius bleiben würde. Es machte ihn traurig, dass sein Vater nicht miterleben konnte, wie er seinen Erwachsenennamen annahm. Er fragte sich, ob der alte Mann seinen einzigen Sohn sehen konnte und wünschte sich, nur in diesem einen Augenblick seinen Stolz und seine Liebe mit ihm zu teilen. Er drehte sich um und schenkte Cabera ein schwaches Lächeln. Dieser musterte ihn mit säuerlicher Miene, und sein schütteres Haar war vom frühen Aufstehen zu einer nach seinen Worten gottlosen Stunde noch immer ein wenig zerzaust. Auch er trug zu diesem feierlichen Anlass eine neue braune Robe mit einer einfachen Zinnspange, auf deren Antlitz ein fettgesichtiger Mond zu sehen war. Julius erkannte ihn als Alexandrias Werk und lächelte Cabera an, der sich zur Antwort heftig die Achselhöhle kratzte. Julius lächelte einfach weiter, und nach ein paar Sekunden verzogen sich die alten Gesichtszüge trotz aller Bedenken zu einem freundlichen Grinsen. Die Zukunft war für Cabera verdunkelt, wie immer, wenn er Teil eines besonderen Schicksals war. Der alte Mann ärgerte sich immer wieder darüber, dass er nur die Pfade erahnen konnte, die wenig Einfluss auf sein eigenes Leben hatten, doch sogar der Schatten seiner bösen Ahnung konnte ihn nicht davon abhalten, an der jugendlichen Freude teilzuhaben, die ihm von Julius wie eine warme Woge entgegenschlug. Eine Hochzeit, sogar eine so eilig arrangierte wie diese hier, war immer etwas Besonderes. Alle waren glücklich, und zumindest für diese begrenzte Zeit konnte man alle bevorstehenden Probleme vergessen oder sie zumindest bis zum Sonnenuntergang beiseite schieben. Julius hörte Schritte auf dem Marmorboden hinter sich. Er drehte sich um und sah, dass sich Tubruk von seinem Sitz erhoben hatte und auf den Altar zuging. Der Verwalter sah aus wie immer, kräftig, gebräunt und gesund, und Julius ergriff seinen Arm, der ihm wie ein Anker in dieser stürmischen Welt vorkam. »Du hast hier oben ein bisschen verloren ausgesehen. Wie geht es dir?«, erkundigte sich Tubruk. »Ich bin nervös. Stolz. Erstaunt, dass so viele gekommen sind.« Tubruk blickte mit neuem Interesse in die Menge und drehte sich mit erhobenen Augenbrauen wieder um. »Ein Großteil der Macht Roms ist in diesem Raum versammelt. Dein Vater wäre stolz auf dich. Ich bin stolz auf dich.« Er hielt einen Augenblick inne, weil er nicht genau wusste, wie er fortfahren sollte. »Deine Mutter wäre gern gekommen, aber sie war einfach zu schwach.« Julius nickte, und Tubruk kniff ihm freundschaftlich in den Arm, bevor er sich wieder auf seinen Platz ein paar Reihen weiter hinten begab. »In meinem Dorf packen wir das Mädchen einfach an den Haaren und schleppen sie in unsere Hütte«, murmelte Cabera und riss damit den glückselig dreinschauenden Priester aus seiner Seelenruhe. Angesichts dessen setzte der alte Mann frohgemut noch einen drauf: »Wenn das nicht klappt, schenkt man ihrem Vater eine Ziege und schnappt sich eine ihrer Schwestern. Mit dieser Lösung sind alle einverstanden. Kein böses Blut und jede Menge kostenloser Ziegenmilch für den Vater. Als ich jung war, hatte ich eine Herde mit dreißig Ziegen, aber die meisten musste ich weggeben, sodass ich am Ende nicht mehr genug hatte, um für meinen Unterhalt zu sorgen. Keine kluge Entscheidung, aber wer möchte sie schon bedauern, was?« Bei diesen beiläufig hingeworfenen Anspielungen auf barbarische Praktiken war dem Priester die Röte ins Gesicht geschossen, doch Julius lachte nur leise auf. »Du alter Aufschneider. Du willst doch nur diese aufrechten römischen Bürger schockieren.« »Vielleicht«, räumte Cabera ein und dachte an den Ärger, den er sich eingehandelt hatte, als er freimütig seine letzte Ziege im Voraus für eine Nacht der Lust angeboten hatte. Damals war ihm das ganz vernünftig vorgekommen, doch der Vater des Mädchens hatte einen Speer von der Wand genommen und den jungen Cabera hinauf in die Berge gejagt, wo er sich drei Tage und drei Nächte verstecken musste. Der Priester musterte Cabera mit Abscheu. Er selbst gehörte der Nobilitas an, trug jedoch in seiner religiösen Rolle eine cremefarbene Toga mit Kapuze, die nur sein Gesicht frei ließ. Geduldig wartete er mit den anderen auf die Braut. Julius hatte erklärt, dass die Zeremonie so einfach wie möglich gehalten werden müsse, weil sein Onkel zum frühest möglichen Zeitpunkt gehen wollte. Der Priester hatte sich in offenkundigem Missfallen am Kinn gekratzt, bis Julius ihm einen kleinen Beutel voller Münzen als »Opfergabe für den Tempel« ins Gewand geschoben hatte. Sogar die Nobilitas hatte Rechnungen und Schulden zu bezahlen. Die Zeremonie würde kurz ausfallen. Nachdem Cornelia hereingeführt worden war, um von ihrem Vater weggegeben zu werden, würden Gebete an Jupiter, Mars und Quirinus gesprochen werden. Einem Auguren war Gold gezahlt worden, damit er den beiden Glück und Wohlstand weissagte. Danach folgten die Gelübde, und Julius würde ihr einen einfachen goldenen Ring auf den Finger stecken. Dann würde sie seine Gemahlin sein. Und er ihr Ehemann. Er spürte, wie sich Schweiß in seinen Achselhöhlen sammelte, und versuchte seine Nervosität abzuschütteln. Er drehte sich wieder um und blickte direkt in die Augen von Alexandria, die in einem einfachen Kleid mit einer Silberspange dastand. Tränen glitzerten in ihrem Blick, doch sie nickte ihm zu, und etwas in ihm löste sich. Leise Musik ertönte im Hintergrund, schwoll an, bis sie die gewölbte Decke ebenso erfüllte wie der Weihrauchduft, der aus den Fässern strömte. Julius sah sich um, hielt den Atem an, und alles andere war vergessen. Dort stand Cornelia, aufrecht und gerade in einem cremefarbenen Kleid und einem dünnen goldenen Schleier, die Hand auf dem Arm ihres Vaters, der eindeutig nicht in der Lage war, ein strahlendes Lächeln aus seinem Gesicht zu wischen. Ihr Haar war dunkler getönt worden, und ihre Augen schienen die gleiche warme Farbe zu haben. An ihrem Hals hing ein Rubin von der Größe eines Vogeleis; die goldene Fassung hob sich vom helleren Ton ihrer Haut ab. Sie sah schön und zerbrechlich aus. Auf ihrem Kopf saß ein kleiner Kranz aus Verbenen und echten Majoranblüten, deren Duft er roch, als sie und ihr Vater näher kamen. Als die beiden Julius erreicht hatten, ließ Cinna ihren Arm los und blieb einen Schritt hinter ihr stehen. »Ich übergebe Cornelia in deine Obhut, Gaius Julius Cäsar«, sagte er förmlich. Julius nickte. »Ich übernehme sie in meine Obhut.« Er wandte sich zu ihr, und sie zwinkerte ihm zu. Als sie niederknieten, roch er wieder den Blumenduft und konnte nicht umhin, einen kurzen Blick auf ihren gesenkten Kopf zu werfen. Er fragte sich, ob er sie auch hätte lieben können, wenn er Alexandria nicht gekannt hätte, oder wenn er ihr begegnet wäre, bevor er in die Häuser gegangen war, in denen man Frauen für eine Nacht oder auch nur für eine Stunde kaufen konnte. Damals, ein Jahr und ein ganzes Leben früher, wäre er für das hier nicht bereit gewesen. Die Gebete erhoben sich wie ein friedliches Murmeln über ihren Köpfen, und er war es zufrieden. Cornelias Augen waren sanft wie die Schatten einer Sommernacht. Die restliche Zeremonie huschte undeutlich an ihm vorüber. Das einfache Gelübde wurde gesprochen: »Wo du hingehst, da werde auch ich hingehen.« Er kniete unter der Hand des Priesters, was ihm wie eine Ewigkeit vorkam, und dann waren sie draußen im Sonnenschein, und die Menge johlte und schrie: »Felicitas!«, und Marius verabschiedete sich mit einem heftigen Schlag auf den Rücken von ihm. »Jetzt bist du ein Mann, Julius. Oder sie wird sehr bald einen aus dir machen!«, sagte er laut mit einem Augenzwinkern. »Du trägst den Namen deines Vaters. Er wäre stolz auf dich.« Julius erwiderte seinen Griff ebenso kräftig. »Brauchst du mich jetzt auf den Mauern?« »Ich denke, wir können dich für ein paar Stunden entbehren. Melde dich heute Nachmittag zur vierten Stunde bei mir. Bis dahin ist Metella wahrscheinlich auch mit Heulen fertig.« Sie grinsten einander an wie Jungen, dann war Julius einen Augenblick allein mit seiner Braut in einer Meute von Leuten, die sie beglückwünschen wollten. Alexandria kam herbei, und er lächelte, mit einem Mal nervös. Sie trug ihr dunkles Haar mit Draht zusammengebunden, und bei ihrem Anblick schnürte sich seine Kehle zusammen. In diesen dunklen Augen lag so viel Geschichte. »Du trägst eine sehr hübsche Spange«, sagte er. Sie hob die Hand und tippte mit der Hand darauf. »Du würdest dich wundern, wie viele Leute sich heute morgen schon danach erkundigt haben. Ich habe sogar schon ein paar Bestellungen entgegen genommen.« »Geschäfte an meinem Hochzeitstag!«, rief er empört, und sie nickte ohne Scham. »Mögen die Götter dein Haus segnen«, sagte sie förmlich. Dann wandte sie sich ab, und als er sich umdrehte, sah er, dass Cornelia ihn fragend ansah. Er küsste sie. »Sie ist sehr schön. Wer ist das?«, fragte sie mit einem leisen Unterton der Besorgnis. »Alexandria. Eine Sklavin im Haus des Marius.« »Sie benimmt sich nicht wie eine Sklavin«, bemerkte Cornelia zweifelnd. Julius lachte. »Höre ich da so etwas wie Eifersucht?« Cornelia lächelte nicht, und er nahm zärtlich ihre Hand. »Du bist alles, was ich will. Meine wunderschöne Gemahlin. Komm in unser neues Haus, dort werde ich es dir beweisen.« Als er sie küsste, entspannte Cornelia sich. Doch sie beschloss, alles über dieses Sklavenmädchen mit dem Schmuck in Erfahrung zu bringen. In dem neuen Haus gab es weder Möbel noch Sklaven. Außer ihnen selbst war niemand da, und ihre Stimmen hallten in den leeren Räumen. Das aus dunklem Holz geschnitzte Bett war ein Geschenk von Metella. Wenigstens lag eine Matratze auf den Bohlen, und darüber war weiches Leinen gespannt. Im ersten Augenblick kamen sie sich unbeholfen vor, gehemmt durch die Last ihrer neuen Rollen. »Ich glaube, du darfst mir meine Toga ausziehen, Eheweib«, sagte Julius heiter. »Das werde ich auch tun, mein Gatte. Und du könntest mir vielleicht das Haar lösen.« Dann überwand ihre vertraute Leidenschaft die Unbeholfenheit und hielt den ganzen Nachmittag an, während es draußen immer heißer wurde. Julius keuchte. Sein Haar war nass geschwitzt. »Heute Abend bin ich bestimmt völlig erschöpft«, stieß er mühsam hervor. Cornelia runzelte die Stirn. »Du passt doch auf dich auf?« »Überhaupt nicht. Ich werfe mich in die Schlacht, und wenn es nicht dazu kommt, dann zettele ich selbst eine an, nur um dich zu beeindrucken!« Ihre Finger folgten einer Linie auf seiner Brust und bildeten eine kaum sichtbare Kuhle auf der weichen Haut. »Du kannst mich auf ganz andere Weise beeindrucken.« »Aber nicht gleich jetzt«, stöhnte er. »Lass mir eine Verschnaufpause.« Ihre Augen glitzerten übermütig, als sie ihre feingliedrigen Finger wieder in Bewegung setzte. »Vielleicht bin ich dafür zu ungeduldig. Und ich glaube, ich weiß auch schon, wie ich dein Interesse wecken kann.« Kurz darauf stöhnte er wieder und zerknüllte die Laken in seinen geballten Fäusten. Um vier Uhr hämmerte Julius an das Tor zu den Unterkünften der Stadtlegion. Dort erfuhr er, dass der Legat bereits auf der Mauer sei und dort Abschnitt für Abschnitt inspiziere. Julius hatte seine Toga gegen eine einfache Legionärsuniform aus Tuch und Leder eingetauscht. Sein Gladius hing am Gürtel, den Helm trug er unter dem Arm. Nach den Stunden mit Cornelia war ihm ein wenig schwindlig, doch er stellte fest, dass es ihm durchaus möglich war, dieses Verlangen in einem bestimmten Teil seines Selbst verschlossen zu halten. Er würde als junger Liebhaber zu ihr zurückkehren, im Augenblick jedoch war er Soldat, der Neffe des Marius, ausgebildet von Renius selbst. Als er Marius fand, unterhielt dieser sich gerade mit einer Gruppe seiner Offiziere. Julius blieb ein paar Schritte entfernt stehen und ließ den Blick ringsum über die Vorbereitungen wandern. Marius hatte seine Legion in kleine, mobile Trupps zu je sechzehn Mann aufgeteilt und jedem von ihnen spezielle Aufgaben zugewiesen. Dadurch waren sie flexibler, als wenn jede Zenturie für sich auf der Mauer stand. Sämtliche Kundschafter berichteten, dass Sulla direkt auf die Stadt zumarschiert kam, ohne Anzeichen für eine Finte oder einen Trick. Es sah ganz so aus, als wolle Sulla einen direkten Angriff riskieren, doch Marius hielt nach wie vor einen anderen Plan für möglich, der erst dann offensichtlich würde, wenn die Armee in Sichtweite kam. Er gab seine letzten Befehle und drückte jedem seiner Offiziere die Hand, bevor dieser sich auf seinen Posten begab. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten. Bis zum Abend blieben nur noch wenige Stunden. Er drehte sich zu seinem Neffen um und musste grinsen, als er dessen ernste Miene sah. »Ich möchte, dass du mit mir die Verteidigungsanlagen abschreitest und sie mit unbefangenen Augen betrachtest. Sag mir alles, was du besser machen würdest. Sieh dir die Männer an, ihre Gesichter, die Art und Weise, wie sie sich geben. Beurteile ihre Moral.« Julius sah immer noch grimmig aus, und Marius seufzte gereizt. »Und lächle, mein Junge. Muntere sie auf.« Er beugte sich näher zu ihm. »Viele dieser Männer werden den Morgen nicht mehr erleben. Sie wissen, was sie tun, trotzdem ist ihnen Angst nicht fremd. Manche sind nicht glücklich darüber, dass wir gegen unsere eigenen Leute Krieg führen, obwohl ich versucht habe, die schlimmsten Fälle von der ersten Angriffsmauer abzuziehen. Sprich mit so vielen du kannst, ein paar Worte nur, keine lange Unterhaltung, sieh einfach hin, was sie tun und zolle ihnen Anerkennung. Frag sie nach ihren Namen und sprich sie dann mit diesen Namen an, wenn du antwortest. Bist du bereit?« Julius nickte und straffte sein Rückgrat. Er wusste, dass die anderen ihn so sahen, wie er sich ihnen präsentierte. Wenn er mit gereckten Schultern und geradem Rücken daherkam, würden die Männer ihn ernst nehmen. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater den Jungen erklärt hatte, wie man Soldaten führt. »Haltet das Kinn hoch und entschuldigt euch nicht, es sei denn, es ist absolut unumgänglich. Dann tut es ganz kurz, laut und klar. Nicht wimmern, nicht bitten, niemals ins Schwärmen geraten. Denkt nach, ob ihr mit einem Mann reden wollt, und wenn ihr es tut, dann mit wenigen Worten. Männer respektieren die Schweigsamen; sie verachten die Schwätzer.« Renius hatte ihm beigebracht, wie man einen Mann so rasch und so sicher wie möglich tötet. Wie man Treue und Vertrauen gewinnt, musste Julius noch lernen. Langsam schritten sie einen Abschnitt der Mauer ab, blieben bei jedem Soldaten stehen, wechselten ein paar Worte und verbrachten ein paar Minuten länger mit dem für den Abschnitt Verantwortlichen, hörten sich Vorschläge und Anmerkungen an und zollten den Männern Anerkennung für ihre Einsatzbereitschaft. Julius fing Blicke auf und erwiderte sie nickend. Die Soldaten grüßten ihn, wenn auch mit offensichtlicher Anspannung. Er blieb bei einem Mann mit ausladendem Brustkorb stehen, der gerade eine gewaltige, im Mauerwerk verankerte Armbrust justierte. »Wie weit schießt das Ding?« Der Soldat salutierte knapp. »Mit dem Wind gut dreihundert Schritt, Herr.« »Hervorragend. Kann man mit dieser Maschine auch zielen?« »Ein bisschen, aber im Moment nicht sehr genau. In der Werkstatt arbeiten sie noch an einem drehbaren Sockel.« »Sehr gut. Es sieht wahrhaftig tödlich aus.« Der Soldat grinste stolz und wischte mit einem Lappen über den Spannmechanismus, mit dessen Hilfe sich die schweren Arme in Abschussposition biegen ließen. »Sie, Herr. Etwas so Gefährliches kann nur weiblich sein.« Julius lachte auf und musste unwillkürlich an Cornelia und seine schmerzenden Muskeln denken. »Wie heißt du, Soldat?« »Trad Lepidus, Herr.« »Ich werde darauf achten, wie viele Feinde sie niedermäht, Lepidus.« Der Mann grinste wieder. »Das dürften schon ein paar werden, Herr. Niemand betritt ohne die Erlaubnis des Legaten meine Stadt, Herr.« »Guter Mann.« Mit frisch gewonnenem Selbstvertrauen ging Julius weiter. Wenn alle Männer so standfest waren wie Trad Lepidus, gab es auf der ganzen Welt keine Armee, die Rom einnehmen konnte. Er holte seinen Onkel ein, der einen Schluck aus einer silbernen Flasche annahm und den Inhalt sofort wieder ausspuckte. »Beim Mars! Was ist da drin? Essig?« »Wenn ich so sagen darf, Herr, du bist wohl bessere Weine gewöhnt. Dieses Gebräu ist ein bisschen derb.« »Derb! Na, wenigstens wird einem warm davon«, sagte Marius und setzte die Flasche noch einmal an. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Vorzüglich. Schick dem Quartiermeister morgen früh die Rechnung. Ich denke, ein kleines Fläschchen für jeden Offizier dürfte genau das Richtige für eine kalte Winternacht sein.« »Gewiss, Herr«, antwortete der Mann und zog die Stirn ein wenig kraus, als er versuchte, den Profit auszurechnen, den er als einziger Lieferant für seine eigene Legion einstreichen würde. Das Ergebnis erfreute ihn sichtlich, denn er salutierte frohgemut, als Julius an ihm vorbeiging. Schließlich erreichte Marius die Steintreppe, die zur Straße hinunterführte und das Ende dieses Abschnitts markierte. Julius hatte mit jedem der an die hundert Soldaten gesprochen oder ihm wenigstens zugenickt. Seine Gesichtsmuskeln fühlten sich steif an, trotzdem empfand auch er etwas von dem Stolz seines Onkels. Dies hier waren gute Männer, und es war gut zu wissen, dass sie bereit waren, auf seinen Befehl hin ihr Leben hinzugeben. Die Macht hatte etwas Verführerisches, und Julius erfreute sich an der Wärme ihres Abglanzes. Er verspürte eine wachsende Erregung, als er mit seiner Stadt auf Sullas Ankunft und das Hereinbrechen der Dunkelheit wartete. Rings um die Stadt waren in regelmäßigen Abständen schlanke Türme an der Mauer aufgestellt worden. Bei Sonnenuntergang rief ein Posten von einem dieser Türme, und seine Nachricht pflanzte sich mit rasender Geschwindigkeit fort. Der Feind stand am Horizont und kam auf die Stadt zu marschiert. Die Tore wurden geschlossen. »Endlich! Diese Warterei ging mir allmählich auf die Nerven«, brüllte Marius, der beim ersten warnenden Ton der Trompeten, deren klagender Ruf jetzt weithin über die Stadt schallte, aus seiner Unterkunft gestürmt kam. Die Reserve ging in Position. Die wenigen Römer, die sich noch auf den Straßen aufhielten, eilten nach Hause und versperrten und verriegelten ihre Türen vor den Eindringlingen. Solange ihre Familien in Sicherheit waren, war es den Leuten ziemlich egal, wer die Stadt regierte. Die Senatsversammlungen für diesen Tag waren abgesagt worden. Auch die Senatoren hielten sich in ihren hier und dort in der Stadt gelegenen palastartigen Häusern auf. Keiner von ihnen war nach Westen geflohen, obwohl einige ihre Familien auf entlegenere Landsitze geschickt hatten, um sie keinem unnötigen Risiko auszusetzen. Ein paar von ihnen erhoben sich mit angespanntem Lächeln, traten hinaus auf die Balkone und blickten zum klagenden Gesang der Hörner über die dunkler werdende Stadt zum Horizont. Andere lagen im Bad oder in ihren Betten und ließen sich von ihren Sklaven die vor Angst verspannten Muskeln kneten. In seiner gesamten Geschichte war Rom noch nie angegriffen worden. Die Stadt war immer viel zu stark gewesen. Sogar Hannibal hatte es vorgezogen, den römischen Legionen auf freiem Feld zu begegnen und es vermieden, ihre Mauern selbst anzugreifen. Es hatte eines Mannes wie Scipio bedurft, um seinen Kopf zu holen und den seines Bruders. Besaß Marius die gleichen Fähigkeiten, oder würde am Ende Sulla Rom in seiner blutigen Hand halten? Der eine oder andere Senator verbrannte Weihrauch für die Hausgötter auf seinem Privataltar. Sie hatten Marius unterstützt, als er seinen Einfluss auf Rom verstärkt hatte, waren gezwungen gewesen, sich in der Öffentlichkeit auf seine Seite zu schlagen. Viele hatten ihr Leben auf seinen Erfolg gesetzt. Und Sulla war nicht für seine Nachsicht bekannt. 28 Als sich die Nacht über die Stadt herabsenkte, wurden überall Fackeln angezündet. Julius fragte sich, welches Bild sich wohl den Göttern bot, die von oben herabsahen: Sah die Stadt für sie aus wie ein großes, schimmerndes Auge in der unermesslichen Weite des Landes? Wir blicken hinauf, während sie herabschauen, dachte er. Er stand mit Cabera am Fuß der Mauer und lauschte den Neuigkeiten, die von den Aussichtsposten auf den Wällen herabgerufen und sofort bis tief in die Stadt weitergegeben wurden, eine Informationsader für diejenigen, die nichts sehen und nichts hören konnten. Durch die Rufe hörte er trotz des Lärms rings herum das Stampfen tausender marschierender bewaffneter Männer und Pferde. Es erfüllte die warme Nacht und wurde immer lauter. Es bestand kein Zweifel mehr. Sulla führte seine Legion direkt die Via Sacra hinauf vor die Tore der Stadt, offensichtlich ohne versteckten Plan. Die Posten berichteten von einer von Fackeln beschienenen Menschenschlange, die sich meilenweit in die Dunkelheit erstreckte, bis ihr Schwanz hinter den Hügeln verschwand. Es war die Marschformation für befreundetes Territorium, nicht das vorsichtige Heranrücken an einen Feind. Die Kühnheit eines derartig sorglosen Marsches ließ einige Verteidiger die Stirn runzeln; man fragte sich, was um alles in der Welt Sulla vorhatte. Eines war sicher: Marius würde sich nicht durch demonstratives Selbstvertrauen einschüchtern lassen. Als die Tore und Mauern der befestigten Stadt im Widerschein der Fackeln seiner Legion zu leuchten begannen, ballte Sulla vor Aufregung die Fäuste. Tausende Soldaten und noch einmal halb so viel, die für die Versorgung zuständig waren, marschierten weiter durch die Nacht. Es war ein rhythmisches, ohrenbetäubendes Geräusch, das Krachen der Füße auf der Steinstraße hallte bis in die Stadt und durch die ganze Nacht. Sullas Augen funkelten in den Flammen der Fackeln. Beiläufig hob er die rechte Hand. Das Signal wurde weitergeleitet, große Trompeten dröhnten in die Dunkelheit und lösten eine Kette von Antworten in der lang gezogenen Menschenschlange aus. Eine marschierende Legion zum Stillstand zu bringen, erforderte Können und viel Übung. Jede Sektion musste auf Befehl hin stehen bleiben, sonst rannte alles ineinander, und die Präzision endete in Chaos. Sulla drehte sich um und blickte den Hügel hinunter; dann nickte er zufrieden, als er sah, wie jede Zenturie zum Stehen kam, die Fackeln ruhig in den festen Fäusten. Vom ersten Signal bis zum Ende verging fast eine halbe Stunde, schließlich jedoch standen sie alle auf der Via Sacra, und die natürliche Stille des Landes schien sie zu umfangen. Seine goldglänzende Legion erwartete seine Befehle. Sulla ließ den Blick über die Befestigungsanlagen schweifen und stellte sich die gemischten Gefühle der Männer und der Bürger dahinter vor. Sie wunderten sich wahrscheinlich über sein Anhalten, flüsterten nervös und gaben die Nachricht an diejenigen weiter, die zu weit hinten waren, um die große Prozession mit eigenen Augen zu sehen. Die Bürger hörten nur die schallenden Hörnerklänge und erwarteten jeden Augenblick den Angriff. Er lächelte. Auch Marius würde ungeduldig auf seinen nächsten Zug warten. Er musste warten, das war die größte Schwäche, wenn man hinter den Mauern einer Festung stand. Dort konnte man nur seine passive Rolle spielen und verteidigen. Sulla ließ die Zeit verstreichen, ließ sich mit einer Handbewegung kühlen Wein bringen. Dabei fiel ihm die ziemlich steife Haltung eines Fackelträgers auf. Warum war der Mann so angespannt?, fragte er sich. Er beugte sich im Sattel vor und sah, dass aus der Fackel ein kleines Rinnsal kochendes Öl entwichen war und auf die ungeschützte Hand des Sklaven zusickerte. Sulla sah, wie die Augen des Mannes immer wieder zu der brennenden Flüssigkeit hinzuckten. War da ein Hauch der Flamme in dem sickernden Öl? Ja, die Hitze musste schrecklich sein; wahrscheinlich würde sie sich in die Haut des Mannes hineinfressen. Sulla schaute interessiert zu, bemerkte den Schweiß auf der Stirn des Mannes und schloss insgeheim eine Wette mit sich selbst ab, was geschehen würde, wenn die Hitze die Haut erreichte. Er glaubte an Omen, und wusste, dass die Götter gerade in einem solchen Augenblick, vor den Toren der Stadt Rom selbst, auf die Sterblichen herabsahen. War das hier eine Botschaft von ihnen, ein Zeichen, das Sulla zu interpretieren hatte? Zweifellos liebten ihn die Götter, wie schon seine herausragende Stellung bewies. Seine Pläne standen fest, doch bei einem Mann wie Marius musste man immer mit einer Katastrophe rechnen. Die züngelnden Flammen auf dem Öl erreichten die Haut des Sklaven. Sulla hob eine Augenbraue, sein Mund zuckte vor Verwunderung. Trotz der offensichtlichen Qualen blieb der Mann stehen wie ein Fels, ließ das Öl über die Knöchel rinnen und von dort in den Staub der Straße tropfen. Sulla sah deutlich, wie die Flammen seine Hand mit einem gelblichen Glühen erhellten, und trotzdem rührte sich der Bursche nicht! »Sklave!«, rief er. Der Mann wandte seinem Herrn das Gesicht zu. Angesichts seiner Standfestigkeit lächelte Sulla erfreut. »Du bist deiner Pflichten entbunden. Versorge deine Hand. Dein Mut ist ein gutes Omen für heute Nacht.« Der Mann nickte dankbar und erstickte die kleinen Flammen, indem er die andere Handfläche darum legte. Dann trabte er mit rotem Gesicht und vor Erleichterung keuchend davon. Sulla ließ sich einen gekühlten Becher reichen und trank den Mauern der Stadt zu. Mit geschlossenen Augen legte er den Kopf zurück und schmeckte den Wein. Jetzt blieb ihm nichts anderes als zu warten. Marius legte gereizt die Hand auf den Rand der breiten Mauer. »Was tut er da?«, murmelte er vor sich hin. Er sah Sullas Legion, die sich bis in weite Ferne erstreckte und nicht mehr als ein paar Hundert Schritte von dem Tor entfernt, das zur Via Sacra hinausführte, stehen geblieben war. Um ihn herum warteten seine Männer, nicht weniger angespannt als er selbst. »Sie stehen gerade außer Schussweite, Legat«, bemerkte ein Zenturio. Marius musste sich beherrschen, um nicht aufzubrausen. »Ich weiß. Sobald sie näher kommen, nehmt sie sofort unter Feuer. Lasst alles auf sie niederregnen, was wir haben. In dieser Formation werden sie die Stadt niemals einnehmen.« Es ergab einfach keinen Sinn! Nur eine breite Front hatte eine Chance gegen einen gut vorbereiteten Feind. Die Marschformation mit der schmalen Spitze war keinesfalls in der Lage, die Verteidigung zu durchbrechen. Zornig ballte er die Fäuste. Was hatte er übersehen? »Gib Signal, sobald sich etwas verändert«, befahl er dem Abschnittskommandeur und ging durch die Reihen der Soldaten zurück zu der Treppe, die hinab auf die Straße und in die Stadt führte. Julius, Cabera und Tubruk warteten geduldig auf Marius und sahen zu, wie er sich mit seinen Ratgebern unterhielt, die ihm, dem Kopfschütteln nach zu urteilen, nichts Neues zu berichten wussten. Tubruk löste seinen Gladius in der Scheide und spürte wieder jenes leichte Nervenflattern, das sich immer vor einem Blutvergießen einstellte. Es lag in der Luft, und er war froh, dass er den ganzen heißen Tag über hier geblieben war. Gaius, nein, jetzt hieß er ja Julius, hätte ihn beinahe zum Gut zurückgeschickt, doch etwas im Blick des ehemaligen Gladiators hatte ihn davon abgehalten. Julius wünschte, die Gruppe von Freunden wäre komplett. Wie gut hätte er jetzt Renius’ Ratschläge und Marcus’ eigenwilligen Humor gebrauchen können. Abgesehen davon gab es wenige, die man sich eher an seiner Seite wünschen könnte, falls es wirklich zum Kampf kam. Auch er löste seine Klinge und ließ sie ein paarmal gegen den Metallrand der Scheide klappern, damit er sie jederzeit ungehindert ziehen konnte. Es war schon das fünfte Mal innerhalb von ebenso viel Minuten, dass er das tat, und Cabera schlug ihm kräftig auf die Schulter, was ihn ein wenig zusammenzucken ließ. »Soldaten beschweren sich immer über die Warterei. Mir persönlich ist sie lieber als das Gemetzel selbst.« Tatsächlich spürte er, wie ihn die verschlungenen Pfade der Zukunft heftig bedrängten; er war gefangen zwischen dem Wunsch, Julius in Sicherheit zu bringen, und dem Verlangen, auf die Mauer zu steigen, um beim ersten Angriff dabei zu sein! Hauptsache, all die Möglichkeiten lösten sich in einfache Geschehnisse auf! Julius betrachtete die Mauern, prägte sich die Anzahl und die Positionen der Männer ein, die reibungslosen Wachwechsel und das Überprüfen der Wurfmaschinen und Speerschleudern. In den Straßen war alles ruhig. Rom hielt den Atem an. Trotzdem rührte oder veränderte sich draußen nichts. Marius stapfte hin und her und brüllte Befehle, die er besser seinen verdienstvollen Männern weiter unten in der Befehlskette überlassen hätte. Allem Anschein nach wirkte sich die Anspannung sogar auf ihn aus. Die endlosen Läuferketten kamen endlich zur Ruhe. Kein Wasser wurde mehr herangeschleppt, sämtliche Vorräte an Pfeilen und anderer Munition befanden sich an Ort und Stelle. Nur die eiligen Schritte eines Boten von einem anderen Mauerabschnitt unterbrachen alle paar Minuten die Stille. Julius sah die Besorgnis in Marius’ Gesicht, die sich bei den Nachrichten, dass auch sonst nirgendwo ein Angriff erfolgt war, fast noch verstärkte. Würde Sulla tatsächlich seinen Hals riskieren, indem er offiziell Zugang zur Stadt forderte? Sein Mut würde sicherlich viele Bewunderer gewinnen, wenn er selbst bis vor das Tor kam, doch Julius war sicher, dass Sulla selbst ziemlich bald tot sein würde, niedergestreckt von einem »versehentlich« abgeschossenen Pfeil. Marius würde eine so gefährliche Schlange nicht am Leben lassen, wenn sie sich bis auf Schussweite heranwagte. Ein vermummter Bote, der sich an ihm vorbeidrängte, riss ihn aus seinen Gedanken. Genau in diesem Augenblick veränderte sich alles. Mit aufkeimendem Entsetzen sah Julius, wie die Männer auf dem am nächsten gelegenen Mauerabschnitt plötzlich von hinten überwältigt wurden, von ihren eigenen Gefährten. Sie waren so auf die draußen wartende Legion fixiert, dass innerhalb weniger Sekunden Dutzende von ihnen zu Boden gingen. Wasserträger ließen ihre Eimer fallen und bohrten Dolche in die ihnen am nächsten stehenden Soldaten, töteten die Männer, bevor diese überhaupt bemerkten, dass sie angegriffen wurden. »Bei den Göttern!«, flüsterte er. »Sie sind bereits in der Stadt!« Als er seinen Gladius zückte und mehr spürte als sah, dass Tubruk dasselbe tat, sah er, wie ein flammender Pfeil, der in aller Ruhe in einer Kohlenpfanne entzündet worden war, fauchend in die Nacht geschossen wurde. Sobald er in hohem Bogen aufstieg, zerriss die mörderische Stille. Vor den Toren brüllte Sullas Legion auf, als wäre die Hölle aufgebrochen, und stürzte sich auf die Stadt. Marius hatte in der Dunkelheit der Straße mit dem Rücken zur Mauer gestanden, als ihm das Entsetzen im Gesicht eines Zenturios aufgefallen war. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie der Mann die gekrümmten Finger in die Luft krallte, aufgespießt auf einem langen Dolch, der ihm in den Rücken gestoßen worden war. »Was soll das? Beim Blut der Götter ...« Er holte tief Luft, um die Abschnitte links und rechts von ihm zu alarmieren und sah in diesem Augenblick, wie ein flammender Pfeil in die pechschwarze Dunkelheit der sternenlosen Nacht aufstieg. »Zu mir! Die Erstgeborenen zum Tor! Haltet das Tor! Blast vollen Alarm! Sie kommen!« Seine Stimme überschlug sich, doch die Trompetenbläser lagen bereits in ihrem eigenen Blut. Einer rang noch immer mit seinen Angreifern, hielt die dünne Bronzeröhre trotz der wütenden Stiche, die auf seinen Körper eindrangen, fest. Marius zückte das Schwert, das sich schon seit Generationen im Besitz seiner Familie befunden hatte. Sein Gesicht war schwarz vor Zorn. Die beiden Männer starben, und Marius setzte das Horn an die Lippen, schmeckte das Blut, das auf das Metall gespritzt war. Rings um ihn her in der Dunkelheit antworteten weitere Hörner. Sulla hatte die ersten Momente der Schlacht gewonnen, doch Marius schwor, dass es damit noch nicht getan war. Julius sah, dass die als Boten verkleidete Gruppe gut bewaffnet war und sich an dem Punkt zusammenzog, wo Marius mit der blutigen Trompete stand. Sein gezücktes Schwert war bereits dunkel von Blut. Hinter ihm ragte die Mauer auf, über die zuckende, von den Fackeln geworfene Schatten tanzten. »Mir nach! Sie haben es in dem Durcheinander auf den Legaten abgesehen!«, knurrte er Tubruk und Cabera zu und fiel mit diesen Worten der sich zusammenrottenden Gruppe in den Rücken. Sein erster Hieb traf einen der rennenden Männer am Hals, gerade als sie langsamer wurden, um an mehreren kämpfenden Grüppchen vorbeizukommen. Endlich schienen Marius’ Leute erkannt zu haben, dass der Feind in Verkleidung auftrat, doch der Kampf gestaltete sich schwierig, weil in der Hitze des Gefechts niemand wusste, wer Freund und wer Feind war. Es war ein verheerender Trick, der die gesamte Organisation hinter den Stadtmauern in Chaos verwandelte. Julius zog seine Klinge über einen Beinmuskel, trampelte im Weiterlaufen auf den Körper des Fallenden und empfand eine tiefe Befriedigung, als er Knochen unter seinen Sandalen brechen und splittern fühlte. Zuerst wunderte er sich darüber, dass die Gruppe sich dem Kampf nicht stellte, doch dann wurde ihm rasch klar, dass sie Befehl hatte, Marius zu töten, und sich nicht um andere Gefahren kümmerte. Mit einem gewaltigen Satz, der sie beide auf das harte Pflaster warf, brachte Tubruk noch einen der Männer zu Fall. Cabera streckte einen weiteren mit einem Dolchwurf nieder, der Sullas Mann in die Seite traf. Er geriet ins Taumeln, und Julius mähte ihn im Vorbeilaufen mit seiner Klinge nieder, nahm nur noch zufrieden wahr, wie sein Arm den Treffer registrierte und die Klinge wieder freikam. Weiter vorne stand Marius immer noch allein mehreren dunkel gekleideten Gestalten gegenüber. Als sie erneut auf ihn eindrangen, brüllte er sie trotzig an, und mit einem Mal wusste Julius, dass er zu spät kam. Mehr als fünfzig Mann griffen den Legaten an. Alle seine Soldaten in diesem Abschnitt waren tot oder lagen im Sterben. Einer oder zwei schrieen noch ihre Enttäuschung hinaus, doch auch sie konnten seinen Onkel nicht mehr erreichen. Marius spuckte Blut und Schleim und hob drohend das Schwert. »Kommt schon, Jungs. Lasst mich nicht warten«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Sein Zorn hatte immer noch die Oberhand über die Verzweiflung. Julius spürte, wie ihn eine kräftige Faust energisch am Kragen packte und ihn zum Stehen brachte. Er schrie wütend auf, wirbelte herum und fühlte, wie sein Schwertarm zur Seite geschlagen wurde. Dann blickte er in Tubruks entschlossenes Gesicht. »Nein, mein Junge. Es ist zu spät. Flieh, solange es noch geht.« Wild fluchend wand sich Julius in seinem Griff. »Lass los! Marius ist .« »Ich weiß. Wir können ihm nicht mehr helfen.« Tubruks Gesicht war kalt und weiß. »Seine Männer sind zu weit weg. Uns haben sie einen Augenblick übersehen, aber es sind zu viele. Du musst am Leben bleiben, um ihn zu rächen, Gaius. Lebe!« Julius drehte sich unter der Faust zur Seite und sah, wie Marius fünfzig Fuß von ihm entfernt unter einer wogenden Menge Leiber zu Boden ging, von denen einige nach seinen Hieben bereits schlaff und leblos waren. Die anderen schwangen Keulen, und er sah, dass sie wild auf den Legaten einschlugen und ihn mit besinnungsloser Grausamkeit niederknüppelten. »Ich kann nicht davonlaufen«, sagte Julius. Tubruk fluchte. »Nein. Aber du kannst dich zurückziehen. Diese Schlacht ist verloren. Die Stadt ist verloren. Sieh doch, Sullas Verräter stehen bereits an den Toren. Wenn wir jetzt nicht verschwinden, fallen wir der Legion in die Hände. Komm schon.« Ohne auf weitere Gegenrede zu warten, packte Tubruk den jungen Mann unter den Armen und zog ihn weg. Cabera schnappte sich den anderen Arm. »Wir holen die Pferde und reiten durch die Stadt zu einem der anderen Tore. Dann zur Küste und zu einer Galeere der Legion. Du musst schleunigst weg. Nur wenige, die Marius unterstützt haben, dürften den Morgen erleben«, fuhr Tubruk erbittert fort. Der junge Mann erschlaffte fast in seinem Griff, erstarrte jedoch kurz darauf fast vor Schreck, als in der Nacht immer mehr schwarze Schatten erwachten. Schwerter wurden an ihre Kehlen gedrückt, und Julius versteifte sich gegen den Schmerz, als ein Befehl die Nacht zerriss. »Die nicht. Die kenne ich. Sulla hat gesagt, wir sollen sie am Leben lassen. Fesselt sie.« Sie wehrten sich, doch sie konnten nichts dagegen tun. Marius merkte, dass ihm jemand das Schwert aus der Hand riss, hörte wie aus weiter Ferne das Scheppern, mit dem es über die Steine schlitterte. Er spürte die dumpfen Schläge der Keulen nicht als Schmerz, sondern nur als Treffer, die seinen Kopf in dem Gedränge der vielen Körper hin- und herwarfen. Er spürte, wie eine Rippe mit einem eisigen Stich brach, dann wurde sein Arm verdreht, bis das Schultergelenk ausrenkte. Er kam kurz zu sich und versank dann wieder, als jemand auf seine Finger trat und sie brach. Wo waren seine Leute? Bestimmt waren sie schon unterwegs, um sein Leben zu retten. So hatte es nicht kommen sollen, so hatte er sein Ende nicht gesehen. Das war nicht der Mann, der an der Spitze eines großen Triumphzuges in Rom einzog, in Purpur gekleidet und Silbermünzen unter das Volk, das ihn liebte, verstreuend. Das hier war ein geschundenes Wesen, das Blut und Leben auf die scharfkantigen Steine hinauskeuchte und sich fragte, ob seine Männer ihm jemals zu Hilfe kommen würden, der sie alle liebte, wie ein Vater seine Kinder liebte. Er spürte, wie sein Kopf nach hinten gerissen wurde und wartete darauf, dass ihm jemand eine Klinge durch die Kehle zog. Es geschah nicht, und nach langen Sekunden der Qual konzentrierte sich sein Blick auf die bedrohliche schwarze Masse des Tores zur Via Sacra. Gestalten wimmelten darauf herum, in groteske Verkleidungen gehüllte Gestalten. Er sah, wie eine ganze Gruppe von Männern einen gewaltigen Balken anhoben, und dann das Fackellicht, das durch den Spalt hereinflackerte. Das große Tor schwang auf, und dahinter stand Sullas Legion, der Konsul selbst an ihrer Spitze, mit einem goldenen Reif, der sein Haar zurückhielt, gekleidet in eine weiße Toga und goldene Sandalen. Marius blinzelte Blut aus seinen Augen, und aus der Ferne hörte er das erneute Schmettern des Alarms, als die Erstgeborenen von überall aus der Stadt herbeigeströmt kamen, um ihren Legaten zu retten. Sie kamen zu spät. Der Feind war bereits in der Stadt, er hatte verloren. Sie würden Rom niederbrennen, das wusste er. Niemand konnte sie jetzt noch aufhalten. Seine Verteidigungstruppen würden überwältigt werden, es würde ein blutiges Gemetzel geben, und die Stadt würde geplündert und zerstört werden. Falls Sulla morgen noch am Leben war, würde er einen Haufen Asche erben. Der Griff in Marius’ Haar wurde fester und zog seinen Kopf höher, ein entfernter Schmerz unter den vielen anderen. Marius empfand eine kalte Wut auf den Mann, der jetzt im Gefühl seiner Macht auf ihn zugeschritten kam, aber dennoch war diese Wut mit einem gewissen Respekt für einen würdigen Gegner vermischt. Beurteilte man einen Mann nicht nach seinen Gegnern? Dann war Marius fürwahr ein großer Mann. Seine Gedanken, von den schweren Schlägen umnebelt, irrten hin und her. Er verlor das Bewusstsein, nur für ein paar Sekunden, wie er glaubte, und kam wieder zu sich, als ein Soldat mit einem brutalen Gesicht ihn auf die Wangen schlug und angesichts des Blutes, das dabei auf seine Hände spritzte, eine Grimasse zog. Er machte Anstalten, die Hand an seinem schmutzigen Gewand abzuwischen, doch eine kräftige Stimme gebot ihm Einhalt. »Sieh dich vor, Soldat. Du hast das Blut des Marius an deinen Händen. Ich finde, ein wenig Respekt wäre angemessen.« Der Mann blickte den Eroberer fassungslos an, dann wich er ein paar Schritte zurück in die immer größer werdende Menge der Soldaten und hielt die Hände steif von sich gestreckt. »Nur so wenige begreifen, worum es letztendlich geht, habe ich Recht, Marius? Was es bedeutet, zu wahrer Größe geboren zu sein?« Sulla trat so vor ihn hin, dass Marius ihm ins Gesicht sehen konnte. Seine Augen sprühten vor einer Zufriedenheit, die Marius niemals wieder zu sehen gehofft hatte. Er wandte den Blick ab, räusperte Blut aus seiner Kehle herauf und ließ es über sein Kinn laufen. Er hatte keine Kraft mehr zum Spucken, und er verspürte auch kein Verlangen danach, kurz vor seinem Tod kluge Sprüche auszutauschen. Er fragte sich, ob Sulla wohl Metella verschonen würde, und wusste, dass er es wahrscheinlich nicht tun würde. Julius ... er hoffte, dass der Junge entkommen war, aber auch er gehörte wahrscheinlich zu den erkaltenden Leichen, die überall herumlagen. Im Hintergrund schwoll der Schlachtenlärm an, und Marius hörte, wie seine Männer, die immer noch versuchten, sich zu ihm durchzukämpfen, seinen Namen brüllten. Er versuchte, keine Hoffnung in sich aufkeimen zu lassen; es war zu schmerzhaft. Sein Tod stand unmittelbar bevor. Seine Männer würden nur noch seinen Leichnam finden. Sulla machte ein nachdenkliches Gesicht und klopfte sich mit dem Fingernagel gegen die Zähne. »Weißt du, jeden anderen Legaten würde ich einfach hinrichten lassen und dann mit der Legion über die Einstellung der Kampfhandlungen verhandeln. Schließlich bin ich Konsul und handele im Rahmen meiner Befugnisse. Es dürfte keine große Sache sein, den gegnerischen Truppen zu erlauben, sich aus der Stadt zurückzuziehen und an ihrer Statt meine Männer in die Stadtkaserne zu führen. Ich glaube jedoch, dass deine Männer bis zum letzten Mann weiterkämpfen, was auch Hunderten von meinen Legionären das Leben kosten würde. Bist du nicht der Legat des Volkes, der von den Erstgeborenen so verehrte?« Er tippte sich wieder auf die Zähne, und Marius bemühte sich, sich zu konzentrieren, den Schmerz und die Müdigkeit zu ignorieren, die ihn wieder in die Dunkelheit zu ziehen drohten. »Bei dir, Marius, bedarf es einer besonderen Lösung. Hier mein Angebot. Kann er mich hören?«, fragte er einen Mann, den Marius nicht sehen konnte. Ein paar Ohrfeigen weckten ihn aus seiner Benommenheit. »Bist du noch da? Sag deinen Männern, sie sollen meine rechtmäßige Autorität als Konsul von Rom anerkennen. Die Primigenia soll sich ergeben und meine Legion in die Stadt einziehen lassen, ohne Zwischenfälle und ohne neuerlichen Angriff. Wir sind sowieso schon drin, das weißt du. Wenn du das tust, erlaube ich dir, Rom mit deiner Frau zu verlassen, geschützt durch mein Wort und meine Ehre. Wenn du dich weigerst, bleibt keiner deiner Männer am Leben. Ich werde sie Straße für Straße vernichten, von Haus zu Haus, zusammen mit allen, die dir jemals einen Gefallen getan oder dich unterstützt haben, und ihren Frauen, Kindern und Sklaven. Kurz gesagt, ich werde deinen Namen aus den Annalen der Stadt löschen, bis es keinen Lebenden mehr gibt, der dich einmal Freund genannt hat. Verstehst du das, Marius? Stellt ihn hin und stützt ihn. Holt dem Mann Wasser, um seine Kehle zu kühlen.« Marius hörte die Worte und versuchte, sie in seinen wirbelnden, bleiernen Gedanken festzuhalten. Er traute Sullas Ehre nicht weiter als er spucken konnte, aber immerhin wäre seine Legion gerettet. Natürlich würde man sie weit von Rom fortschicken und mit einer entwürdigenden Aufgabe betrauen, sie irgendwo im Norden Zinnminen gegen die bemalten Wilden verteidigen lassen, aber seine Männer würden am Leben bleiben. Er hatte viel aufs Spiel gesetzt und verloren. Bittere Verzweiflung erfasste ihn, nahm dem Schmerz die Schärfe, als sich im rohen Griff von Sullas Männern gebrochene Knochen in seinem Leib verschoben, Männern, die es noch ein Jahr zuvor nicht gewagt hätten, auch nur einen Finger gegen ihn zu rühren. Sein Arm hing leblos herab, fühlte sich taub an, als gehöre er nicht zu ihm, doch das spielte keine Rolle mehr. Ein letzter Gedanke hielt ihn davon ab, sofort zu sprechen. Sollte er das Ganze noch eine Weile hinauszögern, in der Hoffnung, dass seine Männer vielleicht doch noch durchbrachen und die Situation zu seinem Vorteil wendeten? Er drehte den Kopf und sah Sullas Männer in sämtliche Straßen ausschwärmen, erkannte, dass die Chance auf eine rasche Vergeltung dahin war. Von nun an gab es nur noch blutigen, verzweifelten Kampf, und ein Großteil seiner Legion stand noch immer auf den Mauern rings um die Stadt, alles andere als darauf vorbereitet, in den Kampf einzugreifen. Nein. »Ich stimme dir zu. Mein Wort darauf. Lass den nächstbesten meiner Männer zu mir, damit ich den Befehl an sie weitergeben kann.« Sulla nickte, doch in seinem Gesicht spiegelten sich alle möglichen Zweifel. »Wenn du die Unwahrheit sagst, müssen Tausende sterben. Deine Frau wird zu Tode gefoltert. Mach dem allen ein Ende. Bringt ihn her!« Marius stöhnte vor Schmerz auf, als er aus dem Schatten der Mauer gezogen wurde, dorthin, wo das Klirren der Waffen am lautesten war. Sulla nickte seinen Adjutanten zu. »Blast zum Einstellen der Kampfhandlungen«, blaffte er, wobei seine Stimme zum ersten Mal, seit Marius ihn erblickt hatte, einen Hauch von Nervosität verriet. Die Trompeter ließen das Signal ertönen, und sofort wichen die erste und zweite Reihe zwei Schritte vom Feind zurück, wo sie ihre Positionen mit blutigen Schwertern hielten. Marius’ Legion hatte an der südöstlichen Seite die Mauern verlassen und schwärmte durch die Straßen herbei. Durch jede Gasse, jede Straße kamen sie in Massen heran, mit vor Wut und Blutgier leuchtenden Augen. Hinter ihnen drängten von Sekunde zu Sekunde mehr nach, während sich die Stadtmauern von ihren Verteidigern leerten. Als Marius zum Sprechen aufgerichtet wurde, erhob sich unter den Männern lautes Wutgeheul, ein animalischer Lärm, der nichts als Rache forderte. Sulla wich nicht davor zurück, doch die Muskeln um seine Augen spannten sich. Marius holte zum Sprechen tief Luft und spürte die Spitze eines Dolches im Rücken. »Erstgeborene.« Marius’ Stimme war nur noch ein Krächzen. Er versuchte es noch einmal, sammelte seine Kraft. »Erstgeborene. Es gibt keine Schande. Wir sind nicht verraten, sondern von Sullas eigenen Männern angegriffen worden, die er zurückgelassen hat. Und jetzt, wenn ihr mich liebt, wenn ihr mich jemals geliebt habt, tötet sie alle und lasst Rom brennen!« Er achtete nicht auf den Schmerz, als der Dolch in ihn eindrang und stand einen langen Augenblick aufrecht vor seinen Männern, die vor Kampfeslust wild aufbrüllten. Dann brach sein Körper zusammen. »Feuer der Hölle!«, brüllte Sulla, als die Erstgeborenen vorwärts stürmten. »Bildet Vierer. Nahkampfformation! Sechste Kompanie zu mir. Greift an!« Er zog sein Schwert, und die am nächsten Stehenden drängten sich dichter heran, um ihn zu schützen. Schon roch er Blut und Rauch in der Luft, und dabei würde es noch Stunden dauern, bis der Morgen heraufdämmerte. 29 Marcus schaute über die Brustwehr auf die fernen Lagerfeuer des Feindes. Es war ein herrliches Land, aber es gab nichts Sanftes darin. Die Winter töteten die Alten und Schwachen, und sogar das Gestrüpp, das sich an die steilen Klippen der Bergpässe klammerte, sah irgendwie verdorrt und besiegt aus. Nach über einem Jahr als Kundschafter in den Bergen war seine Haut dunkelbraun gebrannt und sein Körper von kräftigen Muskelsträngen überzogen. Er hatte das entwickelt, was die Soldaten den »Riecher« nannten, die Fähigkeit, einen Hinterhalt im Voraus zu spüren, einen feindlichen Spurenleser auszumachen und im Dunkeln unsichtbar über die Steine zu schleichen. Alle erfahrenen Spürhunde hatten den Riecher, und diejenigen, die ihn nach einem Jahr noch nicht hatten, bekamen ihn nie und wurden auch niemals erstklassig, wie es hieß. Nachdem Marcus einen Hinterhalt der Blauhäute, eines wilden Stammes aus dieser Region, richtig vorausgesehen hatte, war er befördert und mit dem Kommando über acht Männer betraut worden. Damals hatte er seine Kundschafter in den Rücken des lauernden Feindes geführt. Seine Männer hatten sie in Stücke gehauen, und erst hinterher war einem von ihnen aufgefallen, dass sie seinen Anweisungen ohne Widerworte Folge geleistet hatten. Es war das erste Mal gewesen, dass er die wilden Nomaden aus der Nähe zu sehen bekommen hatte, und noch immer tauchten ihre blau gefärbten Gesichter nach schlechtem Essen oder billigem Wein in seinen Träumen auf. Die Politik der Legion bestand darin, das Gebiet zu kontrollieren und zu befrieden, was in der Praxis nichts anderes als den Freibrief bedeutete, so viele Wilde wie möglich umzubringen. Gräueltaten waren an der Tagesordnung. Römische Wachtposten verschwanden und wurden gepfählt aufgefunden, ihre Eingeweide der unbarmherzigen Sonne ausgesetzt. In der Hitze, bei dem vielen Staub und den Fliegen wurden Gnade und Freundlichkeit rasch aufgezehrt. Bei den meisten Auseinandersetzungen handelte es sich um kleine Scharmützel; auf derartig geschundenem und feindseligem Terrain konnte keine der von den römischen Legionären so geliebte formvollendete Schlacht geschlagen werden. Die Patrouillen zogen los und kamen mit ein paar Köpfen zurück oder mit ein paar Mann weniger. Die beiden Parteien schienen sich in einer Patt-Situation zu befinden, und keine von beiden hatte die Kraft, die Partie zu ihren Gunsten zu beenden. Nach zwölf Monaten in diesem Trott nahmen die Überfälle auf die Versorgungskarawanen plötzlich zu und wurden brutaler. Zusammen mit mehreren anderen Einheiten waren Marcus’ Männer den Versorgungsmannschaften zugeteilt worden. Sie hatten sicherzustellen, dass die Wasserfässer und der eingepökelte Proviant auch die verlassensten Außenposten erreichten. Es war seit jeher klar gewesen, dass den feindlichen Stämmen gerade diese weit vorgeschobenen Posten ein Dorn im Fleisch waren, und Angriffe auf die kleinen Steinfestungen in den Bergen waren fast an der Tagesordnung. Die Legion wechselte die dort stationierten Männer regelmäßig aus, und viele kehrten mit Schauergeschichten von über die Brustwehr geworfenen Köpfen oder von mit Blut auf die Mauern geschmierten Worten, die bei Sonnenaufgang sichtbar wurden, in das Kastell zurück. Zunächst waren Marcus die Pflichten als Karawanen-Geleitschutz nicht lästig gefallen. Fünf seiner acht Männer waren erfahrene Kundschafter, die ihre Aufgaben besonnen und ohne Murren erledigten. Von den drei anderen beschwerte sich Japek pausenlos; es schien ihm nichts auszumachen, dass ihn die anderen nicht ausstehen konnten. Rupis stand kurz vor der Pensionierung und war nach einem Formfehler in die Mannschaftsdienstgrade zurückgestuft worden, und der Dritte war Peppis. Jeder stellte ein anderes Problem dar, und als Marcus Renius um Rat gefragt hatte, hatte dieser lediglich den Kopf geschüttelt. »Es sind deine Leute, das musst du selbst klären«, war sein einziger Kommentar zu diesem Thema gewesen. Marcus hatte Rupis, in der Hoffnung, ihm ein wenig von seinem Stolz zurückzugeben, zu seinem Stellvertreter gemacht, der für vier seiner Männer verantwortlich war. Doch der schien dies als verkappte Beleidigung zu empfinden und grinste jedes Mal spöttisch, wenn Marcus ihm einen Befehl gab. Was Japek anging, hatte sich Marcus die Sache eine Weile angesehen und den Legionär dann aufgefordert, alle seine Beschwerden aufzuschreiben und sie zu einem Katalog zusammenzufassen, den er bei der Rückkehr zum Lager dem Zenturio übergeben dürfte. Dieser war bekannt dafür, dass er sich nicht lange mit Dummköpfen abgab, und Marcus war froh, als er sah, dass auf dem Pergament, das er aus den Legionsvorräten besorgt hatte, noch keine einzige Beschwerde zu sehen war. Ein kleiner Triumph, vielleicht, aber Marcus war dabei, zu lernen, wie man mit Menschen umging, oder, wie Renius es ausdrückte, sie dazu zu bringen, das zu tun, was man von ihnen wollte, ohne sie so sehr zu verärgern, dass sie es nur schlecht taten. Wenn er darüber nachdachte, dass der einzige Lehrer, den er je in Diplomatie gehabt hatte, Renius war, musste Marcus grinsen. Peppis gehörte zu der Art von Problemen, die sich nicht mit ein paar Worten oder einem Klaps beseitigen ließen. Er hatte im Basislager einen recht vielversprechend Anfang gemacht und bei gutem Essen und körperlicher Ertüchtigung alsbald ordentlich an Größe und Körperkraft zugelegt. Leider neigte er dazu, Sachen aus den Vorratslagern zu stehlen und sie Marcus zu bringen, was diesem schon etliche peinliche Scherereien eingebrockt hatte. Obwohl er ihn dazu gezwungen hatte, die gestohlenen Waren wieder zurückzubringen, und obwohl er ihn einmal kurz aber heftig ausgepeitscht hatte, wollte Peppis von dieser Gewohnheit nicht lassen. Schließlich hatte Leonides, der Zenturio der Bronzefaust, den Jungen mit einem Schreiben zu Marcus zurückgeschickt, das besagte: »Deine Verantwortung. Dein Rücken.« Der Dienst als Begleitschutz hatte gut begonnen, mit der Art von Effektivität, die Marcus inzwischen voraussetzte, von der er jedoch vermutete, dass sie nicht überall im Imperium üblich war. Sie waren eine Stunde vor Morgengrauen aufgebrochen und dem Weg in die dunklen Granithügel gefolgt. Vier flache Ochsenkarren waren mit gut festgezurrten Fässern beladen und zweiunddreißig Soldaten als Eskorte ausgesucht worden. Sie standen unter dem Kommando eines alten Kundschafters namens Peritas, der zwanzig Jahre Erfahrung auf dem Buckel hatte und sich von niemandem etwas vormachen ließ. Alles in allem war es eine hervorragende kleine Streitmacht, die da über die gewundenen Pfade zwischen den Hügeln dahinzog, und wenn Marcus auch fast von Anfang an verborgene Blicke auf ihnen ruhen fühlte, so war es doch ein Gefühl, an das man sich bald gewöhnte. Seiner Einheit war die Aufgabe zugewiesen worden, die Vorhut zu bilden, und Marcus führte zwei seiner Männer gerade einen steilen Abhang aus losem Geröll und getrocknetem Moos hinauf, als sie sich plötzlich fünfzig blau bemalten Gestalten in voller Kriegsausrüstung gegenübersahen. Ein paar Sekunden starrten sich die beiden Gruppen mit offenen Mündern an, dann machte Marcus kehrt und hastete den Hang hinunter; seine beiden Gefährten waren kaum langsamer. Hinter ihnen erschallte ein gellender Schrei, was eine Warnung der Karawane überflüssig machte. Die Blauhäute ergossen sich über die Kante des verborgenen Felssimses und fielen mit ihren langen, hoch über die Köpfe gereckten Schwertern und wilden Schreien über die Karawaneneskorte her. Die Legionäre ließen sich nicht viel Zeit zum Staunen. Als die Blauhäute angriffen, griffen Pfeile in Bogensehnen, und eine summende Woge des Todes sauste über die Köpfe von Marcus und seinen Männern hinweg, was ihnen die nötige Zeit verschaffte, den Pfad zu erreichen und sich dem Feind kampfbereit zu stellen. Marcus erinnerte sich, dass er seinen Gladius gezogen und einen Krieger getötet hatte, der ihn bis zu dem Moment anbrüllte, als Marcus ihm die Klinge in den Hals hackte. Einen Moment lang waren die Legionäre überwältigt. Ihre Kampfkraft lag in der Gemeinsamkeit, auf dem zerklüfteten Pfad jedoch musste jeder für sich allein kämpfen, und es gab so gut wie keine Gelegenheit, seinen Schild mit dem des Nebenmannes zu verbinden. Marcus sah, dass trotzdem jeder Römer den Kampf aufnahm und mit grimmigem Gesicht auf den heranstürmenden blauen Schrecken einschlug. Weitere Männer fielen auf beiden Seiten, und Marcus stand plötzlich mit dem Rücken gegen einen Karren, duckte sich unter einem Schwerthieb weg, bohrte seine kürzere Klinge in einen keuchenden blauen Bauch und riss sie seitlich wieder heraus. Während er sich bereits gegen zwei weitere Angreifer zur Wehr setzte, fiel ihm auf, dass die Eingeweide im Kontrast zu der blauen Farbe hellgelb aussahen. Er säbelte eine Hand am Gelenk ab und stach einem anderen Krieger in den Unterleib, als dieser versuchte, auf den Karren zu springen. Der Stammeskrieger fiel zornig knurrend in den aufwirbelnden Staub, und Marcus trampelte blindlings auf ihm herum, während er schon den Bizeps des nächsten aufschlitzte. Der Kampf schien sich lange hinzuziehen, und als die Angreifer endlich aufgaben und die Abhänge wieder hinauf in ihre Deckung rannten, wunderte sich Marcus darüber, dass die Sonne immer noch an der gleichen Stelle stand wie zu Beginn des Angriffs. Es waren höchstens ein paar Minuten vergangen. Er sah sich nach seiner Einheit um und war erleichtert, Gesichter zu sehen, die ihm vertraut waren, Gesichter, die keuchten und blutverschmiert waren, aber am Leben. Andere hatten nicht so viel Glück gehabt. Rupis würde nie wieder höhnisch grinsen. Er lag breitbeinig an einen der Karren gelehnt; ein breites rotes Lachen spaltete seine Kehle. Zwölf weitere Legionäre waren bei dem Angriff niedergemetzelt worden, dazwischen lagen fast dreißig reglose blaue Leiber, deren Blut im Sand ihres Landes versickerte. Es war ein grausiger Anblick, und die Fliegen fanden sich bereits in Scharen zu diesem Festmahl ein. Während Marcus nach Peppis rief, damit er ihm eine Feldflasche mit Wasser brachte, hatte Peritas bereits mit der Neueinteilung der Wachen begonnen und die Offiziere zu sich gerufen, um sich kurz Bericht erstatten zu lassen. Marcus hatte die Flasche von Peppis entgegengenommen und trottete an die Spitze der Kolonne. Peritas sah aus, als hätten ihm Hitze und Staub im Laufe der Jahre sämtliche Feuchtigkeit entzogen und nur noch ein Stück Hartholz zurückgelassen, aus dem ein Paar Augen mit amüsierter Gelassenheit blickte. Von der ganzen Gruppe war er der Einzige, der beritten war. Er nickte, als Marcus salutierte. »Wir könnten umkehren, aber ich bin der Meinung, dass wir das Schlimmste, was sie momentan zu bieten haben, jetzt hinter uns haben. Ich glaube, wenn wir die Leichen zurückbringen, wäre das ein kleiner Sieg für die Wilden, also ziehen wir weiter. Bindet die Toten auf die Karren und wechselt die Wachen aus. Ich möchte die ausgeruhtesten Männer als Späher haben, nur für alle Fälle. Die Männer, die den Feind überrascht und dazu gezwungen haben, sich früh zu zeigen, haben ihre Sache sehr gut gemacht und damit wahrscheinlich ein paar römische Leben gerettet. Es sind nur noch dreißig Meilen bis zu dem Lager in den Bergen, also beeilen wir uns lieber. Noch Fragen?« Marcus blickte zum Horizont. Es gab nichts zu fragen. Männer starben, wurden eingeäschert und nach Rom zurückgeschickt. So war das Soldatenleben. Wer überlebte, wurde befördert. Ihm war nie klar gewesen, dass Glück eine so große Rolle spielte, wie es der Fall zu sein schien, doch Renius hatte nur genickt, als er ihn danach gefragt hatte, und hatte darauf hingewiesen, dass ein Pfeil, auch wenn die Götter ihre Lieblingshelden hatten, sich nicht darum scherte, wen er tötete. Richtigen Ärger gab es, als die erschöpfte Kompanie nur noch ein paar Meilen vor sich hatte. Immer wieder waren unterwegs hier und da Blauhäute zu sehen gewesen, die sie aus dem Unterholz hervor beobachteten, doch die Legionäre waren nicht mehr zahlreich genug, um dem Gegner einen Trupp entgegenzuschicken, und da die Blauhäute sie nicht von weitem beschossen hatten, ignorierten die Soldaten die Wilden so gut es ging und hielten stets eine Hand auf dem Schwertknauf. Je näher sie dem Lager kamen, desto mehr Feinde sahen sie. Mindestens zwanzig von ihnen hielten über dem Pfad am Berghang mit ihnen Schritt, wobei sie Bäume und Unterholz als Deckung benutzten, gelegentlich aber auch ins Freie traten und die verbissenen römischen Soldaten laut johlend verhöhnten. Peritas hatte eine finstere Miene aufgesetzt, ließ sein Pferd aber unvermindert weitertrotten und nahm die Hand nicht mehr vom Schwertgriff. Marcus wartete die ganze Zeit darauf, dass ein Speer geschleudert wurde. Er stellte sich vor, wie ihn einer der blauen Krieger ins Visier nahm und spürte deutlich die Stelle zwischen den Schulterblättern, wo die Speerspitze eindringen würde. Sie trugen zweifellos Speere, schienen sich aber zu scheuen, sie zu werfen, zumindest war es bisher so gewesen. Was die Stelle zwischen den Schulterblättern nicht daran hinderte, zu jucken. Er sehnte die Ankunft im Lager herbei und fürchtete zugleich das, was sie dort vorfinden mochten. Es mussten sich mehrere Stämme zusammengeschlossen haben; mit Sicherheit hatte noch keiner der Männer so viele Blauhäute auf einmal gesehen. Falls einer von ihnen überlebte und der Legion über den Vorfall Bericht erstatten konnte, musste er sie unbedingt warnen, dass die Stämme an Zahl und Dreistigkeit zugenommen hatten. Endlich kamen sie um eine Wegbiegung und sahen die letzte Wegstrecke vor sich, eine halbe Meile steil ansteigendes Gelände bis hinauf zu einer kleinen Festung auf einem grauen Hügel. Rings um die steinige Erhebung streiften noch mehr blaue Männer durch das flache Land. Einige von ihnen hatten sogar in Sichtweite der Festung ihr Lager aufgeschlagen und beobachteten die Karawane aus schmalen Augen. Hinter den Römern waren Schritte auf Stein zu hören, und Steine, die von huschenden, nackten Füßen gelöst wurden, rutschten und polterten den Hang hinunter. Die Nerven eines jeden Mannes waren aufs Äußerste gespannt, als sie sich an den langsamen Aufstieg zum Lager machten. Die Ochsentreiber ließen nervös ihre Peitschen knallen. Marcus sah nirgends Wachtposten. Ein dumpfes Gefühl der Angst stieg in ihm auf. Sie würden es nicht schaffen. Und falls doch, was erwartete sie dort oben? Langsam marschierten sie weiter, bis sie nahe genug am Lager waren, um Einzelheiten zu erkennen. Noch immer war niemand hinter der Brustwehr zu sehen, und jetzt wusste Marcus mit sinkendem Mut, dass dort drinnen keiner mehr am Leben sein konnte. Er hatte sein Schwert gezogen und schwenkte es beim Gehen angespannt hin und her. Plötzlich stieß jeder Wilde im weiten Umkreis ein lautes Geheul aus. Marcus warf einen Blick nach hinten und sah, dass mindestens hundert ihrer Krieger den Pfad heraufgestürmt kamen. Peritas ritt die Reihe seiner Legionäre ab. »Lasst die Wagen stehen! Zum Lager. Los!«, rief er, und mit einem Mal rannten alle. Das Geheul schlug in wildes Jubelgeschrei um, als die Lenker von den Kutschböcken sprangen und die letzten hundert Fuß in vollem Lauf zurückzulegen versuchten. Marcus hielt sein Schwert vom Körper weg und rannte; er wagte nicht, sich noch einmal umzudrehen. Er hörte das Klatschen harter, nackter Füße und das schrille Angriffskreischen der Blauhäute, das mit einem Mal viel zu nah schien. Dann sah er das Tor vor sich und quetschte sich in einem Knäuel drängelnder, schiebender Soldaten hindurch. Drinnen drehte er sich sofort um, um die langsameren Männer draußen anzufeuern. Die meisten schafften es. Nur zwei Legionäre, die entweder zu müde zum Rennen waren oder zu viel Angst gehabt hatten, wurden eingeholt, wandten sich wie gejagte Tiere im letzten Augenblick um und wurden von vielen Klingen durchbohrt. Nasses, rotes Metall wurde trotzig emporgereckt, als die Überlebenden das Tor schlossen und verriegelten. Peritas sprang von seinem Pferd und befahl, das Lager zu durchsuchen und zu sichern. Wer verstand die abartigen Beweggründe dieser Wilden schon? Vielleicht warteten hier drinnen noch mehr von ihnen und erledigten einen Soldaten nach dem anderen, weil es ihnen mehr Spaß machte, ihre Gegner umzubringen, wenn sie sich schon in Sicherheit glaubten. Aber die Festung war leer. Bis auf die Leichen. Fünfzig Mann Besatzung hatte das Lager beherbergt, dazu zwanzig Pferde. Menschen und Tiere lagen dort, wo man sie getötet und verstümmelt hatte. Sogar bei den Pferden hatte man die stinkenden Eingeweide über den Steinboden verteilt; Wolken blauschwarzer Fliegen erhoben sich summend, wenn man ihnen zu nahe kam. Zwei Männer erbrachen sich bei dem Gestank, und Marcus spürte, wie ihn der Mut vollends verließ. Sie saßen in der Falle. Die Zukunft hielt nur Krankheit und Tod für sie bereit. Draußen sangen und johlten die Blauhäute. 30 Noch vor Einbruch der Nacht hatte Peritas die Leichen der Legionäre in einen leeren Kellerraum einschließen lassen. Die toten Pferde erwiesen sich als größeres Problem. Im ganzen Lager gab es keine Waffen mehr, nirgendwo ließ sich eine Axt auftreiben. Die glitschigen Kadaver konnten zwar von fünf oder sechs Mann angehoben, nicht aber die Steintreppen hinaufgetragen und über die Mauer geworfen werden. Schließlich ließ Peritas die schweren, leblosen Leiber vor das Tor schleppen, wo sie wenigstens die Angreifer aufhalten würden. Mehr durften sie sich nicht erhoffen. Keiner von ihnen glaubte daran, dass sie die Nacht überleben würden; Angst und Verzweiflung lasteten schwer auf ihnen. Oben auf der Mauer stand Marcus und beobachtete die Lagerfeuer mit zusammengekniffenen Augen. »Was ich nicht verstehe«, murmelte er an Peppis gewandt, »ist, warum sie uns ins Lager gelassen haben. Sie haben es doch schon einmal eingenommen, was sie einige Opfer gekostet haben dürfte. Warum also haben sie uns nicht draußen auf dem Weg niedergemacht?« Peppis zuckte die Achseln. »Das sind Wilde, Herr. Vielleicht gefällt ihnen die Herausforderung, oder dass sie uns demütigen können.« Dann fuhr er fort, Schwertklingen mit einem abgenutzten, ausgehöhlten Wetzstein zu schleifen. »Peritas sagt, wenn wir am Morgen nicht zurück sind, wird man uns vermissen, und morgen Abend schicken sie eine kleine Streitmacht los, vielleicht sogar früher. Wir brauchen nicht sehr lange hier auszuhalten, aber ich glaube nicht, dass uns die Blauhäute so viel Zeit lassen.« Er zog den Stein über die nächste silbrige Klinge. »Ich glaube, wir können dieses Lager einen Tag oder so halten. Sie sind zwar in der Überzahl, mehr aber auch nicht. Aber vergiss nicht, sie haben es schon einmal eingenommen.« Marcus verstummte, als in der einsetzenden Dunkelheit Gesang einsetzte. Wenn er sich sehr anstrengte, konnte er tanzende Gestalten vor den Flammen der Lagerfeuer erkennen. »Die amüsieren sich ja prächtig«, murmelte er. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Der Brunnen im Fort war mit verwesendem Fleisch vergiftet und alles Essbare weggeschafft worden. Die Wahrheit war, wenn die Verstärkung nicht in einem, spätestens in zwei Tagen eintraf, würde der Durst den Blauhäuten die Arbeit abnehmen. Vielleicht lag es in ihrer Absicht, dass die Römer mit trockenen Kehlen in der brennenden Sonne starben. Das würde zu den grausamen Geschichten passen, die sie über sie gehört hatten, und die nun, als die Nacht sich über die Festung legte, von den nervösen Soldaten wieder ausgegraben wurden. Peppis spähte über die Mauer in die Dämmerung und schnaubte verächtlich. »Da unten pisst einer an die Wand«, sagte er mit einer Stimme, die zwischen Zorn und Belustigung schwankte. »Sieh dich vor! Beug dich nicht zu weit hinaus, und nimm den Kopf nicht so hoch«, erwiderte Marcus, während er den eigenen Kopf dichter an den grob behauenen Stein drückte und versuchte, über den Rand zu schauen, ohne allzu viel von sich zu zeigen. Direkt unter ihnen stand ein schwankender Wilder, das Gemächt in der Hand, und besprengte das Lager in kurzen, schwungvollen Bögen mit dunklem Urin. Die grinsende Gestalt bemerkte die Bewegung über sich, zuckte zusammen und zog sich rasch zurück. Dabei winkte er den beiden, die ihn beobachteten, mit der Hand zu und schüttelte sein Geschlechtsteil in ihre Richtung. »Der hat wohl ein bisschen zu viel getrunken«, murmelte Marcus und musste unwillkürlich grinsen. Er sah zu, wie der Mann einen prallen Weinschlauch um den Körper nach vorn zog und kräftig daran sog, wobei er mehr verschüttete, als er trank. Mit trüben Augen stieß der Bursche den Propfen wieder hinein, fuchtelte wieder in Richtung Mauer hin und rief etwas in seiner verwaschenen, unverständlichen Sprache. Da die beiden ihm eine Antwort schuldig blieben, drehte er sich um, machte zwei Schritte und fiel vornüber. Marcus und Peppis beobachteten ihn. Er rührte sich nicht. »Der ist nicht tot. Ich sehe, dass sich seine Brust bewegt. Der ist höchstens sturzbesoffen«, flüsterte Peppis. »Eher ist das eine Falle. Diese Blauhäute sollen ziemlich hinterlistig sein.« »Kann sein, aber ich sehe nur einen von ihnen, und mit einem kann ich’s aufnehmen. Den Wein könnten wir gut gebrauchen. Ich jedenfalls«, erwiderte Marcus. »Ich gehe da runter. Hol mir ein Seil. Ich lass mich an der Mauer herunter, und bevor es brenzlig wird, bin ich wieder oben.« Peppis machte sich sogleich auf den Weg, und Marcus behielt die bäuchlings daliegende Gestalt und das umliegende Gelände im Auge. Er wog das Risiko ab und grinste spöttisch. Wenn sie ohnehin alle in der Nacht oder im Morgengrauen sterben mussten, warum sollte er dann noch auf irgendwelche Risiken Rücksicht nehmen? Das Problem verflüchtigte sich, und er spürte, wie seine Anspannung nachließ. Den fast sicheren Tod vor Augen zu haben, hatte etwas ziemlich Beruhigendes. Zumindest konnte er auf diese Weise noch einen Schluck trinken. Der Weinschlauch hatte jedenfalls so voll ausgesehen, als wäre für jeden von ihnen ein Becher drin. Peppis knotete ein Seilende fest und ließ das andere Ende geräuschlos an der zwanzig Fuß hohen Mauer hinunter. Marcus vergewisserte sich, dass sein Gladius fest saß und fuhr dem Jungen durchs Haar. »Bis gleich«, flüsterte er, schwang ein Bein über die Brustwehr und verschwand in der Dämmerung. Inzwischen war es fast dunkel geworden, sodass Peppis ihn kaum erkennen konnte, als er mit gezücktem Schwert auf die immer noch reglos am Boden liegende Gestalt zuschlich. Marcus spürte wieder dieses Jucken und biss die Zähne zusammen. Etwas stimmte hier nicht, doch es war zu spät, um den Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen. Er schob einen Fuß vor, tippte den betrunkenen Wilden an und war nicht überrascht, als der Mann plötzlich aufsprang. Marcus zerquetschte ihm die Kehle, bevor sich der Triumph ganz auf seinem Gesicht abzeichnen konnte. Dann erhoben sich zwei weitere blaue Männer aus dem Staub. Es war ihre Anwesenheit, die er gespürt hatte. Sie hatten sich in den Boden eingegraben und seit Stunden mit unmenschlicher Disziplin absolut still dort gelegen. Als er auf die beiden losging, kam Marcus der Gedanke, dass sie sich dort womöglich schon vor der Ankunft der römischen Karawane eingegraben hatten. Das waren keine unzivilisierten Wilden, sondern Krieger. Es schienen nur die drei zu sein, junge Männer, die es auf Ruhm oder ihre ersten toten Feinde abgesehen hatten. Sie hielten Schwerter in den Händen, und Marcus’ erster Rückhandschlag wurde mit einem lauten metallischen Klirren abgewehrt, bei dem der Legionär zusammenzuckte. Er musste hier weg, bevor die gesamte Armee der Blauhäute auftauchte. Marcus’ Gladius glitt an der Klinge des staubbedeckten Kriegers ab, rutschte nach unten und wurde von einem primitiven Heft aus Bronze jäh aufgehalten. Der Mann grinste höhnisch, Marcus schlug ihm die andere Faust in den Magen, riss die Klinge zurück und trieb sie in ihn hinein, als er überrascht und mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorne zusammenklappte. Als seine Halsadern durchtrennt wurden, brach er zusammen und fiel zuckend auf den Boden. Der Dritte war nicht so geschickt wie sein Gefährte, doch Marcus hörte Stimmen und wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Seine Eile machte ihn unvorsichtig, und er duckte sich erst spät unter einem wütenden Hieb, der ihm das Ohr ritzte und ihm einen Strich über die Kopfhaut zog. Er wich nach links aus und stieß dem Mann das Schwert von der Seite her durch die blau bemalten Rippen ins Herz. Als der Krieger mit einem gurgelnden Schrei fiel, hörte Marcus bereits das Patschen rennender Füße, an das er sich von der nachmittäglichen Flucht ins Lager noch lebhaft erinnerte. Es war zu spät, um zum Seil zurückzulaufen, also drehte er sich um, löste den Weinschlauch von dem ersten Toten, zog den Pfropfen heraus und nahm einen großen Schluck, während sich die Nacht rings um ihn mit Schwertern und blauen Schatten füllte. Sie bildeten mit gezückten Schwertern und sogar in der Dunkelheit hell funkelnden Augen einen Kreis um ihn. Marcus ließ den Weinschlauch neben seinen Füßen zu Boden gleiten und hielt seinen Gladius bereit. Sie rührten sich nicht. Er sah, wie ihre Blicke zu den Toten wanderten. Lange Sekunden vergingen in Schweigen, dann trat einer von ihnen vor, ein großer, glatzköpfiger, blauer Kerl mit einer langen, gebogenen Klinge. Der Krieger zeigte in die Ferne und deutete dann auf Marcus. Marcus schüttelte den Kopf und zeigte auf die Festung. Spott wurde laut, doch ein knappes Handzeichen des Mannes ließ ihn sofort wieder verstummen. Der Krieger trat furchtlos vor, sein Schwert auf Marcus’ Kehle gerichtet. Mit dem anderen Arm zeigte er wieder auf die Lagerfeuer und dann auf den jungen Römer. Der Kreis wurde enger, und Marcus spürte die Nähe der Männer hinter sich. »Das soll wohl heißen, ihr wollt mich über dem Feuer zu Tode foltern«, sagte er und zeigte ebenfalls auf die Lagerfeuer. Der große blaue Krieger nickte, ohne Marcus auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er gab ein paar Befehle, ein anderer Krieger legte die Hand auf Marcus’ Schwert und entwand es vorsichtig seinem Griff. »Aha, unbewaffnet und zu Tode gefoltert, das habe ich nicht gleich verstanden«, fuhr Marcus fort, bemüht, seine Stimme freundlich klingen zu lassen, da er wusste, dass sie ihn ohnehin nicht verstehen konnten. Er lächelte, und sie lächelten zurück. Dann ließen sie das Lager in der Dunkelheit zurück. Wahrscheinlich bildete er es sich nur ein, doch als er sich umdrehte, glaubte er, einen Augenblick lang Peppis’ Gesicht vor dem Nachthimmel zu erblicken. Die Blauhäute brachten ihren Gefangenen mit demonstrativem Selbstbewusstsein in ihr Lager. Marcus sah, dass dort alles zur Schlacht bereit war. Die Waffen waren ordentlich aufgeschichtet, und die Krieger tanzten und heulten im Feuerschein und spuckten, den blau aufschießenden Flammen nach zu urteilen, wenn die Strahlen ins Feuer trafen, reinen Alkohol hinein. Sie johlten und rangen miteinander, und der eine oder andere saß da und schmierte sich hellen Matsch auf die Arme und ins Gesicht. Marcus vermutete darin den Ursprung der blauen Färbung. Ihm blieb kaum Zeit, sämtliche Eindrücke in sich aufzunehmen, bevor sie ihn vor dem Freudenfeuer auf die Knie zwangen und ihm jemand eine grob gefertigte Lehmtasse mit einer klaren Flüssigkeit in die Hände drückte. Schon von den daraus aufsteigenden Dämpfen fingen seine Augen an zu tränen, aber er schluckte den gesamten Inhalt hinunter und kämpfte gegen das Würgen an. Es war ein starker Trunk, und er winkte dankend ab, als man ihm eine zweite Tasse anbot. Er wollte einen klaren Kopf behalten. Seine Wächter ließen sich rings um ihn auf dem Boden nieder und schienen sich über seine Kleidung und sein Benehmen auszutauschen. Jedenfalls wurde dabei viel mit Fingern gezeigt und gelacht. Marcus achtete nicht auf sie und überlegte, ob er wohl eine Möglichkeit zur Flucht finden würde. Er musterte die Schwerter der Krieger direkt neben ihm und sah, dass sie aus den Gürteln gezogen waren und griffbereit im trockenen Gras lagen. Wenn es ihm gelang, eins davon zu packen ... Hörner erklangen und unterbrachen seine Gedanken. Während alle in Richtung dieses Geräuschs blickten, warf Marcus noch einen verstohlenen Blick auf die ihm am nächsten liegende Klinge und sah, dass die Hand des Kriegers darauf lag. Als sein Blick weiter nach oben wanderte, sah er in die Augen des Mannes und grinste gequält, denn der stämmige Krieger schüttelte den Kopf und lächelte ihn mit braunen, fauligen Zähnen an. Das Horn wurde von der ersten alten Blauhaut gehalten, die Marcus zu sehen bekam. Er musste ungefähr fünfzig sein und hatte, im Gegensatz zu den harten, muskulösen Körpern der jüngeren Kämpfer, einen dicken Bauch, der sein Gewand ausbeulte und hin und her wackelte, wenn er seine dünnen Arme bewegte. Er musste einer der Anführer sein, denn die Krieger reagierten unverzüglich auf seine laut ausgestoßenen Befehle. Drei gewandte Burschen zückten ihre langen Schwerter und nickten Freunden im Kreis zu. Kleine Trommeln wurden hervorgeholt, und kurz darauf ertönte ein schneller Rhythmus. Die drei Männer standen entspannt da, die Trommeln wurden lauter, und sie bewegten sich mit einer Geschwindigkeit, die Marcus nicht für möglich gehalten hätte. Die Schwerter sahen aus wie Strahlen im Morgenlicht, und die Bewegungen gingen fließend ineinander über, völlig anders als die Schrittfolgen der römischen Tänze, die Marcus gelernt hatte. Er erkannte, dass da ein Kampf vorgeführt wurde, allerdings eher als Tanz denn als gewaltsamer Wettstreit. Die Männer wirbelten und sprangen umher, und ihre Schwerter zerschnitten summend die heiße Nachtluft. Fasziniert folgte Marcus der Darbietung, bis die Männer schließlich wieder ihre entspannte Haltung einnahmen und die Trommeln leiser wurden. Die Krieger jauchzten, und Marcus tat es ihnen ohne jede Scham nach. Erst als der alte Mann auf ihn zukam, verkrampfte er sich wieder ein wenig. »Dir gefällt? Sie sind gut?«, fragte ihn der Mann mit schwerem Akzent. Marcus verbarg seine Verwirrung und stimmte mit absichtlich nichtssagender Miene zu. »Diese Männer haben kleine Burg genommen. Sie sind Krajka, die Besten von uns, ja?« Marcus nickte. »Eure Leute gut gekämpft, aber die Krajka schon kämpfen üben, wenn sie stehen, noch kleine Kinder, ja? Wir so nehmen alle eure hässliche Burge, ja? Stein von Stein, und Asche verstreut? Das tun wir.« »Wie viele ... Krajka gibt es?«, fragte Marcus. Der Alte lächelte und zeigte ihm seine letzten drei Zähne, die in schwarzem Zahnfleisch steckten. »Nicht genug. Wir üben mit Soldaten, die heute gekommen mit dir. Andere Krieger müssen sehen, wie kämpfen deine Leute, ja?« Marcus sah ihn ungläubig an. Für die Besatzung im Lager sah die Zukunft wirklich nicht rosig aus. Man hatte sie in die Sicherheit der Mauern fliehen lassen, nur damit die jungen Blauhäute an den erschöpften Verteidigern ihre ersten Erfahrungen machen konnten. Es war eine grausige Vorstellung. Die Legion hielt die Blauhäute für Kreaturen, deren Intelligenz die von Tieren kaum überschritt. Jeder von ihnen, der gefangen genommen wurde, verlor schier den Verstand, zerbiss seine Fesseln und brachte sich, wenn er nicht entfliehen konnte, mit irgendeinem spitzen Gegenstand um. Dieser Beweis sorgfältiger Planung und die Tatsache, dass einer von ihnen eine zivilisierte Sprache sprach, zeugte von einer Bedrohung, die sie bislang nicht ernst genug genommen hatten. »Warum haben mich die Männer nicht getötet?«, fragte Marcus. Der Alte beugte sich dichter zu ihm, und Marcus musste sich zwingen, ruhig zu blieben, als ihm der säuerliche Geruch aus seinem Mund ins Gesicht schlug. »Sie sehr beeindruckt. Du tötest drei Männer mit kurzem Schwert. Tötest wie Mann, nicht mit Bogen oder Speer werfen. Sie bringen dich her zu mir, damit ich sehen kann, ja?« Eine Sehenswürdigkeit, ein Römer, der gut töten konnte. Bevor der alte Mann weitersprach, erriet er, was jetzt kommen würde. »Nicht gut, wenn junge Krieger bewundern Römer. Du kämpfst mit Krajka, ja? Wenn Sieger, du gehst wieder in Burg. Wenn Krajka tötet dich, dann sehen alle Männer und haben Hoffnung für Zukunft, ja?« Marcus nickte. Ihm blieb nichts anderes übrig. Er blickte in die Flammen und fragte sich, ob sie ihn seinen Gladius benutzen lassen würden. Von allen anderen Feuern kamen Blauhäute herbei und ließen ihre Lager fast ohne Schutz zurück. Marcus wusste, dass die Männer im Fort sich dieser Gelegenheit nicht bewusst sein konnten. Sie sahen nach wie vor die Lichtpunkte in der Bergdunkelheit, ohne zu wissen, dass die meisten Feinde sich an einem Punkt versammelt hatten, um dem Zweikampf beizuwohnen. Marcus durfte aufstehen. Mit Dolchen wurde ein Kreis abgesteckt. Die Blauhäute stellten sich außerhalb der Markierung auf. Einige von ihnen nahmen Freunde auf die Schultern, damit diese besser sehen konnten. Ganz gleich, in welche Richtung Marcus sich wandte, er sah eine wogende Mauer aus blauer Haut und grinsenden gelben Zähnen. Ihm fiel auf, wie viele Augen rötlich umrandet waren und kam zu dem Schluss, dass etwas in der Farbe die Haut reizen musste. Der Alte mit dem Schmerbauch trat in den Kreis, reichte Marcus würdevoll seinen Gladius und zog sich sofort wachsam zurück. Marcus achtete nicht auf ihn. Hier war kein besonderer Riecher nötig, um die Feindseligkeit zu spüren, die in der Luft lag. Wenn er verlor, würde er in Stücke gehackt werden, um ihre Überlegenheit zu beweisen, wenn er gewann, würde ihn die rasende Meute zerfleischen. Einen flüchtigen Augenblick dachte er daran, was Gaius an seiner Stelle wohl täte und musste bei dem Gedanken daran lächeln, dass Gaius den Anführer in dem Augenblick getötet hätte, als dieser ihm das Schwert reichte. Letztendlich konnte es nicht mehr schlimmer kommen. Der Anführer war immer noch in Reichweite, streckte seinen Bauch in den Kreis hinein, aber irgendwie kam es Marcus nicht richtig vor, einfach hinzugehen und den alten Teufel aufzuspießen. Vielleicht würden sie ihn ja tatsächlich laufen lassen. Er blickte in die Runde der Gesichter und zuckte die Achseln. Eher nicht. Gedämpfter Jubel brandete auf, als einer der Krajka sich dem Kreis näherte. Die Krieger bildeten eine Gasse für ihn, die sich sogleich wieder schloss, damit keiner seinen guten Platz verlor. Marcus musterte seinen Gegner von oben bis unten. Er war viel größer als jede durchschnittliche Blauhaut und überragte Marcus um einen halben Kopf, obwohl dieser nach seinem Aufbruch aus Rom noch ein ganzes Stück gewachsen war. Unter der Haut seines nackten, bemalten Oberkörpers bewegten sich kräftige Muskeln. Marcus schätzte, dass sie in etwa die gleiche Reichweite hatten. Seine eigenen Arme waren lang, die Handgelenke durch stundenlange Schwertübungen kräftig. Er wusste, dass er eine Chance hatte, egal wie gut sein Gegner auch war. Renius hatte jeden Tag mit ihm gearbeitet, und inzwischen gab es niemanden mehr, der Marcus im Training hätte herausfordern können. Er beobachtete, wie sich der große Mann bewegte, wie er seine Füße setzte. Dann sah er ihm in die Augen und fand keine Nachgiebigkeit. Der Mann lächelte nicht und würde Beleidigungen sowieso nicht verstehen. Er schritt den Kreis ab, immer darauf bedacht, sich außerhalb von Marcus’ Reichweite zu halten. Marcus drehte sich in der Mitte des Kreises auf der Stelle und behielt ihn unablässig im Auge, bis er seine Position gefunden hatte, auf der gegenüberliegenden Seite, ungefähr zwanzig Fuß entfernt. Taktik, alles Taktik. Renius sagte, man dürfe nie aufhören zu denken. Es ging nicht darum, anständig zu sein, sondern darum, zu gewinnen. Als der Mann ein langes Schwert zog, das von seiner Hüfte bis zum Boden reichte, zuckte Marcus angesichts der glänzenden Länge der bronzenen Waffe zusammen. Doch genau das war seine Chance. Bisher war ihm überhaupt nicht bewusst geworden, dass die Blauhäute Waffen aus Bronze benutzten. Ein Gladius aus gehärtetem Eisen konnte eine solche Waffe stumpf machen, wenn er nur die ersten paar Hiebe überstand. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf. Bronze wurde stumpf. Es war weicher als Eisen. Der Mann kam näher und lockerte seine nackten Schultern. Er trug lediglich eine Hose über nackten Füßen, bewegte sich wie eine Raubkatze und machte einen ausgesprochen athletischen Eindruck. »Wenn ich ihn töte, darf ich gehen, ja?«, rief Marcus dem alten Mann zu. Lauter Spott ertönte ringsum, und er fragte sich, wie viele von ihnen seine Sprache verstanden. Der Alte nickte, lächelte und gab mit der Hand das Zeichen zum Anfangen. Als die Trommeln über dem Geschnatter der Menge einsetzten, schreckte Marcus zusammen. Sein Gegner entspannte sich sichtlich, als die Schläge ihren Rhythmus fanden. Marcus sah, wie er sich ein wenig duckte und Kampfhaltung einnahm. Das Schwert hielt er unentwegt ausgestreckt vor sich. Die längere Klinge verlieh ihm in punkto Reichweite einen Vorteil, dachte Marcus und rollte die Schultern. Er hielt die Hand hoch, machte einen Schritt zurück und zog sich die Tunika aus. Es war eine Erleichterung, sich ihrer in der erstickenden Hitze zu entledigen, die von dem nahen Feuer und der schwitzenden Menge noch verstärkt wurde. Das Trommeln wurde lauter, und Marcus heftete den Blick auf die Kehle des Mannes. Damit ließen sich manche Gegner verunsichern. Während der andere leicht hin und her schaukelte, stand er absolut still. Zwei verschiedene Kampfstile. Der Krajka schien sich kaum zu bewegen, doch Marcus spürte den Angriff, wich seitlich aus und ließ die Bronzeklinge ins Leere stoßen. Er ließ den Gladius nicht auf die Klinge treffen, weil er zunächst die Geschwindigkeit des Mannes einschätzen wollte. Ein zweiter Stoß, eine elegante Fortführung des ersten, zielte auf sein Gesicht, und Marcus riss verzweifelt seinen Gladius nach oben. Metall traf klirrend auf Metall. Die Klingen glitten übereinander, und er spürte frischen Schweiß an seinem Haaransatz prickeln. Die Bewegungen des Mannes waren schnell und flüssig, und seine Hiebe kamen rasch, aus dem Handgelenk, wie Finten. Marcus parierte den nächsten, niedrig angesetzten Stoß auf seinen Bauch, setzte sofort nach und stieß nach dem blauen Körper. Er war nicht da, und Marcus landete der Länge nach auf dem harten Boden. Sofort stand er wieder und bemerkte, dass der Krajka ein Stück zurückgewichen war, um ihn aufstehen zu lassen. Dann ging es hier also nicht um eine rasche Entscheidung. Marcus nickte ihm mit zusammengepressten Zähnen zu. Keinen Zorn fühlen, befahl er sich, keine Scham. Er erinnerte sich an Renius’ Worte: Es spielt keine Rolle, was in einem Kampf geschieht, solange der Feind am Schluss zu deinen Füßen liegt. Der Krajka machte einen kleinen Sprung auf ihn zu. In der letzten Sekunde schoss das Bronzeschwert hervor, und Marcus war gezwungen, sich darunter wegzuducken. Diesmal folgte er nicht dem Impuls, den Angriff mit einem Gegenstoß zu kontern, und sah, dass der Mann darauf vorbereitet war und sein Schwert für einen Schlag nach unten bereit hielt. Er hat schon gegen Römer gekämpft!, schoss es Marcus durch den Kopf. Dieser Mann war mit ihrer Kampftechnik vertraut, vielleicht hatte er sie sogar im Kampf gegen einige der Legionäre gelernt, die in den vergangenen Monaten verschwunden waren, bevor er sie getötet hatte. Es war ärgerlich. Alles, was er gelernt hatte, stammte von Renius, einem in Rom ausgebildeten Soldaten und Gladiator. Er konnte nicht zu einem anderen Stil wechseln. Der Krajka war eindeutig ein Meister seiner Kunst. Das Bronzeschwert zuckte, und Marcus parierte. Er konzentrierte sich auf die leicht pulsierende blaue Kehle, konnte dabei aber immer noch die Bewegungen der Arme und des geschmeidigen Körpers wahrnehmen. Er ließ einen Hieb an sich vorbeisausen, wich einem anderen mit einem Schritt zur Seite aus. Dabei hatte er die Entfernung perfekt eingeschätzt. In dem Raum, der sich ihm bot, schlug er zu wie eine Schlange und ritzte einen dünnen roten Strich in die Seite des Krajka. Entsetzt verstummten die Zuschauer. Der Krajka sah verwirrt aus und wich mit zwei geschmeidigen Schritten von Marcus zurück. Er runzelte die Stirn, und Marcus erkannte, dass er den Schnitt nicht gespürt hatte. Er drückte die Hand auf den roten Strich und betrachtete sie mit ausdruckslosem Gesicht. Dann zuckte er die Achseln und tänzelte sich wieder heran. Sein Bronzeschwert war ein verschwommener Schemen in dem Wechsel aus Licht und Schatten. Marcus spürte den Rhythmus der Bewegungen und fing an, gegen den flüssigen Stil zu arbeiten. Er unterbrach den glatten Fluss, brachte den Krajka dazu, einen Satz nach hinten zu machen, als er ihm sein Schwert entschlossen entgegenstieß, und kurz darauf ein zweites Mal, als Marcus’ harte Sandalen gegen seine Zehen rammten. Marcus ging zum Gegenangriff über, denn er merkte, dass das Selbstvertrauen seines Gegners schwand. Jeder Schritt wurde von einem Hieb begleitet, der zu einem anderen fließenden Muster wurde, das den Stil des Krajka imitierte. Der Gladius wurde zu einer Verlängerung seines Arms, ein Dorn in seiner Hand, der nur einer Berührung bedurfte, um zu töten. Der Krajka ließ einen Hieb um Haaresbreite an seiner Kehle vorbeisausen, und Marcus spürte den wütenden Blick auf seiner eigenen Haut. Der Mann war wütend, weil er nicht so leicht wie erwartet gewann. Noch ein Schlag wurde pariert, und wieder wurden die nackten Füße unter den malmenden, harten römischen Sandalen begraben. Der Krajka ließ ein ersticktes Stöhnen vernehmen und wirbelte herum, sprang wie ein Gespenst in die Luft, so wie Marcus es bereits bei den anderen gesehen hatte. Es war eine Tanzbewegung, und das Bronzeschwert wirbelte mit ihm herum, kam unvermutet aus dem Wirbel heraus und riss Marcus die Haut quer über der Brust auf. Die Menge brüllte. Doch als der Mann wieder auf den Füßen landete, griff Marcus nach oben und packte die Bronzeklinge mit der bloßen linken Hand. Der Krajka blickte ihm erstaunt in die Augen und stellte zum ersten Mal während des gesamten Zweikampfes fest, dass sie ihn ebenfalls ansahen, kalt und schwarz. Dieser Blick ließ ihn erstarren, und dieses Zögern war sein Tod. Er spürte, wie der eiserne Gladius von vorne in seine Kehle stieß, und die Nässe des hervorschießenden Blutes, das ihn seiner Kraft beraubte. Er wollte seine Klinge zurückziehen, die Finger wie überreife Halme abschneiden, doch es war keine Kraft mehr in ihm, und er fiel wie ein schlaffer Sack vor Marcus zusammen. Marcus atmete langsam, hob das Bronzeschwert auf und warf einen kurzen Blick auf die Schneide und die verbogene und eingedellte Stelle, an der er sie festgehalten hatte. Er spürte Blut aus dem Schnitt in seiner Handfläche über die Knöchel tropfen, doch er konnte die Finger immer noch bewegen, wenn auch etwas steif. Dann wartete er darauf, dass die Menge sich auf ihn stürzte und tötete. Die Umstehenden schwiegen eine Weile, und in die Stille hinein rief die Stimme des Alten schroff klingende Befehle. Marcus hielt den Blick auf den Boden gerichtet und die beiden Schwerter in den Händen. Er vernahm Schritte und drehte sich um, als der Alte ihn am Arm packte. Die Augen des Mannes waren dunkel vor Verwunderung ... aber es lag auch noch etwas anderes in ihnen. »Komm. Ich halte mein Wort. Du gehst zurück zu Freunde. Wir euch alle holen am Morgen.« Marcus nickte, obwohl er es kaum glauben konnte. Er suchte nach Worten. »Er war ein sehr guter Kämpfer, der Krajka. Ich hatte noch nie einen besseren Gegner.« »Natürlich. Er war mein Sohn.« Der Mann sah auf einmal viel älter aus, als lasteten die Jahre schwerer auf seinen Schultern. Er führte Marcus aus dem Kreis heraus ins Freie und zeigte in die Nacht. »Geh zurück jetzt.« Er blieb stumm, als Marcus ihm das Bronzeschwert reichte und in die Dunkelheit davonging. Marcus sah die dunkle Mauer der Festung vor sich aufragen. Als er noch ein Stück weit entfernt war, pfiff er eine Melodie, damit ihn die Soldaten erkannten und ihm nicht aus Versehen einen Armbrustbolzen durch die Brust jagten. »Ich bin allein! Peppis, wirf den Strick wieder runter!«, rief er in die Stille. Von drinnen ertönte Rascheln und Scharren; alle wollten einen Blick über die Mauer werfen. Über ihm tauchte ein Kopf in der Dunkelheit auf. Marcus erkannte Peritas’ mürrische Züge. »Marcus? Peppis hat gesagt, die Blauhäute hätten dich erwischt.« »Das stimmt, aber sie haben mich wieder freigelassen. Wirfst du mir jetzt ein Seil runter oder nicht?«, blaffte Marcus. So weit von den Lagerfeuern entfernt war es wesentlich kälter, außerdem hatte er seine verletzte Hand unter die Achsel geklemmt, damit die steifen Finger warm blieben. Er vernahm geflüsterte Unterhaltungen von oben und fluchte über Peritas und seine übertriebene Vorsicht. Warum sollten ihnen die Wilden eine Falle stellen, wenn sie einfach nur zu warten brauchten, bis sie alle verdurstet waren? Endlich wurde ein Seil heruntergelassen, und Marcus zog sich mit vor Müdigkeit brennenden Armen hinauf. Oben angekommen, halfen ihm hilfreiche Hände über die Brustwehr, und dann wurde er von Peppis, der die Arme um ihn schlang, beinahe umgeworfen. »Ich dachte, die fressen dich auf«, sagte der Junge. In seinem schmutzigen Gesicht waren Tränenschlieren zu sehen, und Marcus verspürte einen schmerzhaften Stich, weil er den Jungen zu seiner letzten Nacht an diesen trostlosen Ort gebracht hatte. »Nein, Kleiner«, sagte er und zauste Peppis liebevoll das Haar, »die fanden mich zu zäh. Junges, zartes Fleisch ist ihnen lieber.« Peppis starrte ihn entsetzt an, und Peritas lachte. »Du hast noch die ganze Nacht Zeit, um uns zu erzählen, was passiert ist. Ich glaube nicht, dass einer von uns ein Auge zukriegt. Sind viele von denen da draußen?« Marcus sah den Älteren an und wusste, dass es Dinge gab, die er vor dem Jungen nicht sagen durfte. »Genug«, erwiderte er leise. Peritas wandte den Blick ab und nickte. Bei Tagesanbruch warteten Marcus und die anderen mit vor Schlafmangel trockenen Augen auf den Angriff. Jeder Mann stand auf der Mauer und wandte bei der kleinsten Bewegung eines Vogels oder eines Kaninchens unten im Buschland nervös den Kopf. Die Stille war erschreckend, doch als sie von einem umfallenden Schwert zerrissen wurde, musste sich der achtlose Soldat, dem es entglitten war, von mehreren Seiten Beschimpfungen gefallen lassen. Dann hörten sie in der Ferne die blechernen Trompeten einer römischen Legion, deren Klang sich in den Hügeln brach. Peritas rannte den schmalen Laufgang hinter der Mauer entlang und jubelte laut, als auf den Bergpfaden in der Ferne drei im Laufschritt herantrabende Zenturien sichtbar wurden. Es dauerte nur wenige Minuten, bis eine Stimme rief: »Macht das Tor auf!«, und die Flügel weit aufgerissen wurden. Nachdem die Karawane nicht rechtzeitig zurückgekommen war, hatten die Kommandeure der Legion nicht lange gezögert und eine Entsatztruppe losgeschickt. Nach den Angriffen der letzten Zeit wollten sie ihre Stärke unter Beweis stellen, waren in der Dunkelheit über unwegsames Terrain marschiert und hatten in der Nacht zwanzig Meilen zurückgelegt. »Seid ihr irgendwo auf Blauhäute gestoßen?«, erkundigte sich Peritas besorgt. »Als wir hier ankamen, sind Hunderte von ihnen um die Festung herumgewimmelt. Wir waren eigentlich auf einen Angriff eingestellt.« Ein Zenturio schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. »Wir haben rauchende Lagerfeuer und Abfall von ihnen gesehen. Sieht ganz so aus, als wären sie in der Nacht abgezogen. Aber man kann ja nie wissen, was diese Wilden denken. Vielleicht hat einer ihrer Hexenmeister einen Unglücksvogel oder sonst ein schlechtes Omen gesehen.« Er blickte sich im Lager um, und der Leichengeruch stieg ihm in die Nase. »Sieht aus, als hätten wir hier noch einiges zu tun. Unser Befehl lautet, diesen Posten zu halten, bis die Ablösung kommt. Ich schicke eine halbe Legion mit euch zum Lager zurück. Von jetzt an geht niemand mehr ohne Streitmacht raus. Schließlich befinden wir uns hier in Feindesland, verstanden?« Marcus öffnete den Mund, um zu antworten, doch Peritas legte ihm den Arm um die Schulter, drehte ihn energisch zur Seite und schickte ihn mit einem Schubs weg. »Wir haben verstanden«, sagte er, bevor er sich umdrehte, um seine Männer für den Rückmarsch bereitzumachen. 31 Die durch die Straßen ziehende Bande war bereits in teure Stoffe gehüllt, die sie aus einem Laden oder von einer Näherin gestohlen hatten. Aus den Tongefäßen, die sie bei sich trugen, spritzte roter Wein auf das Straßenpflaster, wenn sie sie torkelnd durch die Luft schwenkten. Alexandria spähte mit finsterer Miene aus dem verschlossenen Tor von Marius’ Stadthaus nach draußen. »Der Abschaum von Rom«, murmelte sie. Nachdem sämtliche Soldaten der Stadt in die Kämpfe verwickelt waren, hatte es nicht lange gedauert, bis diejenigen, die das Chaos liebten, sich offen auf den Straßen zeigten. Wie immer hatten die Armen am meisten zu leiden. Ohne Wachen oder sonstigen Schutz wurde in Häuser eingebrochen und alles, was irgendwie von Wert war, von johlenden Plünderern davongetragen. Alexandria sah, dass eine der Tuchbahnen mit Blut bespritzt war, und in ihren Fingern zuckte es. Am liebsten hätte sie dem Mann einen Pfeil in seinen betrunkenen Rachen gejagt. Als sie vorbeigingen, duckte sie sich hinter den Torpfosten und zuckte zusammen, als eine kräftige Hand am Tor rüttelte und es auf Schwachstellen überprüfte. Sie packte den Hammer, den sie aus Bants Werkstatt mitgenommen hatte. Falls die Kerle auf die Idee kamen, über das Tor zu steigen, war sie bereit, jemandem den Schädel einzuschlagen. Mit klopfendem Herzen lauschte sie auf jedes gelallte Wort, das draußen nach dem ersten Versuch gewechselt wurde. »Drüben auf der Via Tantius ist ein Bordell, Leute«, krächzte eine raue Stimme. »Da wird man heute bestimmt kostenlos bedient.« »Die haben bestimmt Wachen, Brac. So einen Posten würde ich nicht verlassen. Du vielleicht? Und ich würde auch zusehen, dass ich für meine Dienste bezahlt werde. Diese Huren sind bestimmt froh, wenn sie von einem starken Mann beschützt werden. Was wir brauchen, ist noch so ein nettes kleines Eheweib mit ein paar jungen Töchtern. Denen können wir anbieten, dass wir uns um sie kümmern, solange der Gemahl weg ist.« »Aber nur, wenn ich als Erster dran bin. Beim letzten Mal hab ich nicht viel davon gehabt«, sagte die erste Stimme. »Aber nur, weil sie an mir schon genug hatte. Nach mir will keine Frau noch einen anderen.« Das Gelächter war grob und brutal, und Alexandria erschauerte, als die Männer sich entfernten. Dann hörte sie leise Schritte hinter sich und fuhr mit erhobenem Hammer herum. »Schon gut, ich bin es«, sagte Metella. Ihr Gesicht war blass. Sie hatte den Schluss der Unterhaltung ebenfalls gehört. Beide Frauen hatten Tränen in den Augen. »Ist es dir ganz gewiss ernst damit, Herrin?« »Aber ja, Alexandria, aber du musst dich beeilen. Wenn du hier bleibst, wird es nur noch schlimmer. Sulla ist ein rachsüchtiger Mann, und es gibt keinen Grund, dass du seiner Gehässigkeit zum Opfer fällst. Geh und suche diesen Tabbic. Hast du das Schreiben, das ich unterzeichnet habe?« »Selbstverständlich. Es ist das Wertvollste, was ich besitze.« »Bewahre es sorgsam auf. Die nächsten Monate werden schwierig und gefährlich sein. Du brauchst einen Beweis dafür, dass du eine freie Frau bist. Leg das Geld, das Gaius für dich zurückgelassen hat, gut an, und bleib so lange verborgen, bis die Stadtlegion die Ordnung wiederhergestellt hat.« »Wenn ich ihm nur dafür danken könnte.« »Ich hoffe, dass du eines Tages die Gelegenheit dazu bekommst.« Metella ging zu dem vergitterten Tor, entriegelte es und spähte nach links und rechts die Straße hinab. »Jetzt rasch. Die Straße ist im Augenblick leer, aber du musst schnell zum Markt hinunter. Halte dich nirgendwo auf, hast du mich verstanden?« Alexandria nickte steif. Nach allem, was sie gehört hatte, brauchte sie keine Ermahnungen mehr. Sie schaute in Metellas dunkle Augen, sah ihre bleiche Haut und spürte, wie sie die Angst überfiel. »Ich mache mir nur Sorgen um dich, so allein in dem großen Haus. Wer wird für dich sorgen, wo doch das ganze Haus leer ist?« Metella hob die Hand in einer sanften Geste. »Hab keine Angst um mich, Alexandria. Ich habe Freunde, die mich heimlich aus der Stadt bringen. Ich suche mir ein warmes, fernes Land und setze mich dort zur Ruhe, weit weg von den Intrigen und Schmerzen einer wachsenden Stadt. Ich könnte mir einen uralten Ort vorstellen, an dem die jugendlichen Machtkämpfe nur eine ferne Erinnerung sind. Bleib auf der Hauptstraße. Ich kann nicht eher ruhen, bis die Letzte meiner Familie in Sicherheit ist.« Mit Tränen in den Augen erwiderte Alexandria ihren Blick. Dann nickte sie kurz und schob sich durch den Spalt zwischen den Torflügeln nach draußen, zog das Tor fest hinter sich zu und eilte davon. Metella sah ihr nach und spürte im Vergleich zu den leichtfüßigen Schritten des jungen Mädchens jedes einzelne ihrer Jahre. Sie beneidete die Jugend um die Möglichkeit, noch einmal von vorne anzufangen, ohne sich nach dem Vorangegangenen umzusehen. Metella schaute Alexandria nach, bis sie um eine Straßenecke bog, dann wandte sie sich ihrem leeren, hallenden Haus zu. Endlich waren das große Gebäude und die Gärten leer. Warum war Marius nicht hier? Es war ein unheimlicher Gedanke. Er war schon so oft lange auf Feldzügen fort gewesen, aber er war immer wieder zurückgekehrt, strotzend vor Leben, Humor und Kraft. Die Vorstellung, dass er diesmal nicht zu ihr zurückkehren würde, war eine hässliche Wunde, an die sie nicht rühren wollte. Es war viel einfacher, sich vorzustellen, dass er mit seiner Legion unterwegs war, neue Länder eroberte oder für fremde Könige gewaltige Aquädukte errichtete. Sie würde einschlafen, und wenn sie aufwachte, würde dieser schreckliche, bohrende Schmerz in ihr verschwunden sein, und Marius würde wieder da sein und sie in den Armen halten. Sie konnte den Rauch riechen. Seit Sullas Angriff auf die Stadt vor drei Tagen brannten Feuer, deren Flammen ungehindert von Haus zu Haus und von Straße zu Straße übersprangen. Bis jetzt hatten die Brände die Steinhäuser der Reichen noch nicht erreicht, aber schließlich würde das Feuer, das in Rom wütete, sie alle verschlingen und Asche auf Asche häufen, bis von ihren Träumen nichts mehr übrig war. Metella schaute über die Stadt, die sich den Hügel hinunterzog. Sie lehnte sich an die Marmorwand und empfand die Kühle auf der Haut als Erleichterung von der schweren Hitze. An Dutzenden Stellen stiegen dicke schwarze Qualmsäulen in den Himmel und vereinigten sich zu einer grauen Decke, die Farbe der Verzweiflung. Schreie wurden von dort herangetragen, wo die marodierenden Soldaten ohne jede Gnade kämpften und die Raptores in den Straßen alles, was ihnen über den Weg lief, umbrachten oder schändeten. Sie hoffte, dass Alexandria sicher durchkam. Die Hauswachen hatten sie am gleichen Morgen verlassen, an dem die Kunde von Marius’ Tod sie erreichte. Wahrscheinlich konnte sie sich glücklich schätzen, dass sie sie nicht in ihrem Bett ermordet und das Haus geplündert hatten. Trotzdem traf der Verrat tief. Waren sie nicht gerecht und gut behandelt worden? Worauf konnte man sich sonst noch verlassen, in einer Welt, in der das Gelöbnis eines Mannes mit dem ersten warmen Windstoß verpuffte? Natürlich hatte sie Alexandria angelogen. Es gab keine Möglichkeit für sie, die Stadt zu verlassen. Wenn es schon gefährlich war, eine junge Sklavin nur ein paar Straßen weiter zu schicken, dann war es für eine überall bekannte Frau nachgerade unmöglich, ihren Besitz an den Wölfen vorbeizuschaffen, die durch die Straßen Roms streiften und nur auf solche Gelegenheiten warteten. Vielleicht hätte sie sich als Sklavin verkleiden oder sogar mit einem der Sklaven weglaufen sollen. Mit etwas Glück wären sie vielleicht aus der Stadt herausgekommen, obwohl sie es für wahrscheinlicher hielt, dass man sie aufgehalten, misshandelt und dann irgendwo für die Straßenköter liegen gelassen hätte. Seit drei Tagen gab es kein Gesetz mehr in Rom, und das bedeutete für einige eine berauschende Freiheit. Wäre sie jünger und mutiger gewesen, hätte sie das Risiko vielleicht auf sich genommen, aber Marius war schon zu lange ihr Mut und ihre Zuversicht gewesen. Mit ihm an ihrer Seite konnte sie die Gehässigkeiten der feinen Damen aushalten, die hinter ihrem Rücken über ihre Kinderlosigkeit tuschelten. Mit ihm konnte sie sich der Welt mit leerem Schoß stellen und trotzdem lachen, ohne dabei laut aufzuschreien. Ohne ihn wagte sie sich nicht auf die Straße hinaus, um ganz allein ein neues Leben als mittelloser Flüchtling zu beginnen. Metallbeschlagene Sandalen trabten am Tor vorbei, und Metella lief ein Schauder von der Schulter aus über den ganzen Leib. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden die Kämpfe auch dieses Viertel erreichen und die Plünderer und Mörder in Sullas Gefolge würden das Eisentor von Marius’ alter Stadtvilla aufbrechen. Während der ersten beiden Tage hatte sie noch Berichte von draußen bekommen, bis auch ihre Boten sie verließen. Sullas Männer waren in die Stadt eingedrungen und nahmen Straße um Straße ein. Sie nutzten den Vorteil, den Marius ihnen eingeräumt hatte, indem er die Erstgeborenen ringsum auf den Stadtmauern postiert hatte, woraufhin es ihnen nicht möglich gewesen war, gleich in den ersten Stunden ihre Kräfte geballt gegen die Eindringlinge einzusetzen. Inzwischen hatte sich Sulla festgesetzt und gab sich mit einer langsam voranschreitenden Schlacht zufrieden, zog seine Belagerungsmaschinen durch die Straßen, zerschmetterte Barrikaden und säumte die Straßen hinter sich mit den Köpfen von Marius’ Soldaten. Angeblich war der große Jupitertempel abgebrannt, und die Flammen seien so heiß gewesen, dass die Marmorplatten gesprungen und zerplatzt seien, was wiederum die Säulen und die schweren Stützpfeiler zum Einsturz gebracht hatte, die mit weithin hallendem Krachen auf den Vorplatz gekracht waren. Die Leute sagten, es sei ein böses Omen, und dass die Götter Sulla zürnten, aber trotzdem sah es nach wie vor so aus, als würde Sulla den Sieg davontragen. Dann waren die Nachrichten versiegt, und in der Nacht hatte sie gewusst, dass die rhythmischen Siegesgesänge, die durch ganz Rom hallten, nicht aus den Kehlen der Erstgeborenen stammten. Metellas Hand wanderte zur Schulter, fand den Träger und schob ihn über die Haut zur Seite. Sie ließ ihn am Arm herabgleiten und griff nach dem anderen. Kurz darauf fiel ihr Gewand in einem kleinen Stoffhaufen auf den Boden, aus dem sie nackt heraustrat. Mit dem Rücken zum Tor schritt sie durch die Bögen und Türen tiefer ins Haus hinein. Auf der unverhüllten Haut fühlte sich die Luft merklich kühler an, und sie erschauerte abermals, diesmal jedoch mit einem Anflug von Lust. Es fühlte sich seltsam an, in diesen formellen Räumen nackt umherzuwandeln! Beim Gehen schob sie Armreife von ihren Handgelenken und Ringe von den Fingern, legte die Hand voll Edelmetall auf einen Tisch. Marius’ Ehering behielt sie an, so wie sie ihm einst versprochen hatte, ihn nie wieder abzulegen. Sie löste die Bänder in ihrem Haar und ließ es wie eine Kaskade herabstürzen, schüttelte den Kopf, damit die Locken und Wellen sich glätteten. Barfüßig und sauber betrat sie die Badehalle, spürte, wie der Dampf sie mit einem feinen Hauch schimmernder Feuchtigkeit umfing. Sie atmete ihn ein und ließ die Wärme in ihre Lunge. Das Becken war tief und das Wasser frisch angewärmt, die letzte Verrichtung der scheidenden Sklaven und Diener. Mit einem leisen Seufzer stieg sie in das klare Nass, das von dem Mosaikboden dunkelblau gefärbt wurde. Sie schloss ein paar Sekunden lang die Augen und dachte an die Jahre mit Marius zurück. Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, dass er so oft und so lange mit der Erstgeborenen von zu Hause und von ihr fort gewesen war, aber wenn sie gewusst hätte, wie wenig Zeit ihnen noch blieb, wäre sie mit ihm gezogen. Doch jetzt war nicht der richtige Augenblick für sinnlose Reue. Ohne dass sie es wollte, und ohne dass sie ihr Erleichterung verschafft hätten, rannen neue Tränen unter ihren Lidern hervor. Sie erinnerte sich an seine erste Beförderung zum Offizier, an seine Freude bei jeder weiteren Beförderung. In seiner Jugend war er prächtig gewesen, ihr Liebesspiel ausgelassen und wild. Als der muskulöse Soldat um ihre Hand angehalten hatte, war sie ein unschuldiges Mädchen gewesen. Sie hatte nichts von den hässlichen Seiten des Lebens gewusst, von dem Schmerz, als ein Jahr nach dem anderen ohne Kindersegen verging. Jede ihrer Freundinnen hatte ein schreiendes Kind nach dem anderen in die Welt gepresst, und einige davon brachen ihr allein durch ihren Anblick das Herz, und sie fühlte sich sofort einsam und leer. Das waren die Jahre gewesen, in denen Marius immer mehr Zeit fern von ihr verbracht hatte, als er unfähig gewesen war, ihren Zorn und ihre Anschuldigungen zu ertragen. Eine Zeit lang hatte sie gehofft, er hätte eine Geliebte, und sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie sogar ein Kind aus einer solchen Vereinigung als ihr eigenes annehmen würde. Er hatte ihren Kopf zärtlich zwischen seine Hände genommen und sie sanft geküsst. »Es gibt nur dich, Metella«, hatte er gesagt. »Wenn das Schicksal uns diese eine Freude genommen hat, dann will ich ihm deshalb nicht ins Gesicht spucken.« Sie hatte gedacht, sie könnte das Schluchzen, das ihr ständig die Kehle zuschnürte, nie wieder loswerden. Schließlich hatte er sie hochgehoben und ins Bett getragen, wo er so zärtlich mit ihr war, dass sie noch einmal hatte weinen müssen, ganz am Schluss. Er war ein guter Gemahl gewesen, ein guter Mensch. Ohne die Augen zu öffnen, streckte sie die Hand nach dem Beckenrand aus. Ihre Finger fanden das kleine Eisenmesser, das sie dort hingelegt hatte. Eins seiner Messer, das ihm überreicht worden war, nachdem seine Zenturie eine ganze Woche lang eine Bergfestung gegen eine wimmelnde Armee von Wilden gehalten hatte. Sie nahm die Klinge zwischen zwei Finger und führte sie blind hinunter zu ihrem Handgelenk. Dann holte sie tief Luft. Ihr Geist war wie betäubt und von Frieden erfüllt. Die Klinge drang ein, und seltsamerweise tat es überhaupt nicht weh. Der Schmerz war irgendwo weit weg, sie nahm ihn kaum wahr, als sie längst vergangene Sommer vor ihrem inneren Auge vorüberziehen ließ. »Marius.« Sie glaubte, den Namen laut gesagt zu haben, doch es war ruhig und still in dem Raum, und das blaue Wasser war rot geworden. Cornelia sah ihren Vater wütend an. »Ich gehe nicht weg! Das hier ist mein Haus, und hier ist es im Augenblick so sicher wie an jedem anderen Ort in der Stadt!« Cinna sah sich um, sah die schweren Tore, die das Stadthaus zur Straße hin abgrenzten. Das Haus, das er ihr als Mitgift geschenkt hatte, war recht einfach, ein Haus mit nur acht Zimmern, alle auf einem Stockwerk. Es war ein schönes Haus, aber ein hässliches mit einer hohen Backsteinmauer ringsum wäre ihm lieber gewesen. »Wenn der Pöbel kommt, oder Sullas Männer, um zu schänden und zu verwüsten .« Seine Stimme zitterte, so bewegt war er, doch Cornelia blieb stur. »Ich habe Wachen, die sich gegen den Pöbel zur Wehr setzen können, und nichts in ganz Rom wird Sulla aufhalten, wenn es die Erstgeborene nicht kann«, gab sie zurück. Ihre Stimme war ruhig, doch innerlich nagten Zweifel an ihr. Es stimmte, das Haus ihres Vaters war wie eine Festung gebaut, aber dieses Haus hier gehörte ihr und Julius. Hier würde er nach ihr suchen, falls er die Kämpfe überlebte. Die Stimme ihres Vaters schwoll fast zu einem Kreischen an. »Du hast nicht gesehen, was auf den Straßen vor sich geht! Banden von wilden Tieren suchen nach leichten Opfern. Ohne meine Wache könnte selbst ich nicht mehr hinausgehen. Viele Häuser sind niedergebrannt oder ausgeplündert worden. Das reinste Chaos.« Er rieb sich mit den Händen das Gesicht, und seine Tochter sah, dass er sich nicht rasiert hatte. »Rom wird auch das überstehen, Vater. Wolltest du nicht schon vor einem Jahr aufs Land ziehen, damals, als die Aufstände ausbrachen? Wäre ich damals gegangen, hätte ich Julius niemals kennen gelernt und wäre jetzt nicht verheiratet!« »Hätte ich es nur getan!«, knurrte Cinna mit wütender Stimme. »Hätte ich dich damals nur aus der Stadt geholt. Dann wärst du jetzt nicht hier und in Gefahr .« Sie ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Wange. »Beruhige dich, Vater, beruhige dich. Mit all deinen Sorgen schadest du dir noch selbst. Die Stadt hat schon so manche Erschütterung überstanden. Auch diese hier geht vorüber. Alles wird gut. Du hättest dich rasieren sollen.« Ihm standen Tränen in den Augen, und sie umarmte ihn fest. »Vorsichtig, Vater«, sagte sie. »Du musst jetzt viel Rücksicht auf mich nehmen.« Der Mann hielt sie mit ausgestreckten Armen von sich und blickte sie misstrauisch an. »Bist du schwanger?«, fragte er mit vor Rührung belegter Stimme. Cornelia nickte. »Mein wunderbares Mädchen«, sagte er und drückte sie wieder an sich, jetzt jedoch sehr behutsam. »Du wirst Großvater«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Cornelia«, sagte er. »Du musst jetzt mitkommen. In meinem Haus ist es sicherer als hier. Warum willst du so ein Risiko auf dich nehmen? Komm nach Hause.« Das Wort war so verlockend. Wie gerne wollte sie sich von ihm in Sicherheit bringen lassen, wie sehr sehnte sie sich danach, wieder ein kleines Mädchen zu sein, doch sie konnte nicht. Sie schüttelte den Kopf und lächelte tapfer, um den Stachel der Zurückweisung abzumildern. »Wenn es dich glücklich macht, kannst du ja ein paar Wachen mehr zurücklassen, aber das hier ist jetzt mein Zuhause. Mein Kind wird hier zur Welt kommen, und wenn Julius in die Stadt zurückkehrt, wird er mich hier zuerst suchen.« »Was ist, wenn er nicht mehr lebt?« Sie spürte einen schmerzhaften Stich und schloss die Augen. Tränen brannten unter ihren Lidern. »Vater, bitte ... Julius wird zu mir zurückkommen. Da ... da bin ich mir ganz sicher.« »Weiß er von dem Kind?« Sie hielt die Augen geschlossen, versuchte, die Schwäche mit reiner Willenskraft zu vertreiben. Sie wollte keinesfalls zu schluchzen anfangen, obwohl ein Teil von ihr sich am liebsten an die Brust des Vaters geworfen und sich von ihm hätte wegbringen lassen. »Nein, noch nicht.« Cinna setzte sich auf eine Bank neben einem leise plätschernden Wasserbecken im Garten. Er erinnerte sich an die Unterhaltungen mit dem Architekten, mit dem er die Fertigstellung des Hauses für seine Tochter besprochen hatte. Es schien ihm so lange her zu sein. Er seufzte. »Du treibst mich in den Wahnsinn, mein Mädchen. Was soll ich nur deiner Mutter sagen?« Cornelia setzte sich neben ihn. »Du sagst ihr, dass es mir gut geht und dass ich in ungefähr sieben Monaten ein Kind zur Welt bringen werde. Du sagst ihr, dass ich mein Haus für die Geburt vorbereite, das wird sie verstehen. Wenn es wieder ein bisschen ruhiger geworden ist, schicke ich Boten zu euch und ... sag ihr, wir haben genug zu essen und alle sind gesund. Ganz einfach.« Die Stimme ihres Vaters kippte ein wenig, als er versuchte, einen festeren Ton anzuschlagen. »Dieser Julius tut gut daran, dir ein guter Ehemann zu sein. Und ein guter Vater. Wenn nicht, lasse ich ihn auspeitschen. Das hätte ich schon tun sollen, als ich davon erfahren habe, dass er meiner Tochter über die Dächer meines Hauses nachsteigt.« Cornelia wischte sich mit der Hand über die Augen und drückte die Sorgen wieder zurück. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Du bist kein grausamer Mann, Vater, also tu nicht so, als wärst du einer.« Er verzog das Gesicht, und die Stille dehnte sich ein paar Augenblicke lang. »Ich warte noch zwei Tage, dann lasse ich dich von meiner Wache nach Hause holen.« Cornelia drückte den Arm ihres Vaters. »Nein. Ich gehöre dir nicht mehr. Julius ist mein Mann, und er erwartet, dass ich hier bin.« Dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten und fing an zu schluchzen. Cinna zog sie an sich und nahm sie fest in die Arme. Sulla runzelte die Stirn, als seine Männer losrannten, um die Hauptstraßen zu sichern, die ihnen den Zugang zum großen Forum und dem Herzen der Stadt sicherten. Nach dem ersten blutigen Handgemenge war die Schlacht um Rom für ihn gut gelaufen; ein Viertel nach dem anderen hatte er rasch und rücksichtslos eingenommen und dann gegen einen völlig unorganisierten Feind gehalten. Bevor die Sonne richtig aufgegangen war, befand sich ein Großteil der tiefer gelegenen östlichen Stadtteile Roms unter seiner Kontrolle, sodass er genügend Platz für seine Truppen hatte, damit sie sich zurückziehen, ausruhen und neu formieren konnten. Dann waren taktische Probleme aufgetaucht. Je weiter sich das von ihm kontrollierte Gebiet ausdehnte, umso weniger Männer hatte er, um die Grenze zu sichern, wobei er wusste, dass sie ständig der Gefahr ausgesetzt waren, an dieser oder jener Stelle von einer übermächtigen Streitmacht angegriffen zu werden. Sullas Vorstoß verlangsamte sich, und seine Befehle gingen in immer rascherer Folge hinaus an die Truppen, beorderten sie von einem Ort zum anderen oder wiesen sie an, die Stellung zu halten. Er wusste, dass er eine sichere Basis brauchte, bevor er den Gegner auffordern durfte, sich, in welcher Form auch immer, zu ergeben. Nach Marius’ letzten Worten musste Sulla sogar damit rechnen, dass dessen Soldaten bis zum letzten Mann kämpften. Ihre Treue war legendär, sogar in einem System, in dem Treue überall gehegt und gepflegt wurde. Er musste dafür sorgen, dass sie jede Hoffnung verloren, und das war mit einem langsamen Voranschreiten nicht zu erreichen. Er stand gerade auf einem offenen Platz oben auf dem Caelius-Hügel. Die verstopften Straßen hinter ihm bis hin zum Caelimontana gehörten ihm. Die Brände waren gelöscht worden und seine Legion hatte sich von dort bis hin zur Porta Raudusculana an der südlichen Spitze der Stadtmauer eingegraben. Auf dem kleinen Platz standen fast einhundert seiner Männer, jeweils in Vierergruppen. Jeder von ihnen hatte sich freiwillig gemeldet, was ihn sehr rührte. War es das, was Marius empfunden hatte, als seine Männer ihm ihr Leben angeboten hatten? »Ihr habt eure Befehle. Bleibt in Bewegung und sorgt für Chaos. Wenn ihr auf einen überlegenen Gegner trefft, zieht euch zurück und greift später an. Ihr seid mein Glück und das Glück der Legion. Mögen die Götter mit euch sein.« Sie salutierten wie ein Mann, er erwiderte den Gruß mit steifem Arm. Er rechnete damit, dass die meisten innerhalb einer Stunde tot sein würden. Wäre es Nacht gewesen, hätte er sie besser einsetzen können, im hellen Licht des Tages jedoch waren sie nicht viel mehr als eine Ablenkung. Er sah die letzte Vierergruppe durch die Barrikade schlüpfen und mit eiligen Schritten in einer Seitenstraße verschwinden. »Schlag Marius’ Leiche in Tücher ein und lege ihn in den Schatten«, sagte Sulla zu einem Soldaten. »Ich weiß noch nicht, wann ich die Zeit finde, ihm ein angemessenes Begräbnis auszurichten.« Zwei oder drei Straßen entfernt stieg ein Schwarm Pfeile in die Luft. Sulla beobachtete ihre Flugbahn mit Interesse, rechnete den mutmaßlichen Standpunkt der Bogenschützen aus und hoffte, dass einige seiner Vierertrupps sich in deren Nähe aufhielten. Die schwarzen Schäfte zogen über ihn hinweg und prasselten dann auf die Steine des Hofes, den Sulla als vorübergehenden Befehlsstand gewählt hatte. Einer seiner Boten ging mit einem Pfeil in der Brust zu Boden, ein anderer schrie auf, obwohl er unverletzt schien. Sulla verzog missmutig das Gesicht. »Wache! Bringt den Mann irgendwo hin und peitscht ihn aus. Römer schreien nicht, wenn sie Blut sehen, und sie fallen auch nicht in Ohnmacht. Sorg dafür, dass ich ein wenig von seinem Blut auf seinem Rücken sehe, wenn ihr zurückkommt.« Der Posten nickte, und der Bote wurde weggebracht. Aus Angst vor einer noch strengeren Bestrafung kam kein Wort über seine Lippen. Ein Zenturio kam angelaufen und salutierte. »Dieses Viertel ist sauber, Legat. Soll ich langsames Vorrücken signalisieren lassen?« Sulla sah ihn an. »Unser lahmes Vorankommen macht mich schon ganz wahnsinnig. Lass auf diesem Abschnitt zum Angriff blasen. Die anderen sollen aufschließen so gut sie können.« »Damit geben wir uns eine Blöße, Herr. Wir sind Angriffen von der Flanke her ausgesetzt«, stammelte der Mann. »Stell noch einmal einen meiner Befehle in Frage, und ich lasse dich wie einen gewöhnlichen Verbrecher aufhängen.« Der Mann wurde bleich und drehte sich rasch um, um den Befehl weiterzugeben. Sulla knirschte verärgert mit den Zähnen. Was hätte er für einen Feind gegeben, der ihm in offener Feldschlacht gegenübertrat. Dieser Häuserkampf war unvorbereitet und grausam. Männer durchbohrten sich irgendwo in fernen Gassen mit ihren Schwertern. Wo blieben die glorreichen Angriffe? Die singenden Schlachtwaffen? Doch er wollte geduldig sein und sie schließlich aufreiben. Er hörte die Trompete zum Angriff blasen und sah, wie seine Männer ihre Barrikaden aufhoben und sich bereit machten, sie weiterzutragen. Er spürte, wie sein Blut vor Aufregung rascher floss. Sollten sie ihn doch in die Zange nehmen! Er hatte seine Trupps schließlich längst da draußen, und die würden wiederum ihrerseits von hinten angreifen. Er roch frischen Rauch und sah Flammen aus den oberen Fenstern der Häuser in den Straßen direkt vor ihnen züngeln. Durch das ständige Klirren der Waffen wurden Schreie laut, und verzweifelte Gestalten kletterten in zehn oder fünfzehn Metern Höhe auf steinerne Simse hoch über dem Gewühl hinaus. Sie würden auf den großen Steinplatten der Fahrdämme sterben. Sulla sah, wie eine Frau den Halt verlor, kopfüber auf den Bordstein fiel und wie eine verrenkte Puppe liegen blieb. Rauch wirbelte in seine Nasenlöcher. Eine Straße noch, und dann die nächste. Seine Männer kamen rasch voran. »Vorwärts!«, drängte er und spürte sein Herz schneller schlagen. Orso Ferito breitete eine Karte von Rom auf dem schweren Eichentisch aus und blickte in die Gesichter der um ihn stehenden Zenturios der Erstgeborenen. »Die Linie, die ich hier eingezeichnet habe, markiert das Gebiet, das Sulla unter seine Kontrolle gebracht hat. Er kämpft an einer sich immer weiter ausdehnenden Front und ist dort fast überall für einen gezielten Angriff anfällig. Ich schlage vor, wir greifen hier und hier gleichzeitig an.« Er zeigte auf die beiden Punkte auf der Karte und sah die anderen Männer im Raum an. Genau wie Orso waren sie müde und schmutzig. Die meisten hatten während der seit drei Tagen tobenden Schlacht kaum eine oder zwei Stunden am Stück geschlafen und waren, wie ihre Männer, der Erschöpfung nahe. Orso selbst waren zu dem Zeitpunkt, als er Marius’ Ermordung durch Sullas Männer mitangesehen hatte, fünf Zenturien unterstellt. Er hatte den letzten Ruf seines Legaten vernommen und brannte noch immer vor Zorn, wenn er daran dachte, wie der selbstgefällige Sulla einem Mann eine Klinge in den Leib gebohrt hatte, den Orso mehr geliebt hatte als seinen eigenen Vater. In den darauffolgenden Tagen hatte blankes Chaos geherrscht; Hunderte waren auf beiden Seiten gefallen. Orso hatte die Kontrolle über seine eigenen Männer behalten, hatte sie kurze und blutige Angriffe durchführen und sofort wieder zurückweichen lassen, bevor Entsatz herbeigeeilt war. Wie viele andere von Marius’ Männern war er nicht hochgeboren, sondern auf den Straßen Roms aufgewachsen. Er wusste, wie man in den Gassen und Seitenstraßen kämpfte, in denen er sich als Junge herumgetrieben hatte, und vor Sonnenaufgang des zweiten Tages war er zum inoffiziellen Anführer der Erstgeborenen geworden. Sein Einfluss machte sich sofort bemerkbar, als er die Angriffe und Verteidigungsstrategien zu koordinieren begann. Manche Straßen ließ Orso als strategisch unwichtig unberücksichtigt. Er befahl den Bewohnern, die Häuser zu verlassen, legte überall Feuer und zog seine Männer unter der Deckung von Bogenschützen zurück. Um andere Straßen kämpften sie erbittert und konzentrierten sich darauf, dass Sullas Truppen nirgendwo durchbrechen konnten. Viele Straßen hatten sie verloren, doch der direkte Vorstoß auf die Stadtmitte war in vielen Vierteln vereitelt worden. Der Kampf würde nicht so rasch beendet sein, und Sulla schlug überall heftiger Widerstand entgegen. Egal, wie seine Mutter ihn genannt haben mochte, für seine Männer war Orso immer Orso, der Bär, gewesen. Sein vierschrötiger Leib und fast das ganze Gesicht waren von schwarzem, drahtigem Haar bedeckt, bis zu den Wangen hinauf. Jetzt waren seine muskelbepackten Schultern mit getrocknetem Blut verklebt, und wie die anderen im Raum war auch er gezwungen gewesen, auf die römische Reinlichkeit zu verzichten und stank inzwischen kräftig nach Rauch und altem Schweiß. Der Besprechungsraum, die Küche irgendeines Stadthauses, war zufällig ausgewählt worden. Die Zenturios waren von der Straße hereingekommen und hatten die Karte ausgerollt. Der Eigentümer war irgendwo im Obergeschoss. Orso schaute mit einem Seufzen auf die Karte. Durchbrüche waren möglich, aber um Sulla zu schlagen, brauchten sie das Glück der Götter. Er blickte noch einmal in die Runde und musste sich angesichts der Hoffnung, die er in den Gesichtern sah, beherrschen, um nicht zusammenzuzucken. Er wusste genau, dass er kein Marius war. Wenn der Legat am Leben geblieben und jetzt hier bei ihnen in diesem Raum wäre, hätten sie noch eine Chance gehabt. Aber so ... »An jedem beliebigen Punkt haben sie nicht mehr als zwanzig bis fünfzig Mann stehen. Wenn wir an zwei Stellen mit jeweils einer Zenturie durchbrechen, müsste es möglich sein, sie niederzumachen, bevor ihre Verstärkung da ist.« »Und was dann? Sollen wir Sulla suchen?«, fragte einer der Zenturios. Marius hätte seinen Namen gekannt, gestand sich Orso ein. »Wir wissen nicht genau, wo sich diese Schlange aufhält. Ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er als Lockvogel für Attentäter irgendwo ein Kommandozelt aufstellt. Ich schlage vor, wir ziehen uns sofort wieder zurück und lassen nur ein paar Männer in ziviler Kleidung zurück, die warten, bis sich eine Gelegenheit bietet, ihn zu schnappen.« »Das wird den Männern nicht gefallen. Es ist kein vernichtender Sieg, und genau den wollen sie.« »Die Männer sind Legionäre der verdammt noch mal besten Legion Roms!«, fuhr ihn Orso zornig an. »Sie werden tun, was ihnen gesagt wird. Das hier ist ein Zahlenspiel, wenn es überhaupt ein Spiel ist. Sie haben mehr. Wir haben ein ähnliches Gebiet mit weitaus weniger Männern kontrolliert. Sie können schneller Verstärkung herbeischaffen als wir, und ... sie haben einen weitaus erfahreneren Befehlshaber. Das Beste, was wir tun können, ist, hundert ihrer Leute niedermachen und uns zurückziehen und dabei so wenig wie möglich von den unseren verlieren. Sulla hat immer noch das Problem, dass er eine immer größer werdende Front verteidigen muss.« »Wir haben gewissermaßen das gleiche Problem.« »Aber bei weitem nicht so schlimm. Wenn sie durchbrechen, dann stehen sie irgendwo in der Stadt, wo sie mit Leichtigkeit abgeschnitten und von allen Seiten angegriffen werden können. Wir haben immer noch das bei weitem größere Stadtgebiet in unserer Hand. Wenn wir ihre Linien durchbrechen, stehen wir direkt im Herzen ihres Territoriums.« »Wo sie ihre Männer stehen haben, Orso. Ich bin nicht überzeugt davon, dass dein Plan funktioniert«, fuhr der Mann fort. Orso sah ihn an. »Wie heißt du?« »Bar Gallienus, Herr.« »Hast du gehört, was Marius gerufen hat, bevor sie ihn umbrachten?« Der Mann wurde ein bisschen rot. »Ja, Herr.« »Ich auch. Wir verteidigen unsere Stadt und ihre Bewohner gegen einen unrechtmäßigen Angreifer. Mein Befehlshaber ist tot. Ich habe vorübergehend das Kommando übernommen, bis die derzeitige Krise vorbei ist. Falls du nichts Brauchbares zu der Besprechung beizutragen hast, schlage ich vor, dass du draußen wartest, bis ich dir mitteile, dass wir fertig sind. Ist das klar?« Obwohl Orsos Stimme ruhig und höflich geblieben war, spürten alle Anwesenden den Zorn, der von ihm ausging, wie körperliche Gewalt. Man brauchte ein wenig Mut, um nicht davor zurückzuwei chen. Bar Gallienus antwortete leise. »Ich bleibe lieber hier.« Orso schlug ihm auf die Schulter und wandte den Blick von ihm ab. »Alles, was einen Speer werfen kann, und jeder Mann mit einem Bogen, zieht sich in einer Stunde an diesen beiden Punkten zusammen. Wir beschießen sie mit allem, was wir haben, und dann stürmen zwei Zenturien auf mein Zeichen hin ihre Stellungen. Ich selbst führe den Angriff durch das alte Marktviertel, weil ich mich dort gut auskenne. Bar Gallienus führt den anderen. Noch Fragen?« Rings um den Tisch herrschte Stille. Gallienus sah Orso in die Augen und nickte zustimmend. »Dann sammelt eure Legionäre ein, meine Herren. Sorgen wir dafür, dass der alte Mann stolz auf uns sein kann. Unser Schlachtruf lautet >Marius<. Das Signal sind drei kurze Trompetenstöße. In einer Stunde.« Sulla trat einen Schritt von den blutbefleckten Männern vor ihm zurück. Von den einhundert, die er vor Stunden in die Schlacht geschickt hatte, waren nur elf zurückgekehrt, um ihm Bericht zu erstatten, und auch sie waren ausnahmslos verwundet. »Legat. Die mobilen Einheiten waren nur teilweise erfolgreich«, sagte ein Soldat, der Mühe hatte, trotz seiner schwer arbeitenden Lunge aufrecht zu stehen. »In der ersten Stunde haben wir viel Schaden angerichtet und haben in kleinen Handgemengen schätzungsweise fünfzig Feinde niedergemacht. Überall dort, wo es möglich war, haben wir sie allein oder paarweise erwischt und überrumpelt. Dann muss es sich herumgesprochen haben, denn wir sind regelrecht durch die Straßen gejagt worden. Wer immer sie auch befehligt hat, er muss die Stadt sehr gut kennen. Einige von uns sind auf die Dächer gestiegen, wurden dort aber bereits erwartet.« Er holte Luft, und Sulla wartete ungeduldig, bis sich der Mann wieder gefasst hatte. »Ich habe gesehen, wie mehrere unserer Männer von Frauen oder Kindern umgebracht wurden, die mit Messern aus den Häusern kamen. Da es Zivilisten waren, haben unsere Leute gezögert und wurden in Stücke gehackt. Meine eigene Einheit ist einer ähnlichen Gruppe von Erstgeborenen zum Opfer gefallen, die sich ihrer Rüstung entledigt hatte und nur mit Kurzschwertern unterwegs war. Wir waren schon lange gerannt, und sie haben uns in einer kleinen Gasse in die Enge getrieben. Ich .« »Du hast gesagt, du bringst Meldungen. Es war von Anfang an klar, dass die mobilen Trupps nur begrenzten Schaden anrichten können. Ich hatte gehofft, Angst und Chaos zu verbreiten, aber anscheinend ist bei den Erstgeborenen noch ein Rest von Disziplin übrig. Einer von Marius’ Stellvertretern muss die allgemeine taktische Kontrolle übernommen haben. Wahrscheinlich hat er vor, so bald wie möglich zum Gegenangriff überzugehen. Haben deine Männer Anzeichen dafür gesehen?« »Jawohl, Legat. Sie ziehen ihre Leute in aller Stille zusammen. Ich weiß nicht, wann oder wo sie angreifen werden, aber irgendein Überfall dürfte in nächster Zeit stattfinden.« »Das war wohl kaum achtzig meiner Männer wert, aber immerhin eine nützliche Information. Begebt euch zu den Sanitätern. Zenturio!«, fuhr er einen Mann ganz in der Nähe an. »Alle Mann auf die Barrikaden. Sie werden schon bald einen Durchbruch versuchen. Verdreifacht die Männer an der vordersten Linie.« Der Zenturio nickte und gab den Boten ein Zeichen, die Nachricht an die Außenposten der Front zu bringen. Plötzlich wurde der Himmel schwarz vor Pfeilen; ein stechender, summender Todesschwarm raste auf sie zu. Sulla sah, wie sie sich auf seine Stellung herabsenkten und ballte die Fäuste. Rings um ihn warfen sich Männer zu Boden, doch er blieb aufrecht stehen, und nicht einmal ein Zucken umspielte seine glitzernden Augen. Die Pfeile regneten prasselnd um ihn nieder, doch er blieb unversehrt. Er drehte sich um und lachte seine auf dem Boden kriechenden Berater und Offiziere aus. Einer kniete auf dem Boden und zerrte an einem Pfeil, der ihm aus der Brust ragte. Blut rann ihm aus dem Mund. Zwei andere starrten mit glasigen Augen regungslos in den Himmel. »Ein gutes Omen, findet ihr nicht?«, sagte er, immer noch lächelnd. Weiter vorn blies irgendwo in der Stadt eine Trompete drei kurze Stöße. Lautes Gebrüll erhob sich als Antwort. Durch den Lärm hörte Sulla einen Namen, der laut skandiert wurde, und für einen Augenblick regten sich Zweifel in ihm. »Ma-ri-us!«, schrieen die Erstgeborenen. Dann stürmten sie heran. 32 Alexandria hämmerte an die Tür des kleinen Juwelierladens. Es musste doch jemand da sein! Sie wusste, dass er wie viele andere die Stadt verlassen haben konnte, und bei dem Gedanken, dass sie mit ihrem Klopfen vielleicht die Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde sie ganz blass. Ein paar Häuser weiter schabte etwas knarrend, wie eine Tür, die sich öffnete. »Tabbic! Ich bin’s, Alexandria! Bei den Göttern, mach auf, Mann!« Keuchend ließ sie den Arm fallen. Nicht weit entfernt wurden Rufe laut. Ihr Herz pochte wie wild. »Mach schon. Mach schon«, flüsterte sie. Dann wurde die Tür aufgerissen, und Tabbic funkelte sie an, ein Beil in der Hand. Als er sie erblickte, sah er erleichtert aus, auch seine Wut verrauchte ein bisschen. »Komm rein, Mädchen. Heute Nacht sind die Tiere draußen«, sagte er ruppig. Er schaute nach links und rechts die Straße hinunter. Sie schien leer und verlassen, aber er spürte fremde Blicke auf sich ruhen. Drinnen fiel Alexandria vor Erleichterung fast in Ohnmacht. »Metella ... hat mich geschickt, sie ...«, sagte sie. »Schon gut, Mädchen. Das erzählst du mir alles später. Meine Frau und die Kinder sind oben und bereiten das Essen zu. Geh hinauf und hilf ihnen. Hier bist du sicher.« Sie hielt einen Moment inne, dann wandte sie sich an ihn. Sie musste es einfach loswerden. »Tabbic. Ich habe Papiere und alles. Ich bin frei.« Er beugte sich zu ihr und sah ihr freudig lächelnd in die Augen. »Wann bist du jemals etwas anderes gewesen? Geh jetzt nach oben. Meine Frau wundert sich bestimmt schon, was hier unten vor sich geht.« Bei der Ausbildung brachten sie einem nicht bei, wie man eine quer über die Straße gezogene Barrikade mitten in einer Stadt angreift. Orso Ferito brüllte einfach den Namen seines toten Legaten und warf sich über den zusammengeschobenen Haufen aus zerbrochenen Karren und Türen hinweg auf den Feind. Zweihundert Männer folgten seinem Beispiel. Orso bohrte seinen Gladius in die erste Kehle, die er sah und entging seinerseits nur dadurch knapp einem Treffer, weil er auf der wackligen Barrikade ausrutschte und auf der anderen Seite hinunterkugelte. Mit einem kräftigen Rundumschlag kam er wieder auf die Beine und wurde prompt mit dem Krachen von Knochen belohnt. Rings um ihn herum waren seine Männer, die sich unbeirrt weiter durchhackten und -säbelten. Orso wusste nicht, wie gut sie sich dabei hielten, oder wie viele gefallen waren. Er wusste nur, dass der Feind vor ihm stand und dass er ein Schwert in der Hand hielt. Er brüllte und schnitt einem Mann, der gerade einen Schild hochriss, um ihn aufzuhalten, den Arm von der Schulter. Er packte den Schild, aus dessen Griff der schlaffe Arm fiel, und benutzte ihn dazu, zwei weitere Männer aus dem Weg zu räumen. Als er über sie hinwegtrampelte, stach einer nach oben, und er spürte ein warmes Rinnsal am Oberschenkel, achtete jedoch nicht weiter darauf. Ab hier war zunächst einmal alles frei, nur am Ende der Straße rotteten sich mehr Feinde zusammen. Orso sah, wie ihr Hauptmann zum Angriff blasen ließ und warf sich ihnen in vollem Lauf entgegen. In diesem Augenblick wusste er, wie man sich als Berserker in einer der unzivilisierten Nationen, die sie bereits erobert hatten, fühlen musste. Es war eine merkwürdige Freiheit. Es gab keinen Schmerz, nur eine erfrischende Abwesenheit von Angst und Erschöpfung. Weitere Männer fielen unter seinem Schwert, und die Erstgeborenen trieben alles vor sich her, brachten mit blitzenden Klingen Tod und Verderben. »Herr! Die Seitenstraßen! Sie haben Verstärkung herbeigebracht!« Orso hätte die Hand, die ihn am Arm festhielt, beinahe abgeschüttelt, doch dann schlug seine Ausbildung wieder durch. »Das sind zu viele, Männer! Für diesmal haben wir sie genug getroffen!« Er reckte triumphierend das Schwert in die Luft und rannte denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Erst jetzt erkannte er keuchend, wie viele von Sullas Männern gefallen waren. Wenn er es richtig beurteilte, mussten es mehr als hundert sein. Hier und dort sah er Gesichter, die er einmal gekannt hatte. Das eine oder andere regte sich noch schwach, und er war versucht, bei ihm stehen zu bleiben, doch hinter ihm wurde das Trampeln von Sandalen auf dem Pflaster immer lauter, und er wusste, dass sie die Barrikaden erreichen mussten, wenn sie nicht mit dem Rücken zu ihnen in der Falle sitzen wollten. »Lauft, Jungs! Ma-ri-us!« Der Schrei wurde von allen ringsum erwidert, dann kletterten sie wieder auf das Durcheinander. Oben angekommen, schaute Orso zurück und sah, wie die langsamsten seiner Männer umgerissen und zertrampelt wurden. Die meisten jedoch hatten es geschafft, und als er sich daranmachte, auf der anderen Seite hinunterzurennen, feuerten die Bogenschützen der Erstgeborenen wieder über die Köpfe der Männer und schickten noch mehr Feinde schreiend und sich windend zum Sterben auf die Steine der Straße. Orso musste beim Laufen vor sich hinlachen, und sein Schwert senkte sich vor Erschöpfung, die ihn zu übermannen drohte, immer weiter nach unten. Er schob sich in ein Gebäude und blieb keuchend stehen, die Hände auf die Knie gestützt. Der Schnitt im Oberschenkel sah nicht gut aus und blutete stark. Ihm war ein bisschen schwindelig, und er konnte nur noch murmeln, als ihn mehrere Hände von der Barrikade wegführten. »Du darfst hier nicht bleiben, Herr. Die Bogenschützen können uns nur so lange Deckung geben, bis ihnen die Pfeile ausgehen. Wir müssen noch ein oder zwei Straßen weiter. Komm, Herr.« Er nahm die Worte wahr, wusste aber nicht genau, ob er etwas darauf antwortete. Wo war seine Kraft geblieben? Sein Bein fühlte sich schwach an. Er hoffte, dass Bar Gallienus es ebenfalls geschafft hatte. Bar Gallienus lag in seinem Blut, Sullas Schwertspitze auf der Kehle. Er wusste, dass er starb und versuchte, den Legaten anzuspucken, konnte jedoch nicht genug Flüssigkeit sammeln. Seine Männer waren hinter den Barrikaden auf eine frisch verstärkte Zenturie gestoßen und wären beinahe beim ersten Versuch zurückgeschlagen worden. Nach mehreren Minuten wütenden Kampfes waren sie durch den Wall aus aufgestapelten Steinen und Holz durchgebrochen und hatten sich auf die dahinter wartenden Soldaten geworfen. Seine Männer hatten eine Menge von ihnen mitgenommen, aber es waren einfach zu viele gewesen. Die Frontlinie war keinesfalls so dünn gewesen wie erwartet. Bar grinste und entblößte blutverschmierte Zähne. Er hatte gewusst, dass Sulla rasch Verstärkung herbeischaffen konnte. Schade nur, dass er Orso das nicht mehr unter die Nase reiben konnte. Er hoffte, dass es dem haarigen Kerl besser ergangen war als ihm selbst, sonst war die Legion abermals ohne Anführer. Es war tollkühn gewesen, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen, aber zu viele von ihnen waren an jenem schrecklichen ersten Tag des Gemetzels und der Hinrichtungen gefallen. Er hatte gewusst, dass Sulla Verstärkung herbeischaffte. »Ich glaube, er ist tot, Herr«, hörte Bar eine Stimme sagen. Dann hörte er Sullas Stimme antworten: »Wie schade. Er hat so einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Ich wollte ihn fragen, was er gerade denkt.« Orso knurrte den Zenturio an, der ihm aufstehen half. Sein Bein schmerzte heftig, und er hatte eine Krücke unter einer Schulter, aber er war nicht in der Stimmung, sich helfen zu lassen. »Keiner ist zurückgekommen?«, fragte er. »Wir haben beide Zenturien verloren. Dieser Abschnitt ist kurz vor unserem Angriff entsetzt worden, Herr. Ich glaube nicht, dass diese Taktik noch einmal funktioniert.« »Dann habe ich Glück gehabt«, grunzte Orso. Niemand sah ihm ins Gesicht. Er hatte wirklich Glück gehabt, dass er einen Abschnitt der Barrikade angegriffen hatte, der nicht sehr gut besetzt war. Bar Gallienus musste gelacht haben, als er sah, dass er in dieser Hinsicht Recht behalten hatte. Es war wirklich schade, dass er dem Mann keinen mehr ausgeben konnte. »Herr? Hast du weitere Befehle?«, wollte einer der Zenturios wissen. Orso schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Erst wenn ich weiß, wo wir stehen.« »Herr.« Der Jüngere zauderte. Orso wirbelte herum und sah ihn an. »Was gibt’s? Spuck’s aus, Junge!« »Einige der Männer reden von Kapitulation. Wir sind auf halbe Stärke zusammengeschmolzen, und Sulla hält die Versorgungsrouten zum Meer. Wir können nicht gewinnen, und .« »Gewinnen? Wer hat je gesagt, dass wir gewinnen? Als ich Marius habe sterben sehen, habe ich gewusst, dass wir nicht gewinnen können. In diesem Augenblick ist mir klar geworden, dass Sulla der Erstgeborenen das Rückgrat brechen würde, bevor sich genügend von uns zusammenfinden können, um ihm ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten. Es geht hier nicht ums Gewinnen, Junge, es geht darum, für eine gerechte Sache zu kämpfen, Befehle auszuführen und das Leben und den Tod eines großen Mannes zu ehren.« Er schaute sich um, sah in die Gesichter der anderen. Nur wenige hielten seinem Blick nicht stand, und er wusste, dass er unter Freunden war. Er lächelte. Wie hätte Marius es ausgedrückt? »Ein Mann kann sein ganzes Leben auf einen Augenblick wie diesen warten, ohne ihn je zu erleben. Einige werden einfach nur alt und welken dahin, ohne jemals ihre Chance zu bekommen. Wir sterben jung und stark, und anders würde ich es auch nicht haben wollen.« »Aber, Herr, vielleicht können wir aus der Stadt ausbrechen. Wir ziehen uns in die Berge zurück .« »Kommt mit nach draußen. Ich hab keine Lust, eine große Rede an euch Halunken zu verschwenden.« Orso grunzte und humpelte zur Tür hinaus. Auf der Straße standen an die hundert Legionäre der Erstgeborenen, müde und schmutzig, die Wunden notdürftig bandagiert. Sie sahen schon jetzt besiegt aus, und dieser Gedanke ließ ihn die richtigen Worte finden. »Ich bin ein Soldat Roms!« Seine von Natur aus tiefe und raue Stimme trug weit über sie hinweg und ließ sie Haltung annehmen. »Alles, was ich immer gewollt habe, war, meine Zeit abzudienen und mich dann auf einem Fleckchen Land zur Ruhe zu setzen. Ich wollte mein Leben nicht in irgendeinem fremden Land aushauchen und vergessen werden. Aber dann diente ich unter einem Mann, der mir mehr ein Vater war als mein eigener Vater es je gewesen ist, und ich habe seinen Tod gesehen und seine Worte gehört, und ich dachte mir, Orso, vielleicht solltest du dir daran ein Beispiel nehmen. Und vielleicht ist das ja genug. Ist hier einer unter euch, der glaubt, er kann ewig leben? Lasst andere Männer Kohlköpfe pflanzen und in der Sonne vertrocknen. Ich werde sterben wie ein Soldat, in den Straßen der Stadt, die ich liebe, bei ihrer Verteidigung.« Seine Stimme wurde ein wenig leiser, als verrate er ihnen ein Geheimnis. Die Männer beugten sich vor, und von hinten schloss eine stetig anwachsende Menge auf. »Ich habe diese Wahrheit begriffen. Nur wenige Dinge sind mehr wert als Träume oder Ehefrauen, die Freuden des Fleisches oder sogar Kinder. Aber manche sind es, und dieses Wissen macht uns erst zu Menschen. Das Leben ist nur ein warmer, kurzer Tag zwischen zwei langen Nächten. Für jeden wird es einmal dunkel, sogar für diejenigen, die sich dagegen wehren und so tun, als blieben sie immer jung und stark.« Er zeigte auf einen älteren Soldaten, der beim Zuhören langsam ein Bein beugte und streckte. »Tinasta! Ich sehe, dass du dein altes Knie prüfst. Hast du gedacht, das Alter versüßt dir den Schmerz darin? Warum warten, bis es sich vor Schwäche krümmt, bis dich jüngere Männer beiseite drängen? Nein, meine Freunde. Meine Brüder. Lasst uns abtreten, solange das Licht noch strahlend leuchtet und der Tag noch hell ist.« Ein junger Soldat hob den Kopf und rief: »Wird man sich unser erinnern?« Orso seufzte, aber er lächelte »Eine Zeit lang schon, mein Sohn, aber wer erinnert sich heute noch an die Helden von Karthago oder Sparta? Sie wissen, wie sie ihren Tag beendet haben. Und das ist genug. Mehr gibt es für niemanden.« »Besteht denn überhaupt keine Möglichkeit, dass wir gewinnen?«, fragte der junge Mann leise. Orso humpelte auf ihn zu, wobei er sich auf die Krücke stützte. »Mein Sohn. Warum verlässt du die Stadt nicht? Ein paar von euch könnten sich an den Patrouillen vorbeischleichen. Du musst nicht hier bleiben.« »Das weiß ich, Herr.« Der junge Mann machte eine kurze Pause. »Aber ich bleibe trotzdem.« »Dann besteht kein Anlass, das Unvermeidliche aufzuschieben. Sammelt die Männer. Alle machen sich bereit, Sullas Barrikaden anzugreifen. Lasst jeden ziehen, der es will, er soll mit meinem Segen gehen. Lasst sie an anderen Orten ein anderes Leben finden und niemandem jemals sagen, dass sie für Rom gekämpft haben, als Marius starb. Eine Stunde, meine Herren. Greift noch einmal zu den Waffen.« Orso sah sich um, während die Männer ihre Klingen und Rüstungen kontrollierten, so wie sie es gelernt hatten. Mehr als einer klopfte ihm auf die Schulter, als sie zu ihren Stellungen gingen, und er hatte das Gefühl, sein Herz müsse vor Stolz zerspringen. »Gute Männer, Marius«, murmelte er leise. »Das sind gute Männer.« 33 Cornelius Sulla saß müßig auf einem goldenen Thron, der auf einem Mosaik aus einer Million schwarzer und weißer Kacheln stand. Sein Anwesen unweit der Stadtmitte war unversehrt geblieben, und er genoss es, wieder daheim zu sein und die Macht in Händen zu halten. Die Legion des Marius hatte fast bis zum letzten Mann gekämpft, so wie er es vorausgesagt hatte. Nur wenige hatten am Ende versucht zu fliehen; Sulla hatte sie verfolgen und gnadenlos niedermachen lassen. Vor den Stadtmauern brannten gewaltige Feuergräben. Man hatte ihm gesagt, dass die abertausend Leichen tage-, wenn nicht gar wochenlang brennen würden, bis die Asche endlich kalt war. Er zweifelte nicht daran, dass die Götter ein solches Opfer zur Rettung ihrer auserwählten Stadt anerkannten. Sobald die Brände in der Stadt gelöscht waren, musste Rom gesäubert werden. Kaum eine Hauswand, die nicht mit der öligen Asche befleckt war, die über die Mauern hereintrieb und den Menschen in den Augen brannte. Er hatte die Primigenia zu Verrätern erklärt, deren Ländereien und sämtlicher anderer Besitz an den Senat fielen. Ganze Familien waren von ihren Nachbarn, die neidisch auf deren Hab und Gut waren, auf die Straße gezerrt, Hunderte weitere hingerichtet worden, und noch immer war die Arbeit nicht beendet. Es würde ein bitteres Kapitel in der glorreichen Geschichte der sieben Hügel sein, doch was blieb ihm anderes übrig? Sulla war tief in Gedanken versunken, als sich ein Sklavenmädchen mit einem Becher eiskalten Fruchtsaftes näherte. Es war noch zu früh am Tag für Wein, noch so viele Leute zu empfangen und zu verurteilen. Er wusste, dass Rom in all seiner Herrlichkeit wieder auferstehen würde, aber damit das geschehen konnte, mussten auch die letzten Parteigänger des Marius - die letzten Feinde Sullas - mit Stumpf und Stiel ausgemerzt werden. Er zuckte zusammen, als er an dem Goldbecher nippte und fuhr sich mit dem Finger über die geschwollenen Augen und die Wülste einer violetten Schnittwunde quer über der rechten Wange. Es war der schwerste Kampf seines Lebens gewesen; der Feldzug gegen Mithridates verblasste nachgerade dagegen. Wieder musste er, wie so oft in den letzten Tagen, an Marius’ Tod denken. Eindrucksvoll. Seine Leiche war dem Feuer vorenthalten worden. Sulla überlegte, ob er dem Mann nicht eine Statue auf den Hügeln errichten sollte. Die Fähigkeit, die Toten zu ehren, würde seine eigene Größe umso mehr herausstellen. Ebenso gut hätte er den Leichnam zu den anderen in die Grube werfen können. Es spielte keine Rolle. Das Zimmer, in dem er saß, war fast leer. Die Kuppeldecke zierte ein Bild der Aphrodite im griechischen Stil. Sie blickte liebevoll auf ihn herab, eine schöne, nackte Frau, die sich in ihr langes Haar hüllte. Er wollte, dass diejenigen, die bei ihm vorsprachen, wussten, dass die Götter ihn liebten. Das Sklavenmädchen stand mit seinem Krug nur ein paar Schritte entfernt, bereit, den Becher auf einen Wink hin nachzufüllen. Der einzige andere Anwesende war sein Folterer, der in einigem Abstand neben einem kleinen Kohlebecken stand und die Instrumente seines grausigen Gewerbes vor sich auf einem Tisch ausgebreitet hatte. Seine Lederschürze war von der vormittäglichen Arbeit bereits bespritzt, und es gab an diesem Tag noch einiges zu tun. Bronzetüren, beinahe so groß wie die im Senat, dröhnten, als von außen mit einem gepanzerten Handschuh dagegen geschlagen wurde. Als sie sich öffneten, wurden zwei seiner Legionäre sichtbar, die einen stämmigen, an Händen und Füßen gefesselten Soldaten hereinschleppten. Sie zerrten ihn über das glänzende Mosaik bis vor Sulla, der sah, dass das Gesicht des Mannes bereits zerschlagen und seine Nase gebrochen war. Nach den Soldaten trat ein Schreiber mit einem Blatt Pergament ein, auf dem die Einzelheiten vermerkt waren. »Das hier ist Orso Ferito, Herr«, verkündete der Schreiber. »Wir haben ihn unter einem Haufen von Marius’ Männern gefunden. Er wurde von zwei Zeugen identifiziert. Er hat einige der Verräter zum Widerstand aufgestachelt.« Sulla erhob sich geschmeidig, ging auf den Mann zu und gab den Wachen ein Zeichen, ihn fallen zu lassen. Er war bei Bewusstsein, aber ein Knebel aus einem verdreckten Stück Tuch hinderte ihn daran, etwas anderes als dumpfe Grunzlaute von sich zu geben. »Schneidet den Knebel weg. Ich will ihn verhören«, befahl Sulla, und sein Befehl wurde rasch und rücksichtslos ausgeführt. Der Schnitt einer scharfen Klinge entlockte dem kraftlos daliegenden Mann frisches Blut und ein Stöhnen. »Du hast einen der Angriffe geführt, richtig? Warst du das? Meine Männer sagen, du hast nach Marius den Befehl übernommen. Bist du dieser Mann?« Orso Ferito sah mit hasserfülltem Funkeln in den Augen auf. Sein Blick fiel auf den Schnitt und die Schwellung auf Sullas Gesicht, und er lächelte, wobei blutige, abgebrochene Zähne sichtbar wurden. Die krächzende Stimme hörte sich an, als spräche sie aus einem tiefen Brunnen zu Sulla. »Ich würde es jederzeit wieder tun«, sagte er. »Ja. Ich auch«, erwiderte Sulla. »Brennt ihm die Augen aus, und hängt ihn dann auf.« Er nickte dem Folterknecht zu, der ein schmales, spitzes, glühend heißes Eisen aus dem Kohlebecken zog, wobei er das dunklere Ende mit einer dicken Zange anfasste. Orso wand sich, als seine Arme mit Lederriemen gefesselt wurden. Der Folterknecht führte das Metall ungerührt so nahe an die Augen, bis die Wimpern verschmorten, dann drückte er es hinein und wurde mit einem dumpf grunzenden, tierischen Laut belohnt. Sulla trank seinen Becher aus, ohne den Saft zu schmecken. Er schaute ohne Vergnügen zu und gratulierte sich zu seiner Gefühllosigkeit. Er wusste, dass er kein Ungeheuer war, aber die Menschen wollten einen starken Anführer, und genau den würden sie bekommen. Sobald der Senat wieder einberufen werden konnte, würde er sich zum Diktator erklären und die Macht der alten Könige für sich beanspruchen. Dann würde Rom einer neuen Ära entgegensehen. Der bewusstlose Ferito wurde zu seiner Hinrichtung weggeschleppt, und Sulla hatte nur wenige Minuten für sich, bevor wieder dröhnend an die Tür geschlagen wurde und neue Soldaten eintraten, gefolgt von dem kleinen Schreiberling. Diesmal kannte er den jungen Mann, der zwischen ihnen hereingestolpert kam. »Julius Cäsar«, sagte er. »Vermutlich mitten im Getümmel festgenommen, habe ich Recht? -Lasst ihn los, meine Herren. Das ist kein gewöhnlicher Mann. Und nehmt ihm den Knebel ab. Aber vorsichtig.« Er betrachtete den jungen Burschen und war zufrieden, als er sah, wie sich dessen Körper straffte. Sein Gesicht wies ein paar Blutergüsse auf, aber Sulla wusste, dass seine Männer darauf achteten, sich nicht das Missfallen ihres Legaten zuzuziehen, indem sie schon vor der Verurteilung allzu viel Schaden anrichteten. Julius war groß, ungefähr einsachtzig; sein Körper war muskulös und von der Sonne gebräunt. Blaue Augen starrten aus seinem Gesicht, und Sulla spürte die Kraft, die von ihm ausging und den ganzen Raum auszufüllen schien, bis es nur noch sie beide gab, und die Soldaten, der Folterknecht, der Schreiber und die Sklavin vergessen waren. Sulla legte den Kopf ein wenig zurück, und sein Mund verzog sich zu einem äußerst zufriedenen Ausdruck. »Metella ist tot, so Leid es mir tut. Sie hat sich das Leben genommen, bevor meine Männer das Tor aufbrechen und sie retten konnten. Sie hätte ich laufen lassen, aber dich ... du bist ein ganz anderes Problem. Weißt du, dass der alte Mann, der mit dir gefangen genommen wurde, entkommen ist? Er scheint seine Fesseln gelöst und auch den anderen befreit zu haben. Ein höchst ungewöhnlicher Gefährte für einen jungen Herren.« Das Aufblitzen im Gesicht seines Gefangenen entging ihm nicht. »Natürlich lasse ich nach den beiden Ausschau halten, aber bisher ohne Erfolg. Hätten dich meine Männer bei den beiden festgebunden, wärst du jetzt wohl ebenfalls frei. Das Schicksal ist manchmal eine launische Gebieterin. Nur weil du der Nobilitas angehörst, stehst du jetzt vor mir, während dieser Abschaum aus der Gosse frei herumläuft.« Julius erwiderte nichts. Er rechnete nicht damit, auch nur noch eine Stunde länger am Leben zu bleiben und erkannte plötzlich, dass nichts, was er sagte, irgendeine Bedeutung oder einen Nutzen haben würde. Sulla zu beschimpfen, würde ihn lediglich amüsieren, ihn anzuflehen, nur seine Grausamkeit anstacheln. Also starrte er ihn stumm an. »Was wissen wir über ihn, Schreiber?«, fragte Sulla den Mann mit dem Pergament. »Neffe des Marius, Sohn des Julius. Beide tot. Mutter Aurelia, lebt noch, aber geistesgestört. Besitzt ein kleines Gut ein paar Meilen vor der Stadt. Beträchtliche Schulden bei Privatleuten, genaue Summen nicht bekannt. Ehemann von Cornelia, Tochter des Cinna, die Hochzeit fand am Morgen vor der Schlacht statt.« »Aah«, unterbrach ihn Sulla. »Der Kern der Sache. Cinna ist kein Freund von mir, obwohl er zu schlau war, um Marius offen zu unterstützen. Er ist reich. Ich verstehe sehr gut, weshalb du die Unterstützung des alten Mannes gesucht hast, aber dein Leben ist bestimmt viel mehr wert. Ich biete dir eine einfache Entscheidung an. Verstoße diese Cornelia, schwöre mir die Treue, und ich lasse dich am Leben. Wenn nicht, macht mein Folterer seine Instrumente noch einmal heiß. Marius hätte gewollt, dass du lebst, junger Mann, also triff die richtige Entscheidung.« Julius funkelte ihn wütend an. Nichts, was er über Sulla wusste, half ihm jetzt. Es könnte ebenso gut ein grausamer Trick sein, damit er diejenigen, die er liebte, verriet, bevor er ohnehin hingerichtet wurde. Als könnte er seine Gedanken erraten, ergriff Sulla noch einmal das Wort. »Lass dich von Cornelia scheiden, und du bleibst am Leben. Eine so einfache Handlung wird Cinna beschämen, ihn schwächen. Und du kommst frei. Diese Männer hier sind alle meine Zeugen, mein Wort ist das des Regenten von Rom. Wie lautet deine Antwort?« Julius zeigte keine Regung. Er hasste diesen Mann. Er hatte Marius getötet und die Republik, die sein Vater so geliebt hatte, gelähmt. Ganz egal, was er verlieren würde, seine Antwort war klar, und die Worte mussten ausgesprochen werden. »Mein Antwort lautet Nein. Bring es zu Ende.« Sulla blinzelte erstaunt und lachte dann laut. »Was für eine seltsame Familie! Weißt du, wie viele Männer in den letzten paar Tagen in diesem Raum gestorben sind? Weißt du, wie viele geblendet, kastriert und verunstaltet wurden? Trotzdem verhöhnst du meine Gnade?« Er lachte wieder, ein Geräusch, das sich unter der hallenden Kuppel rau anhörte. »Wenn ich dich freilasse, wirst du dann versuchen, mich zu töten?« Julius nickte. »Ich werde die Jahre, die mir noch bleiben, diesem Ziel widmen.« Sulla grinste ihn mit aufrichtiger Freude an. »Das dachte ich mir. Du kennst keine Angst, der Einzige aus der Nobilitas, der mein Tauschgeschäft ablehnt.« Sulla hielt einen Moment inne und hob die Hand, um dem Folterer, der im Hintergrund bereit stand, ein Zeichen zu geben. Doch dann fiel seine Hand lustlos herab. »Du kannst gehen. Verlasse meine Stadt vor Sonnenuntergang. Wenn du jemals zurückkommst, solange ich lebe, lasse ich dich ohne Verhandlung und ohne Publikum umbringen. Zerschneidet seine Stricke, meine Herren. Ihr habt einen freien Mann gefesselt.« Er musste kurz schmunzeln, fasste sich jedoch wieder, als die Fesseln in unregelmäßigen Kreisen um Julius’ Füße fielen. Der junge Mann rieb sich die Handgelenke, aber sein Gesichtsausdruck war immer noch starr, wie aus Stein gemeißelt. Sulla erhob sich von seinem Thron. »Bringt ihn zum Tor und lasst ihn gehen.« Dann wandte er sich an Julius und sah ihm ins Gesicht. »Wenn dich jemals jemand fragt, warum, sag ihm, es ist geschehen, weil du mich an mich selbst erinnerst, und vielleicht auch, weil ich heute schon genug Männer getötet habe. Das ist alles.« »Was ist mit meiner Gemahlin?«, rief Julius, als er wieder an den Armen gepackt wurde. Sulla zuckte die Achseln. »Vielleicht mache ich sie zu meiner Geliebten, wenn sie lernt, mir Freude zu bereiten.« Julius wehrte sich heftig, kam jedoch nicht aus dem Griff der beiden Wachen frei, die ihn hinauszogen. Der Schreiber blieb in der Tür stehen. »Legat? Ist das klug? Schließlich ist er Marius’ Neffe .« Sulla seufzte und ließ sich von dem Sklavenmädchen noch einen Becher mit kaltem Saft reichen. »Mögen uns die Götter vor kleinen Männern schützen. Ich habe dir meine Gründe genannt. Ich habe alles erreicht, was ich jemals wollte, und jetzt droht mir die Langeweile. Es ist gut, ein paar Gefahren übrig zu lassen, sonst gibt es überhaupt keine Herausforderungen mehr.« Sein Blick richtete sich in die Ferne. »Er ist ein eindrucksvoller junger Mann. Ich glaube, in ihm stecken zwei von Marius’ Sorte.« Die Miene des Schreibers zeigte, dass er nichts davon begriffen hatte. »Soll ich den Nächsten hereinbringen lassen, Konsul?« »Nein, heute keinen mehr. Sind die Bäder geheizt? Gut. Heute Abend wollen die Senatsführer mit mir essen, da möchte ich frisch sein.« Sulla wollte sein Bad immer so heiß, dass er es gerade noch aushielt. Das entspannte ihn wunderbar. Die Einzigen, die ihm dabei Gesellschaft leisteten, waren zwei seiner Haussklavinnen, und er stieg völlig unbefangen vor ihnen aus dem Wasser. Sie waren ebenfalls nackt, bis auf goldene Ringe um Handgelenke und Hals. Beide waren ihrer üppigen Figur wegen ausgewählt worden, und er genoss es, als sie ihm das Wasser vom Körper rieben. Hübsche Dinge anzuschauen tat dem Menschen gut. Es erhob ihn über die wilden Tiere. »Das Wasser hat mein Blut in Wallung gebracht, aber ich fühle mich trotzdem schlaff«, murmelte er und ging die paar Schritte zu einer langen Massagebank. Sie war weich, und er spürte, wie er sich völlig entspannte. Er schloss die Augen und lauschte den beiden jungen Frauen, die die dünnen, elastischen Birkenzweige, die noch grün und erst am Morgen geschnitten worden waren, zusammenbanden. Die beiden Sklavinnen stellten sich über seinen erhitzten Körper. Jede hielt ein langes Bündel der geschnittenen Zweige in der Hand. Sie waren drei Fuß lang und sahen fast aus wie ein Reisigbesen. Zuerst streichelten sie ihn fast mit den Ruten und hinterließen nur flüchtige weiße Spuren auf seiner Haut. Er stöhnte leise, und sie hielten inne. »Sollen wir fester schlagen, Herr?«, fragte eine von ihnen scheu. Ihr Mund war von seinen Aufmerksamkeiten der vorangegangenen Nacht noch blutunterlaufen, und ihre Hände zitterten ein wenig. Ohne die Augen zu öffnen lächelte er und streckte sich wohlig auf der Bank aus. Es war wunderbar belebend. »Ah, ja«, antwortete er verträumt. »Schlagt zu, Mädchen, schlagt zu.« 34 Julius stand mit Cabera und Tubruk am Hafen. Sein Gesicht war grau und kalt. Im Gegensatz dazu, als wollte er sich über die grausamen Geschehnisse in seinem Leben lustig machen, leuchtete der Tag warm und sonnig. Er war vollkommen. Sogar eine leichte Brise wehte vom Meer heran, um die staubbedeckten Reisenden zu erfrischen. Es war eine hastige Flucht aus der stinkenden Stadt gewesen. Zuerst war er allein gewesen, auf einem dürren alten Pony, mehr hatte er für einen Goldring nicht bekommen. Mit verzerrtem Gesicht war er um die Feuergruben herum auf die gepflasterte Hauptstraße geritten und hatte den Weg nach Westen eingeschlagen, zur Küste. Dann hatte er einen vertrauten Ruf vernommen und vor sich seine Freunde zwischen den Bäumen hervortreten sehen. Voller Freude, einander lebend wiederzusehen, hatten sie sich begrüßt, doch schon bald hatte sich die Stimmung wieder getrübt, als sie einander ihre Geschichten erzählten. Schon bei diesem ersten Zusammentreffen erkannte Julius, dass Tubruk etwas von seiner Lebenskraft eingebüßt hatte. Er sah hager und schmutzig aus und berichtete in knappen Worten, wie sie wie die Tiere auf der Straße gelebt hatten, wie ihnen jeden Tag die schrecklichsten Dinge passiert waren, und wie es in der Nacht noch viel schlimmer gewesen war, wenn Schreie und Rufe die einzigen Anhaltspunkte waren. Er und Cabera waren überein gekommen, eine Woche an der Straße zur Küste zu warten, in der Hoffnung, dass Julius doch noch freikam. »Danach«, sagte Cabera, »hätten wir uns irgendwo Schwerter geklaut und dich rausgehauen.« Tubruk lachte laut, und Julius merkte, dass die beiden sich in den gemeinsam verbrachten Tagen näher gekommen waren. Doch es trug nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Julius erzählte ihnen von Sullas launischer Grausamkeit, und während die Worte aus ihm hervorquollen, ballte er erneut vor Wut die Fäuste. »Wenn er meine Frau auch nur anrührt, komme ich nach Rom zurück und schneide ihm die Eier ab«, sagte er leise, nachdem er seinen Bericht beendet hatte. Die Gefährten hielten seinem Blick nicht lange stand, und sogar Caberas üblicher Humor blieb eine Weile verschwunden. »Er kann unter den Frauen Roms wählen, Gaius«, murmelte Tubruk. »Und er ist einer von denen, die das Messer gerne ein bisschen in der Wunde drehen. Ihr Vater wird bestimmt gut für ihre Sicherheit sorgen und sie, sollte ihr Gefahr drohen, sogar aus der Stadt bringen. Der Alte würde seine Wachen auf Sulla selbst hetzen, wenn der Cornelia bedrohen würde. Das weißt du doch.« Julius nickte, aber sein Blick weilte irgendwo in der Ferne. Er wollte überzeugt werden. Zuerst hatte er vorgehabt, sie im Schutz der Nacht aufzusuchen, aber inzwischen war wieder eine Ausgangssperre verhängt, und sich nachts auf der Straße aufzuhalten, bedeutete den sofortigen Tod. Wenigstens hatte Cabera in den Tagen, die er mit Tubruk auf der Straße zugebracht hatte, ein paar nützliche Dinge organisiert. Eine goldene Armspange, die er in der Asche gefunden hatte, hatte ihnen zu Pferden verholfen und auch für das Bestechungsgeld gereicht, um an den Wachen vorbeizukommen. Die Wechsel, die Julius immer noch auf der Haut trug, waren zu groß, um außerhalb der Stadt eingelöst zu werden, und es machte ihn rasend, dass sie sich mit ein paar Bronzemünzen abgeben mussten, wo der Reichtum auf dem Papier so nahe war, aber eben nutzlos. Julius war sich nicht einmal mehr sicher, ob Marius’ Unterschrift überhaupt noch anerkannt wurde, vermutete jedoch, dass der gerissene Legat auch dafür vorgesorgt hatte. Er war auf so gut wie alles vorbereitet gewesen. Julius hatte ein paar ihrer wertvollen Münzen für Briefe ausgegeben, die er Legionären mit in die Stadt gegeben oder zur Küste und bis nach Griechenland geschickt hatte. Cornelia würde zumindest erfahren, dass er am Leben und in Sicherheit war, doch es würde sehr lange dauern, bis er sie wiedersehen konnte. Bevor er nicht mit neuer Kraft und Unterstützung zurückkehren konnte, war es ihm unmöglich, überhaupt zurückzukehren, und die Bitterkeit dieses Gedankens nagte an ihm, machte ihn müde und höhlte ihn aus. Marcus würde von der Katastrophe in Rom erfahren und nicht blindlings zurückkommen und nach ihm suchen, wenn seine Dienstzeit beendet war. Das war nur ein schwacher Trost. Sein Freund fehlte ihm wie noch nie zuvor. Tausend andere Dinge, die er bedauerte, verhöhnten ihn, sobald sie ihm in Erinnerung kamen, und waren zu schmerzhaft, als dass er ihnen erlauben würde, Wurzeln zu fassen. Die Welt hatte sich für den jungen Mann von Grund auf verändert. Marius konnte nicht tot sein. Die Welt war leer ohne ihn. Nach drei Tagen auf der Straße trabten die drei müden Reiter in die geschäftige Hafenstadt westlich von Rom hinein. Nachdem sie abgestiegen waren und die Pferde an einem Pfosten vor einem Wirtshaus festgebunden hatten, meldete sich Tubruk als Erster zu Wort. »Hier wehen die Fahnen von drei Legionen. Deine Papiere verschaffen dir für jede von ihnen ein Offizierspatent. Die hier ist in Griechenland stationiert, die dort in Ägypten und die letzte begleitet ein Handelsschiff nach Norden.« Tubruk sprach ruhig und zeigte, dass sein Wissen darüber, was im Imperium vor sich ging, durch seine Tätigkeit als Gutsverwalter nicht gelitten hatte. Julius fühlte sich im Hafen unbehaglich und schutzlos. Trotzdem durfte diese Entscheidung nicht überstürzt getroffen werden. Falls Sulla seine Meinung änderte, konnten sogar jetzt noch bewaffnete Männer unterwegs sein, um ihn zu töten oder nach Rom zurückzubringen. In dieser Hinsicht konnte Tubruk ihm nicht raten. Er erkannte zwar die Banner der Legionen, wusste aber ebenso gut, dass er, was den Ruf der Offiziere anging, fünfzehn Jahre hinter der Zeit herhinkte, und fühlte sich sehr unwohl dabei, eine derart wichtige Entscheidung in die Hände der Götter zu legen. Julius würde mindestens die nächsten beiden Jahre in der Einheit zubringen, für die sie sich jetzt entschieden, und letztendlich konnten sie genauso gut eine Münze werfen. »Mich persönlich würde ja Ägypten reizen«, meinte Cabera und blickte sehnsüchtig aufs Meer hinaus. »Schon verdammt lange her, dass ich mir den ägyptischen Sand aus den Sandalen geklopft habe.« Er spürte, wie sich die Zukunft enger um sie alle schloss. Nur wenige Leben bestanden aus so einfachen Entscheidungen, oder vielleicht auch alle, doch die meisten erkannten sie nicht als solche, wenn sie zu treffen waren. Nach Ägypten, nach Griechenland oder nach Norden? Jede Richtung hatte ihre eigenen Verlockungen. Der Junge musste die Entscheidung ganz allein treffen, doch in Ägypten war es zumindest schön warm. Tubruk musterte die Galeeren, die sich an ihren Liegeplätzen wiegten, hielt Ausschau nach einer, die sich irgendwie auszeichnete. Jede wurde von wachsamen Legionären bewacht, und auf Deck wimmelten Männer herum, die damit beschäftigt waren, die Schiffe nach ihren Fahrten in die ganze Welt zu reparieren, zu schrubben und wieder instand zu setzen. Er zuckte die Achseln. Wahrscheinlich würde er, sobald sich die allgemeine Aufregung gelegt hatte und Rom wieder ein wenig zur Ruhe gekommen war, auf das Gut zurückkehren. Irgendjemand musste sich schließlich um das Anwesen kümmern. »Marcus und Renius sind in Griechenland. Wenn du willst, kannst du dort zu ihnen stoßen«, schlug Tubruk vor und wandte sich zur Straße, um nach Staubfahnen Ausschau zu halten, die von eventuellen Verfolgern aufgewirbelt worden waren. »Nein. Ich habe noch nichts erreicht, außer zu heiraten und von meinem Feind aus Rom vertrieben zu werden«, murmelte Julius. »Dem Feind deines Onkels«, verbesserte ihn Cabera. Julius drehte sich langsam zu dem alten Mann um und sah ihn an. »Nein. Jetzt ist er mein Feind. Wenn die Zeit gekommen ist, sorge ich dafür, dass er stirbt.« »Vielleicht, wenn die Zeit gekommen ist«, meinte Tubruk. »Heute musst du erst einmal fort und das Handwerk eines Soldaten und Offiziers erlernen. Du bist jung. Dir und deiner Karriere sind keine Grenzen gesetzt.« Tubruk erwiderte Julius’ Blick und dachte daran, dass der Junge seinem Vater immer ähnlicher wurde. Schließlich nickte der junge Mann kurz, bevor er sich abwandte und abermals die Schiffe betrachtete. »Dann also Ägypten. Das Land der Pharaonen habe ich schon immer sehen wollen.« »Ein gute Wahl«, meinte Cabera. »Der Nil wird dir gefallen, und die Frauen dort sind hübsch und duften herrlich.« Der alte Mann freute sich, als er Julius zum ersten Mal seit jener Nacht, als sie in Gefangenschaft geraten waren, wieder lachen sah. Er hielt es für ein gutes Omen. Tubruk gab einem Jungen eine kleine Münze, damit er eine Stunde auf ihre Pferde aufpasste, dann gingen die drei Männer zu der Galeere hinüber, auf der die Flagge einer ägyptischen Legion flatterte. Je näher sie kamen, desto offensichtlicher wurde das geschäftige Treiben der Arbeiter auf dem Schiff. »Sieht ganz so aus, als ob sie den Kahn zum Ablegen klarmachen«, bemerkte Tubruk und zeigte mit dem Daumen auf den Proviant, der von Sklaven fässerweise an Bord gebracht wurde. Pökelfleisch, Öl und Fisch wurden über den kleinen Streifen Wasser hinweg in die Arme schwitzender Sklaven an Bord des Schiffes gehievt, wo jedes einzelne Fass mit typisch römischer Genauigkeit auf einer Tafel vermerkt und abgezeichnet wurde. Tubruk pfiff einem der Wachsoldaten zu, der sofort zu ihnen herüberkam. »Wir möchten mit dem Kapitän sprechen. Ist er an Bord?«, fragte Tubruk. Der Soldat taxierte sie kurz und schien trotz des Straßenstaubs zufrieden zu sein. Zumindest Tubruk und Julius sahen wie Soldaten aus. »Allerdings. Wir laufen mit der Nachmittagsflut aus. Ich kann dir nicht versprechen, dass er jetzt noch Zeit für euch hat.« »Sag ihm, Marius’ Neffe ist hier, soeben aus der Stadt eingetroffen. Wir warten hier«, erwiderte Tubruk. Die Augenbrauen des Soldaten hoben sich ein Stück, und sein Blick wanderte zu Julius hinüber. »Sehr wohl, Herr. Ich mache ihm sofort Meldung.« Der Mann drehte sich um und ging über die schmale Planke an Deck der Galeere. Kurz darauf war er hinter dem erhabenen hölzernen Aufbau verschwunden, der das Schiff beherrschte, und von dem Julius annahm, dass es sich um das Quartier des Kapitäns handelte. Während sie warteten, betrachtete Julius die Ausmaße des gewaltigen Schiffes, die Löcher für die Ruder an der Seite, mit deren Hilfe sie aus dem Hafen gelangen und im Kampf genügend Geschwindigkeit aufnehmen würden, um feindliche Schiffe zu rammen, die riesigen, quadratischen Segel, die darauf warteten, aufgezogen zu werden und sich mit Wind zu füllen. An Deck befanden sich keinerlei lose Gegenstände, so wie es sich für ein römisches Kriegsschiff gehörte. Alles, was bei rauer See Verletzungen hervorrufen konnte, war sicher festgezurrt worden. An mehreren Stellen führten Treppen nach unten, jede davon konnte von einer mit einem Riegel versehenen Luke verschlossen werden, um zu verhindern, dass schwere Brecher auf die Mannschaft hinunterstürzten. Die Galeere machte den Eindruck eines gut geführten Schiffes, doch erst nachdem er die Bekanntschaft des Kapitäns gemacht hatte, würde er wissen, wie sich die nächsten beiden Jahre seines Lebens gestalten würden. Er roch Teer und Salz und Schweiß, die Gerüche einer fremden Welt, die er nicht kannte. Mit einem Mal war er eigenartig nervös und hätte beinahe über sich selbst lachen müssen. Aus einem der dunklen Schatten an Deck trat ein großer Mann in der vollen Uniform eines Zenturio hervor. Er sah hart und gepflegt aus; sein graues Haar war kurz geschoren, und die Bronze seiner Brustplatte glänzte im hellen Sonnenschein. Mit aufmerksamem Blick kam er über die Planke auf den Kai herunter und begrüßte die drei Wartenden. »Guten Tag, die Herren. Ich bin Zenturio Gaditicus, offizieller Kapitän dieses Schiffes der Dritten Parthischen Legion. Wir machen mit der nächsten Flut los, deshalb kann ich euch nicht viel Zeit widmen. Aber der Name des Konsul Marius ist selbst in diesen Zeiten von Gewicht. Nennt mir euer Anliegen und ich werde sehen, was ich für euch tun kann.« Er kam ohne viel Aufhebens gleich zur Sache. Julius war der Mann sofort sympathisch. Also griff er ohne weitere Worte in seine Tunika und zog die Papiere hervor, die Marius ihm mitgegeben hatte. Gaditicus nahm sie entgegen, brach das Siegel mit dem Daumen und überflog sie unter gelegentlichem Nicken. »Wurde das hier geschrieben, bevor Sulla die Herrschaft wieder an sich gerissen hat?«, wollte er wissen, den Blick immer noch auf das Pergament gerichtet. Julius hätte am liebsten gelogen, vermutete jedoch, dass der Mann ihn auf die Probe stellte. »Allerdings. Mein Onkel hat nicht damit gerechnet, dass Sulla ... erfolgreich sein würde.« Gaditicus musterte den jungen Mann vor ihm mit einem durchdringenden Blick. »Es tat mir Leid, als ich erfuhr, dass er gefallen ist. Er war ein beliebter Mann und gut für Rom. Diese Papiere wurden von einem Konsul unterzeichnet, also sind sie ohne weiteres gültig. Trotzdem bin ich befugt, dir einen Posten zu verweigern, solange ich nicht weiß, wie du persönlich zu Cornelius Sulla stehst. Wenn du ein vertrauenswürdiger Mann bist, genügt mir dein Wort.« »Das bin ich, Herr«, erwiderte Julius. »Wirst du wegen irgendwelcher Verbrechen gesucht?« »Nein.« »Versuchst du, vor irgendeinem öffentlichen Skandal zu fliehen?« »Nein.« Wieder sah ihm der Mann ein paar Sekunden lang in die Augen, aber Julius hielt dem Blick stand. Gaditicus faltete die Papiere zusammen und verstaute sie in seiner eigenen Tunika. »Ich erlaube dir, den Eid zu leisten, und zwar im niedrigsten Offiziersrang, dem eines Tesserarius. Wenn du dich als tüchtig erweist, wirst du rasch befördert werden; falls nicht, geht es langsam oder überhaupt nicht voran. Verstanden?« Julius nickte mit ausdruckslosem Gesicht. Die Tage des luxuriösen Lebens in der vornehmsten Gesellschaft waren vorbei. Das hier war der Stahl des Imperiums, der es der Hauptstadt erlaubte, in verweichlichten Freuden zu schwelgen. Diesmal musste er sich beweisen, und zwar ohne die schützende Hand eines mächtigen Onkels. »Und was machen wir mit diesen beiden?«, erkundigte sich Gaditicus und zeigte auf Tubruk und Cabera. »Tubruk ist mein Verwalter. Er kehrt auf unser Landgut zurück. Der alte Mann hier ist Cabera, mein ... Diener. Ihn würde ich gern mitnehmen.« »Er ist zu alt für die Ruder, aber wir finden bestimmt Arbeit für ihn. Auf einem Schiff unter meinem Befehl faulenzt niemand herum. Jeder muss arbeiten. Jeder.« »Verstanden, Zenturio. Er verfügt über einiges Geschick als Heiler.« Cabera starrte mit glasigen Augen geradeaus, stimmte jedoch nach einer kurzen Pause mit einem Nicken zu. »Das passt gut. Wollt ihr zwei Jahre dienen oder fünf?«, fragte Gaditicus. »Zwei, jedenfalls zunächst einmal, Herr«, antwortete Julius mit fester Stimme. Marius hatte ihn davor gewarnt, sich mit allzu langen Verträgen als Soldat zu binden, hatte ihm aber geraten, sich jederzeit die Möglichkeit offen zu halten, seine Erfahrungen zu erweitern. »Dann willkommen in der Dritten Parthischen, Julius Cäsar«, sagte Gaditicus barsch. »Jetzt kommt an Bord und meldet euch beim Quartiermeister, der zeigt euch eure Kojen und gibt euch alles, was ihr braucht. Wir sehen uns in zwei Stunden zum Gelöbnis.« Julius wandte sich zu Tubruk um. Der streckte ihm die Hand entgegen, und Julius umschloss Hand und Handgelenk. »Die Götter begünstigen die Mutigen, Julius«, sagte der alte Kämpfer und lächelte. Dann wandte er sich an Cabera. »Und du hältst ihn fern von starken Getränken, schwachen Frauen und Männern, die mit ihren eigenen Würfeln spielen. Verstanden?« Cabera machte mit dem Mund ein obszönes Geräusch und erwiderte empört: »Ich spiele selbst mit meinen eigenen Würfeln.« Gaditicus ging bereits wieder über die Planke aufs Schiff zurück und tat so, als hätte er die kleine Unterhaltung nicht gehört. Sobald die Entscheidung getroffen war, hatte der alte Mann gespürt, wie sich die Zukunft um ihn schloss, und fast ehe er ihn überhaupt bemerkt hatte, verschwand ein gewisser Druck aus seinem Schädel. Er spürte, wie sich Julius’ Stimmung mit einem Mal hob und war sofort selbst wieder besser gelaunt. Die Jungen sorgten sich nicht um die Zukunft oder die Vergangenheit, jedenfalls nicht lange. Als sie an Deck der Galeere gingen, schienen die blutigen Ereignisse in Rom bereits einer anderen Welt anzugehören. Julius trat auf das sich hebende und senkende Deck und sog die Lunge voll Luft. Ein junger Soldat, vielleicht Anfang zwanzig, betrachtete ihn mit verschlagenem Blick. Er war groß und kräftig, und sein Gesicht war von den Kratern alter Pustelnarben übersät. »Hab ich mir doch gleich gedacht, dass du das bist, Schlammfisch«, sagte er. »Ich habe Tubruk auf dem Kai erkannt.« Julius musste einen Augenblick nachdenken, dann klickte es in seinem Gedächtnis. »Suetonius?«, rief er. Der Mann versteifte sich kaum wahrnehmbar. »Für dich Tesserarius Prandus. Ich bin Wachhauptmann dieser Zenturie. Ein Offizier.« »Als genauso einer verpflichtest du dich doch auch, Julius, oder?«, sagte Cabera laut und deutlich. Julius sah Suetonius an. An diesem Tag hatte er nicht die Geduld, auf die Gefühle dieses Mannes Rücksicht zu nehmen. »Fürs Erste«, antwortete er Cabera, dann wandte er sich wieder an seinen alten Nachbarn. »Wie lange bist du schon in diesem Rang?« »Ein paar Jahre«, erwiderte Suetonius steif. Julius nickte. »Mal sehen, ob ich das besser hinkriege. Zeigst du mir meine Unterkunft?« Vor Zorn über Julius’ kurz angebundene Art lief Suetonius rot an, doch er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und schritt ihnen voran über das Deck. »Ein alter Freund?«, erkundigte sich Cabera leise, als sie ihm folgten. »Nein, nicht direkt.« Mehr sagte Julius nicht dazu, und Cabera drängte ihn nicht weiter. Auf See würden sie Zeit genug dafür haben. Innerlich stöhnte Julius auf. Zwei Jahre seines Lebens musste er mit diesen Männern verbringen, und es würde auch ohne Suetonius schwer genug werden, der ihn als milchgesichtigen Knaben in Erinnerung hatte. Die Einheit patrouillierte das gesamte Mittelmeer, sicherte römische Gebiete, garantierte den sicheren Seehandel und nahm vielleicht sogar an Land- oder Seeschlachten teil. Er tat diese Gedanken mit einem Schulterzucken ab. Seine Erfahrung in der Stadt hatte ihm gezeigt, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, sich Sorgen um die Zukunft zu machen. Sie erwies sich so oder so immer als Überraschung. Er würde älter und stärker werden, würde höhere Ränge bekleiden und schließlich stark genug nach Rom zurückkehren, um Sulla herauszufordern. Dann würde man weitersehen. Mit Marcus an seiner Seite würde er abrechnen und Rache für Marius’ Tod nehmen. 35 Marcus wartete geduldig im Vorraum der Gemächer des Lagerpräfekten. Um sich die Zeit zu vertreiben, bis er zu der Sitzung hineingerufen wurde, die über seine Zukunft entschied, las er den Brief von Gaius noch einmal durch. Er war viele Monate unterwegs gewesen und von einer Legionärshand zur anderen weitergereicht worden, bis er schließlich in Illyrien angekommen war. Schließlich war er einem Bündel von Befehlen an die Vierte Makedonische hinzugefügt und am Zielort dem jungen Offizier ausgehändigt worden. Marius’ Tod war ein schwerer Schlag gewesen. Marcus hatte dem Legaten beweisen wollen, dass sein Vertrauen in ihn gerechtfertigt war. Er hatte ihm seinen Dank als gestandener Mann ausdrücken wollen, doch das war jetzt nicht mehr möglich. Obwohl er Sulla nie persönlich begegnet war, fragte er sich, ob der Konsul jetzt eine Gefahr für ihn und für Gaius darstellte -nein, er hieß ja jetzt Julius. Als er von der Hochzeit las, musste er grinsen, und bei den wenigen Zeilen über Alexandria zuckte er zusammen, denn er las mehr zwischen ihnen, als Julius ihm enthüllte. Cornelia schien, wenn man Julius’ Worte ernst nahm, der reinste Engel zu sein. Eigentlich war das die einzige gute Nachricht in dem ganzen Brief. Als die schwere Tür zu den Innenräumen aufging, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Ein Legionär kam heraus und salutierte. Marcus erhob sich und erwiderte den Gruß. »Der Präfekt ist bereit, dich zu empfangen«, sagte der Mann. Marcus nickte, marschierte hinein und blieb, wie es vorgeschrieben war, drei Schritte vor dem Eichentisch des Präfekten in Habachtstellung stehen. Bis auf einen Krug Wein, ein Tintenfass und ein paar säuberlich arrangierte Pergamente war der Schreibtisch leer. Renius stand mit einem Becher Wein in der Hand in der Ecke. Ebenso Leonides, der Zenturio der Bronzefaust. Carac, der Lagerpräfekt, erhob sich, als der junge Mann eintrat und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen. Marcus ließ sich in einem schweren Stuhl nieder und saß kerzengerade da. »Rühren, Legionär. Wir sind hier nicht beim Kriegsgericht«, murmelte Carac, dessen Blick über die Urkunden auf dem Schreibtisch wanderte. Marcus versuchte, eine etwas entspanntere Haltung einzunehmen. »In zwei Wochen sind deine zwei Jahre um, wie du sicherlich selbst weißt«, sagte Carac. »Jawohl, Herr.« »Du hast dich bis jetzt hervorragend geführt. Kommando eines Contubernium, erfolgreiche Aktionen gegen die wilden Stämme, Gewinner des Schwertkampfwettbewerbs der Bronzefaust im vergangenen Monat. Wie ich höre, respektieren dich die Männer trotz deiner Jugend und erkennen deine Verlässlichkeit in kritischen Situationen an. Manche würden sagen, besonders in kritischen Situationen. Ein Offizier meinte, dass du dich im Alltag recht gut aufführst, dich aber in der Schlacht oder wenn es Schwierigkeiten gibt, vor allen anderen auszeichnest. Eine wertvolle Eigenschaft bei einem jungen Offizier, die zu einem aktiven Leben in der Legion passt. Wenn es deinem Wunsch entspricht, gibt es für dich überall in der Legion einen Posten und Arbeit.« Marcus nickte vorsichtig, und Carac zeigte auf Leonides. »Dein Zenturio weiß nur Gutes über dich zu berichten, und die Art und Weise, wie du mit den diebischen Anwandlungen dieses Jungen ... Peppis ... umgegangen bist ... Zuerst hat es einiges Gerede gegeben, ob du dich mit deinem Eigensinn in die Legion einfügen kannst, aber du hast dich der Vierten Makedonischen gegenüber als loyal und ehrenhaft erwiesen. Kurz gesagt, mein Junge, ich sähe es sehr gerne, wenn du bei uns verlängern würdest, verbunden mit einer Beförderung zum Kommandeur einer halben Legion. Mehr Sold und mehr Status, und Zeit genug, um, falls nötig, für Schwertwettkämpfe zu trainieren. Was sagst du dazu?« »Darf ich offen sprechen, Herr?«, fragte Marcus, dem das Herz in der Brust hämmerte. Carac runzelte die Stirn. »Selbstverständlich«, erwiderte er. »Dein Angebot ist großzügig. Die beiden Jahre bei der Makedonischen sind für mich eine gute Zeit gewesen. Ich habe hier Freunde gewonnen. Trotzdem ... Herr, ich bin auf dem Landgut eines Römers aufgewachsen, der nicht mein Vater war. Sein Sohn und ich waren wie Brüder, und ich habe geschworen, ihn zu unterstützen, sein Schwert zu sein, wenn wir Männer sind.« Er spürte Renius’ Blick auf sich ruhen und fuhr fort. »Er ist zurzeit bei der Dritten Parthischen, einer Flotten-Legion, und hat noch etwas mehr als ein Jahr zu dienen. Wenn er nach Rom zurückkehrt, würde ich mich ihm dort gern wieder anschließen, Herr.« »Renius hat mir bereits ein wenig von der Geschichte zwischen diesem ... Gaius Julius und dir erzählt. Ich habe viel Verständnis für solche Treue. Sie hebt uns womöglich im Feld über den Status bloßer Tiere hinaus.« Carac lächelte gut gelaunt, und Marcus sah kurz zu den beiden anderen hinüber, überrascht, nichts von dem befürchteten Tadel zu bemerken. Leonides erhob seine tiefe, ruhige Stimme. »Hast du wirklich geglaubt, wir würden das nicht verstehen? Mein Sohn, du bist noch sehr jung. Du wirst noch in vielen Legionen dienen, bevor du dich auf einem kleinen Stück Land zur Ruhe setzen kannst. Am wichtigsten aber ist, dass du Rom dienst, beständig und ohne Murren. Wir drei haben unser Leben diesem Ziel gewidmet. Wir wollen Rom sicher und stark machen, von aller Welt beneidet.« Marcus sah die drei Männer der Reihe nach an und ertappte Renius dabei, wie er hinter dem eilig an die Lippen gesetzten Weinbecher ein Grinsen verbarg. Gemeinsam waren sie die Verkörperung dessen, was er als kleiner Junge immer hatte werden wollen, waren durch ihre Überzeugungen, ihre Loyalität und ihr Blut zu etwas Unbeugsamem zusammengeschweißt. Carac nahm ein auf dickem Pergament verfasstes Dokument vom Schreibtisch. »Renius war der Meinung, das hier sei die einzige Möglichkeit, dich bis zur Teilnahme am Graeca-Schwertwettkampf im Winter in der Legion zu halten. Damit verpflichtest du dich für ein Jahr und einen Tag.« Er reichte das Dokument an Marcus weiter, dessen Kehle sich vor Ergriffenheit zusammenzog. Er hatte damit gerechnet, seine Offiziersausrüstung zurückzugeben, seinen ausstehenden Sold einzustreichen und sich dann allein auf die Rückreise nach Italien zu machen. Dieses Angebot, ausgerechnet in dem Augenblick, als ihm die Zukunft so düster erschienen war, kam ihm wie ein Geschenk der Götter vor. Er fragte sich, inwieweit Renius dabei seine Finger im Spiel hatte und kam zu dem Schluss, dass es letztendlich völlig egal war. Er wollte bei der Makedonischen bleiben und hatte sich insgeheim ohnehin zwischen der Treue zu seinem Kindheitsfreund und der Befriedigung, die er bei seiner eigenen Familie, der Legion, gefunden hatte, hin und hergerissen gefühlt. Nun blieb ihm ein weiteres Jahr, um zu wachsen und zu gedeihen. Seine Augen weiteten sich ein wenig, als er das in kompliziertem Latein abgefasste Dokument durchlas. Carac bemerkte es sofort. »Wie du siehst, haben wir die Beförderung bereits darin aufgenommen. Du kommandierst fünfzig Mann unter Leonides und bist direkt seinem Optio Daritus verantwortlich. Ich schlage vor, dass du den neuen Rang ganz unvoreingenommen antrittst. Fünfzig Mann sind etwas anderes als acht. Du bekommst es mit völlig neuen Problemen zu tun, die Kampfausbildung erfordert eine Vielzahl von Fähigkeiten. Es wird ein schweres Jahr werden, voller Herausforderungen, aber ich denke, es könnte dir gefallen.« »Bestimmt, Herr. Ich danke dir. Es ist mir eine Ehre.« »Eine Ehre, die du dir verdient hast, junger Mann. Ich habe erfahren, was im Lager der Blauhäute geschehen ist. Die Information, die du von dort mitgebracht hast, hat dazu beigetragen, unsere Politik ihnen gegenüber zu überdenken. Wer weiß, vielleicht treiben wir in ein paar Jahren schon Handel mit ihnen.« Carac hatte sichtlich Freude daran, dem Jungen gegenüber als Überbringer guter Nachrichten aufzutreten, und Renius betrachtete das Ganze zustimmend. Das wird mein Jahr werden, gelobte sich Marcus insgeheim, während er das Dokument bis zu Ende las und zur Kenntnis nahm, wie viele Unzen Öl und Salz er sich aus dem Proviantlager holen durfte, wie hoch seine Zuwendungen für Reparaturen und Verlust waren, und so weiter. Der neue Posten beinhaltete tausenderlei neue Anforderungen, die er sich rasch aneignen musste. Auch der Sold bedeutete eine gewaltige Verbesserung. Er wusste, dass Julius’ Familie ihn unterstützen würde, wenn er sie darum bat, doch der Gedanke, bei seiner Rückkehr nach Rom auf Almosen angewiesen zu sein, hatte trotzdem an ihm genagt. Jetzt konnte er selbst ein bisschen sparen und mit ein paar Goldmünzen in der Tasche nach Hause zurückkehren. Da kam ihm ein anderer Gedanke. »Bleibst du auch bei der Makedonischen?«, fragte er Renius. Der alte Soldat zuckte die Achseln und trank einen Schluck Wein. »Gut möglich. Mir gefällt die gute Gesellschaft hier. Aber denk daran, ich bin schon lange über das Ruhestandsalter hinaus. Carac muss jedes Mal an den Besoldungszahlen herumfeilen, bevor er sie einschickt. Außerdem würde ich gern sehen, was Sulla aus der Stadt gemacht hat. Ich habe gehört, er bringt Rom ganz schön ins Gerede. Ich würde gern mal nachsehen, ob er sich ordentlich um das alte Mädchen kümmert, und im Gegensatz zu dir stehe ich als Schwertmeister nicht unter Vertrag.« Carac seufzte. »Auch ich würde Rom gern wiedersehen. Ich bin schon seit vierzehn Jahren hier stationiert. Aber ich darf mich nicht beschweren, ich wusste ja, was auf mich zukommt, als ich in die Legion eingetreten bin.« Er schenkte allen Anwesenden Wein ein und füllte Renius den ausgestreckten Becher erneut. »Trinken wir auf Rom, meine Herren, und auf das nächste Jahr.« Alle erhoben sich und stießen mit fröhlichem Lächeln an. Marcus stellte seinen Becher ab, nahm die Feder aus dem Tintenfass und unterschrieb das Dokument mit seinem vollen Namen. »Marcus Brutus«, schrieb er. Carac langte über den Schreibtisch und packte seinen rechten Arm mit festem Griff. »Eine gute Entscheidung, Brutus.« HISTORISCHE ANMERKUNG Was Julius Cäsars Kindheit und frühe Jugend betrifft, verfügen wir über so gut wie keine Informationen. Ich habe ihm, so gut es ging, eine Kindheit verliehen, wie sie ein Junge aus einer nicht sehr bedeutenden römischen Familie damals erlebt haben könnte. Einige seiner Fähigkeiten lassen sich natürlich aus seinen späteren Errungenschaften rückschließen. So konnte er sich beispielsweise im Alter von zweiundfünfzig Jahren in Ägypten dadurch retten, dass er schwimmen konnte. Der Biograph Suetonius bescheinigt ihm große Geschicklichkeit im Umgang mit Schwertern und Pferden, ebenso eine erstaunliche Ausdauer und Zähigkeit: Cäsar ging lieber zu Fuß als dass er ritt, und er marschierte bei jedem Wetter ohne Kopfbedeckung. Leider muss ich gestehen, dass Renius eine erfundene Figur ist, obwohl es damals üblich war, alle möglichen Spezialisten anzustellen. Wir wissen von einem Tutor aus Alexandria, der Cäsar in Rhetorik unterrichtet hat und können bei Cicero nachlesen, wie er widerwillig Cäsars Fähigkeit preist, bei Bedarf gewandt und bewegend zu reden. Julius’ Vater starb, als der Junge fünfzehn war, und es entspricht ebenfalls den Tatsachen, dass Julius kurz danach Cinnas Tochter Cornelia heiratete, allem Anschein nach aus Liebe. Obwohl Marius ein Onkel väterlicherseits und nicht, wie bei mir, ein Bruder Aurelias war, entspricht die Figur des Legaten, wie sie hier gezeichnet wird, recht gut dem, was wir über ihn wissen. In krassem Gegensatz zu Gesetz und Tradition war er insgesamt siebenmal Konsul. War es einem Mann zuvor nur möglich, sich der Legion anzuschließen, wenn er Land besaß und daraus sein Einkommen bezog, so schaffte Marius diese Qualifikation ab und erfreute sich der fanatischen Loyalität seiner Soldaten. Marius war auch derjenige, der den Adler als Symbol für alle römischen Legionen einführte. Als Mithridates im Osten gegen die römische Besatzung rebellierte, wollten sowohl Marius als auch Sulla gegen ihn ins Feld ziehen, weil sie den Feldzug für nicht besonders schwierig hielten und ihn als gute Chance betrachteten, ihren Reichtum zu vermehren. Teilweise aus persönlichen Motiven führte Sulla im Jahre 88 v. Chr. seine Soldaten gegen Rom und Marius, wobei er behauptete, er wolle »die Stadt vom Tyrannen befreien«. Marius war gezwungen, nach Afrika zu fliehen und kehrte später mit der Armee, die er dort um sich geschart hatte, zurück. Der Senat, der nicht in der Lage war, sich derartig mächtiger Anführer zu erwehren, erlaubte seine Rückkehr und erklärte Sulla in dessen Abwesenheit auf dem Feldzug gegen Mithridates zum Staatsfeind. Marius wurde ein letztes Mal zum Konsul gewählt, starb jedoch während dieser Amtsperiode und ließ den unschlüssigen, ängstlichen Senat in einer schwierigen Lage zurück. Zunächst suchte der Senat Frieden, aber Sulla war nach seinem überwältigenden Sieg in Griechenland in einer starken Position. Er hatte Mithridates zwar am Leben gelassen, aber unglaubliche Reichtümer konfisziert und uralte Schätze geplündert. Ich habe diese Jahre zusammengezogen und Marius beim ersten Angriff sterben lassen, was womöglich ein ungerechtfertigtes und allzu rasches Ende für einen derart charismatischen Mann ist. Als Sulla von seinem Feldzug in Griechenland zurückkehrte, führte er seine Armeen zu einem raschen Sieg gegen die senatstreuen Streitkräfte und marschierte schließlich im Jahre 82 v. Chr. abermals auf die Stadt. Er beanspruchte den Titel des Diktators, und in dieser Rolle begegnete er zum ersten Mal Cäsar, der als einer der Unterstützer des Marius vor ihn gebracht wurde. Obwohl sich Julius weigerte, sich von Cornelia scheiden zu lassen, ließ ihn Sulla nicht töten. Es wird berichtet, der Diktator habe gesagt, er hätte »mehr als nur einen Marius in diesem Cäsar gesehen«, was, so es denn stimmt, einen gewissen Einblick in den Charakter dieses Mannes gewährt, so wie ich ihn in diesem Buch darzustellen versucht habe. Sullas Herrschaft als Diktator war eine brutale Zeit für die Stadt. Die einzigartige Position, die er bekleidete und missbrauchte, war als Notfallmaßnahme für Kriegszeiten gedacht gewesen, ein ähnliches Konzept wie das Kriegsrecht in modernen Demokratien. Vor Sulla war der Titel zeitlich strikt begrenzt gewesen, aber ihm gelang es, diese Einschränkungen auszuhebeln und der Republik dadurch eine tödliche Wunde beizubringen. Eines der von ihm erlassenen Gesetze verbat es bewaffneten Streitkräften, sich der Stadt zu nähern, nicht einmal anlässlich der traditionellen Triumphzüge. Als er im Alter von sechzig Jahren starb, sah es eine Weile so aus, als könne die Republik zu ihrer vormaligen Kraft und Autorität zurückfinden. Zur gleichen Zeit hielt sich in Griechenland ein Zweiundzwanzigjähriger namens Gaius Julius Cäsar auf, der diese Entwicklung unmöglich machen würde. Schließlich hatten Marius und Sulla vorgeführt, wie verwundbar die Republik skrupelloser Entschlossenheit gegenüber war. Wir können nur darüber spekulieren, wie Marius’ Befehl »Schafft Platz für euren Legaten« und der Anblick der direkt vor dem Senat niedergemachten drängenden Menge auf den jungen Cäsar gewirkt haben müssen. Die Geschichtsschreibung, insbesondere die kurz nach dieser Periode von Plutarch und Suetonius verfassten Berichte, sind eine erstaunliche Lektüre. Bei der Recherche zum Leben Cäsars stellte sich mir immer wieder die Frage: »Wie hat er das nur gemacht?« Wie hat sich ein junger Mann von der Katastrophe, nach einem Bürgerkrieg auf der Seite der Verlierer zu stehen, so rasch wieder erholt, bis zu dem Punkt, an dem sein Beiname gleichbedeutend mit der Bezeichnung für einen König wurde? Sowohl der Titel Zar als auch das Wort Kaiser leiten sich von diesem Namen ab und wurden noch zweitausend Jahre später benutzt. Die historischen Darstellungen zum Thema sind mitunter recht trocken, aber ich empfehle jedem, der sich näher für die Details interessiert, die ich hier leider weglassen musste, die Biographie Caesar von Christian Meier. Es gab so viele faszinierende Ereignisse in Cäsars Leben, dass es mir sehr viel Freude gemacht hat, sie dramatisch auszuschmücken. Die Geschehnisse im zweiten Buch sind sogar noch erstaunlicher. C. IGGULDEN DANKSAGUNG Dieses Buch wäre ohne die Hilfe und Unterstützung einer Reihe von Menschen weder begonnen noch beendet worden. Ich möchte Victoria danken, die ein steter Quell der Hilfe und der Ermutigung war, ebenso wie den Lektoren bei HarperCollins, die dieses Projekt ohne allzu viele Geburtswehen den ganzen Prozess hindurch begleitet haben. Alle Fehler, die jetzt womöglich noch festgestellt werden, muss ich leider auf die eigene Kappe nehmen. Ich danke auch Richard, der mir geholfen hat, den Raben zu kochen und der Marcus erst möglich gemacht hat. Und zum Schluss danke ich meiner Frau Ella, die mehr Vertrauen hatte als ich und dafür gesorgt hat, dass der lange Weg immer wieder ganz einfach aussah.